Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Arbeiten, schweigen und beten

Eine Reise zu drei romanischen Abteien in der Provence
Von René Freund

Der Fahrer des voll besetzten italienischen Reisebusses scheint es ernst zu meinen: Er braust unbeirrt die Bergstraße hinauf, eine Straße, die für den Bus gerade breit genug ist. Die drei entgegenkommenden Autos zwängen sich in eine schmale Ausweiche linker Hand. Und da bleiben sie auch stehen. Fahrer und Beifahrer steigen aus, schauen in das Tal hinab. Auch Menschen, die dem Klerikalen nicht unbedingt zugeneigt sind, stockt bei diesem Anblick der Atem - und nicht nur wegen der gut 200 Meter hohen Felswand, an deren Rand sie stehen: Im Tal unten liegt die Abtei Sénanque. Umgeben von Lavendelfeldern, strahlen die alten Mauern der romanischen Klosterkirche einen spürbar himmlischen Frieden aus.

Was zuerst auffällt: Die Schönheit des sandfarbenen Steins, der sich perfekt in das Grün der umliegenden Gärten einfügt. Und dann die Harmonie des ganzen Bauwerks - ja, natürlich hat man einmal gelesen, dass die alten Klöster (und je älter, desto perfekter) nach einem überlieferten, esoterisch anmutenden Proportionen-Regelwerk erbaut wurden. Aber dass diese Proportionen auch noch beinahe 1.000 Jahre danach den Betrachter so zu berühren vermögen, ist erstaunlich.

Fotoapparate werden gezückt, die Kunst des Innehaltens scheinen nur noch die Mönche zu beherrschen. Und auch bei denen ist es nicht so sicher. Von unten betrachtet, wirkt Sénanque weit weniger ruhig als aus der Vogelperspektive: Der Parkplatz ist auch in der Vorsaison voll, ein Wächter patrouilliert mit seinem Hund, was immerhin beruhigt, denn in Südfrankreich werden Autos auf Parkplätzen nahe von Sehenswürdigkeiten relativ systematisch aufgebrochen.

In das Innere der Abtei von Sénanque gelangt man durch einen riesigen Shop, in dem die geschäftstüchtigen Mönche alle möglichen Waren anbieten: religiöse und nicht religiöse Bücher, Filme, Seifen und Honig. Der Eintritt kostet etwas, aber was sind schon 5 Euro für das irdische Paradies?

Archaischer Steinaltar

Im Inneren der Abtei wird man, trotz der vielen anderen Besucher, wieder vom Zauber der romanischen Bauweise in den Bann gezogen: Die Kirche in ihrer fast protestantischen "Nacktheit" zeugt davon, dass die Menschen, die sie einst erbauten, nicht auf Prunk und Repräsentation aus waren, sondern auf Stille und Harmonie. Der Steinaltar wirkt ungeschlacht, archaisch. Ganz im Gegensatz dazu vermitteln die Rundbögen des Kreuzgangs eine fast verspielte Leichtigkeit: Hier wandelt man im Schutz der Mauern, sicher vor Regen, Wind und Sonne. Der Kreuzgang bildete nicht nur das Zentrum des Klosters, er diente auch als Ort der Meditation und der Lektüre sowie als Verbindungsglied zwischen den verschiedenen Räumlichkeiten. Von hier gelangt man zum Beispiel ins Dormitorium, den Schlafsaal der Mönche, ins Calefactorium, den ehedem einzig beheizbaren Raum im gesamten Kloster, und in den Kapitelsaal, wo jeden Tag ein Kapitel aus den Benediktinerregeln vorgelesen wurde. Der Kapitelsaal ist der einzige Raum, in dem die Zisterziensermönche sprechen durften.

Das Kloster Sénanque, im Lubéron, dem Herzen der Provence gelegen, wurde 1148 gegründet. Die Bauarbeiten zogen sich - über einige Mönchsleben hinweg - fast 100 Jahre hin. Sénanque gehört zu den besterhaltenen Werken der frühen Baukunst der Zisterzienser. Dieser Orden wurde von Robert de Molesme als benediktinischer Reformorden ins Leben gerufen. Ausgehend vom Stammkloster Cîteaux, im Jahr 1098 gegründet, entstand eine ganze religiöse Bewegung, die 200 Jahre später bereits 700 Klöster in ganz Europa umfasste.

Als einer der wichtigsten Zisterzienser prägte der heilige Bernhard von Clairvaux den Orden nachhaltig. Er bekräftigte die Gebote der Weltflucht, der Arbeit, des Schweigens und des Gebets. Die zisterziensische Reform fand ihre Entsprechung auch in der Baukunst: Eine schmucklose Architektur ohne Skulpturen sollte die Hinwendung zur Verinnerlichung und zum Gebet fördern. Ihre Klarheit wird oft als Strenge ausgelegt, doch dadurch, dass die Ästhetik dieser schlichten Bauwerke ausschließlich der Harmonie der Formen und der Perfektion des Steinverbands entsprang, bezaubern die romanischen Zisterzienserabteien von Sénanque, Silvacane und Le Thoronet, genannt die "drei Schwestern der Provence", bis heute durch ihre Schönheit.

