Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Feinschmecker mit Ausdauer

Der Chefkoch des Hilton testet die Würstelstände entlang des Wiener City-Marathons
Von Uwe Mauch

Der Küchenchef wischt sich mit einer Papierserviette den Mund ab und lächelt. Satt und zufrieden. Der Start oder, um es in der Sprache der Essliebhaber zu formulieren, der Appetizer, jener erste Akt in der Menüfolge, der den Speichelfluss aktivieren soll, darf als gelungen bewertet werden.

9 Uhr vormittags. Marcel Vanic, Chefkoch im Wiener Hilton-Hotel, schickt sich gerade an, den Vienna- City-Marathon zu testen. Doch sein Interesse an der knapp 42 km langen Laufstrecke ist weniger sportlicher denn kulinarischer Natur. Für den Vertreter der Haute Cuisine geht es heute - im wahrsten Sinne des Wortes - um die Wurscht. Sein Ziel ist nicht die Ziellinie auf dem Rathausplatz, sondern die Beantwortung der zumindest für Fast-Food-Enthusiasten nicht unerheblichen Frage: Wo, bitte schön, findet man die besten Würstelstände entlang des City-Marathons?

"A echte Turbowurzn", lobt Vanic mit unverkennbarem Kärntner Idiom, während er die extradicke Debreziner zu Ende kaut. "Würzig, scharf, genau das Richtige, um sich auf den bevorstehenden Kraftakt einzustimmen." Zum ersten Mal labt sich der Koch noch vor der Startlinie der Läufer, beim "Radfahrer", einem Cholesterintempel, der an der Ecke Linke Wienzeile/Winckelmannstraße steht.

Inhaber Karl Andritz nennt seine Debreziner "Dynamit-Wurst". Turbowurzn oder Dynamit - Hauptsache explosiv. Am Marathon-Sonntag will Andritz sein Würstlstandl schon um 5 Uhr in der Früh aufsperren, einen zusätzlichen Kühlschrank für Getränke anschließen und ausnahmsweise auch Kaffee und Kipferln verkaufen.

"Weil a Wurscht werden s' in der Früh vor dem Start gar ned runterbringen", versucht sich der Standler in eine Welt hineinzudenken, die ihm bisher völlig Wurscht war. Ernsthaft hatte er bis vor kurzem auch "den Verkauf einer Puten-Käsekrainer" in Erwägung gezogen. Bis sich freundliche Menschen fanden, die ihm erklärten, dass es so eine Krainer-Sorte gar nicht gibt und dass Wurst - wie auch immer - Gift für den Verdauungstrakt des Athleten ist. Andritz ist neu in der Branche. Er hat den Stand im Vorjahr durch unglückliche Fügungen von einem anderen Geschäftsmann übernommen. Der hatte ihm Geld geschuldet, jedoch keines gehabt. Also wechselte der Radfahrer seinen Besitzer.

Dass auch Kaffee und Kipferln in der Literatur der wissenschaftlich laufenden Läufer bisher nicht als Leistung fördernde Nahrungsmittel beschrieben wurden, scheint für Herrn Andritz, der hauptberuflich italienische Bürosessel verkauft, nur noch ein Detail am Rande zu sein. Immerhin, ein erster Schritt ist gemacht.

Wertung: Wurst ooo, Senf ooo, Service oo.

*

Bei Strecken-Kilometer 11, in der äußeren Mariahilfer Straße, kurz vor jener Passage, bei der die Marathonläufer am Sonntag den Westbahnhof zu sehen bekommen, drängt es den in Villach geborenen Chef de la cuisine zum zweiten Mal an den Streckenrand. Er tut gut daran. Kann sich dabei auch auf die dringenden Appelle der Sportmediziner berufen: Die regelmäßige Nahrungsaufnahme, werden die Ärzte nicht müde zu betonen, wird von den meisten Läufern noch immer sträflich vernachlässigt.

Doch die blassen Frankfurter aus der Würstelbox können den auffallend milde gestimmten Chef-Verkoster nicht "viere hauen": "Zu kurz geselcht", sagt Vanic schon nach dem ersten Bissen. "Schmecken wie Diabetikerwürstel." Dann taucht er ein Wurstende in den gesprenkelten Kremser-Senf ein: "Der ist leider auch grauslich. Schade, ein echter Durchhänger."

Gar nicht fad ist dagegen der Angestellte hinter den Koch-, Brat- und Grillvorrichtungen. "Am Sonntag hab ich eh Dienst", freut sich Peter Werner auf das bevorstehende Spektakel. "Da kann ich mir wieder die ganzen Knieweichen anschauen, die hier am Standl vorbeikommen." Er selbst, sagt Werner, der sich selbst eher als Fußballer denn als Ausdauerläufer sieht, sei erst einmal um sein Leben gerannt: "Das war damals so eine Champagnerwette, vom Schloss Schönbrunn hinauf auf die Gloriette, die ich leider Gottes schon nach wenigen Metern verloren habe."

"Laufen", wendet er sich angewidert ab, nicht nur wegen der verlorenen Champagnerwette, "is nix für mi." "Zuschauen", jetzt lässt er den echten Wiener volle Läng' heraushängen, "is auf alle Fälle mehr Hetz".

Wertung: Wurst o, Senf o, Service ooo.

