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Dort, wo der Pfeffer wächst

Eine Reise zu den Ursprüngen des scharfen Gewürzes in den Urwäldern Südindiens
Ein Gewürzladen in der Hafenstadt Kochi, Indiens bedeutendstem Umschlagplatz für Gewürze.

Ein Gewürzladen in der Hafenstadt Kochi, Indiens bedeutendstem Umschlagplatz für Gewürze.

Beim Einwiegen von Pfeffer – Berge von Gewürzen werden hier sortiert und verpackt. Fotos: Stummerer

Beim Einwiegen von Pfeffer – Berge von Gewürzen werden hier sortiert und verpackt. Fotos: Stummerer

Von Sonja Stummerer

Als Synonym für unendlich weite Ferne, verschickt ein altes Sprichwort unbeliebte Zeitgenossen gerne zu den Anbaugebieten des Pfeffers. Tatsächlich wissen aber nur die wenigsten Europäer, wo sich diese überhaupt befinden. Während Pfeffer heute vor allem in Brasilien, Indonesien und Malaysia angebaut wird, liegt die Wiege des wichtigsten Welthandelsgewürzes im äußersten Süden Indiens. Heute sind es Touristen, die von den magischen Düften der Vanille, von Muskat und Nelken nach Kerala gelockt werden, früher war der zweitkleinste südliche Bundesstaat der Republik Indien das Ziel zahlloser Entdecker und wagemutiger Seefahrer.

Gepfefferte Preise

Im Mittelalter stand Pfeffer hoch im Kurs, sowohl was die Nachfrage als auch was den Preis betraf. Sein Konsum versprach Exklusivität und gesellschaftliche Anerkennung. Öffentlich zur Schau gestellter, verschwenderischer Umgang mit der exotischen Zutat symbolisierte Reichtum und Macht. Der Wert von Pfeffer übertraf zeitweise sogar jenen von Gold, umso selbstsicherer verzehrten jene, die es sich leisten konnten, die kleinen schwarzen Körner gleich löffelweise. Daher ist es kein Wunder, dass die Aussicht auf den einträglichen Handel mit den Früchten der tropischen Kletterpflanze unzählige Abenteurer ermutigte, die noch unbekannten Weltmeere zu bereisen. Die Gier nach den begehrten, scharfen Körnen war stärker als die Angst vor Stürmen, Magnetbergen und dem Ende der Welt.

Mittlerweile mit rund neun Flugstunden deutlich näher gerückt, offenbart der Südwesten des indischen Subkontinents dem Reisenden auch heute noch ein Naturerlebnis der Sonderklasse. Die tropische Vegetation gibt einen Eindruck davon, wie der Garten Eden einmal ausgesehen haben könnte: saftige grüne Reisfelder und Kokospalmen prägen die Niederungen entlang des indischen Ozeans. Tee, Kaffee, Gummibäume und Gewürze säumen die Hänge des West-Ghats-Gebirges, das mit knapp 2.000 Metern Höhe die rund 34 Millionen Keraliten vom Hinterland abschirmt.

Der nur 550 Kilometer lange und maximal 150 Kilometer breite Bundesstaat gehört zu den sozial ausgewogensten Gebiete Indiens. Die Alphabetisierungsrate (89 Prozent) und die Lebenserwartung (73 Jahre) sind so hoch wie nirgendwo sonst in dem großen Land. Im Gegenzug sind Kindersterblichkeit und Bevölkerungswachstum überdurchschnittlich gering. Der Ursprung dieser Erfolgsbilanz liegt neben der Landreform der seit 1957 mit einigen Unterbrechungen amtierenden, kommunistischen Regierung auch im einzigartigen Reichtum der Natur. Begehrte Gewürze wie Zimt, Ingwer oder Pfeffer gaben schon vor Jahrhunderten Anlass zur Erkundung des Gebietes und lockten Händler aus aller Herren Länder in die tropischen Wälder Keralas.

Bereits 1498 landete der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama an der südindischen Küste. Der Fall Konstantinopels als Gewürzdrehscheibe zwischen Asien und Europa hatte den altbewährten Landweg für europäische Händler abgeschnitten und einen Wettlauf um die Entdeckung eines Seeweges nach Indien entfacht. Portugal entschied das Rennen für sich und besiegelte damit den Abstieg des durch den Pfefferrausch reich gewordenen Venedigs.

Jener Ort, der Vasco da Gamas Grabstätte beherbergt, ist das erste Ziel unserer Reise zum Ursprung des Pfeffers. Die romantische Hafenstadt Kochi gilt nach wie vor als bedeutendster Umschlagplatz Indiens für den weltweiten Gewürzhandel. Wie die portugiesischen Abenteurer vor 500 Jahren, folgen wir den Gerüchen der Gewürze und landen im ehemals jüdischen Viertel der Stadt. Eine kleine Synagoge erinnert an jene Händler, die – abgeschieden von Europas Antisemitismus – die Geschäfte zwischen Plantagenbesitzern im Hinterland und den Händlern an der Küste abwickelten. Im Umkreis der religiösen Stätte aus dem 17. Jahrhundert säumen unscheinbare Lagergebäude die schmalen Straßen, hinter deren einfachen Toren sich paradiesischer Überfluss verbirgt.

Das Lager der Düfte

Die Böden der abgedunkelten Hallen sind mit schwarzen Körnern übersät, dahinter stapeln sich Dutzende Säcke, gefüllt mit scharfem Gold, und warten auf den Abtransport in alle Kontinente dieser Welt. Die Luft surrt vor Hitze, einzelne Sonnenstrahlen fallen wie Scheinwerferkegel in den düsteren Raum. Berge von Kardamom, Pfeffer, Muskat, Zimt und Chili werden hier gesiebt, sortiert, verpackt und verschifft. Jeder Raum beherbergt andere Düfte und, dort wo die Sonne eindringen darf, Farben. Die Arbeiter laufen mit bloßen Füßen über die aufgeschütteten Gewürzberge, füllen und wiegen grob gewebte Säcke, ehe sie diese schwitzend durch den Raum wuchten.

An den Eingängen der Hallen residieren die Besitzer der wohlriechenden Schätze. Mit Telefon und Papieren hantierend, walten Großhändler an schweren Schreibtischen ihres Amtes und verhandeln mit New York, London oder Dubai. In Gummisandalen und mit leichten Hemden bekleidet, kontaktieren sie die wichtigsten Wirtschaftsmetropolen der Welt, verkaufen Pfeffer containerweise in arabische Staaten oder Chili nach Südamerika. "Nur die deutschsprachigen Länder sind schlechte Kunden" , erklärt Kannan Balachandraw, Gewürzhändler und Besitzer des "Spice Market" im jüdischen Viertel von Kochi. Als Großhändler kennt er seine wichtigsten Märkte, namentlich jene Orte, an denen viele ausgewanderte Inder leben. "Schärfe ist nicht jedermanns Sache, für andere hingegen beinahe lebensnotwendig" , fügt Balachandraw lächelnd hinzu, "Allein meine vierköpfige Familie verspeist ein Kilogramm Pfeffer pro Monat!"

Kerala zählt nach wie vor zu den wichtigsten Gewürzlieferanten der Welt, wobei die Produktion oft alles andere als im großen Stil abläuft. "Pfeffer wächst hier praktisch an jeder Ecke. Wer in seinem Vorgarten drei Pflanzen hat und mehr erntet als er für den Eigenbedarf benötigt, bringt den Rest zu Sammelstellen." In Kochi werden die Körner dann sortiert und auf ihre Qualität hin überprüft. Jeder Großhändler beschäftigt zu diesem Zweck eigens ausgebildete Spezialisten, die die 13 verschiedenen Sorten schwarzen Pfeffers an Geruch und Aussehen ebenso unterscheiden können wie die 32 verschiedenen Chili-Arten oder die 12 unterschiedlichen Ingwerpflanzen. Diese verantwortungsvolle Tätigkeit setzt viel Erfahrung und spezielle Kenntnisse voraus, die innerhalb einer Familie traditionellerweise von Generation zu Generation weitergegeben werden. Der Prüfer entscheidet auch über den weiteren Verwendungszweck der Pfefferkörner, denn nicht alle wandern automatisch in den Kochtopf. Bestimmte Sorten finden auch in Medizin und Kosmetik Verwendung.

