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Stadtbahnbögen in neuem Licht

Über alte und aktuelle Bauprojekte am Wiener Gürtel
Von Christa Veigl

Rückblende 1, 20. Jahrhundert. RNach dem Zweiten Weltkrieg verhielt sich die Prosperität des Gürtels umgekehrt proportional zum Wohlstand der Wiener. Je mehr es mit ihnen bergauf ging, je mehr Automobilität sie sich leisten konnten, desto mehr ging es mit dem Gürtel bergab. Neben dem Verkehrsaufkommen war es die Vernachlässigung gründerzeitlicher Wohngebiete, die den Gürtel in Richtung großstädtisches Problemgebiet driften ließ. Nach vielen Kommissionen und Planungen, die meist nach einer utopischen Verkehrslösung suchten, erlebte der Gürtel in den 1990er Jahren endlich ein Revival. Die Stadtplanung, Ära Swoboda, nahm sich der Verkehrshölle mit Verslumungspotenzial an, erstellte ein Belebungs- und Erneuerungsprogramm, für das auch EU-Gelder locker gemacht werden konnten, und führte es - in der Ära Görg angelangt - unter dem Titel "Urban Wien Gürtel Plus" aus. Die sichtbarsten Erfolge liegen in der Mittelzone des Westgürtels: Sanierung und Neuvermietung etlicher Stadtbahnbögen, Grünraumgestaltung und Beleuchtung des Hochbahnviadukts, Neugestaltung des Urban-Loritz-Platzes usw. Eine "Urban-Intervention", die dem Gürtel ein besseres Image verschaffte und an der zahlreiche Magistratsabteilungen, das Bundesdenkmalamt, die Wiener Linien als Inhaber der Stadtbahn- bzw. U6-Trasse, die neuen Mieter der Viaduktbögen und deren Innenraumgestalter beteiligt waren. Für das gestalterische Gesamtkonzept zeichnet die Wiener Architektin Silja Tillner verantwortlich. Sie bekam dafür den "Bauhaus Award 2000". Fazit, es ist viel geschehen, viel bleibt noch zu tun.

Rückblende 2

19. Jahrhundert. Der Gürtel verläuft wie die Ringstraße auf dem Areal eines ehemaligen Befestigungsbauwerks und seiner Bauverbotszonen. Beide Ringverbindungen wurden um die Mitte des 19. Jahrhunderts projektiert, aber in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten gebaut und ganz unterschiedlich bewertet. Letzteres lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man sich vorstellt, der gemauerte Hochbahnviadukt der Gürtelstadtbahn durchzöge die Ringstraße. Nicht zuletzt deshalb, weil am Ring eine oberirdische Stadtbahn nicht in Frage kam, war ein bereits konzessioniertes Stadtbahnprojekt gescheitert. Das tatsächlich ausgeführte bestand u. a. aus der großteils als Hochbahn angelegten Gürtellinie. Als solche übersetzt sie auf Eisenbrücken die wichtigsten Querstraßen und fährt ansonsten auf "den Stadtbahnbögen", jenem einige Kilometer langen Ziegelviadukt, dem Otto Wagner in letzter Minute das wehrhafte Gehabe nahm. Denn die von den bauführenden Staatsbahnen bereits genehmigten Entwürfe waren zinnengeschmückt und der Eisenbahngotik des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Otto Wagner beauftragte man erst eineinhalb Jahre nach Baubeginn mit der künstlerischen Gestaltung der Stadtbahnbauten. Für Ziegelverkleidungen hatte er wenig oder gar nichts übrig, bei der Stadtbahn musste er aus der Vorplanung das Beste machen. Die Verkleidungsmaterialien, die Wagner favorisierte - Keramik, Marmor oder Granit -, waren bis auf wenige Ausnahmen bei einem über 40 km langen Bauwerk, dessen Budget ohnehin explodierte, nicht möglich. Gegenwärtig erfreuen sich gerade die Stadtbahnbögen "trotz" Sichtziegelverkleidung größter Beliebtheit und wurden zum Star der Gürtelrevitalisierung.