*

"Der Kunde ist Kaiser", lockt der eine per Leuchtreklame. "Der Kunde ist König", verspricht der andere. Wir haben einen kleinen Sprung zum Kilometer 13 gemacht, dort, wo die innere Mariahilfer Straße auf die Zweierlinie trifft. "Kaiser" und "König" sind ein weiterer Brückenschlag zwischen der Welt der Sportler und jener der Würstelbarone. Wie im Infight stehen sich die beiden Gastro-Konkurrenten gegenüber, Box gegen Box, nur wenige Meter voneinander getrennt. Auch beim Burenwurst-Derby geht es um die Wurscht, vor allem aber ums "Knödel", wie man in Wien das liebe Geld umschreibt. Die beiden Inhaber sind seit einigen Jahren übers Kreuz. Über ihre teilweise kabaretthaften Rempeleien wurde eine Zeit lang auch in den hiesigen Medien berichtet.

Der Koch aus dem Hilton goustiert kurz. Dann ordert er 20 Deka Käsekrainer vom Königsmacher. Royale Gaumenfreuden wollen jedoch nicht so recht aufkommen: "Königlich ist anders." Vanic muss seine Marschroute ändern: "Zumindest für den Weg durch die Innenstadt in den Prater wird mir diese Wurst ausreichend Antrieb sein."

"Ein kleines Zubrot", erhofft sich Inhaber Alfred Steinmetz vor allem von den Tausenden Schaulustigen, die am Sonntag entlang der Laufstrecke Spalier stehen werden. Der Kommerzialrat, seit 40 Jahren gleich an mehreren Standorten der Stadt gut im Geschäft, vertritt die Würstelstandler in der Kammer. Sein Jammer: "Die EU-Richtlinien auf der einen Seite und die großen Fastfoodketten auf der anderen setzen uns Standlern anständig zu." Am Hungertuch muss einer wie Steinmetz dennoch nicht nagen. Des Kommerzialrats Kalkül vor dem Marathon-Sonntag: "Da können wir den Leuten wieder einmal so richtig zeigen, was wir draufhaben." Dann sofort der Rückzieher: "Millionär wird dabei keiner von uns werden."

Wertung: Wurst oo, Senf oo, Service oo.

*

Der berühmt-berüchtigte Hunger-Ast lässt auch bei Feinschmeckern nicht lange auf sich warten. Er kündigt sich erstmals bei der Urania an, wird beim Messegelände immer mehr zum bohrenden Schmerz, der zwischen Magengrube und zentralem Nervensystem hin- und hersaust. Zum Glück ist der "Würstelstand Stadion" (Kilometer 29) nur mehr einen Katzensprung entfernt. Bevor die Wurst auf dem Teller dampft, heißt es sich in der Reihe der Hungrigen hinten anstellen. Es ist Mittagszeit und da zieht der Dunst von Burenhaut und Bratwurst fast so viele Kunden an wie an einem Länderspielabend.

"70 Prozent Stammkunden", deutet Inhaber Johann Teibtner, der die Goldgrube von seinem Vater geerbt hat. Alle sind Autofahrer. Sie nehmen die längere Anfahrt nicht nur wegen des Geschmacks seiner Wurst, sondern auch wegen des geräumigen Stadion-Parkplatzes in Kauf. Nur Marathon-Läufer, scherzt Teibtner, wären an seinem Stand noch nicht stehen geblieben. Seine Bratwurst soll noch einmal Kräfte frei machen, eiserne (Appetit-)Reserven für das Finish des 1. Vienna City Sausage Marathons. Chefkoch Vanic beißt noch einmal die Zähne zusammen. Euphorisiert sagt er dann: "Jetzt weiß ich, warum hier so viele Leute stehen. Absolut erstklassige Ware, auch wenn ich jetzt bald nichts mehr runterbringe."

Wertung: Wurst ooo, Senf oo, Service oo.

*

Zum letzten Mal muss der Kampfesser bei der "Heißen Hütte" beim Stadtpark ausscheren. Und es scheint, als würde er jetzt gleich seine persönliche Grenze erreichen. Während der wieselflink agierende junge Angestellte die dampfenden Käsekrainer und Bratwürstel aufschneidet, lässt er wissen, dass auch er am Sonntag den Marathon hinter sich bringen möchte. In den vergangenen Wochen hat er daher mehr Nudel als Würstel verdrückt. Sein Ziel? "Hier am Stand mit einem Lächeln vorbeikommen. Und dann mit meiner Laufzeit unter vier Stunden bleiben."

Auch der korpulente Koch beweist Steherqualitäten. Keine Rede von Aufgeben bzw. Sich-Übergeben. Noch einmal lässt er sich einen Pappteller aufladen. Und auch der letzte Gang mundet: "Mich haut das Testen nicht um. Ich bin darin trainiert. In der Spargelzeit koste ich bis zu 60 Stangen pro Tag." Endlich am Ziel angelangt, sagt er lächelnd: "Deshalb schau ich wahrscheinlich auch so gut aus."

Wertung: Wurst oo, Senf oo, Service ooo.

*

Marcel Vanic hat seinen Wurst-Marathon in knapp vier Stunden runtergespult. Dabei ist er die Strecke nicht gelaufen, sondern hat sich mit seinem Auto von Stand zu Stand gekämpft. In einer Stadt, die immer mehr im Verkehr erstickt, wird diese Durchgangszeit als durchaus bemerkenswert in die Geschichte eingehen.

Wertung: ooo = turbomäßig; oo = mittelmäßig; o = unter ferner liefen.

Freitag, 19. Mai 2000

Aktuell

Blicke aufs Häusermeer
Erhöhte Aussichtspunkte haben schon immer Schaulustige angelockt
Wer übernimmt die Führung?
Die kommenden Probleme und Entwicklungen der Weltwirtschaft – Ein Panorama
In Millionendimensionen
Grundlegende Befunde über den allseits sichtbaren Wandel Chinas

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum