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Ishiguro: Alles, was wir geben mussten

Kollegiaten als Klone
Von Markus Bundi

Kathy H. ist 31 Jahre alt und arbeitet seit über zehn Jahren als Betreuerin in Großbritannien: "Meine Spender haben sich fast immer viel besser gehalten als erwartet" , lässt sie die Leser schon auf der ersten Seite wissen. Und der Verdacht, in Kazuo Ishiguros Roman "Alles, was wir geben mussten" ginge nicht alles mit rechten Dingen zu, erhärtet sich von Seite zu Seite: Die ehemaligen "Kollegiaten" aus dem Internat in Hailsham sind irgendwie anders. Lehrer hießen an diesem Ort Aufseher, ihre Zöglinge wurden regelmäßig medizinisch untersucht und man legte besonderen Wert auf das Musische. Kathy stammt ebenso aus diesem Internat wie Tommy.

Kathy, die Ich-Erzählerin, erinnert sich an Tommys jähzornige Ausbrüche und an eine Madame, die jedes Jahr auftauchte, um die von den Kollegiaten geschaffenen Werke zu begutachten. Sie suchte die besten Bilder aus – für eine Galerie, von der die Kinder nicht sicher wussten, ob es sie tatsächlich gab. Dennoch galt es als Ehre, von Madame ausgesucht zu werden. Tommys Jähzorn kommt daher, weil er es nicht einmal in die engere Auswahl schafft.

Was sich vor Kathys innerem Auge abspielt, sind Geschichten aus einem Internat, wie man sie kennt: Pennäler-Fantasien, kleine Intrigen und große Geheimnisse, pubertäre Unsicherheiten und Überreaktionen. In Ishiguros Roman handelt es sich bei den Internatsinsassen allerdings um zeugungsunfähige Klone, deren Leben als künftige Organspender vorherbestimmt ist. In Ishiguros England des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind menschliche Klonfarmen eine Selbstverständlichkeit. Dank dieser zwecks Organspende gezüchteten Menschen ist etwa Krebs heilbar.

Kazuo Ishiguro, spätestens durch James Ivorys Verfilmung seines Romans "The Remains oft the Day" international bekannt geworden, beschreitet mit seinem neuen Werk ein gewagtes Terrain. Nicht, weil das Klonen von Menschen generell tabuisiert würde, sondern, weil man diese Thematik bisher vorzugsweise Science-Fiction- und Thriller-Autoren überließ. Ishiguro selbst zeigt denn auch wenig Interesse an den neuen Technologien, sein Augenmerk gilt den gezüchteten Menschen zweiter Klasse, die nicht einmal vierzig Jahre alt werden dürfen und spätestens nach der vierten Spende "abgeschlossen" haben.

Zunächst ist man erstaunt, wie selbstverständlich sich die Klone ihrer "Aufgabe" widmen. Auch Kathy hat keinerlei Zweifel, und Ishiguro lässt sie ihre Erinnerungen in schlichten Worten schildern – als handelte es sich dabei um ein normales, unspektakuläres Leben. Kathy wendet sich immer wieder direkt an den Leser, lässt ihn an ihrem Leben teilhaben. Auch hier zeigt sich Ishiguros Meisterschaft: Er schafft zwischen Figur und Leser eine Nähe und Intimität, die bis an die Schmerzgrenze geht.

Lange nach der Schließung von Hailsham suchen Kathy und Tommy jene mysteriöse Madame auf, und zugleich treffen sie auch auf Miss Emily, die ehemalige Leiterin des Internats. Die Hoffnung, wegen ihrer Liebe zueinander einen Aufschub zu erlangen – Tommy steht vor der vierten Spende –, zerschlägt sich zwar schnell, doch erfahren sie immerhin, was hinter der Galerie ihrer Jugend steckte. Das Geld der dort verkauften Werke sollte mithelfen, lebenswürdigere Umstände für die Klone zu schaffen. Und so ermöglichte Hailsham eine Zeit lang den Kollegiaten eine vergleichsweise unbeschwerte Jugend . . .

Die Beklemmung, die der Leser von Beginn der Lektüre an erfährt, findet in den Ausführungen von Miss Emily einen düsteren Höhepunkt. Die Frage nach der moralischen Rechtfertigung menschlicher Klone zur Wohlfahrt und Gesundheit aller wird gar nicht mehr gestellt, die Praxis hat die Frage längst überholt. Und so offenbart sich Ishiguros "Schöne neue Welt" als apokalyptischer Albtraum, von dem man nur hoffen kann, dass nie Wirklichkeit werden möge.

Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Blessing Verlag, 2005, 349 Seiten.

Freitag, 27. Jänner 2006

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