Das unterschiedliche Realisierungstempo - rund 10 Jahre bei der Ringstraße, rund 40 beim Gürtel - hängt nicht unmittelbar mit der Bewertungsfrage zusammen. Platzhalter für den Gürtel war der Linienwall gewesen, ein merkwürdiger, 1704 angelegter Erdwall mit Mauerverkleidung außen. Er umgab die bis zur ersten Stadterweiterung (1850) nicht zu Wien gehörenden Vorstädte, die heutigen Innengürtelbezirke. Aus mancherlei Gründen erfüllte er die ihm ursprünglich zugedachte militärische Aufgabe nicht und wurde zur Maut- bzw. Steuergrenze umfunktioniert - Stadt und Vorstädte bildeten einen gemeinsamen Steuerrayon. Als Fiskalgrenze erwies er sich als äußerst resistent gegen Abschaffungsbestrebungen und beeinflusste nachhaltig das sozialräumliche Gefüge Wiens: Jenseits des Linienwalls, in den heutigen Außengürtelbezirken, galten niedrigere Steuersätze, Lebenshaltungskosten und Grundstückspreise waren niedriger als diesseits. Daher entstanden nahe an den westlichen Gewerbevorstädten, aber jenseits des Walls im Niedrigsteuergebiet schon früh Tagelöhnersiedlungen. Im 19. Jahrhundert folgten mit Massenzinshäusern bestückte gründerzeitliche Rasterviertel. Auch die Ränder der Gürtelstraße wurden im Westen laut Trassierungsplan nach und nach verbaut, wo Wall und zukünftiger Straßenverlauf sich überschnitten, gab es Unterbrechungen. Erst 1898, mit der Eröffnung der Stadtbahn, war der Wall bis auf wenige Teilstücke beseitigt, die Gürtelstraße konnte fertig gestellt und ihre Randverbauung abgeschlossen werden.

Ein bisschen Fassadenschmuck

Aus der intensiven Bautätigkeit am Westgürtel zwischen 1870 und 1910 resultiert seine einheitliche Verbauung mit gründerzeitlichen Zinshäusern. Ihre mehr oder minder gut erhaltenen ornamentierten Fassaden tragen zum herben Charme der Gegend bei, zugleich bildeten und bilden ihre bauliche Substanz und ihr 100 und mehr Jahre alter Standard die härteste Herausforderung einer grundlegenden Gürtelsanierung. Die von der Nachwelt mitunter als Hohn auf die Armut der Bewohner missverstandene Fassadenpracht war relativ billig, da seriell hergestellt. Ihre Kosten standen in keiner Relation zu Infrastruktureinrichtungen wie Bad und WC im Wohnungsverband. Letztere wurden allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg allgemeiner Standard und standen im 19. Jahrhundert in Wien für Wohnungen der unteren Einkommensschichten überhaupt nicht zur Debatte - WC und Wasseranschluss (Bassena) waren am Gang.

Das bisschen Fassadenschmuck fiel umso weniger ins Gewicht, als die Parzellen gewinnmaximierend, bis zu 85 Prozent, ausgeschlachtet werden durften und es noch keine Bauvorschriften gab, die Querlüftung oder ein Besonnungsminimum vorschrieben. Dieser Politik verdanken sich die Missstände des gründerzeitlichen Wohnbaus, die in den letzten Jahrzehnten bis auf einen immer noch beträchtlichen Rest abgearbeitet wurden. Nach aktuellen Schätzungen gibt es in Wien noch rund 75.000 Substandardwohnungen (das sind etwa 10 Prozent des Gesamtbestands), und ein großer Teil davon liegt am äußeren Westgürtel. Hier ist Altstadtsanierung, eine klassische Kooperationsaufgabe des privaten und des öffentlichen Sektors, nach wie vor gefragt. Am Gürtel wie überall sonst besteht die Kunst bei der Sanierung abgewohnter Altbauviertel darin, privaten Hausbesitzern attraktive und bürokratiearme Anreize zu Sanierungsmaßnahmen zu bieten und gleichzeitig der Verdrängung sozial schwacher Schichten durch angestiegene Mieten, die Konsequenz gehobener Wohnqualität, entgegenzuwirken. Jedenfalls so weit, dass sozial durchmischte Wohnviertel entstehen können. Das heißt am Gürtel primär ein Neben- und Miteinander von Ausländern, Neuwienern und länger und lang eingesessenen Wienern. Dabei könnte der Standortnachteil von Nutzen sein. Denn mit der massiven Belästigung durch den Individualverkehr ist bis auf weiteres zu rechnen und somit besteht nicht die Gefahr, dass am Gürtel Luxuswohnungen in Serie entstehen. Die inzwischen bei Rudolf Schicker ressortierende Stadtplanung nennt "ein zeitgemäßes Maß an Wohnqualität" als eines der Ziele, das im Gürtelgebiet anzupeilen sei. Der Zeitpunkt für entsprechende Maßnahmen wäre günstig, denn gründerzeitliche Wohngebiete auch in weniger "guten" Lagen verdanken den gegenwärtigen Trends in Richtung Wohnen in der Stadt eine neue Attraktivität.

