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Die Mühen der Ebene

150 Jahre "Verein für Geschichte der Stadt Wien"
Von Andrea Traxler

Etwa 5.600 Einzelstudien zur Stadtgeschichte entstanden seit Gründung des "Vereins für Geschichte der Stadt Wien", die am 15. Oktober 1853 von Kaiser Franz Joseph I. unter der Bezeichnung "Alterthums-Verein zu Wien" genehmigt worden war. Gemessen an dem Argwohn, der im Vormärz gegenüber allen Arten von Zusammenkünften herrschte, war die Erlaubnis für diese Gründung ein erheblicher Erfolg. Vereinsziel war, geschichtliche Quellen vor "Verwahrlosung und Verschleppung" zu schützen, war doch durch die Auflösung der Klöster unter Josef II. und die napoleonischen Kriegsdesaster einiges an Kunstschätzen verloren gegangen, zerstört oder verscherbelt worden.

1837 schon fand eine erste Bewegung in diese Richtung statt, als sich "zwölf Freunde geschichtlicher Forschung (. . .) wöchentlich einmahl ,um den Krug' " zu versammeln begannen, einerseits ihres gemeinsamen Interesses wegen und andererseits, um sich "nicht ganz aus dem Gesichte (zu) verlieren". Diese Gruppe aus k. k. Ministerial-Sekretären, Hofbuchhaltern und Kustoden der k. k. Hofbibliothek frequentierte das Gasthaus "Zum Strobelkopf", untergebracht in einem kleinen Gebäude Ecke Strobel-/Schulergasse (Wien I), das 1871/72 demoliert wurde.

Es wollte gegen die Aufkaufinteressen ausländischer Sammler, Antiquare und Kunsthändler eine Position zur Erhaltung von heimischem Geschichtsgut gebildet, und als "Denkmahl ihres treuen Zusammentrinkens" ein Buch produziert sein. Zwölf Jahre später erschien ihr gemeinsames, selbst finanziertes Produkt: ein 522 Seiten starker Band "Quellen und Forschungen zu vaterländischer Geschichte, Literatur und Kunst". Nach welchen Kriterien die neun akribisch gearbeiteten Beiträge ausgewählt worden waren, ist nicht ganz durchsichtig, es scheint, als hätte jeder Beiträger seine private Obsession verfolgt.

Ein elitärer Kreis

Dieser erste Band erschien als einziger, doch finden sich fünf Namen aus dieser Zwölf-Männer-Runde im "Alterthums-Verein zu Wien" wieder, dessen Zustandekommen wesentlich damit einherging, dass zahlungskräftige und kulturell interessierte Persönlichkeiten dafür gewonnen werden konnten. Die Vereinsmitglieder bildeten einen durchaus elitären Kreis zunächst, kamen sie doch vornehmlich aus Aristokratie und Großbürgertum.

Nach einer provisorischen Leitungsfunktion von Aloys Liechtenstein ("souveräner Fürst zu Liechtenstein und Vaduz, Durchlaucht etc. etc.") wurde 1854 Theodor Georg von Karajan ("Custos der k. k. Hofbibliothek und Vicepräsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften", und einer der zwölf Freunde) zum Präsidenten gewählt. Noch heute wird vom Verein für Verdienste um die Stadtgeschichtsforschung eine Karajan-Medaille verliehen.

Wie aus den ersten Statuten (1854) hervorgeht, verstand man unter geschichtlichen Quellen "Denkmale der Geschichte und Kunst", um die sich der Verein zu kümmern habe: "1.) Werke der bildenden Künste (Baukunst, Malerei, Bildnerei etc.) und Erzeugnisse des Kunsthandwerks aus den frühesten Zeiten bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts; 2.) Erinnerungszeichen an geschichtlich merkwürdige Ereignisse und Menschen (Inschriften, Denksteine usw.) aus dieser Zeit, wenn ihnen auch kein Kunstwert zukommt; und 3.) Handschriften, wofern sie Werth für die Alterthumskunde oder Kunstgeschichte haben."

