Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Aufbruch am Abstellgleis

Über die Pläne für den Wiener Zentralbahnhof -und sein Umfeld
Von Reinhard Seiß

Gemäß seiner habsburgischen Tradition als Nabel Mitteleuropas ist Wien heute noch Endpunkt und nicht Durchgangsstation des kontinentalen Schienenverkehrs. Gleich an vier Kopfbahnhöfen der Stadt heißt es: "Endstation. Bitte alle aussteigen!" So kommen Reisende von München nach Budapest fallweise per Eurocity-Express am Westbahnhof an, fahren mit der Straßenbahnlinie 18 zum Süd-/Ostbahnhof weiter - und gelangen von dort per Intercity-Express nach Ungarn. Dass Wien spätestens seit der Ostöffnung mit seiner Rolle als Prellbock des transeuropäischen Schienennetzes nicht mehr glücklich ist, versteht sich von selbst: Neben umständlichen Verkehrsverbindungen - natürlich auch für die heimische Bevölkerung - bedeutet die mangelnde Durchlässigkeit des geplanten TEN-Knotens in der Bundeshauptstadt eine Einschränkung für die Wirtschaftsentwicklung der Region Wien.

Anmaßender Name

Die Bundesregierung, die Österreichischen Bundesbahnen und die Stadt Wien beschlossen zwar Anfang der 90er Jahre die Errichtung eines modernen Durchgangsbahnhofs am Standort des heutigen Süd- und Ostbahnhofs, drückten sich allerdings vor einem verbindlichen Finanzierungskonzept. Deshalb folgten rund zehn Jahre erfolgloser Verhandlungen und gegenseitiger Schuldzuweisungen, 1995 ein städtebaulicher Wettbewerb sowie jüngst ein Expertenverfahren zur Entwicklung des Bahnhofsviertels. Was bis vor Kurzem fixiert werden konnte, war einzig und allein der Name der neuen Station - der bei den meisten Wienern nur Kopfschütteln auslöst: Bahnhof Wien - Europa Mitte.

Diese Bezeichnung klingt nicht nur für andere mitteleuropäische Zentren anmaßend, sie steht auch in keinem Verhältnis zur mittelfristigen Bedeutung des Bahnhofs für die Stadt selbst. Denn solange der Westbahnhof mit seinen zwei U-Bahn-Linien besser erschlossen ist als der Standort Süd-/Ostbahnhof, an dem die U1 quasi vorbeifährt, werden alle aus dem Westen kommenden Züge auch weiterhin den West- und nicht den Zentralbahnhof anfahren.

Erst 2003 lockerten sich die Fronten, und Bund, Stadt und ÖBB einigten sich auf einen Realisierungszeitraum - 2007 bis 2010 - sowie auf einen Finanzierungsschlüssel für den Neubau des in mehrfacher Hinsicht nicht mehr zeitgemäßen Nah- und Fernverkehrsknotens. Dabei geriet die Stadt Wien jedoch unter Zugzwang, da ein Viertel der mit 420 Millionen Euro veranschlagten Gesamtkosten durch die Verwertung frei werdender Bahnflächen gedeckt werden müsste. Die Entwicklung des insgesamt 55 Hektar großen Areals dürfte sich somit weniger an urbanistischen Zielen orientieren als an der Maximierung des Bodenwerts - durch eine entsprechende Flächenwidmung sowie städtische Infrastrukturinvestitionen. So sieht der im Dezember 2004 vom Wiener Gemeinderat beschlossene Masterplan für den neuen Stadtteil Wien-Südbahnhof ein Bauvolumen von rund einer Million Quadratmeter Bruttogeschoßfläche vor, ebenso wie die hochrangige Erschließung des mehrheitlich zu privatisierenden Geländes durch Verlängerung der U-Bahn-Linie 2 - auf Kosten der öffentlichen Hand.

Geplant sind unter anderem ein Einkaufszentrum mit einer Fläche von 20.000 Quadratmetern sowie rund zehn Bürotürme mit bis zu 100 Metern Höhe - ungeachtet der ohnehin im europäischen Spitzenfeld angesiedelten Einzelhandelskapazitäten in und um Wien, und trotz der im letzten Jahrzehnt zunehmend leeren Büroräume in Hochhäusern. Außerdem sollen auf dem heutigen Frachtenbahnhof noch 4.000 Wohnungen entstehen - kurz gesagt, eine Stadt in der Stadt für eine Wohn- und Arbeitsbevölkerung von rund 30.000 Menschen.

