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Würstchen mit Stammbaum

Frankfurt, Wien und die Folgen: Zwei Wurstmetropolen schreiben Fast-Food-Geschichte
Von Christoph Wagner

Die noch in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts bestehende Frankfurter Wirtschaft Metzgerhöfchen rühmte sich, zwar stets frische, aber gleichzeitig doch die ältesten Frankfurter Würstchen der Welt zu servieren. Bereits im Jahr 1280 sollen hier die ersten Frankfurter serviert worden sein. Und ein Wandspruch in der Wirtsstube erinnerte auch daran, daß die Würstchen schon damals mit den Fingern und keineswegs mit dem Besteck gegessen wurden: "Zum Würstchen braucht man hier kein Messer, / Es schmeckt doch aus der Hand viel besser."

Kein Zweifel: Frankfurt ist nicht nur die Heimatstadt der "Worschtsuppe" und des leidenschaftlichen Wurst essers Johann Wolfgang von Goethe, sondern auch jene der heißen Würstchen, die heute zwischen New York und Hongkong jedem Taxifahrer ein Begriff sind. Allein: Die klassischen Frankfurter Würstchen haben - und da wird's kompliziert - mit dem, was man heute darunter versteht, nichts gemein. Im Gegenteil: Jahrhundertelang hat man sie nicht aus dem Kessel gefischt, sondern in heißem Öl gebrutzelt. Frankfurter waren Bratwürste und keineswegs Siedewürste wie heute. "Spritzspratz", wie Walter E. Richtartz schrieb, wälzten sich schon im Mittelalter "in der braunfettschwimmenden Bratenreine.

Wann aber ist die Frankfurter Bratwurst zur Siedewurst geworden? In ihrem 1845 erschienenen grundlegenden deutschen Kochbuch zieht sich auch Henriette Davidis mit einem Rezept aus der Affäre, das wenig Genaues verrät: "Durchwachsenes Schweinefleisch, ohne Sehnen, auch etwas Fett wird fein gehackt, mit Salz, Muskatblüte, Koriander, wenig Pfeffer und etwas rotem Wein gewürzt und in Schweinsdärme gefüllt. Frisch ist diese Wurst am feinsten, doch auch leicht geräuchert sehr gut. Man hängt sie in der Luft auf." Waren Beurlamms und Stoltzes Frankfurter noch ganz eindeutig Bratwürste, so könnte die Wurst der Frau Davidis freilich bereits eine der ersten Siedewürste gewesen sein, die mittlerweile weltweit (außer in Wien, wo sie Frankfurter heißen) Wiener genannt werden. Wäre die ganze Sache allerdings so einfach, daß man Frankfurter Würstchen als Bratwürste und Wiener Würstchen als Siedewürstchen definieren könnte, so wäre die Wurstgeschichte um ein umfangreiches Kapitel kürzer und die Fast-Food- Geschichte um ein gutes Stück übersichtlicher.

Der Umstand, daß irgendwo im Frankfurter Fleischquartier um 1850 eine Siedewurst erfunden und 1852 von der Metzgerinnung auch als solche bestätigt wurde, macht die Sache freilich wesentlich komplizierter. Sogar an die alten Lupercalien wurde mit dieser Erfindung - wenngleich wohl unbewußt - angeknüpft. Erstmals seit der Antike fand sich die Wurst nämlich wieder mit einer Hunderasse verknüpft. Weil die neuen, gewürzten und geräucherten Siedewürste nämlich eine leicht gekrümmte Form aufwiesen, die ihren Erfinder an den Metzgerdackel erinnerte, forderte dieser, eine gute Frankfurter Wurst müsse so krumm wie der Rücken seines Dackels sein. Sie wurde deshalb auch lange, bevor in den USA die Bezeichnung Dachshound Frankforter und in deren Gefolge der Name Hot Dog populär wurde, auch Dackelwurst genannt.

Wann genau sich die Metamorphose von der Brat-zur Siedewurst vollzog, läßt sich indessen nur insofern mutmaßen, als dies irgendwann zwischen den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gewesen sein muß. Das Universallexikon der Kochkunst aus dem Jahr 1893 entzog sich der Debatte jedenfalls auf diplomatische Weise, indem es unter "Frankfurter" eine Wurst aus Schweinefleisch beschrieb, die man "brät oder kocht".

Damit die wurstige Angelegenheit jedoch noch etwas komplizierter werden konnte, kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankfurt noch ein weiterer Wursttyp auf: die Frankfurter "Rindsworscht" die in den USA bis heute als "All-Beef Frankforter" bekannt ist. Die Geschichte der "Rindsworscht" ist gottlob etwas genauer dokumentiert als jene der schweinernen Frankfurter. Und da die Fleischer im Frankfurter "Worschtquardier" streng nach den Tieren, die sie verarbeiteten, in Schweine-, Rinds-, Ochsen-, Kalbs-, Hammelmetzger getrennt waren, läßt sich der Aufstieg der Rindswurst in den Frankfurter Wursthimmel relativ genau zurückverfolgen. Auch ihre Wurzeln reichen, historisch allerdings nicht genau belegt, ins frühe 19. Jahrhundert zurück, ihr Siegeszug begann indessen erst 1894, als der Frankfurter Metzgermeister Karl Gref die Tochter eines Kolonialwarenhändlers namens Wilhelmine Völsing heiratete und mit ihr gemeinsam im Haus "Zum Goldenen Kalb" unter dem Namen Gref-Völsing eine Metzgerei eröffnete. Auf der Suche nach Innovationen, die dem jungen Glück auch eine langfristige ökonomische Absicherung bescheren konnten, entdeckte man im überbelegten Frankfurter Metzgersegment eine Marktnische - nämlich die damals noch zahlenmäßig stark vertretenen Frankfurter Juden. Da die Frankfurter Siedewürstchen aus Schweinefleisch bereits zu einer gewissen Berühmtheit gelangt waren, aber von Frankfurtern mosaischen Bekenntnisses aufgrund religiöser Vorschriften nicht verzehrt werden durften, lag die Kreation einer koscheren Variante aus purem Rindfleisch auf der Hand.

