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Großstadt-Idyll

Von Hermann Schlösser

Zehn Uhr fünfundreißig, Donnerstag vormittag. Ich sitze im Schanigarten des Cafés „Station" in der Markhofgasse und trinke eine Melange und ein Mineral. Nicht viele Gäste lassen sich um diese Zeit
hier nieder. Nur am Tisch rechts hinter mir sitzt eine ältere Dame, die vollauf mit der Lektüre einer Illustrierten beschäftigt ist.

Drinnen im Kaffeehaus sitzen zwei jüngere Männer auf Barhockern. Sie rauchen, trinken Bier und reden. Ich kann sie sehen, weil eine große Schiebetür weit offensteht und den Blick ins Innere des fast
leeren Raums freigibt. An der Decke dreht sich ein Ventilator, sonst bewegt sich eher wenig.

Links neben mir, wo die Würtzlerstraße in die Markhofgasse einmündet, hält ein Lastwagen. Ein Lieferant lädt Paletten mit Coladosen auf seinen Handkarren. Dann schiebt er seine Fracht die
Markhofgasse hinauf, Richtung Schlachthausgasse. Ich vermute, daß er den Würstelstand am oberen Ende der Straße beliefert, kann aber von meinem Sitz aus nicht erkennen, ob diese Vermutung stimmt.

Am Tisch rechts neben mir haben mittlerweile zwei neue Gäste Platz genommen und zwei kleine Braune bestellt. Während sie plaudern und trinken, wende ich meine Aufmerksamkeit der Szene zu, die frontal
vor meinen Augen liegt. Die Gasse wird an dieser Stelle so breit wie ein Platz. Ihre Mitte wird von der U-Bahn-Station Schlachthausgasse dominiert, die auch dem Kaffeehaus zu seinem Namen „Station"
verhalf. Links und rechts neben dem U-Bahn-Ausgang fahren Straßenbahnen und Busse an. Direkt vor meinen Augen deutet ein Wegweiser auf die nächstliegenden Haltestellen hin: 77 A, 80 B, 79 A, 78 A.
Doch verkehren noch weitere Linien auf dem Platz, z. B. die Straßenbahn Nr. 18, Richtung Westbahnhof.

Ich befinde mich also an einem Knotenpunkt des Wiener Nahverkehrs: Menschen steigen vom Bus in die Straßenbahn um, andere von der Straßenbahn in die U 3 und so weiter. Vom Schanigarten aus beobachte
ich sie. Manche müssen rennen, damit sie ihren Anschluß nicht verpassen, andere müssen warten, bis die Bahn überhaupt kommt. Auf einer Bank sitzt eine dunkelhaarige Frau, die zumindest aus der
Entfernung wie eine Japanerin aussieht. Sie liest Zeitung. Das Mädchen neben ihr zückt ihr Handy und telefoniert. Was sie redet, kann ich nicht hören. Aber ich stelle mir vor, daß sie · wie
Handybesitzer meist · nur berichten wird, wo sie gerade ist und was sie gerade tut: „Ja, hallo, servus! Du, ich sitze an der Straßenbahnhaltestelle und warte, bis der 18er kommt. Wenn er kommt,
fahr ich dann gleich los . . ." Und so weiter, man kennt diese topographischen Durchsagen zur Genüge.

Die Herren am Nachbartisch haben mittlerweile ihre kleinen Braunen ausgetrunken und sind gegangen, die alte Dame am Tisch hinter mir ist noch immer in ihre Illustrierte vertieft. Der Ventilator im
Inneren des Kaffeehauses dreht sich, die beiden Biertrinker haben ihre Barhocker in einem unbeobachteten Moment verlassen. Doch hat ein anderer Mann ihre Stelle eingenommen. Er bestellt ein großes
Bier. Seine Vorgänger hatten sich mit je einem kleinen begnügt.

Und da kommt auch schon die 18er-Straßenbahn um die Ecke. Die mutmaßliche Japanerin faltet ihre Zeitung zusammen und steigt ein. Das Mädchen mit dem Handy allerdings bleibt auf der Bank sitzen. Das
hatte ich nicht erwartet. Der 18er fährt ab und ich schaue auf die Uhr: es ist 11.10 Uhr.

Montag, 12. Juli 1999

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