Der Verlauf der neuen U2

Heftige Kritik wurde am geplanten Trassenverlauf der U2 laut: Damit, so die ÖBB, würde künftig noch eine weitere U-Bahn am Zentralbahnhof vorbeiführen, anstatt ihn direkt anzubinden. Dem Rathaus aber scheint ein kurzer Umsteigeweg für täglich Zehntausende Bahnreisende und Pendler weniger wichtig als die Erschließung der rund um den Bahnhof gelegenen Flächen. Zumal die Wiener Stadtplanung unmittelbar neben dem neuen Bahnhofsviertel - jenseits der Ostbahn, am 120 Hektar großen Gelände des historischen Arsenals - ein langfristiges Entwicklungspotential von abermals einer Million Quadratmeter Bruttogeschoßfläche erhofft. Das entspricht der Donau City im Endausbau!

So wird die U2 von der derzeitigen Endstelle Karlsplatz via Schwarzenbergplatz in einer weiten Schleife über den ehemaligen Aspang-Bahnhof, der ebenfalls seiner Neubebauung harrt, in das südliche Arsenal-Gelände und weiter in den Bereich des frei werdenden Frachtenbahnhofs verlaufen. Wer nun bereits Hochhäuser zwischen den historischen Backsteinbauten des Arsenals befürchtet, die der Monarchie zur Produktion und Lagerung von Rüstungsgütern dienten, kann beruhigt sein. Das Ensemble aus dem 19. Jahrhundert mit seiner parkartigen Grünanlage wird laut einer ersten Studie mehrheitlich unberührt bleiben.

Gravierenden Veränderungen sollen hingegen jene Flächen unterworfen werden, auf denen die Republik Österreich seit 1945 ein Sammelsurium an Funktionsstandorten angesiedelt hat: die Fernmeldezentrale der Post mit dem - ganz Wien überragenden - Funkturm, Forschungseinrichtungen wie ein ausgedienter Windkanal, aber auch militärische Anlagen wie eine Panzerwerkstatt; ebenso Bauten der Bundestheater, ein Heizkraftwerk, eine ehemalige Entlausungsanstalt, Wohnbauten für Bundesbedienstete, Schrebergärten und Sportflächen - sowie seit einigen Jahren auch Baumärkte und Autowerkstätten.

Dafür, dass das Arsenal in diesem Nebeneinander unterschiedlichster Nutzungen halbwegs funktionierte, sorgte bis vor Kurzem der Bund als alleiniger Eigentümer des gesamten Geländes. In Folge der Ausgliederung und Privatisierung von Institutionen wie der Post oder der Bundesimmobiliengesellschaft splittet sich das Areal nun aber auf etliche Eigentümer auf, die alle besondere Interessen verfolgen. Früher spielte es keine Rolle, wenn etwa ein Gebäude der Bundestheater keinen Zugang zu einer öffentlichen Straße hatte. Heute wird so etwas zum Problem - vor allem, wenn die angrenzenden Liegenschaften mit Zäunen umgeben werden.

"Die Republik Österreich war nie auf eine hohe Flächenrendite bedacht - die neuen, zunehmend privatwirtschaftlich agierenden Eigentümer bezwecken dies aber sehr wohl", erklärt Stadtplaner Klaus Vatter die Veränderungen am Arsenal-Gelände. "Das heißt, die privaten Eigentümer drängen auf eine möglichst hohe Nutzungsdichte - nicht nur aus aktuellem Flächenbedarf heraus, sondern auch um den Wert ihrer Liegenschaften zu steigern. Das ist allerdings so lange nicht im Interesse der Stadt Wien, solange hier nicht auch eine entsprechende Infrastruktur geschaffen wird."

Zunächst gelte es also, die Defizite an Straßen, Kanalisation und öffentlichen Verkehrsverbindungen sowie an sozialen Einrichtungen auf dem Arsenal-Gelände zu beheben, so der Abteilungsleiter der Wiener Stadtplanung - und dafür wolle die Stadt auch die nutznießenden Grundeigentümer in die Pflicht nehmen. Schließlich soll ein neuer Flächenwidmungsplan die weitere bauliche Entwicklung des Gebiets regeln: Im nördlichen, historischen Teil wird es behutsamer Umbauten und Ergänzungen bedürfen, um eine Neunutzung der teilweise leer stehenden Baudenkmäler zu ermöglichen.

In der südlichen Hälfte des Areals sollen vor allem die gewerblichen Nutzungen langfristig größeren Bauvolumen und höherwertigen Funktionen weichen - nicht nur im Interesse der Grundstückseigentümer. Die Stadt Wien erhofft sich aufgrund der Verdichtung durch Bürotürme und mehrgeschoßige Wohnbauten die Ansiedlung neuer Geschäfte und Gastronomie-Betriebe - und damit die Urbanisierung dieses "innerstädtischen Stadtrandes".

Innere Stadtentwicklung

Zweifellos ist das gesamte Entwicklungsgebiet links und rechts der Ostbahngleise wie geschaffen für die innere Stadtentwicklung: Attraktive Grün- und Erholungsflächen wie Schweizer Garten, Belvedere-Garten und Botanischer Garten in unmittelbarer Umgebung, die Nachbarschaft zu den gründerzeitlich geprägten Bezirken 3, 4 und 10 mit funktionierender Infrastruktur, kulturellen Einrichtungen wie das Obere Belvedere, das 20er-Haus und das Heeresgeschichtliche Museum, der Nähe zu U-Bahn-, Straßenbahn- und Buslinien - und nicht zuletzt der Bahnhof mit seinen Regional- und Fernverbindungen machen den zentrumsnahen Standort sozusagen zum Filetstück am Wiener Bodenmarkt.

Gerade deshalb aber sollte Wien es sich leisten, den neuen Stadtteil nach städtebaulich-nachhaltigen Qualitätskriterien modellhaft zu gestalten - und nicht nach den üblichen Rentabilitätserwartungen der Investoren. Als innovativer Ansatz würde es sich anbieten, die Versprechungen aus diversen Stadtentwicklungskonzepten ernst zu nehmen und tatsächlich eine urbane Stadtstruktur zu schaffen, in der das Auto so gut wie keine Rolle mehr spielt.

Erweiterung des Gürtels

Nicht nur, weil das unvergleichlich gute Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln rings um den Zentralbahnhof es ermöglichen würde - sondern auch, weil jene Straßen, die den künftigen Stadtteil erschließen werden, bereits heute heillos überlastet sind: zum einen der vier- bis sechsspurige Gürtel, die meistbefahrene Bundesstraße Österreichs, die den gesamten Autoverkehr von und zum Bahnhofsviertel aufnehmen wird müssen - zum anderen die A23, die am stärksten frequentierte Autobahn des Landes, als Hauptverbindung in diesem Teil Wiens.

Doch dürfte schon heute klar sein, dass Wien - Lärm- und Luftbelastung hin, Klimaschutzkonvention her - am Konzept der automobilen Stadt festhält: Im "Masterplan Verkehr" aus dem Jahr 2003 sind für den betreffenden Abschnitt des Gürtels bereits zwei weitere Fahrspuren und bei der A23 ein leistungsfähigerer Anschluss vorgesehen.

Dabei gehen unabhängige Verkehrsprognosen davon aus, dass die bevorstehenden Verbreiterungsmaßnahmen bis zur Realisierung der neuen Stadtviertel ihren kurzfristigen Effekt wieder eingebüßt haben werden - und der Gürtel auch künftig tagtäglich verstaut ist, dann eben auf zwei Fahrspuren mehr.

Mit einer Verlängerung der U-Bahn hingegen ist laut Masterplan kaum vor dem Jahr 2020 zu rechnen - also erst zehn Jahre nach der geplanten Eröffnung des Zentralbahnhofs.

Reinhard Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien; Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

Freitag, 04. März 2005

Aktuell

Rätselhafter Genius
Der Komponist Mozart ist nicht zu beschreiben – trotzdem wird es hier versucht
Musik für Körper und Geist
Ein Gespräch mit dem Geiger Hiro Kurosaki über die Kunst, Mozart zu spielen
Produktive Dekadenz
Was Mozart und der Romancier Marcel Proust gemeinsam haben

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum