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Ein Zuckerl mit Träne

Polens Exportschlager heißt "Krówka" und ist ein Karamellbonbon
Die zähen Karamelltafeln werden in gleichmäßig breite Streifen geschnitten.

Die zähen Karamelltafeln werden in gleichmäßig breite Streifen geschnitten.

Frisch verpackt: Das Kuhzuckerl mit der traditionellen Blume auf dem Papier ist der Favorit des Kenners.

Frisch verpackt: Das Kuhzuckerl mit der traditionellen Blume auf dem Papier ist der Favorit des Kenners.

Jeden Tag werden 120.000 Stück Krówki händisch verpackt, ein Zuckerl in 6 bis 8 Sekunden. Fotos: Uschi Schleich

Jeden Tag werden 120.000 Stück Krówki händisch verpackt, ein Zuckerl in 6 bis 8 Sekunden. Fotos: Uschi Schleich

Von Uschi Schleich

Eine frische Krówka muss weich und dehnbar sein , sagt Tomasz Jaskólski und nimmt ein Karamellbonbon vom Fließband. "Und eine gute Krówka" , ergänzt der Geschäftsführer der Krówka-Fabrik Complex mit einem schelmischen Lächeln, "lässt sich ohne weiteres um ein Vielfaches ihrer Größe in die Länge ziehen." Sagt‘s und verwandelt das kleine Bonbon mit beiden Händen zu einer 30 Zentimeter langen Karamellschnur. So, dass es einem zwischen den Zähnen quietschen möchte.

Die "Krówka", das Karamellbonbon mit der Kuh auf der Verpackung, ist Polens süßester Exportschlager, hierzulande als "Kuhzuckerl" bekannt. Korrekt ausgesprochen wird die polnische Milchkaramelle "Krufka", was ins Deutsche übersetzt "kleine Kuh" bedeutet. Dass die Original-Kuhzuckerl in Polen hergestellt werden, wissen allerdings nur die wenigsten ihrer Verehrer. Mehr als 100 verschiedene polnische Betriebe widmen sich der Produktion des Kultbonbons, die "kleinen Kühe" der Firma Complex im südpolnischen Zywiec – darin sind sich Polens Gourmetkritker einig – sind allerdings die besten. Nicht nur geschmacklich. Ebenso wichtig ist die Konsistenz: Während die meisten Krówki ziemlich schnell zu "zuckern" beginnen und dabei immer fester werden, behält die Krówka aus Zywiec sehr lange einen weichen, fast flüssigen Kern. Im Fachjargon wird dieses Nonplusultra einer guten Krówka "Träne" genannt.

Soft oder knusprig?

Die Krówka-Konsistenz, davon ist der polnische Gourmetpapst Piotr Bikont überzeugt, teile die Menschheit sowieso in zwei unversöhnliche Gruppen: Die Soften und die Knusprigen. Die beiden würden einander nie verstehen: "Sie repräsentieren zwei vollkommen verschiedene Weltanschauungen." Bikont selbst ist ein bekennender Softie. Zumindest was die Krówka betrifft. Er fordert, dass keinesfalls der Widerstand beim Hineinbeißen zu groß sein dürfe, vom einem etwaigen Knirschen erst gar nicht zu reden. Aber auch zu zäh sollte die Karamelle um Gottes willen nicht sein, bloß keine Fäden ziehen "wie ein erhitzter Käse" , was leider immer wieder vorkomme. Die von Tomasz Jaskólski produzierte Krówka aus Zywiec, resümiert Bikont, erfülle all diese Kriterien und sei deshalb "eine der letzten, die den Namen Krówka noch wirklich verdient."

Tomasz Jaskólski weiß, warum sein Zuckerl hat, was andere nicht haben: "Unsere Krówka zerbröselt auch noch nach Monaten sanft im Mund, sie härtet nicht vollkommen aus wie andere, an denen man sich die Zähne ausbeißen kann." Und was ist nun das Geheimnis Herr Jaskólski? "Es gibt kein Geheimnis. Es ist ganz einfach. Unsere Krówki werden händisch verpackt. Der Druck auf das Karamell ist nicht so groß, wie bei einer Verpackungsmaschine. Deshalb bleiben sie länger weich. Das ist alles."

Tatsächlich wird jede einzelne Krówka in Zywiec händisch eingewickelt. Bei 45 Tonnen monatlich bedeutet das jeden Tag sage und schreibe 120.000 Stück Bonbons, die in das typische, gewachste Zuckerlpapier eingepackt werden. Das Bild im Verpackungsraum der Firma Complex erinnert ein wenig an die Anfänge des Industriezeitalters: Rund zwanzig weiß beschürzte Frauen sitzen an einem langen Tisch, in dessen Mitte langsam aber stetig ein Fließband läuft, das mit Hunderten von Krówki beladen ist. Die Oberkörper der Packerinnen sind völlig ruhig, beinahe bewegungslos, ihre Köpfe gesenkt, ihr Blick ist konzentriert, während die Hände in atemberaubendem Tempo ein Bonbon nach dem anderen in Papier einwickeln und fein säuberlich in die Schachteln legen, die sie auf ihren Schößen halten. Wie im Zeitraffer tanzen ihre flinken Finger. Nur ab und zu schieben die Arbeiterinnen mit einer schnellen Armbewegung eine Ladung Krówki vom Fließband herab zu sich. 6.000 Stück Bonbons von drei mal vier Zentimeter Größe schafft eine Verpackerin täglich. In sechs bis maximal acht Sekunden ist eine Krówka verpackt. Besonders fingerfertige Arbeiterinnen können diese Durchschnittszeit um bis zu 50 Prozent unterbieten. Mit bloßem Auge sind ihre Arbeitsschritte dann kaum noch nachzuvollziehen.

Die Vorteile der Tradition

Der Stundenlohn bei Complex liegt im Schnitt bei 1,40 Euro. In einer kleinen Ortschaft wie Zywiec, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist, sind die Frauen über diese Bezahlung froh. Und Tomasz Jaskólski wiederum denkt gar nicht daran, sich eine Verpackungsmaschine anzuschaffen. Die Kosten würden sich, wie er sagt, zwar sehr rasch amortisieren – und anstatt mit insgesamt 30 Leuten könnte er dann mit drei auskommen. Aber der Karamellkönig ist der festen Überzeugung: "Nur bei händischer Verpackung können wir unsere einzigartige Qualität halten."

Die Zutaten allein können tatsächlich nicht der Zauber sein, der seine Krówka zu einem Hit macht. Auch die anderen Produzenten halten sich an die altüberlieferte Zusammensetzung, die alles andere als ein Geheimnis ist: viel Zucker, Milch und etwas Margarine – das war’s, mehr ist in der klassischen Variante nicht drinnen. In den letzten Jahren sind allerdings unzählige neue Variationen aufgetaucht: mit Kokosflocken, mit Kaffeegeschmack oder mit Vanillearoma. Als Purist hält Tomasz Jaskólski davon nicht viel, das wären, doch keine echten Krówki mehr, sagt er. Aus diesem Grund wird in Zywiec das Karamell nach dem Originalrezept gekocht.

Zunächst wird die Masse aus Zucker, Margarine und Milch in speziellen Druckbehältern unter Wasserdampf karamellisiert. Dann kommt es darauf an, den alles entscheidenden Moment nicht zu verpassen. Auch das gehört nämlich zu einer perfekten Krówka. Mit einem Kochlöffel testet daher eine erfahrene Köchin, ob die Masse schon fertig ist, um weiter verarbeitet zu werden – zuerst taucht sie den Löffel in das kochende Karamell, danach hält sie ihn unter 18 Grad temperiertes Wasser, um zu überprüfen, ob die Masse auch richtig verklumpt.

