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Präsident für einen Tag

damals & heute
Von Mario Rausch

Ein wenig können wir uns jetzt also alle als Präsidenten fühlen, obwohl es ja eigentlich nur einige wenige Österreicher tatsächlich sind: nämlich Wolfgang Schüssel und seine Ministerkollegen, die für die nächsten Monate als Vorsitzende – "Präsidenten" – die EU-Ministerräte leiten. Wir anderen dagegen sind und bleiben einfache Bürger.

Im alten Athen war das anders. Damals konnte es auch einem einfachen Mann durchaus "passieren", einmal im Leben als Präsident zu amtieren. Athen war vor 2500 Jahren eine direkte Demokratie, in der grundsätzlich alle Bürger dieselben politischen Rechte und Pflichten hatten. So saßen Bauern, Fischer, Händler und Handwerker als Abgeordnete in politischen Gremien, hatten Rede- und Stimmrecht im Bürgerparlament und fungierten als hohe Verwaltungsbeamte. Das war allerdings nur möglich, weil Athen selbst in seiner Blütezeit mit 30.000 Vollbürgern kaum größer als eine mittlere Klein-stadt war. Übrigens erhielten schon damals alle Athener Ausgleichszahlungen für ihr politisches Engagement, so dass politische Arbeit als "full-time job" nicht nur für die finanziell unabhängige Oberschicht, sondern auch für die einfachen Erwerbstätigen möglich war.

Vor allem aber basierte die athenischen Demokratie auf dem Prinzip der Rotation. Politische Ämter wurden im raschen Wechsel immer wieder neu besetzt, spätestens nach einem Jahr, manchmal noch schneller. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass kein Politiker allzu großen Einfluss gewinnen oder sich gar zum Alleinherrscher, zum "Tyrannen" aufschwingen konnte. Dem entsprechend wurde das formal höchste Amt in Athen, der Posten des Vorsitzenden der Regierung, der gleichzeitig Präsident des Bürgerparlaments war, möglichst oft gewechselt – nämlich täglich!

Spielraum für politische Initiativen blieb diesen "Präsidenten für einen Tag" verständlicherweise nicht – und das war von den Athenern durchaus so gewollt. Ein athenischer Regierungsvorsitzender war vollauf damit beschäftigt, für den korrekten Ablauf der politischen Verfahren zu sorgen und das Staatssiegel, die Schlüssel zum Staatsarchiv sowie zu den staatlichen Tempelkassen zu verwahren. Gemeinsam mit seinen Kollegen in der Regierung musste er permanent, also einen Tag und eine Nacht lang, im athenischen "Kanzleramt" anwesend sein. Dieser Regierungssitz, ein repräsentativer Rundbau, befand sich mitten auf der Agora, im Herzen der Stadt, und war zur Versorgung der Politiker sogar mit einer eigenen Küche ausgestattet. Archäologen haben Reste dieses Gebäudes ausgegraben.

Verglichen mit den "Kurzzeitpräsidenten" im alten Athen haben Wolfgang Schüssel und seine Ministerkollegen natürlich ungleich größere Möglichkeiten, sich als Vorsitzende und Verhandlungsleiter politisch aktiv zu betätigen. Wie stark ihr Einfluss aber wirklich ist, entscheiden weniger formale Amts- und Machtbefugnisse als vielmehr Verhandlungsgeschick und politisches Gespür, um im richtigen Moment politische Initiativen zu starten, bestimmte Anträge zu unterstützen oder in strittigen Fragen Kompromisse zu erzielen. Vor allem aber müssen sich Österreichs Spitzenpolitiker gegen jene Kräfte innerhalb und außerhalb der EU-Gremien durchsetzen, die mit populistischen Forderungen eigene politische Interessen durchsetzen wollen – und das nicht immer zum Wohl der Gemeinschaft.

Solche Männer wurden schon in der Antike Demagogen genannt, und so mancher von ihnen nützte seinen Einfluss in erster Linie zur Steigerung seiner persönlichen Macht. Im alten Athen waren sie die eigentlichen Gestalter der Politik und saßen als "Führer des Volkes" an den Schalthebeln der Macht. Die politischen Amateure in der Regierung kamen gegen diese mit allen Wassern gewaschenen "Berufspolitiker" kaum an.

Mario Rausch , geboren 1970, lebt als Publizist in Klagenfurt und Wien.

Freitag, 27. Jänner 2006

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