Am Südgürtel, also ab Wienflussquerung, sind gründerzeitliche Zinshäuser in der Minderheit. Seine Verbauung verdichtete sich später als die des Westgürtels und so blieb Raum für die "Ringstraße des Proletariats" am Margareten- und Gaudenzdorfer Gürtel. Diese "Wiege des Wiener kommunalen Wohnbaus" (Friedrich Achleitner) besteht aus Gemeindebauten der 1920er und 1930er Jahre von hoher architektonischer und sozialer Qualität. Weil die geplante Abzweigung der Stadtbahn von der Station Gumpendorfer Straße über den Margaretengürtel zur Südbahn nie gebaut wurde, blieb noch dazu in der Mitte Platz für großzügige Grünanlagen, einst "Gürtelpark" genannt. Der heruntergekommene Zustand des grünen Mittelbereichs dürfte vorbeirasenden oder -stauenden Autofahrern kaum aufgefallen sein, möglicherweise fällt ihnen auch seine bereits abgeschlossene Neugestaltung samt Gehäusen für Handballer, Fußballer und Beach Volleyballer nicht auf. Der vergleichsweise idyllische Charakter des Südgürtels endet am Kniestück, wo er ostwärts schwenkt und von nun an durch Südbahn- und Schnellbahntrasse scharf vom 10. Bezirk abgetrennt wird. Das einzige Projekt, das in dem Bereich konkret Gestalt annimmt, ist das des Bauträgers Mischek am Ende der Wiedner Hauptstraße. Turnhallen, Geschäfte, Büros und Wohnungen sind nicht weit nach dem Knie in Bau.

Projekte am Westgürtel

Die übrigen in Ausführung befindlichen oder knapp davor stehenden Projekte konzentrieren sich auf den Westgürtel. So wird die Revitalisierung der Stadtbahnbögen fortgesetzt. Eine junge und aktive Kultur- und Lokalszene ist etabliert, verschiedene Einzelhändler haben sich neu angesiedelt, andere, nicht vorwiegend nachtaktive Neunutzungen sollen das Spektrum verbreitern. Zum Beispiel die Wiener Städtischen Büchereien, deren neue Hauptbibliothek im Herbst eröffnet. Das Gebäude sitzt über dem Bahneinschnitt von Otto Wagners Station Burggasse, der einzigen erhaltenen Tiefbahnstation der Gürtellinie. Der Bibliotheksbau an diesem Standort war nicht unumstritten, weil er Wagners Station das Hinterland verstellt und ihren Bahnsteigbereich weitgehend okkupiert. Bei der Entscheidung siegten pragmatische Überlegungen, vor allem der Wunsch der Stadtverwaltung, den Gürtel mit der Bibliothek weiter aufzuwerten, über denkmalpflegerische Einwände. Architekt Ernst Mayr ist mit Wagners Stationsgebäude respektvoll umgegangen und hat seine Bibliothek so viel wie möglich mit der Bahn verzahnt. Ihre Keramikhaut führt den Diskurs der Verkleidungsmaterialien weiter.

