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Vom Luxusgut zum Aromastoff

Kleine Kulturgeschichte der Gewürze
Von Hilde Weiss

Ihr Einfluss auf die Geschichte ist beträchtlich. Sie zählen zu den ältesten und lukrativsten Handelsobjekten. Entdeckungsreisen, Eroberungen und Kriege wurden ihretwegen unternommen. Von ihnen hing das Schicksal ganzer Städte und Länder ab. Und sie halfen, Wissenschaft und Fortschritt anzukurbeln. Die Rede ist von Gewürzen. Bis auf das Salz braucht der Mensch sie für sein Wohlergehen zwar nicht unbedingt, er begehrte sie aber zu allen Zeiten so sehr, dass er viel für sie zu unternehmen und zu wagen bereit war.

Kaum jemals wollten sich Menschen aber mit dem begnügen, was an Gewürzpflanzen vor ihrer eigenen Haustür wuchs. Der Transport, anfangs vorwiegend aus Indien, war lang, teuer und risikoreich, aber bei völlig freier Preisgestaltung - jede Gewinnspanne war hier möglich! - äußerst gewinnversprechend.

So war die Vormachtstellung im Gewürzhandel von Anfang an heiß umkämpft. Und Gewürze standen ganz oben auf der Liste der Beweggründe, die die Europäer nach Amerika, Asien und Afrika trieben, zu Unterwerfung, Ausbeutung, Vertreibung und immer neuen Kriegen.

Symbole des Reichtums

Gewürze machten reich und eigneten sich hervorragend dazu, Reichtum zu demonstrieren. Schon seit der Antike waren sie eines der bevorzugten Mittel zur sozialen Distinktion und Selbstaufwertung. Die würzigen Kostbarkeiten, von denen manche zeitweise mit Gold aufgewogen wurden, wurden in wertvollen Behältern aus ebendiesem oder aus Silber oder Porzellan aufbewahrt. Nur wenige waren es jeweils, die sich die importierten Exoten leisten konnten, und auch sie würzten die Grundnahrung nur sparsam.

Je höher eine Speise aber in der Beliebtheitshierarchie stand, je ausgeprägter ihr Feiertagscharakter war, desto mehr Gewürze kamen zum Einsatz. Und die Auswahl war groß. Mindestens 80 verschiedene Gewürze werden in antiken römischen Kochbüchern erwähnt. Schon im 7. Jahrhundert zählte Erzbischof Isidor von Spanien 133 Gewürzmittel auf. Und es wurden immer mehr.

Zu Demonstrationszwecken eignete sich natürlich Safran, von jeher das teuerste Gewürz, am allerbesten. Vor allem römische Kaiser stellten auf diese Weise gern ihre Macht zur Schau. So ließ Nero die Straßen Roms mit Safran bestreuen, um seine Triumphe zu feiern. Hadrian ließ safrangefärbte Flüssigkeit über die Stufen des Theaters vergießen. Und Heliogabal badete demonstrativ in safrangefärbtem Wasser. Kaum sonst jemand auf der Welt hätte sich das leisten können. Die meisten Menschen haben in ihrem ganzen Leben nicht die winzigste Prise Safran zu schmecken bekommen. Selbst in Griechenland trugen Götter und Helden allerersten Ranges ihre safrangefärbten Gewänder nur in Erzählungen.

Die Geschichte der Würzsitten ist aber auch eine Geschichte der Verfälschungen und billigen Substitute. Alle Gewürze wurden gerne verfälscht, mit besonderer Vorliebe aber natürlich der teure Safran. Von Ringelblumenblüten bis Sägespänen war alles zu finden. Im Mittelalter wurde das "Gewürzschmieren" unter schwere Strafen gestellt. Mancherorts landeten Safranfälscher sogar auf dem Scheiterhaufen oder wurden lebend begraben.

Auch mit dem Pfeffer war es den Menschen von jeher sehr ernst. Er war, abgesehen vom Salz, das mit Abstand am meisten benutzte Gewürz. "König der Gewürze" wurde er daher genannt. Im antiken Rom war er heiß begehrtes Statussymbol. Fast allen Lebensmitteln wurde er verabreicht, ohne Pfeffer ging in der römischen Küche nichts. Und durch ihre große Pfefferleidenschaft kam nach und nach ganz Europa auf den Geschmack. Als der Westgotenkönig Alarich im 5. Jahrhundert Rom belagerte, forderte er als Tribut für einen möglichen Abzug 1.500 kg Pfeffer. Offenbar bekam er seinen Pfeffer nicht, denn bekanntlich kam es Mitte August 410 zur welterschütternden Eroberung und dreitägigen Plünderung Roms.

Auch im Mittelalter waren Pfefferkörner nicht nur im Kochtopf, sondern als bare Münze gern gesehen. Die Sprache weist bis heute auf die historische Wichtigkeit des Pfeffers hin. "Wo der Pfeffer wächst", das beschäftigte die Menschen natürlich. Aufgezeichnet wurde diese Redewendung erstmals um 1500, in Gebrauch war sie schon sehr viel länger. Auch das Wort "gepfeffert", zum Beispiel auf Preise bezogen, ist sehr alt, und ebenso die "reichen Pfeffersäcke", ursprünglich nur auf Gewürzhändler bezogen.

Die Gründe, warum der Mensch sich seine Gewürze so viel kosten ließ, waren breit gestreut. Bis heute gehalten hat sich der Wunsch, das Geschmacksempfinden zu steigern. Gewürze verändern, verbessern oder verstärken den Eigengeschmack von Lebensmitteln. Natur pur war dem Menschen von jeher offenbar zu eintönig. Manche Gewürze machen Speisen aber auch leichter verdaulich. Und die meisten Gewürze machen sie haltbarer.

Unter reichlich Gewürzen ist aber auch gut Verbergen: Das Rezept ist lange bekannt. Für das 16. Jahrhundert formulierte es Johann Fischart in seiner Gargantua-Bearbeitung: "Über ein stinkend Fleisch macht man gern ein Pfeffer."

Auch in unseren Breiten ist früher schärfer gegessen worden, was Eigengeschmack und Frischheitsgrad der Speisen oft gänzlich überdeckte. Durch die Erfindung des Kühl-schranks könnten wir heute mit sehr viel weniger Würze auskommen. Und durch den Wohlstand sollten wir eigentlich nicht viel zu verbergen haben. Der Pro-Gaumen-Konsum an Würzmitteln war aber noch nie so hoch wie heute. Gewürze waren aber auch noch nie so leicht für alle erreichbar. Allerdings werden heute mildere und deutlich differenziertere Geschmacksrichtungen bevorzugt.

Erst im 20. Jahrhundert erfolgte der Abstieg der Luxusgewürze zur wenig beachteten Alltäglichkeit. Die Preise verfielen und damit Image und Prestige, die Möglichkeit, sich sozial auszudrücken und abzugrenzen und das Gefühl des Besonderen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es bereits industriell gefertigte Würzextrakte, und kurz darauf erfreuten die flüssigen Suppenwürzen die Gaumen mehr oder weniger.

Sieg der Künstlichkeit

Die größte Revolution in der jahrtausendealten Würzgeschichte ereignete sich aber erst in den letzten Jahrzehnten, und zwar in Form der gänzlich im Labor komponierten künstlichen Aromastoffe. Bar jeder natürlichen Basis, sind sie zwar heftig umstritten, werden aber dennoch täglich millionenfach konsumiert und gelten bereits, ohne Langzeituntersuchungen über gesundheitliche Auswirkungen, als unentbehrlich.

Untersuchungen an amerikanischen Studenten haben ergeben, dass sie künstliches Erdbeeraroma Erdbeeren vorziehen, mit der Begründung: es schmecke mehr nach Erdbeeren als Erdbeeren. Andere Versuchsreihen in anderen Ländern und mit anderen Nahrungsmitteln kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Im Gegensatz dazu waren Würzmittel früher nicht nur Genussmittel, sondern dienten neben dem Gaumenkitzel auch medizinischen und magisch-religiösen Zwecken. Manche Gewürze, vom Althoch-deutschen "wurz" für Pflanze, Kraut, wurden als heilig erachtet und entsprechend achtungsvoll behandelt. Einige wurden als Grabbeigaben gewählt. Und in vielen Kulturen wurden Gewürze, meist durch Verbrennen, der Gottheit geopfert.

Über den materiellen und kulinarischen Wert hinaus waren Gewürze mit geistigen Bedeutungen aufgeladen. Das konnte recht seltsame Ausmaße annehmen, wie die Geschichte des Oreganos zeigt, der als Heil- und Zaubermittel begehrt war, galt er doch als Abwehrmittel für alles Böse, Hexen zum Beispiel. Medizinisch kam er bei Ohrensausen und Ohrenerkrankungen zum Einsatz und später bei allen Arten von Verdauungsbeschwerden. Auch gegen Schwermut soll er wirken: "Wohlgemut" nannte man ihn daher.

Als normales Gewürz hatte er hingegen wenig Bedeutung. Dazu waren offenbar die medizinische und die religiöse Aufladung zu groß. So soll Maria aus Oregano ein Bett für Jesus bereitet haben, um jede Beeinträchtigung fern zu halten.

Auch das Basilikum war stark mit Gefühlen und Vorstellungen besetzt. In diesem Fall allerdings mit sehr ambivalenten. Im alten Indien galt es als heilige Pflanze und wurde als Lieblingskraut Vishnus verehrt.

