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Der Vorläufer des Gürtels

Vor 300 Jahren wurde mit dem Bau des "Linienwalls" begonnen
Von Elisabeth Strömmer

"Ist alles wohl eingerathen worden und högst nöttig, allein ist es zwar jetzt zimblich spath, und all dises viel Zeit erfordert, doch ist besser spath alß niemahlens."

Mit diesen Worten billigte Kaiser Leopold I. am 18. Februar 1704 den Bau eines Verteidigungswalls zum Schutz der Wiener Vorstädte. Zwanzig Jahre waren seit der zweiten Wiener Türkenbelagerung vergangen, als die Frage einer zusätzlichen Befestigungsanlage außerhalb der Stadtmauern neuerlich aktuell geworden war. Heerscharen der Kuruzzen, einer antihabsburgischen Aufstandsbewegung in Ungarn, die sich mit den Türken verbündet hatte, bedrohten die Ost-steiermark und das südliche Niederösterreich. Da auch ein Angriff auf Wien erwartet wurde, kam es im Dezember 1703 zur Einberufung einer Hofkommission, die unter dem Vorsitz des Prinzen Eugen über neue Befestigungsanlagen beratschlagen sollte.

Das Projekt der "Linea"

Zwei Monate später genehmigte der Kaiser das Projekt einer so genannten "Linea", die aus Palisaden und einem Graben bestehen und die Vorstädte in einem unregelmäßigen Halbkreis umgeben sollte. Nach der Einführung einer allgemeinen Schanzsteuer, mit welcher der Bau finanziert wurde, entwarf der Hofmathematiker Johann Jakob Marinoni die Pläne, so dass nach Aussteckung der Trasse am 26. März 1704 mit den Arbeiten begonnen werden konnte. Alle Bewohner der Stadt, die zwischen 18 und 60 Jahre alt waren, mussten Schanzarbeit leisten oder einen Vertreter bereit stellen. Unter Aufsicht des Stadtguardia-Obristen waren täglich etwa 1.000 Personen im Einsatz, die sich selbst mit Schaufeln und Krampen auszurüsten hatten.

Die Baukosten überstiegen das vorhandene Budget jedoch bei weitem. Anfang Juni brachte die neuerliche Einhebung der Schanzsteuer zwar mehr als 80.000 Gulden ein, am 11. Juli 1704 musste der Bau jedoch aus Geldmangel eingestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Höhe der "Linea" - für die sich später der Name "Linienwall" einbürgen sollte - knapp vier Meter. Im Inneren befand sich ein Palisadenzaun aus 24.390 Eichenstämmen, der an beiden Seiten mit einer etwa drei Meter hohen Erdböschung befestigt wurde. Zusätzlich sollte ein dem Verteidigungswall vorgelagerter Graben Schutz vor feindlichen Angriffen gewähren. Mit einer Länge von 13,5 km begann der Linienwall bei St. Marx an der Donau, umschloss die Vorstädte - die heutigen Bezirke III bis IX - in Ecken und Winkeln und endete bei Lichtental wieder am Ufer der Donau. Bereits am 11. Juni 1704 hatte der noch unfertige Wall seine Bewährungsprobe zu bestehen. Die Wiener besetzten die Linien und wiesen einen Angriff von etwa 4.000 Kuruzzen ab.

Der Zugang zur Stadt beschränkte sich von nun an auf neun Tore, die sich an den wichtigsten Ausfallsstraßen befanden: Das St. Marxer, Favoritner, Wienerberger (Matzleinsdorfer), Schönbrunner, Mariahilfer, Lerchenfelder, Hernalser, Währinger und Nußdorfer Tor. Daneben wurden ärarische Gebäude errichtet, im Volksmund die "Linienämter" oder kurz "Linien" genannt. Als Aufschlagämter dienten sie ab 1705 zur Einhebung der Mauten. In unmittelbarer Nähe der über den Liniengraben führenden Zugbrücken wurden zwischen 1740 und 1760 kleine Kapellen, die so genannten "Linienkapellen", erbaut. Sie alle waren dem als Brückenpatron verehrten Heiligen Johannes Nepomuk geweiht. In der heute noch erhaltenen Kapelle an der ehemaligen Hundsturmer Linie nahe der Adresse Schönbrunner Straße 124, die ursprünglich von acht lebensgroßen Heiligenstatuen flankiert war, wurde der Heilige aufgrund der Nähe zum Wienfluss auch zum Schutz vor Hochwasser angerufen. Bei der verschwundenen Kapelle an der Matzleinsdorfer Linie wiederum hielten die Wagen mit den Verurteilten auf ihrer Fahrt zur Hinrichtung bei der "Spinnerin am Kreuz" an, weshalb sie im Volksmund als "Delinquentenkapelle" geläufig war.