Dem öffentlich finanzierten Bibliotheksbau stehen etliche interessante privat-öffentliche Vorhaben zur Seite. Etwa ein Gewerbe- und Bürozentrum am Lerchenfelder Gürtel von Johnny Winter und Baukünstlern (BKK-3). Bauträger ist PRISMA, eröffnet wird schon im Juni. Oder Silja Tillners Neubau am Döblinger Gürteldreieck, der wegen der spektakulären Raumsituation etwas ganz Besonderes zu werden verspricht. Das aus den Regeln der Geometrie ausscherende Dreieck wird durch äußeren Döblinger Gürtel, Heiligenstädter Straße und inneren Döblinger Gürtel begrenzt. Am äußeren Döblinger Gürtel verläuft die stillgelegte Stadtbahntrasse nach Heiligenstadt, am inneren die U6-Trasse auf einem Teilstück des Stadtbahn-Verbindungsbogens Gürtellinie-Donaukanallinie. Akteure sind also gleich an zwei Seiten die Stadtbahnbögen. An der zukünftigen Baustelle streben sie auseinander und verwandeln sich bei der Übersetzung der Heiligenstädter Straße in eiserne Brücken. Die Schmalseite des Dreiecks liegt zwischen den beiden Brücken. Die dort stehenden Gebäude werden abgerissen und machen Silja Tillners hakenförmigem Neubau Platz. Er setzt am Niveau der Heiligenstädter Straße an und schwingt, der aufgelassenen Trasse folgend, am äußeren Döblinger Gürtel zurück. An dieser Seite bindet die Architektin den Ziegelviadukt als Gebäudesockel ein.

Die Schönheit der Sichtziegel

Zwischen den Viadukten liegt ein Innenhof, der nicht nur in lauen Sommernächten römische Erinnerungen wach rufen kann. Für die spezielle Atmosphäre ist die über 100 Jahre alte massive Bogenarchitektur mit Sichtziegelverkleidung verantwortlich. Den Römern verdankt Europa nicht nur die Ausbreitung der ökonomischen Ziegelbauweise, auch die Verkleidungstechnik mit Ziegeln konnte von ihnen gelernt werden. Viele Historismusbauten (Arsenal, Museum für Kunst und Industrie bzw. MAK, das Alte Chemische Institut in der Währinger Straße) stehen in dieser Tradition, ebenso tut es der Stadtbahnviadukt, Jahrgang 1898. Zur Mauerwerksverkleidung verwendete man Sichtziegel, also oberflächenbehandelte Ziegel, die keine Übermalung und keinen Verputz brauchen. Leider werden die beim Stadtbahnbau verwendeten Sichtziegel nicht mehr erzeugt und alle Erneuerungen mit Klinkern gemacht, die ästhetisch mit den alten Ziegeln nicht mithalten können, farblich stark abweichen und vermutlich nicht annähernd so haltbar sind. Bleibt zu wünschen, dass die noch vorhandene Originalverkleidung das Bauvorhaben übersteht, damit der beeindruckende Innenhof endlich seine Wirkung entfalten kann. Bisher war er nicht öffentlich zugänglich und eben das soll sich mit dem Neubau ändern.

Die im Innenhofbereich u. a. vorgesehene Gastronomie wird sich mit Grund um die Tische im Freien raufen. Dies umso mehr, als der umgebende Autolärm das massive Mauerwerk nicht oder nur sehr gedämpft durchdringt und der Geräuschpegel der U6 sich in Grenzen hält. Während im Innenhofbereich vor allem Gastronomie, Boutiquen und Einzelhandel Einzug halten sollen, ist für den Rest der maximal 15.000 m² Nutzfläche an Büros gedacht. Die optimale Erreichbarkeit über den Nahverkehrsknoten Spittelau mit U4, U6, Schnellbahn, Straßenbahn, Bus war eines der guten Argumente, mit denen der Ideenentwickler Projekthaus den Investor PORR Immoprojekt überzeugte. Baubeginn könnte noch 2002 sein, dem Gürtel ist ein weiterer hochwertiger Neubau zu wünschen.

Christa Veigl ist u. a. Herausgeberin des Bandes "Stadtraum Gürtel. Wien. Natur, Kultur, Politik", der im promedia Verlag Wien erschienen ist. Das Buch stellt den Gürtel als Kulturraum und Biotop gleichermaßen vor: Bau- und Architekturgeschichte, Verkehrstechnologie, menschlicher und tierischer Lebensraum treffen hier aufeinander.

Freitag, 03. Mai 2002

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