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Die Könige der Düfte

Das alte Handwerk des Seifensiedens ist noch immer attraktiv
Von Georg Oswald

Mit stolzem Lachen streicht Friedrich Weiss mit ausladender Handbewegung über sein Seifensortiment. Der Hut, den dieser Herr, ganz der alten Schule verpflichtet, beim Eintritt oder Weggang einer "Kundschaft" hebt, ist genauso zu seinem Markenzeichen geworden wie seine geradezu jugendlich wirkende Haut, die der Siebzigjährige gerne genau begutachten lässt. "Der letzte Seifensieder von Stadlau", wie er sich selbst tituliert, führt zusammen mit seiner Schwester Gisela ein Geschäft mit Reinigungsmitteln im weitesten Sinn. Doch sein wahrer Stolz sind seine kalt gerührten Kokosfettseifen.

"Machen Sie es so wie ich", fordert der Geschäftsinhaber einen neugierigen Kunden in dem kleinen Schauraum in der Langobardenstraße auf, in dem historische Maschinen zur Seifenherstellung aufgestellt sind. Dann streicht er mit dem Daumennagel über den randvoll gefüllten Bottich mit Kokosfett und nimmt das Abgeschabte in den Mund. Es ist reines Kokosfett, das als Basis für die Seifenproduktion verwendet wird. Der umtriebige Herr untermalt seinen Rundgang mit Erzählungen über die heutigen Usancen der Seifenfabrikation. Auf drei Ebenen werde da gearbeitet, der Ausstoß könne in Tonnen Seife pro Stunde angegeben werden,

die Verbesserungen ließen sich

lediglich im Bereich der Geschwindigkeit und in den Gewinnmargen feststellen. Auf die

Eigenschaften des Produkts Seife habe sich der technologische Fortschritt seit den letzten hundert

Jahren hingegen kaum positiv

ausgewirkt. Im Gegenteil, "die Qualität der Seifen lässt zu wünschen übrig", meint Friedrich Weiss. Und mit all diesen Entwicklungen wollte und konnte der traditionelle Seifenproduzent nicht mehr mithalten.

Kalt gerührt

Die Seifenherstellung hat er von seinem Vater übernommen, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Stadlau übersiedelte, weil die alte Produktionsstätte im siebten Wiener Bezirk von Bomben getroffen worden war. Der Weg an den Stadtrand war eine Rückkehr zu den historischen Wurzeln des Handwerks, denn die historischen Seifensieder, allesamt mit tierischen Fetten als Ausgangsstoff arbeitend, teilten sich die Stätten vor den Stadtmauern mit den Gerbern, den Abdeckern, den Knochen- und Flecksiedern.

So weit hat sich Vater Weiss allerdings nicht in die Vergangenheit zurück bewegt. Er sammelte zwar historische Rezepturen, in denen Friedrich Weiss heute gerne stöbert, er selbst arbeitete aber doch mit einem verhältnismäßig neuen Verfahren: Das "Brockhaus Konversationslexikon" aus dem Jahr 1895 erwähnt den Gebrauch von Kokosfett und Palmenöl als Grundlage des damals neuartigen Verfahrens in der Seifenproduktion, der kalt gerührten Seifen. Verwendet man die genannten Grundstoffe, tritt der Verseifungsprozess schon bei niedrigeren Temperaturen ein.

Der Vorteil dieser damals "neuen" Methode: das Glycerin, das bei industriell gefertigten Seifen vollständig aus der Seifenmasse herausgelöst wird, bleibt erhalten und sorgt dafür, dass die Haut nicht austrocknet. Außerdem zeigt sich hier auch ein friedfertiger Aspekt der handgefertigten Seife: Seit der Erfindung des Dynamits wird das Glycerin, das bei industriell gefertigten Seifen entsteht, unter anderem zu Nitroglycerin weiterverarbeitet. In Kriegszeiten hatte die Rüstungsindustrie auf dieses Nebenprodukt der Seifenherstellung ein besonderes Auge geworfen. Und da in Kriegszeiten fette Substanzen rar waren, wurde Seife nur gegen Bezugskarten ausgegeben.