Der erste vom Altertums-Verein publizierte Artikel beschäftigt sich mit "Lautensack's Ansicht von Wien (1558)", einer etwa eineinhalb Meter langen Radierung, die als Leporello in den ersten Band (1854) der dann jährlich erscheinenden "Berichte und Mittheilungen" eingearbeitet ist, und "die Entfaltung vom unscheinbaren Kerne mit raschen Wachstum zur Metropole des großen Kaiserreichs" vermittelt. Anspruch für die Themenfindung war: "die Wahl eines würdigen und allgemein ansprechenden Gegenstandes".

Dass die Beiträge in der Folge ein sehr breites Spektrum umfassen, macht ein Einblick in den vom Verein erstellten Generalindex deutlich, darin sämtliche Titel aller Vereinsschriften erschlossen sind. Zuweilen scheinen die Themen recht abgelegen: "Der Antheil der Nürnberger Briefmaler Meldemann und Guldenmundt an der Literatur der ersten Wiener Türkenbelagerung" (Heinrich Kábdebo, 1875), heißt etwa ein heute grünspanig wirkender Titel, der kaum erahnen lässt, dass die bemerkenswerte Darstellung des "Rundblicks" vom Stephansturm während der ersten Türkenbelagerung 1529, mehr oder minder der erste überlieferte Stadtplan Wiens, Thema der Studie ist. Und ein Titel wie: "Was aß Baron von Trotta wirklich am Sonntag? Anmerkungen zum Tafelspitz und zur longue durée des gekochten Rindfleisches in der Wiener Küche" (Richard A. Zahnhausen, 2003), könnte vermuten lassen, es handle sich um einen verschrobenen, angestaubten Verein. Doch wird hier einer Legende eine Absage erteilt, begann doch der Tafelspitz seine Karriere im Wesentlichen in Joseph Roths "Radetzkymarsch", der, nach 1918 verfasst, zur Verklärung der untergegangenen Donaumonarchie beitrug. Der Mythos Tafelspitz kann demnach als retrospektive schwarz-gelbe Verneigung des hohen Beamtentums in der glanzlosen Ersten Republik verstanden werden.

Liebe zu den Details

Ob es sich nun um die Entlarvung fremdenverkehrswirksamer Klischees handelt oder um eine solide knochentrockene Studie zum Inhalt des Augustiner-Turms, der im Mittelalter als Grätzelabtritt fungierte, ob die Zulassung von Frauen an der Wiener Universität Thema ist, ein Kriminalfall aus dem Jahre 1812, die Wohnsituation der Massen im Wien des Vormärz, Politik als Gestaltungsmittel der Architektur, der Duft der Stadt oder Mozarts "Requiem" - heute erstrecken sich die Themen auf alle Bereiche der Vergangenheits- und Stadtgeschichtsforschung.

1857 wurde vom Ausschuss ein Antrag bezüglich der Aufnahme von Damen als Mitglieder gestellt und diesem stattgegeben, nachdem auch die Frage: "Welchen irgend denkbaren Schaden könnte es wohl dem Alterthums-Vereine bringen, wenn sie [die Damen] durch jährliche Beiträge seinen löblichen Zweck unterstützten?" geklärt werden konnte. Erst 62 Jahre später aber, 1919, wurde in "Berichte und Mittheilungen" der erste von einer Frau verfasste Beitrag publiziert: "Grillparzers Wohnungen" von Hermine Cloeter. Der erste Eintrag über die Bezahlung von Autorenhonoraren findet sich in der Bilanz des Vereins aus dem Jahr 1859.

Und "um den Verkehr mit den Vereinsmitgliedern noch lebhafter zu gestalten, hat der Vereinsausschuss die Herausgabe eines ,Monatsblattes' beschlossen", 1884, darin auch im Hinblick auf Mitgliederzusammenführung über Ausflüge, allerlei Unternehmungen, Vorträge und Führungen berichtet wird.