Die Rindswürste werden, im Gegensatz zu den schweinernen Frankfurtern, nicht mit einer Schnur, sondern mit einem ringförmigen Aluminiumdraht abgedreht und schienen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren aufgrund der knappen Versorgungslage bereits der Vergessenheit anheimgefallen zu sein. Seit 1948 werden sie jedoch als im wahrsten Sinne des Wortes "autochthone" Frankfurter Spezialität wieder hergestellt. Klassisch ist dabei das heute noch im Laden von Gref-Völsing servierte "Kleine Menü", das aus einer Frankfurter Rindswurst, einem Brötchen und einer Tasse heißer Brühe besteht.

Soweit so "frankforterisch". Doch wie kam diese eindeutig der Mainmetropole zuzuweisende Wurstspezialität - ob sie nun gebraten, gesotten, aus Schweine- oder aus Rindfleisch gewesen sein mag - in aller Welt zum Namen Wiener? Um die Geschichte der Entstehung dieses "Adoptivnamens" der Frankfurter Siedewurst zu ergründen, müssen wir lediglich den Schauplatz wechseln und kurzfristig in jene Stadt übersiedeln, die allein schon durch die Bezeichnung ihres Vergnügungsviertels als "Wurstelprater" und der berühmten Hanswurstbühne des Herrn Joseph Anton Stranitzky (1676 bis 1727) ein besonders enges Verhältnis zur Wurst aufweist.

Bis heute kann man an den meisten Würstelständen unter den Stadtbahnbögen entlang der Gürtelstraße noch um 4 oder 5 Uhr früh zwischen Burenwurst, Debreziner, Bosner, Klobasser, Krainer, Leberkäse und Frankfurter wählen. Lediglich Wiener Würstel wird man hier vergeblich verlangen und allenfalls ein staunendes Kopfschütteln der Würstelfrau ernten. Doch begeben wir uns von den finsteren Stadtbahnbögen lieber in jene hellen kaiserlichen Gemächer der Wiener Hofburg, in die sich Kaiser Franz Joseph Tag für Tag sein Gabelfrühstück bringen ließ. Es bestand aus einem Paar heißen Würstchen, die ein Diener vom benachbarten Michaeler Bierhaus abholte. Das allein hätte für unseren Belang jedoch keine weitere Bedeutung, wäre der Erzeuger der Wurst nicht jene Firma Lahner gewesen, die in einer kleinen Metzgerei an der Ecke von Neustiftgasse und Kaiserstraße im siebten Wiener Gemeindebezirk jene Würstchen herstellte, die als "Wiener" die Welt erobern sollten. Die Pikanterie dabei ist, daß Johann Georg Lahner, der Gründer der Wiener Fleischhauerei, ein gebürtiger Frankfurter war. Er hatte gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Frankfurter "Worschtquardier" das Metzgerhandwerk erlernt, bevor es ihn "auf der Walz" in die Donaumetropole verschlug. Dort arbeitete er zunächst als sogenannter "Aufhackknecht", bevor er im Schottenfeld (der späteren Neustiftgasse) eine eigene Selcherei gründete und sich den Umstand zunutze machte, daß die Wiener Fleischhauer nicht wie die Frankfurter Metzger nur jeweils eine Tiersorte verarbeiten durften. 1805 lieferte er erstmals eine Wurst aus, die alle Vorzüge einer Schweins- und einer Rindswurst in einer Schafsaitlinghülle vereinigte und nannte sie kurzerhand Wiener Frankfurter.

Als Lahner am 23. April 1845 starb, hatte sich seine Wurstkreation bereits in ganz Wien durchgesetzt.

Rund 100 Jahre nach der Erfindung der Wiener Frankfurter Würstel ersann Leopold Lahner, ein Urenkel des Firmengründers und nebenbei auch Hammerwerfer und Kugelstoßer bei der Athener Olympiade 1906, eine neuerliche Wurstinnovation: Die "Würstel im Schlafrock" waren ein "Wiener Frankfurter"-Einspänner in einer Brotteighülle, die dem, was später einmal ein Hot Dog werden sollte, schon damals zum Verwechseln ähnlich sahen.

Ein naher Verwandter der Lahnerschen Wiener Frankfurter hat übrigens in Wien den Beweis erbracht, daß Würstchen sich keineswegs nur für Würstelstände und Schnellgastronomie eignen. In Paaren zu je 180 Gramm abgedreht, werden die Frankfurter nämlich heute noch unter dem Namen Sacher-Würstel als klassische Spezialität des gleichnamigen Fünfsternehotels hinter der Staatsoper serviert. Auch das ist freilich nur eine von unzähligen Metamorphosen, die letztlich allesamt dem Frankfurter "Worschtquardier" seligen Angedenkens zu verdanken sind.

Dienstag, 19. Mai 1998

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