Die Kernseife, die Friedrich Weiss ebenfalls im Programm hat, ist eigentlich ein Produkt vergangener Zeiten. Vor gar nicht allzu lang verflossenen Zeiten war es noch gang und gäbe, sich nur einmal pro Woche ordentlich zu baden. Da brauchte man kräftige Hilfsmittel, die aber auch bei der sonst

üblichen Katzenwäsche ihre Kraft entfalten konnten. Heute, bei geänderter Lebensweise und stärker ausgeprägten hygienischen Bedürfnissen, sind so derbe Hilfsmittel unerwünscht, was der Volksmund mit der Warnung, die Haut könne davon Löcher bekommen, möglicherweise allzu vorsichtig kommentiert.

Alpenspeik und Roter Mohn

Was nach vielen Jahren des Probierens und Experimentierens herausgekommen ist, findet seinen Niederschlag im aktuellen Angebot der Stadlauer Seifensiederei. An die einhundert Seifen verschiedenster Duftrichtungen sind in einem

großformatigen Faltblatt, dem aktuellen Katalog, aufgelistet, von den rustikalen Richtungen wie "Alpenspeik" oder "Arnica" über die

distinguierten Noten wie "Lavendel aus der Provence", "Roter Mohn" oder "Venezianische Zitrone" bis

zu den Phantasieprodukten wie "Oriental Dreams", "Millennium" oder schlicht und einfach "Sensationell".

Neben dem festen Grundstock kommen immer wieder neue

Duftrichtungen hinzu wie unlängst "Sisi", das Prunkstück der Liste.

Die Namen geben nur eine

ungefähre Vorstellung von der Duftrichtung an. Was genau und in welcher Menge beigesetzt wird, das behält der Schöpfer seiner Seifenvielfalt für sich. Ob Jojobaöl oder Chanel, Stutenmilch, Myrtenöl oder Shea-Butter - alle Spiele mit den Düften schlagen sich in Preissprüngen nach oben oder unten nieder.

Die bewusst karg gehaltene Form der quadratischen Seifenblöcke ist zum Markenzeichen des Hauses geworden. Alle Seifen sehen aus, als würden sie seit der Erfindung der transparenten Plastiksackerl, in denen sie stecken, unverändert so daherkommen. Sie werden mit einer Klavierseite aus einem großen Block herausgeschnitten und zu je 125 Gramm abgepackt. Das einzige Ornament in dieser bewussten Einfachheit ist das Etikett in Frakturschrift.

Seifen für alle Lebenslagen

Und welche Seife verwendet der Schöpfer dieser Vielfalt selbst? Da gebe es keine bestimmte, sagt er. Er müsse ja alle ausprobieren, um zu wissen, wie sie wirken. Nur zum Händewaschen sind seine Seifen aber ohnehin nicht gemacht. Er selbst verwendet Seife auch zum Haarewaschen und sogar zum Zähneputzen. "Natur pur. In der Zahnpaste steckt doch nur Chemie", behauptet er selbstsicher und bringt damit seine Kunden zum Schmunzeln.

Wer sich eingehender mit dem Thema Seife beschäftigt - sei es aus Misstrauen gegenüber den chemischen Formeln auf den Etiketten industriell gefertigter Stücke, sei es wegen Allergie und Dermatitis oder aus purer Neugierde -, der findet im Internet ein üppiges Angebot vor, aus dem man sich je nach Lust bedienen kann.

Für die einen gehört das Seifensieden in den esoterischen Bereich der Hexenkessel, andere können ihre Freude an der

Seife am besten in Maßeinheiten, Tabellen und Kalkulationen ausdrücken. Die Interessierten nutzen globale Handelsnetze und tauschen ihre Erfahrungen in eigenen Diskussionsforen aus, plündern die Aufzeichnungen der Groß- und Urgroßeltern, denen noch unterschiedlichste Herstel-lungsarten

geläufig waren. So wird das Seifensieden zum individuellen Abenteuer, an dem man mit gebotener Vorsicht auch Kinder teilhaben

lassen kann. Der Fantasie ist hier offenbar keine Grenze gesetzt: Wein, Bier, Seide, Algen, Obst

und Gemüse, der gesamte Kräutergarten - fast alles kann zu Seife werden. Zu Rasierseife für sie

und ihn, zu transparenten oder bunten Seifen. Ein Trend lässt

sich aber unter allen Selbst-

siedern feststellen: den pflanzlichen Ölen und Fetten wird entschieden mehr Aufmerksamkeit gewidmet als den tierischen Ausgangsprodukten.