Durch die Feldzüge Alexanders des Großen wurde es nach Griechenland verschleppt, wo man allerdings weit weniger mit ihm anzufangen wusste. Diese Gleichgültigkeit schlug bei den Römern dann in offene Abneigung um. Sie bezeichneten das Basilikum als Pflanze des Hasses und erzählten schreckliche Schauergeschichten, so zum Beispiel, dass es Skorpione hervorbringe.

Aberglaube ist zäh: Noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts berichteten ein Jesuitenpater und ein Arzt vom angeblich geglückten Experiment, Skorpione aus zerriebenen und befeuchteten Basilikumblättern zu ziehen. Basilikum sei schädlich, warnten viele Ärzte bis ins späte Mittelalter. Erst ab dem 16. Jahrhundert wurde es langsam wieder beliebter.

Grabbeigaben und Heilmittel

Eine ähnlich wechselhafte Geschichte hat der Koriander. Im Orient wurde er heiß geliebt und in manchen Teilen Asiens als so wichtig erachtet, dass er als Grabbeigabe gewählt wurde. Die Griechen schätzten ihn nicht besonders, aber gleich darauf handelten ihn die Römer als eines der wichtigsten Gewürze. Im Mittelalter fiel er wieder in Ungnade und kam lediglich als Heilmittel gegen Husten und Tollwut zum Einsatz. 1543 beanstandete der Botaniker Leonhart Fuchs: "Kein wantz kan nit so übel stincken als der gruen Coriander".

In der arabischen Welt und in Asien war man vom Gegenteil überzeugt und bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen. Ab dem 17. Jahrhundert kam man dann aber auch noch in Europa auf den Geschmack, wo sich übrigens manche gerne den Kaffee pfefferten.

Auch der Rosmarin, vom Griechischen "duftenden Busch", fand seit der Antike viel Verwendung. Zum Beispiel als Zierstrauch, Bienenweide oder Totenpflanze. Niemand kam jedoch auf die Idee, ihn ins Essen zu tun, vermutlich, weil er als Heimstatt für Geister galt. Ob als Heimstatt für gute oder böse Geister, diese Zuschreibung variierte. Jedenfalls war Rosmarin bei Hochzeiten ebenso unentbehrlich wie rund ums Sterben. Erst Jahrhunderte später, als die symbolische Bedeutung nachließ, entdeckte man seine Würzkraft.

Ebenso wurde die Muskatnuss früher anders gesehen. Vor ihrer Karriere als Gewürz diente sie als Rauschmittel. In großen Mengen wirkt sie nämlich ähnlich wie Haschisch. Allerdings war sie von jeher ein teures Luxusgut. Die Berauschung großer Teile der Bevölkerung war also nicht zu befürchten.

Neben der religiösen und magischen Besetzung war aber auch das Wissen über die Gewürzpflanzen viel weiter verbreitet als heute. Man wusste nicht nur, welche Gewürze aus welchen Blättern, Blüten, Zwiebeln, Samen, Sprossen, Stengeln oder Wurzeln zu gewinnen waren, man wusste auch vieles über ihre Wirkung. Heute wird das alte Wissen in umfangreichen Studien belegt. Und dabei natürlich die Spreu vom Weizen getrennt.

Als gesichert gilt, dass Majoran Bronchien, Magen und Nerven gut tut, Paprika Herz, Nieren und Verdauung stärkt, Basilikum bei Blähungen und Nervosität hilft und Oregano bei Stress und Ungeduld. Thymian stärkt den Körper bei Entzündungen und Infektionen und lindert Angstzustände, und Pfeffer regt an, wirkt durchblutungsfördernd und stärkt bei Schwächezuständen und Depressionen.

Pfeffer, auch Cayenne-Pfeffer, erhöht die Speichelabsonderung und fördert somit eine zügige Verdauung. Anis steigert sanft die Gallenproduktion, regt die Magensaftbildung an und wirkt bei Erkältungen schleimlösend, und Rosmarin stärkt das Herz und die Verdauung.

Auch die Psychologie interessiert sich heute für Gewürze. So wurde festgestellt, dass Menschen mit konservativer Einstellung konservierte Nahrungsmittel, vor allem Geräuchertes, bevorzugen. Menschen, die viel denken, greifen bevorzugt zu salziger Nahrung. Und die, die es nach stark Gewürztem gelüstet, sind laut Psychologie auf der Suche nach neuen Eindrücken und Reizen, trauen sich aber noch nicht so recht.

Wer Gewürze meidet, geht demnach auch sonst Herausforderungen aus dem Weg, schreckt vor Konfrontationen zurück und verzichtet durch übertriebene Zurückhaltung auf die "Würze des Lebens".

Freitag, 26. Mai 2000

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