Fiskalische Grenze

Seit dem Jahr 1783 führte auch der letzte Weg eines jeden Stadtbewohners durch eines der Tore des Linienwalls. Nach dem generellen Verbot der Kirchenbegräbnisse hatte Kaiser Joseph II. die Errichtung von fünf neuen Friedhöfen hinter den Linien angeordnet. Dem Gedankengut der Aufklärung verpflichtet, wurden die Begräbnisorte aus Angst vor Ansteckungen und zum Schutz des Grundwassers aus dem Stadtgebiet verbannt. Mit der Eröffnung des Zentralfriedhofes im Jahr 1874 hatten die am Rand des Verteidigungswalls gelegenen "communalen" Friedhöfe des Reformkaisers jedoch ausgedient. In den 1920er Jahren wurden sie schließlich von der sozialdemokratischen Stadtverwaltung in Parkanlagen umgestaltet - einzig der Friedhof von St. Marx blieb wegen chronischen Geldmangels der Gemeinde mit seinen mehr als 6.000 Grabsteinen erhalten und steht heute unter Denkmalschutz.

Geldmangel war auch die Ursache, weshalb die zum Teil nur mangelhaft aufgeschütteten Erdböschungen des Linienwalls schon kurz nach ihrer Errichtung wieder verfielen. Manche Abschnitte, wie die Strecke zwischen Wienerberger Tor und St. Marx oder jener in Lichtental, erforderten ständige Reparaturen. Allmählich begannen sich auch Nachlässigkeiten in der Pflege und Bewachung des Erdwalls einzuschleichen, nachdem die unmittelbare Bedrohung Wiens schon kurz nach dem Bau der neuen Verteidigungslinie nachgelassen hatte. Einzelne Anrainer errichteten private Übergänge und ließen ihr Vieh an den Böschungen weiden. Da die Verbote gegen derartige Nutzungen auf Dauer unbeachtet blieben, wurde der Linienwall im Jahr 1718 zum Festungswerk erklärt und wenig später mit Ziegeln befestigt.

Ähnlich dem Glacis vor den Bastionen der Stadtmauer schuf man auch bei den Linienwällen eine Bauverbotszone. Sie betrug außerhalb des Walls 100 Klafter (190 Meter) und innerhalb 12 Klafter (22,80 Meter). An der Wende zum 19. Jahrhundert wurden die Zugbrücken jedoch aufgelassen, der Liniengraben aufgefüllt und absperrbare Gittertore errichtet. Die Linienämter blieben erhalten, der Wall hatte seine fortifikatorische Bedeutung allerdings längst verloren. Mit Einführung der so genannten "Verzehrungssteuer" im Jahr 1829 wurde der Linienwall schließlich zu einer fiskalischen Grenze umfunktioniert. Infolge dieser Besteuerung aller in die Stadt gebrachten Waren war das Leben ab diesem Zeitpunkt in den innerhalb des Linienwalls gelegenen Vorstädten teurer als außerhalb.

Dies hatte auch auf die sozialräumliche Verteilung von Wohn- und Arbeitsstätten große Auswirkungen. Vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten siedelten sich wegen der bis zu zwei Drittel geringeren Lebenshaltungskosten außerhalb der Linie an, sodass der Wall gleichzeitig eine soziale Grenze bildete. Diese Entwicklung führte nicht nur zur vermehrten Ansiedlung von Industriebetrieben in Favoriten, Meidling, Ottakring und Hernals, sondern aufgrund niedrigerer Grundstückspreise auch zum Entstehen von Massenzinshäusern. Gleichzeitig wurden die preisgünstigen Gasthäuser außerhalb des Linienwalls zu beliebten Ausflugszielen für die Bewohner der Vorstädte. Mit der Schaffung populärer Verkehrsmittel, wie dem Zeiserlwagen (einem großen Leiterwagen mit mehreren Sitzgelegenheiten), gab es auch die nötigen Voraussetzungen zur vergnüglichen Stadtflucht.

