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pingreen.gif 1 KB Rußlands erfolgreiche Historisierung - Schuldkult nicht gefragt

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Das Fernziel

der Moskauer Führung war eine »sozialistische Weltrepublik«, das mittelfristige Ziel die Hegemonie über Kontinentaleuropa, das kurzfristige Ziel die kommunistische Herrschaft in ganz Deutschland - Russische Historiker befassen sich erneut mit Stalins Kriegsvorbereitungen und Terminplänen - Der Kristallisationspunkt Berlin


von Martin Knick

In ihrer jüngsten Ausgabe zum Jahresbeginn 1998 übt sich die Moskauer Fachzeitschrift Neue und Neueste Geschichte in Versuchen, die Stalin-Ära an einem heiklen Punkt zu beschönigen. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines veränderten Medienklimas in Rußland, das Botho Kirsch in dieser EPOCHE eingehend durchleuchtet. Die neuen Machthaber Rußlands wollen nicht mehr, daß in den von ihnen gesteuerten Zeitschriften, Zeitungen und Sendern die Geschichte des eigenen Landes negativ bewertet wird. Darin unterscheiden sie sich grundsätzlich von der politischen Klasse Deutschlands.

Der Mythos von der »heroischen Sowjetunion« findet zunehmend Eingang in die russische Publizistik. Die vergangenen Jahrzehnte werden jetzt wieder positiver dargestellt, als sie in der Realität waren. So versucht man ein Gegengewicht dazu zu schaffen, daß beispielsweise die Bücher von Wladimir Resun, die er unter dem Pseudonym Viktor Suworow herausbrachte (deutsch: Der Eisbrecher und Der Tag M), in Rußland Millionenauflagen erreichten. Resun, ein nach England geflüchteter ehemaliger sowjetischer Geheimdienstoffizier, weist nach, daß Stalin erst den Konflikt zwischen den Deutschen und den Westmächten förderte - um Hitler als »Eisbrecher« für die Expansion des Kommunismus nach Westen zu benützen - und dann, als die Angelsachsen vom Kontinent verdrängt waren, den letzten verbliebenen Gegner in Europa, Deutschland, anzugreifen beabsichtigte.


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Die gescheiterten Propheten des Kommunismus: "Aber die Theorie war doch schön."


Die einzigen ab dem Sommer 1940 auf dem Kontinent existierenden Machtblöcke - der deutsche und der sowjetrussische - machten gegeneinander mobil. Keiner von beiden war daran interessiert, durch »Eindämmung« (wie nach 1945) einen neuen Waffengang zu verhindern. Es stellte sich bald nur noch die Frage, wer in diesem welthistorischen Ringen um die Vorherrschaft in Europa den ersten Schuß abgeben würde, wer schneller sein Militär organisierte und wem es daher gelingen konnte, dem anderen zuvorzukommen.

Im Sterbejahr der Sowjetunion hat dies - mit einer Formulierung, die genau den Sachverhalt beschrieb - sogar das kommunistische Parteiorgan Prawda (vom 8.5.1991) unumwunden zugegeben: »Infolge der Überschätzung eigener Möglichkeiten und Unterschätzung des Gegners schuf man vor dem Krieg unrealistische Pläne offensiven Charakters. Möglicherweise wären sie auf dem Papier geblieben und es hätte heute keinen Sinn mehr, darüber zu reden. Doch in ihrem Sinne begann man die Gruppierung der sowjetischen Streitkräfte an der Westgrenze zu formieren. Aber der Gegner kam uns zuvor


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Die alliierte Luftbrücke und das Ende der Berlin-Blockade beendeten Stalins Expansionspolitik. Die NATO sicherte die Grenzen.


Gemeint ist die Tatsache, daß die Masse der Rotarmisten in vorgeschobenen Bögen vor Bialystok und Lemberg in exponierten Stellungen zusammengezogen war und deshalb von der deutschen Wehrmacht rasch eingekesselt werden konnte; und daß sich die Feldflugplätze der Sowjets wegen ihrer Nähe zur deutschen Grenze als besonders verwundbar erwiesen, sobald die ersten Schlachten entbrannten. Militärisch gesehen handelte es sich eben um eine reine Offensivplanung auf russischer Seite. Die Rote Armee sollte mit (zahlenmäßig tatsächlich) überlegenen Panzerverbänden von Bialystok und Lemberg aus Richtung Warschau und Kattowitz vorstoßen; und die sowjetischen Militärmaschinen sollten von den grenznahen Flugplätzen aus über einen möglichst weiten Aktionsradius Richtung Westen verfügen.