Ein Karamellteppich entsteht

Erst wenn sie das Okay gibt, wird das heiße Karamell auf große Stahltische geleert, in deren Tischplatten eiskaltes Wasser fließt. Wenn das Karamell auf diese raffinierte Weise vollkommen abgekühlt ist, wird dieser gut einen Meter lange "Karamellteppich" vom Tisch gehoben und in eine altmodische Schneidemaschine gelegt, die die zähen Tafeln in gleichmäßig breite Streifen schneidet. Dann folgen noch ein paar kleine, kurze Schnitte und die fertigen Bonbons purzeln auf das Fließband, das sie zu den Verpackerinnen befördert.

Dass ausgerechnet auf der Verpackung der Kuhzuckerl von Complex keine Kuh, sondern eine simple Blume aufgedruckt ist, tut dem Genuss keinen Abbruch. Für den Gourmetpapst Piotr Bikont ist die Blume ohnehin längst ein Signal. "Die besten Krówki", meint er, "findet man dort, wo die Verpackung am hässlichsten ist." Die Complex-Krówka im braun gemusterten Wachspapier mit der unscheinbaren Blüte und der Aufschrift "Krówka popularna" ist in der Tat nicht gerade ein Augenschmaus. Hübscher sind die bunten, gefleckten, gescheckten Kühe der Konkurrenz, da sind sich alle einig. Warum ist denn ausgerechnet auf Ihren Verpackungen keine hübsche Kuh, Herr Jaskólski? Kein Geld für einen Graphiker?

Im Zweifel für die Blume

Mitnichten. Als Tomasz Jaskólski die Krówkafabrik in Zywiec kaufte, übernahm er mit ihr auch die Rechte für das alte Verpackungsdesign. "Natürlich haben wir sofort daran gedacht, das Design zu modernisieren und haben es auch getan. Wir ließen um teures Geld ein wirklich schönes, nostalgisches Logo entwerfen und wissen Sie, was passiert ist? Der Umsatz ging schlagartig zurück! Also sind wir ganz schnell zur alten Verpackung zurückgekehrt."

Heute ist die kleine Margeritenblüte der Complex-Krówka ein eingetragenes Markenzeichen. Wirtschaftlich betrachtet, sei seine Krówka aber auch in anderer Hinsicht bemerkenswert, erzählt Jaskólski. Obwohl Complex überhaupt keine Werbung für das Karamellbonbon betreibt, steigen dennoch die Umsätze, die Jaskólski mit der Krówka macht, von Jahr zu Jahr.

"Eine frische Krówka können Sie nicht essen. Sie ist noch zu zäh, um davon überhaupt abbeißen zu können" , erklärt Tomasz Jaskólski, als er alles gezeigt hat, was in seiner Fabrik sehenswert ist. Auf jeden Fall müsse man mit drei Wochen Wartezeit rechnen, wenn die Krówka aus der Fabrik kommt. Erst dann beginnt das Bonbon zu karamellisieren und fester zu werden. Und weil die Zuckerl nicht in der Fabrik, sondern auf dem Weg in die Geschäfte reifen, könne er leider nur frisch produzierte Karamellen zur Verkostung mitgeben: "Halten Sie durch und kosten Sie erst in drei Wochen!"

Reifezeit: drei Wochen

Das ist eine lange Zeit, wenn man zwei Stunden lang mit einer Werkbesichtigung auf die Folter gespannt wurde und zum Abschied fünf Kilogramm frische Krówki in den Arm gedrückt bekommen hat. Aber leider, jeder Versuch, vor Ablauf der dreiwöchigen Frist von den Köstlichkeiten zu probieren, endet kläglich: Ein verklebter Gaumen und karamellisierte Zähne sind die Folge. Am besten ist also tatsächlich: Man verstaut die Bonbons an einem sicheren Ort und vergisst sie vorerst. Drei Wochen später ist die Freude über die perfekte Träne dafür umso größer. Zumindest für die Anhänger der soften Weltanschauung.

Uschi Schleich , geboren 1964, lebt als Journalistin und Universitätslektorin in Wien und Graz.

Freitag, 19. August 2005

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