Grundlagenforschung

Ab 1891 entstanden die umfangreichen "Quellen zur Geschichte der Stadt Wien", darin alle Wien betreffenden Urkunden in Regestenform versammelt sind, die sich in in- wie ausländischen Archiven befinden. Und 1897 wurde die Herausgabe der "Geschichte der Stadt Wien" begonnen, eine "beschreibende Darstellung" der "sozusagen großen Wohnung" der Wiener, deren letzter Band 1918 erscheinen konnte, obwohl der Verein durch den Setzerstreik Ende 1914 und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs in ziemliche Schwierigkeiten geraten war. Die sechs Groß-Quart-Bände in acht Teilen, jeder sorgfältig und unbescheiden gearbeitet, geben mit ausklappbaren Ansichten und Plänen, zum Teil farbigen Tafeln und Textillustrationen, einen Überblick "von den Anfängen" bis "zur Einbeziehung der Vororte" - eine in vielen Bereichen auch heute noch nicht ersetzte Darstellung der Stadtgeschichte Wiens. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Arbeit an diesem Projekt wieder aufgenommen und fortgesetzt, weniger luxuriös allerdings und in dem handlicheren Quart-Format. Die bereits erschienenen Bände zur politischen Geschichte sowie zur Theater- und Wirtschaftsgeschichte werden demnächst durch eine Musikgeschichte erweitert.

Die Kriegs- und Nachkriegsjahre waren auch für den Verein schwierig: sinkende Mitgliederzahlen, ausbleibende Mitgliedsbeiträge und Spenden, gestrichene Subventionen und Druckkostenzuschüsse, die Arbeitslosigkeit, die Inflation und ein Mangel an vielem behinderten die Vereinstätigkeiten beträchtlich. Die Publikationen wurden schmäler, Projekte mussten auf Eis gelegt oder verschoben werden, weitergekocht wurde aber dennoch, wenn auch am Reduktionsherd.

Durch die Bemühungen der Geschäftsführung um ein funktionierendes Vereinsleben in den Kriegsjahren und um eine rasche Wiederherstellung danach, konnten die volksbildnerischen Aktivitäten (Vorträge und Führungen) wieder aufgenommen werden, und großzügig subventioniert wurden von der Gemeinde Wien spezielle Forschungsaufträge zur Erschließung der geschichtlichen Quellenlage des 19. und 20. Jahrhunderts.

Das unabhängige Forschen war in der 150-jährigen Geschichte des Vereins allerdings nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Seinerzeit wurde auch die Stadtgeschichtsforschung in den Dienst deutschtümelnder Ideologie gestellt. Die "Neue Folge der ,Mittheilungen und Berichte' des Vereins für Geschichte der Stadt Wien", das "Jahrbuch", wurde 1939 als erstes dieser Art "dem Reich nach der Wiedervereinigung gewidmet", wie in dem führerfrommen Geleitwort formuliert ist. 1946 wurde dann bescheiden "die Wiederaufnahme der Tätigkeit des Vereines der Geschichte der Stadt Wien und das Wiedererscheinen des seit 1943 eingestellten Nachrichtenblattes als Wiener Geschichtsblätter" begrüßt. Von der "großen" Geschichte - wahrlich nicht das Spezifikum der Stadtgeschichtsforschung - war man zu "den Mühen der Ebene" zurückgekehrt: "Heute sind wir in der glücklichen Lage, dass wir in den Publikationen, Vorträgen und Führungen ein Geschichtsbild unserer Stadt präsentieren können, das vielfältig und unabhängig ist", betont Klaralinda Ma-Kircher, die gegenwärtige Präsidentin dieser ältesten historisch-wissenschaftlichen Vereinigung auf Wiener Boden, die seit 1918 den Titel "Verein für Geschichte der Stadt Wien" führt. "Unsere Publikationen erfüllen wissenschaftliche Ansprüche, aber sie richten sich prinzipiell an die geschichtsinteressierte Bevölkerung. Das Ziel unserer Tätigkeit ist die Historisierung des öffentlichen Bewusstseins. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, die Geschichte unserer Stadt nicht zum 'Historyland' verkommen zu lassen."