Der russische Historiker Boris Sokolow hat dokumentarisch belegt, daß Stalin Spezialeinheiten aus Sowjetbürgern polnischer Nationalität und polnisch sprechenden Russen aufstellen ließ. Diese sollten ganz offensichtlich die politische Begleitmannschaft für den geplanten Vormarsch quer durch Polen (das damals deutsch besetzte Generalgouvernement) werden. Stalin setzte allein auf Angriff und traf nicht die geringsten Verteidigungsmaßnahmen. Sogar die nach ihm benannte Befestigungslinie an der alten Westgrenze der Sowjetunion (wie sie bis September 1939 bestand) ließ er - als vermeintlich überflüssig - demontieren.

In der Moskauer Zeitschrift Istoritscheskij Archiv (2/95) wurde die Rede veröffentlicht, die Stalin am 5. Mai 1941 vor Absolventen der sowjetischen Militärakademie gehalten hat. Stalin gab sich überzeugt, die deutsche Armee - die sich »bereits im Niedergang« befinde - besiegen zu können. Es sei an der Zeit, »von der Verteidigung zum Angriff überzugehen«. Die Rekruten der Roten Armee wurden damals belehrt, daß auch ein Angriffskrieg ein »gerechter Krieg« sei, wenn er dazu diene, die »Grenzen des Sozialismus« zu erweitern.

Auch in dem erwähnten Beitrag in der jüngsten Ausgabe der Moskauer Zeitschrift Neue und Neueste Geschichte wird dies nicht bestritten, ja es wird sogar Stalins Ankündigung einer »Sternstunde der Befreiung Europas« zitiert, in der der Sowjet-Diktator den gesamten Kontinent vom »kapitalistischen Joch befreien« wollte. Einschränkend wird jedoch behauptet, Stalin habe dafür einen späteren Zeitpunkt ins Auge gefaßt. Die Gegner im Westen - Deutschland und England - sollten sich erst gegenseitig erschöpfen und so den sowjetischen Vormarsch erleichtern. Ernst Topitsch zitiert in seinem grundlegenden Werk Stalins Krieg in diesem Zusammenhang den sowjetischen Ministerpräsidenten und Außenminister Molotow, der dem litauischen Außenminister gegenüber erklärte, der Erste Weltkrieg habe den Kommunisten den Sieg in Rußland gebracht und der Zweite Weltkrieg - in dem Stalin offensichtlich ein Vehikel der Weltrevolution sah - werde den Kommunismus über ganz Europa verbreiten.

Diese Fakten sind eindeutig und von niemanden zu widerlegen. Die Debatte unter russischen Historikern dreht sich derzeit überwiegend um die Frage, zu welchem Zeitpunkt Stalin angreifen wollte. Daß es erst »später« sein sollte, behauptet Neue und neueste Geschichte und beruft sich dabei auf einen Befehl des sowjetischen Oberkommandos, in dem das Ziel gesetzt wurde, »die Aufmarschformation des Gegners zu zerschlagen und die Kampfhandlungen auf dessen Territorium zu verlegen«. Dies zeige, daß an Verteidigung gedacht wurde und daß 1941 keine konkreten Aggressionsabsichten der Sowjetunion bestanden hätten.

Abgesehen davon, daß es noch nie einen sowjetischen Angriff - bis hin zum Einmarsch in Afghanistan 1979 - gab, der von der Moskauer Propaganda nicht als »Verteidigung« bezeichnet worden wäre, entkräften die Autoren in einem entscheidenden Punkt ihre eigenen Argumente. Sie weisen selbst darauf hin, daß bis Mitte Mai 1941 »entlang der Grenze zur Sowjetunion noch keine deutschen Panzerdivisionen, sondern nur Infanterieverbände« standen. Diese für ihn so günstige militärische Situation habe Stalin nicht für einen Angriff genutzt, betonen sie. Doch geben sie gleichzeitig damit zu, daß die Sowjets - vor den Deutschen - angriffsfähige Verbände an der Grenze zusammengezogen hatten. Ungeachtet der Aggressivität, die dem NS-Regime eigen war, ist damit für die Faktenlage 1940/41 klargestellt, daß Stalin mit dem Massenaufmarsch von Angriffstruppen begonnen hat und daß es folglich gute Gründe für Deutschland gab, sich bedroht zu fühlen.