Die Seifenfanatikerin Claudia Kasper, die ebenfalls in Stadlau wohnt, bietet auf ihren beiden Internetseiten (http://www.naturseife.com und http://www.seifensieder.info) Anleitungen für Anfänger, aber auch Orientierungshilfen für fortgeschrittene Infizierte in Sachen Seifenherstellung in Eigenregie. Das Grundrezept klingt recht einfach. Neben den Ausgangsstoffen legt man sich geeignete Töpfe zurecht, eine luftige Kochstelle, Handschuhe und Schutzbrille. Ein Thermometer und ein Stabmixer erleichtern den Rührprozess. Über das richtige Mischungsverhältnis des anvisierten Endprodukts gibt ein Seifenrechner Auskunft.

Ob man nun Sesam-, Lorbeer- oder Mohnöl verwendet, das Angebot im türkischen Lebensmittelgeschäft oder im Asia-Shop trägt zur Experimentierfreude der Hobbysieder bei. Am Anfang wird man sich wohl mehr auf die richtige Konsistenz der Fett- und Ölmischung konzentrieren. Mit wachsender Erfahrung kann man das Augenmerk auch auf Modeln richten, die von den üblichen geometrischen Formen bis zu dem sehr ausgefallenen 1:1-Modell der Venus von Willendorf reichen.

Die Seife der Kleopatra

Mit Exotischem wartet Bettina Gramath in ihrem Geschäft "Soaps &More;" in der Wiener Innenstadt auf. Direkt aus Syrien importiert sie die Aleppo-Seife, die unter Kennern auch als "Seife der Kleopatra" bekannt ist und aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Lorbeer-, Palm- und Olivenöl als besonders hautfreundlich gilt. Aleppo, die zweitgrößte Stadt Syriens, ist zwar nicht der einzige Produktionsort dieser Seifenart, wohl aber der berühmteste. Archaische Herstellungsmethoden sowie die monatelange Lagerung nach dem Verseifungsprozess sorgen für das besondere Flair dieser Seife.

Herald Gessinger aus Bernhardsthal beschäftigt sich ebenfalls hingebungsvoll mit dem Thema Seife. Auf seiner Website, http://www. seifen.at, die auch mit einem Seifenrezept auf Tschechisch aufwarten kann, findet man allerhand Historisches. Der Erfahrungsaustausch und das Tüfteln, das interessierte Schmökern in alten Rezeptbüchern steht hier im Vordergrund. Wer sich mit dem Gedanken trägt, seine Hygieneprodukte selbst herzustellen, wird für diese praktischen Hinweise dankbar sein.

Wer den Weg zum erfahrenen Seifenexperten abkürzen will, kann sich bei einem Seifenworkshop anmelden, den Gertraud Schweyer (members.aon.at/vivianea/seife/sworkshop.html) in Graz anbietet. Am Wochenende wird hier experimentiert, was das Zeug hält.

Die Wiederentdeckung alter Verfahrensweisen und die Experimentierfreude der Entdecker kommen also der Haut zugute, regen die Duftrezeptoren an und lassen der Phantasie freien Lauf. Die Seife, einst Mangelware, tritt heute vielschichtig auf: als schlichtes Reinigungsmittel, als Ausdruck persönlicher Vorlieben und als Anlass für verspielte Abenteuer.

Informationen:

Stadlauer Seifensiederei Friedrich Weiss,

1220 Wien, Langobardenstraße 26-28, Tel. 01/282 14 72

soaps&more; Bettina Gramath, 1010 Wien, Bognergasse 7, Tel. 01/532 65 60.

Freitag, 03. Dezember 2004

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