Zu einem beliebten Treffpunkt wurde der unmittelbar vor dem Linienwall gelegene Vorort Neulerchenfeld, wo es im Jahr 1835 etwa 90 Gasthäuser, Branntweinstuben und Tanzsäle gab. Der Berliner Schriftsteller Adolf Glaßbrenner berichtete 1836 über den "Jubel der untersten Volksklassen, aber ohne Einmischung der Anständigkeit wie im Wurstelprater. Das Volksleben in seiner Wahrheit, ohne Veredelung. Hier schreien und singen die Harfenisten, reißen Zoten und lachen selbst darüber, dort werkelt der Polcinell. Bauern mit ihren Kindern, Gesellen mit ihren Liebsten, liderliche Dirnen, Taschenspieler, kurz: die zweite Auflage des Wurstelpraters, aber in Schweinsleder gebunden." Daran erinnert noch heute an der Ecke Lerchenfelder Gürtel/Neulerchenfelder Straße ein niedriges altes Haus, in dessen Innenhof ein riesiger Götterbaum steht: das Gasthaus "Zum Goldenen Pelikan", vulgo Weinhaus Sittl. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde 1737 erbaut, stand ursprünglich am Rande des Liniengrabens und ist somit das älteste erhaltene Wirtshaus von Neulerchenfeld. Ein weiterer Anziehungspunkt war das von 1856 bis 1870 bestehende Thaliatheater am Beginn der heutigen Thaliastraße. Das nach den Entwürfen von Ferdinand Fellner aus Holz errichtete Gebäude mit drei auf eisernen Säulen ruhenden Galerien bot etwa 4.000 Zuschauern Platz und erlangte vor allem mit der Wiener Erstaufführung von Richard Wagners "Tannhäuser" am 28. August 1857 Bedeutung für das Musikleben der Stadt.

Des Gürtels Grenzcharakter

Dem Verlauf des Linienwalls weitgehend folgend wurde ab 1873, noch außerhalb der alten Verteidigungslinie, die Gürtelstraße errichtet. Erst im Jahr 1891 verlor der Linienwall mit der Eingemeindung der Vororte im Rahmen der zweiten Stadterweiterung seine Funktion als Steuergrenze. Er wurde zwei Jahre später der Stadt Wien übergeben und ab dem März 1894 demoliert. Im folgenden Jahr begann man mit den Bauarbeiten zur Stadtbahn, wodurch die Erinnerung an die ehemalige Befestigungsanlage gewissermaßen erhalten blieb.

Streckenweise als Hochbahn geführt, schuf die Stadtbahn im Bereich des Westgürtels eine noch höhere optische und physische Barriere als der alte Linienwall. Die Stadtbahnbögen wurden nur bei den Einmündungen von Nebengassen offen gehalten und dienten sonst vornehmlich als Magazine und Geschäftslokale. Am Südgürtel bildete die Trasse der Südbahn eine undurchdringliche Grenzlinie.

Ursprünglich als repräsentativer Straßenzug konzipiert, behielt der Gürtel in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte auf vielfältige Weise den Charakter einer Grenze. Der Verlauf des Gürtels stellt auch heute noch eine physische Barriere dar und hat sich in Folge der rapid ansteigenden Motorisierung unter weitgehendem Verlust seiner potenziellen Funktion als Grün- und Freiraum zu einer Sammel- und Verteilerschiene des Individualverkehrs zwischen den inneren und äußeren Bezirken entwickelt. Die verkehrsbedingt abgewerteten Stadtteile entlang der Straße bilden somit weiterhin eine ökonomische und soziale Trennlinie.

Freitag, 19. November 2004

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