Die vage Möglichkeit, daß Stalin nur Einschüchterungsversuche unternahm, ohne schon 1941 losmarschieren zu wollen, gibt den Historikern noch ein wenig Interpretationsspielraum. Die Russen nutzen ihn, um sich erneut als reine »Opfer des deutschen Überfalls« darzustellen. Dies bietet zum einen die Chance, im eigenen Land ein positiveres Geschichtsbild zu vermitteln und sich gegen »Nestbeschmutzer« abzugrenzen, zum anderen erleichtert es die Verhandlungen mit Deutschland, das auch 1998 weiter zur Kasse gebeten wird. Je schuldzerknirschter sich die Deutschen fühlen, um so eher geben sie den Russen Geld. Es funktioniert - der Rubel rollt.


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Kristallisationspunkt Berlin: 1989/90 fegte das Volk den Kommunismus hinweg.


Während sie so - gegenüber den Deutschen - die jüngste Geschichte instrumentalisieren, haben es die Russen im eigenen Land längst verstanden, das Vergangene zu historisieren. Das bedeutet, daß sie auch Stalin aus der Sphäre des Politischen entfernt und der Obhut der Historiker übergeben haben. Ihre Zukunft - auch wenn sie derzeit nur aus Hoffnungen besteht - lassen sie sich nicht von den Schatten der Vergangenheit verdunkeln. Wer in Rußland »Schuldkult« betreiben will, wird aus dem Tempel gejagt. Deutschland könnte davon lernen. Historisieren bedeutet nicht verdrängen. Man kann sich durchaus für die ungeschminkte Wahrheit über die Vergangenheit interessieren, ohne deswegen in kollektive Selbstanklagen zu verfallen. Das hinter uns Liegende zu historisieren, es also der Politik zu entziehen, ist die Voraussetzung für gleichberechtigtes Handeln in der Gemeinschaft der Völker - ein Zeichen der Normalität. Denn außer den Deutschen ist kein Volk dieser Erde Schuldkult-anfällig. Die Russen wissen sehr wohl, daß sie unter Stalin in einem totalitären Staat mit expansiven Zielen lebten - wie damals auch die Deutschen. Daß Stalin sowohl politische wie militärische Mittel rücksichtslos einsetzte, um sein Reich auszudehnen, hatte er schon vor dem Schicksalsfahr 1941 mehrfach gezeigt: bei der Einverleibung der Mongolei 1924, beim Einmarsch in Ost-Polen und in Finnland 1939, bei der Besetzung von Estland, Lettland, Litauen und Bessarabien sowie der nördlichen Bukowina 1940.

Es ist unwahrscheinlich, daß er bloß 1941 urplötzlich ganz anders eingestellt war - zumal er ab der Schlußphase des Zweiten Weltkrieges wieder munter seine Eroberungspolitik dort fortsetzte, wo er am 22. Juni 1941 unterbrochen worden war. Er besetzte ein zweites Mal die baltischen Staaten und Polen, er eroberte Ungarn, Rumänien und Bulgarien - und versuchte durch massive Unterstützung der griechischen Kommunisten mit Waffengewalt zum Mittelmeer vorzudringen, er wollte West-Berlin erdrosseln und ließ in seiner Kreation DDR das Lied von »Deutschland, einig Vaterland« singen, damit sein Ziel, ein kommunistisches Gesamtdeutschland zu schaffen, klar abgesteckt war. Seinem Paladin Otto Grotewohl ließ er mitteilen, er könne Kanzler eines - unter Stalin - geeinten Deutschlands werden.

Wenn, ja wenn bloß die Amerikaner aus Europa abgezogen wären! Darauf hatte Stalin gesetzt. Vergeblich. Die isolationistischen Tendenzen in den USA in Verbindung mit Neutralismus und Antiamerikanismus in Europa erwiesen sich als zu schwach, um Stalin den Weg nach Westen freizumachen. Als Stalin 1953 starb, waren drei seiner großen Ideen noch unverwirklicht: die Bolschewisierung ganz Deutschlands, die danach fast zwangsläufig eintretende Ausdehnung des sowjetischen Einflusses auf Westeuropa (man denke nur an die Stärke der KP in Frankreich und Italien) und die damit erreichbare Grundsteinlegung für den Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab.

Die Dämme hielten. Die gescheiterte Berlin-Blockade und die Gründung der NATO markierten die Wende - sie waren Stoppsignale für Stalins Expansionsdrang. Das freie Deutschland hielt stand. In ihren Kampfliedern forderten die Kommunisten zwar weiter eine »sozialistische Weltrepublik«, doch hatten sie kaum noch Chancen, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Allmählich begannen die unterdrückten Völker, sich zu wehren. 36 Jahre nach Stalins Tod öffnete sich die Mauer in Berlin und sein Imperium stürzte in sich zusammen. Es starb an seinen Konstruktionsfehlern.

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