Auf der Suche nach den großen Anbaugebieten der begehrten Geschmacksbringer verlassen wir die Handelsmetropole in Richtung Urwald. Vom Umschlagplatz des Pfeffers geht es weiter zu seinem eigentlichen Ursprung, den Gewürzplantagen auf den umliegenden Bergen. Dem alten Sprichwort folgend, wollen wir dorthin, wo der Pfeffer wächst. Die Fahrt zu den sogenannten Kardamom-Bergen im Hinterland Kochis ist beschwerlich, aber lohnend. Kautschuk- und Teeplantagen, Wasserfälle und der Ausblick über die grün wuchernden Hügel lassen das Herz jedes Touristen höher schlagen. Nebelschwaden steigen zwischen den Abhängen des Dschungels auf, während sich das Auto, ein altmodisch anmutender indischer Ambassador, zwischen unzähligen Schlaglöchern die steilen Serpentinen hinaufkämpft.

Vom Kardamom über Kurkuma bis zur Topinambur wachsen hier, in den tropischen Höhen Keralas, mit Ausnahme von Mohn alle weltweit bekannten Gewürze. Ein Gutteil der landwirtschaftlichen Aufmerksamkeit gilt dennoch dem Pfeffer, "der Essenz des Lebens" , wie uns der beleibte Rikschafahrer auf der Fahrt zu einer der Plantagen erklärt. Endlich am Ziel, macht sich Verwunderung breit: Keine Plantage, so weit das Auge reicht, stattdessen wucherndes Grün und das Surren des tropischen Waldes. Inmitten des Dschungels gedeiht die würzige Nutzpflanze an steilen Hängen, umgeben von Urwaldriesen, Gebirgsbächen und Moskitos.

" Pfeffer gehorcht den Gesetzen des Urwalds, nicht jenen einer Monokultur" , erklärt unser indischer Begleiter und deutet auf eine hohe, dürre Pflanze, die sich an einem schlanken Baumstamm hochrankt. Ribiseln gleich, hängen die kleinen Körner an dünnen Rispen, die bis heute von Hand und zumeist unreif – also grün – geerntet werden. Die verschiedenfarbigen Pfeffersorten stammen nämlich keineswegs von unterschiedlichen Pflanzen, wie der freundliche, junge Inder erklärt. In Wahrheit handelt es sich dabei um die verschiedenen Reifegrade ein und derselben Frucht.

Die Schärfe unter der Schale

Wie bei Kirschen oder Erdbeeren zeigt auch beim Pfeffer die rote Farbe den vollreifen Zustand an. Etwa zwei Monate davor ernten ihn die Bauern noch grün, diese Farbe behalten die Körner nur bei sehr kurzer Trocknungszeit oder wenn sie in Salzlake eingelegt werden. Trocknet grüner Pfeffer kontrolliert mehrere Tage lang, verrunzelt er und wird schwarz – die schärfste Variante.

Die Schärfe, das Piperin , liegt direkt unter der Schale, während die duftenden ätherischen Aromastoffe im Inneren des Korns verborgen sind. Deshalb ist weißer, also geschälter, roter Pfeffer auch wesentlich milder und aromatischer als die schwarze, ungeschälte Version.

Kaum zu glauben, dass die kleinen Früchte dieser unscheinbaren Kletterpflanze die Entdeckung Amerikas ebenso zu verantworten haben wie zahlreiche Kriege, die rund um den einträglichen Pfefferhandel geführt wurden. Allen weltgeschichtlichen Ereignissen zum Trotz herrscht dort, wo der Pfeffer wächst, unbezwingbar die Natur. Die landschaftliche Schönheit lässt einen die verwünschende Böswilligkeit des alten Sprichwortes im ersten Augenblick gar nicht verstehen.

Tatsächlich bezieht sich die Redensart auf eine französische Strafkolonie, die im Gebiet der Insel Cayenne lag. Da das Lager, zu dem auch die Teufelsinsel gehörte, 1938 aufgelassen wurde, geht der vielzitierte Ausspruch heute gänzlich ins Leere. Ganz abgesehen davon, zählt der Cayennepfeffer, botanisch betrachtet, gar nicht zu den Pfeffer-, sondern zu den Paprikapflanzen.

Sonja Stummerer , geboren 1973, lebt als Architektin, Designerin und Autorin in Wien.

Freitag, 19. August 2005

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