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Mächtig, aber unbeliebt

"Der Hausherr" -eine zentrale Figur im Wien des 19. Jahrhunderts
Von Christa Veigl

Das Lied von den "Hausherrnsöhnln" ist seit der Interpretation von Heller und Qualtinger nicht nur Kennern und Liebhabern des Wienerliedes vertraut. Komponiert hat es Johann Sioly (1843 bis 1911), den Text schrieb Wilhelm Wiesberg (1850 bis 1896). Aus ihren Lebensdaten lässt sich die Entstehungszeit des Liedes auf die 1870er bis 1890er Jahre eingrenzen. Der Autor, Volkssänger und Schriftsteller, war mit der Tochter eines Seidenfabrikanten verheiratet. Ob Wiesbergs Schwiegervater auch berufsmäßiger Hausherr war, wird nicht berichtet. Sein Liedtext geht jedenfalls so:

in gumpendurf drunt auf an eck numma zwa

sted a dreisteckigs haus und des kehrd dem papa

in an zimma do drin steht a kassa alla

und den schlissl dazu, den hod de mama

drum föd uns a s'ganze joa nimoas a göd

um des zu varputzn sand mir auf dar wöt

waun vom oarweitn gred wird, do griang mar an grand

denn unsa vota is a hausherr und a seidnfabrikant

denn unsa vota is a hausherr und a seidnfabrikant

Das besungene dreistöckige Zinshaus steht also in Gumpendorf. Diese ehemalige Wiener Vorstadt wurde 1850 gemeinsam mit 33 anderen Vorstädten zwischen Ringstraße (damals Stadtbefestigung) und Gürtel (damals Linienwall) mit Wien vereint. Der im Refrain besungene Vater ist Hausherr und Seidenfabrikant und diese Professionen sichern den Söhnen offenbar ein Einkommen ohne Arbeit. Nach der Dissertation von Gerd Büwendt über "Die Hausherren in Wien" hatten, wie der Papa im Lied, die meisten Hausherren Neben- oder Hauptberufe. Auch ein Besuch am Zentralfriedhof legt einen solchen Schluss nahe: Es gibt nur wenige Grabsteine, auf denen zu lesen ist "Privatier und Hausbesitzer", aber viele auf denen ein Zweitberuf genannt ist, "Hausherr und Fabrikant", usw.

Ein Lebensberuf

Dem Grundtenor des Liedes nach ist die Hausherren-Existenz eine sicher gegründete. Dass diese Spezies als beinahe unsterblich galt, bringt die Redensart "San scho Hausherrn g'storbn" auf den Punkt. Das Pendant zur sprichwörtlichen Wohlhabenheit der Hausherren ist ihr negatives soziales Image. Es bildete sich im 19. Jahrhundert, als dem Wohnungselend der Großstädte im Hausherrn eine personifizierbare Ursache gegenüberstand.

"Ein Hausherr zu sein" schreiben Rudolf von Eitelberger und Heinrich Ferstel 1860, sei "eine Art bürgerlicher Lebensberuf geworden" (in: "Das bürgerliche Wohnhaus und das Wiener Zinshaus"). Die beiden - Kunsthistoriker, Museumsdirektor (und kurzeitig auch Chefredakteur der "Wiener Zeitung") der eine, bekannter Ringstraßen-Architekt der andere - lehnen das Zinshauswesen aus ideologischen Gründen ab. Die von ihnen befürworte Alternative, das Familienwohnhaus, kam allerdings nur für begüterte Städter in Frage. Um die geht es aber Eitelberger und Ferstel, nicht um die Bewohner der Zinshäuser für die Massen. Letztere Wohnform, auch Zinskaserne genannt, ist eine Folge von Verstädterung und Industrialisierung, die im 19. Jahrhundert zu einem sprunghaften Anstieg der Bevölkerung durch Zuwanderung vom Land führte. Wien zum Beispiel hatte inklusive der im Lauf des 19. Jahrhunderts eingemeindeten Vororte und Vorstädte 1840 440.000 Einwohner, 1870 843.000 und 1900 1,643.000. (Daten nach H. Bobek, E. Lichtenberger: "Wiens bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts".) Billige Wohnungen wurden in den meisten Großstädten zur Mangelware, die Hausherren zu Verfügungsmächtigen über ein knappes Gut.

So eignete sich in dem Teufelskreis von Bevölkerungswachstum und Wohnungsnot der Hausherr wie kein anderer als Feindbild des besitzlosen Arbeiters. In diese Rolle kam er teils individuell aufgrund persönlichen Verhaltens, mehr noch strukturell aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Denn darin war der Hausherr je nach Reichtum Rad oder Rädchen, das dazu diente, bei den Mietern die Steuern - im Fall Wiens - für die Stadt, das Land Niederösterreich und für den Staat einzutreiben. Rund 40 Prozent des Bruttomietzinses waren Steuern und Abgaben und eine tragende Säule des Wiener Gemeindebudgets und des Staatsbudgets. Denn der Staat kassierte den größten Teil des Wiener Steueraufkommens. 1910 machte allein die Wiener Hauszinssteuer

4 Prozent des gesamten Staatsbudgets der österreichisch-ungarischen Monarchie aus. (Daten nach Bobek/Lichtenberger.)

Führungsansprüche

Die Hausherren wurden nicht müde, sich über die Rolle als Steuereintreiber zu beklagen, leiteten aber andererseits gerade daraus, als "Höchstbesteuerte", ihren politischen Führungsanspruch ab. Ihre Plattform war seit 1888 das "Organ zur Wahrung und Förderung der Interessen der Haus- und Grundbesitzer Oesterreichs", die "Hausherren-Zeitung". Stereotyp wiederkehrend finden sich darin Lamenti über ihr bedauernswertes Schicksal als vom Fiskus und von zinsprellerischen Mietern ausgebeutete und von Bauspekulanten bedrängte Opfer. Dass die Hausherren trotz ihres enormen politischen Einflusses diesen Zustand nicht abschafften, lässt sich damit erklären, dass ihre unangenehme Steuereintreiber-Rolle ausreichend mit Positiva kombiniert war.

Das Recht auf Mitsprache in den kommunalen Verwaltungen war traditionell an Hausbesitz gebunden. Die bürgerliche Revolution von 1848 hatte die Interessen des besitzenden Bürgertums gefestigt und erweitert, eine überproportionale Vertretung der Hausherren in den Stadtverwaltungen, wie zum Beispiel im Wiener Gemeinderat, war die Folge. 1889 waren von 119 Wiener Gemeinderäten 52 Hausherren, 1895 von 138 Gemeinderäten 68 und so weiter bis zum Ende der Monarchie. (Daten nach Büwendt.) Da die Wahlberechtigung an bestimmte Einkommensverhältnisse geknüpft war, hatten diejenigen, welche unter dem Wohnungselend litten, keinerlei Einflussmöglichkeit und sie hatten auch keine einflussreiche Lobby. Die liberalen Wohnreformer fanden in den eigenen Reihen keine aktive Unterstützung, die Sozialdemokratie war noch zu schwach.

Die Arbeiter wohnten in Klein- und Kleinstwohnungen ohne eigenen Wasseranschluss (Bassenawohnungen) und mit WC am Gang. Die rein gewinnmaximierend ausgelegten Grundrisse ergaben mangelhafte Belichtungs- und Belüftungsmöglichkeiten. Dabei war das ungehemmte Ausschlachten der Parzellen völlig legal. Erst in der Wiener Bauordnung von 1883 wurde mit § 43 verfügt, dass die Parzellen nur bis maximal 85 Prozent bebaut werden durften. Eine "Beschränkung", die vor allem den Status quo sanktioniert haben dürfte. Zum Vergleich: Bei den Gemeindebauprojekten des Roten Wien in der Zwischenkriegszeit betrug die Bebauungsdichte maximal 50 Prozent.

Bebauungsdichte und Anzahl der Stockwerke waren ein Faktor der Verzinsung des eingesetzten Kapitels auf lange Sicht. Auch die Vermeidung von mehreren Stiegen sparte Platz, und außerdem beträchtliche Baukosten. Daher baute man nur eine Stiege und erschloss die Wohnungen über lange Etagengänge. Diese Kalkulation ergab den Gangküchengrundriss mit Küchenfenster zum Gang und Zimmerfenster zur Straße oder nur in einen mehr oder minder engen Innenhof bei Hinterhofanlagen. Hier wie bei Seitenflügelwohnungen fehlte die für das Raumklima wichtige Querlüftung. Die hygienisch und räumlich menschenunwürdigen Verhältnisse in den Massenzinshäuser wurden durch Überfüllung über ein System von Aftermietern und Bettgehern weiter verschärft. So teilten sich in den Arbeitervierteln bis zu zehn Menschen einen Raum. (Bobek/Lichtenberger.)

Der "Sturm der Besitzlosen"

Die humanitäre Unzulänglichkeit der Behausungen der Unterschicht stellte kaum jemand in Abrede, aber niemand wollte für die Besserung der Verhältnisse zahlen. Dies, obwohl Wohnreformer und sogar Hausherren darauf hinwiesen, dass die Lösung der Wohnungsfrage nicht nur aus sozialen, sondern auch aus egoistischen Motiven zu betreiben wäre. So rät "Fromme's Hausherren-Kalender" für das Jahr 1875 seiner Klientel zu Humanität aus eigenem Interesse, um nicht dem "Sturm der Besitzlosen" zum Opfer zu fallen. Eine Teilnehmerin am IX. Internationalen Wohnungskongress, der 1910 in Wien stattfand, resümiert: "Die Forderung gesunder Wohnungen für die Arbeitsbevölkerung ist nicht nur eine solche der Humanität oder der sozialen Fürsorge für die Arbeiterklasse, sondern eine soziale Notwendigkeit für die ganze Bevölkerung, mit der der gesunde und kranke Arbeiter und dessen Werk in steter Berührung ist. Vielleicht werden diese Erwägungen des Selbsterhaltungstriebes so manchen eher zur Mitarbeit bringen, als die für uns maßgeblichen sozialen, sittlichen und hygienischen Gründe." (Bericht über den IX. Internationalen Wohnungskongress.) Im Rahmen dieses Kongresses wiesen verschiedene Sprecher darauf hin, dass gerade in Wien noch besonders wenig für die Behebung der Wohnungsfrage getan worden sei. Was umso mehr auffalle in einer Stadt, die für "Verkehr, Gas, Strom, Unterhaltung, Belehrung etc." sorge.

Dass Wien ausgerechnet das Wohnbedürfnis bisher nicht decken konnte, verwundere allerdings nicht, weil der "in dem Klasseninteresse der Gemeinderatsmehrheit", also der Hausbesitzer, "wurzelnde passive Widerstand" bisher die Wohnungsreform verhindert habe. So der Referent Felix von Oppenheimer in Anspielung auf die Verstadtlichungsleistungen der Gemeinde Wien unter dem christlich-sozialen Bürgermeister Lueger.

Zu breitenwirksamen Reformen am Wohnungssektor kam es nicht, solange einerseits die Steuerpolitik wesentlich auf der Hauszinssteuer fußte und andererseits die Hausherren das Sagen im Wiener Gemeinderat hatten. Und die schrieben Wohnungsnot stets in Anführungszeichen oder mit dem Zusatz "angeblich". 1893 veröffentlicht der Wiener Magistrat eine Arbeit über die Mortalitätsverhältnisse in Wien und kommt zu dem Schluss, "daß Wien nur deshalb ein etwas größeres Sterblichkeitspercent als London, Paris und Berlin aufzuweisen habe, weil hier die ärmere Bevölkerung viel zu beengt und sanitätswidrig wohne". ("Hausherren-Zeitung", 1. 10. 1893, dort auch die folgenden Zitate.) Der Konjunktiv der "Hausherren-Zeitung" ist, wie der nächste Absatz zeigt, nicht nur grammatikalisch bedingt, sondern auch inhaltlich: "Diese etwas einseitige und übertriebene Behauptung fand flugs die irrige Auslegung, daß in Wien ein großer Mangel an kleinen Wohnungen bestehen müsse, und nun überbieten sich Menschenfreunde und Speculanten in den mannigfaltigsten Anträgen, die alle darauf hinauslaufen, mit Zuhilfenahme öffentlicher Fonds und ganz außerordentlicher Steuerprivilegien einen Massenbau von Häusern mit kleinen Wohnungen ins Werk zu setzen." Die Hausherren sehen die zaghaften Versuche, menschenwürdige und für Arbeiter finanzierbare Wohnungen zu errichten, als eine schädigende Konkurrenz für die "derzeitigen Besitzer von Häusern mit kleinen Wohnungen, die ohnedies schon jetzt nur auf Dornen gebettet sind". Die gängige Hausherren-Sicht auf die bestehende Wohnungsüberfüllung besagt, dass "viele hunderte Bettgeher und Bewohner unwirthlicher Räumlichkeiten" sich sehr wohl menschenwürdig und gesundheitsmäßig unterbringen könnten, "daß jedoch deren niedriger Culturgrad, deren primitive Lebensgewohnheiten oder deren vagierender, unsteter Lebenswandel" sie für eine "geräumigere, wohnlichere Häuslichkeit, ein ungestörtes, reines Familienleben" unempfänglich mache.

Aber als vorwiegende Ursache der "partiellen Wohnungsüberfüllung" nennt die "Hausherren-Zeitung" die "schlechten Erwerbsverhältnisse eines großen Theiles der ärmeren Bevölkerung". Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der Hausherren auch andere unternehmerische Berufe ausübte. Es klingt, als wäre hier der Arbeitgeber im Hausherrn geknebelt worden. Oder es waren wie immer in solchen Fällen die anderen gemeint, etwa jene beneideten Kapitalisten (Aktionäre, Bankiers), die nach Hausherren-Sicht für ihre Renditen viel weniger tun mussten als die privaten Hausbesitzer.

Die neue Zeit

Innerhalb der alten Gesellschaftsordnung war der Wohnungsnot in Wien nicht beizukommen. Projekte wie die seit 1898 errichteten Arbeiterwohnungen der Kaiser-Franz-Josef-I.-Jubiläums-Stiftung brachten nur punktuell Erleichterung. Eine Entspannung der Gesamtsituation erzielte erst die 1919 gewählte sozialdemokratische Gemeindeverwaltung. Sie führte, nachdem Wien mit 1. 1. 1922 ein eigenes Bundesland mit Steuerhoheit geworden war, die von den "Hausherren" gehasste Wohnbausteuer ein und baute bis Anfang 1934 über 63.000 Wohnungen. (Daten nach Czeikes "Historischem Lexikon Wien".) Deren Bezug war freilich an eine bestimmte politischen Ausrichtung gebunden. Aus den Reformbestrebungen der Monarchie konnte der soziale Wohnbau des Roten Wien Anregungen für die architektonisch bedeutenden und politisch folgenreichen Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit nehmen.

Die erwähnten Wohnhäuser der Kaiser-Franz-Josef-I.- Jubiläums -Stiftung zum Beispiel waren um Höfe mit Kinderspielplätzen, Ziergärten, usw. angelegt, sie besaßen zum Teil Gemeinschaftseinrichtungen (Waschküchen, Bibliotheken) und Sanitäranlagen innerhalb des Wohnungsverbandes. (Nach: "Technischer Führer durch Wien", Wien 1910.) Die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung der 20er und 30er Jahre konnte sich um so mehr auf den kommunalen Wohnbau konzentrieren, als ihr Luegers Verstadtlichungsspolitik eine optimale Infrastruktur (Städtische Straßenbahnen, Gaswerke, E-Werke, Wasserversorgung . . .) hinterlassen hatte.

Freitag, 03. August 2001

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