Die Studien bieten im Ganzen ein recht oszillierendes Bild der Vergangenheit dieser Stadt, wobei deren Autoren gar nicht "Wiener" sein müssen. So schrieb etwa ein Mitarbeiter des Bürgermeisteramts der Stadt Frankfurt am Main über die Wiener Bürgermeisterkette, oder die amtierende schwedische Botschafterin über die Rettung von 3.000 jüdischen Mitbürgern durch die Schwedische Mission in der Seegasse.

"Beschäftigung mit Geschichte baut die Kritikfähigkeit auf, sie erweitert den Gedankenkreis, sie lehrt, verschiedene Standpunkte einzunehmen, aber auch zu verstehen", meinte der vormalige Präsident Felix Czeike, Autor zahlreicher Werke zur Stadtgeschichte und Verfasser des 28.000 Stichworte umfassenden "Historischen Lexikons Wien". Verankerung von Geschichtskultur in der breiten Bevölkerung ist demnach heute anzustreben. Wozu? "Die Beschäftigung mit Stadtgeschichte schafft Beziehung mit der Gegenwart. Der Begriff 'Heimat' im traditionellen Sinn hat ausgedient. Umso wichtiger ist es, dass wir Nomaden der Gegenwart Bezüge zu unserem Umfeld herstellen", meint Ma-Kircher. "Die Stadt beeinflusst unsere Befindlichkeit unmittelbar. Sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen, bringt eine zusätzliche Dimension. Zukunftsängste werden durch das Wissen um die Existenzprobleme unserer Vorfahren sicher nicht aufgehoben, aber relativiert."

Stadtgeschichte als unmittelbarer Einstieg in die Vergangenheit war auch für Heimito von Doderer wesentlich: "Weiss Gott, es ist erbärmlich hier durch diese Straßen zu laufen, ohne jeden Zusammenhang mit der Historie (. . .) an allem vorbeizugehen, blind und unwissend." Er war mit "dem heftigsten Verlangen" erfüllt, "möglichst viel davon zu erfahren und im Kopf behalten zu können."

Produktive Zusammenarbeit

Heute setzt sich der "Verein für Geschichte der Stadt Wien" aus etwa 1.500 Mitgliedern zusammen und hat seinen Sitz im "Wiener Stadt- und Landesarchiv", das schon als "Archiv der Stadt Wien" zu Kriegszeiten der Vereinsbibliothek und den Vereinsbeständen Schutz bot. Produktive wissenschaftliche Zusammenarbeit zeigt sich auch in der Publikation "Pro civitate Austriae. Informationen zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich", die in Kooperation mit dem "Österreichischen Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung" in Linz, dem "Ludwig Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung" und dem "Wiener Stadt- und Landesarchiv" jährlich einmal erscheint.

Neben den bereits erwähnten Publikationen, dem Jahrbuch "Studien zur Wiener Geschichte" und der Vierteljahresschrift "Wiener Geschichtsblätter", produziert der Verein Beihefte zu Einzelthemen sowie aktuell Monografien zu den 23 Wiener Bezirksmuseen. In der Reihe "Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte" erscheinen jährlich meist zwei umfangreiche wissenschaftliche Studien.

Hier jeden mit Namen anzuführen, der je für das Vereinsleben und den Verein gewirkt und gewerkt und bewirkt hat, wäre ein endloses Unterfangen. Beschränkte man sich auf die Nennung einiger Namen, könnte das wiederum Unstimmigkeiten erzeugen. Auch spezielle Interessen diesbezüglich vermag das im "Wiener Stadt- und Landesarchiv" beherbergte Material zum "Verein für Geschichte der Stadt Wien" zu beantworten.

Heute, am 3. 10., hält der Generaldirektor der Österreichischen Staatsarchivs, HR Dr. Lorenz Mikoletzky, eine Festrede: "Dem Verein für Geschichte der Stadt Wien zum Jubiläum". Zeit: 19.30, Ort: Wappensaal des Wiener Rathauses. Gäste sind willkommen.

Freitag, 03. Oktober 2003

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