3 Schwestern der Provence

Über Lacoste, wo sich einst der Marquis de Sade in seinem Schloss an den jungen Frauen des Ortes vergangen haben soll, führt uns der Weg weiter nach Silvacane nahe den Ufern der Durance. Silvacane ist die stillste der "drei Schwestern" der Provence. Der große Garten wird nur oberflächlich am Verwildern gehindert. Das Versteckte, das fast Unscheinbare dieser Abtei macht sie zu einer der schönsten romanischen Klosterkirchen Südfrankreichs. Hier kann der Besucher ungestört im Schatten einer Platane verweilen und die Stille genießen.

Auch die Dame am Empfang hat Zeit für ein paar nette Worte - und auch sie empfiehlt, keine Wertgegenstände im Auto zu lassen. Diebe gab es um 1144 wahrscheinlich auch, als sich die Mönche an jenem sumpfigen Ort niederließen - Silvacane leitet sich von Silva cana, Schilfrohrwald, ab. 1175 begann unter Bertrand des Baux der Bau der Abtei, die im 13. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte. Laut einer Urkunde aus dem Jahr 1213 lebten in Silvacane mindestens 22 Mönche und 17 Laienbrüder. Der Hundertjährige Krieg und zahlreiche Naturkatastrophen trafen Silvacane besonders hart, und nach der Französischen Revolution dienten die verfallenden Mauern als Hühner- und Schweinestall. Und das war noch ein Glück, denn ursprünglich wollte ein Steinbruchbesitzer 1790 das Anwesen erwerben, um die Steine abtragen zu lassen und zu verkaufen. Den Zuschlag erhielt schließlich ein evangelischer Notar, der Silvacane an Landwirte verpachtete. 1845 kaufte der Staat die Kirche und ließ sie renovieren, genau 100 Jahre später, 1945, erwarb die Republik Frankreich den ganzen Komplex und ließ ihn behutsam in Stand setzen.

Das Herzstück der Abtei, der Kreuzgang, in dessen Mittelpunkt sich ein kleiner Garten und ein Brunnen befinden, ist an diesem sonnigen Frühlingstag menschenleer. Stühle und ein Podium bezeugen, dass das nicht immer so ist, denn in Silvacane finden abends regelmäßig gut besuchte Konzerte statt. Auf dem Podium ein Gruß aus Wien: ein Flügel der Firma Bösendorfer.

Die Abtei Le Thoronet, nordwestlich von Saint-Tropez in einer hügeligen Landschaft gelegen, wird bereits auf der Autobahn als Sehenswürdigkeit angepriesen. Dementsprechend viel ist hier im Sommer los, wenn die Touristen, des Strandlebens müde, Ausflüge in das Landesinnere unternehmen. Im 12. Jahrhundert, als die Abtei erbaut wurde, muss inmitten dieser Eichen- und Pinienwälder eine fast schon erschreckende Ruhe geherrscht haben. Genau das schrieben die Regeln des heiligen Benedikt vor, auf die sich die Zisterzienser beriefen: Die Ordensleute sollten sich in entlegene Gebiete zurückziehen und ihr Leben im Gleichgewicht von Arbeit und Gebet verbringen. Die Klosteranlagen sollten über alles Notwendige verfügen, wie etwa "Wasser, eine Mühle, einen Garten, eine Backstube sowie Werkstätten zur Ausübung der unterschiedlichen handwerklichen Tätigkeiten, so dass die Mönche die Abtei zu keinem Zeitpunkt verlassen müssen, was ihrem Heil nur abträglich wäre."

Benedikt von Nursia, der Ordensgründer aus Umbrien, hatte im

6. Jahrhundert in seinen "Regula" aber auch einen Zusammenhang zwischen der Kunst und dem Seelenheil hergestellt. Die Kunst sollte auf Ornamente und allzu auffällige Farben verzichten, die Linien sollten klar, die Formen rein bleiben. Die Steine sollten perfekt bearbeitet und die Ästhetik eines Bauwerks durch das Spiel von Licht und Schatten bestimmt werden.

In Le Thoronet ist die Umsetzung dieser von den Zisterziensern wiederbelebten Regeln ideal gelungen. Dabei diente die Abtei ursprünglich nur als eine Art Ausweichquartier: Aus dem ehemaligen Stammkloster von Florièges, 25 Kilometer entfernt und heute völlig verfallen, übersiedelten die Mönche um 1155 nach Le Thoronet. Wahrscheinlich hatten die schlechten Böden und die exponierte Lage in Florièges zu wenig landwirtschaftliche Erträge ermöglicht. Der Bau der Kirche ging ziemlich schnell vonstatten, die Quellen lassen auf eine Bauzeit von 10 bis 20 Jahren schließen. Dementsprechend einheitlich zeigt sich die Architektur.

Verrohung der Sitten

Im 13. Jahrhundert erlebte das Kloster seine beste Zeit, Ackerbau und Viehzucht gediehen, der Grundbesitz wurde vergrößert. Doch ähnlich wie in Sénanque und in Silvacane leitete das 14. Jahrhundert auch in Le Thoronet den allmählichen Untergang ein. Kriege und die große Pest von 1348 dezimierten die Bevölkerung und führten zur Verrohung der Sitten - der Abt von Le Thoronet warf seinen Mönchen sogar räuberische Umtriebe vor. Im 18. Jahrhundert gab es wieder einen kleinen Aufschwung, doch zum Glück verfügte Seine Ehrwürden Phélipeaux, Abt von Thoronet zwischen 1698 und 1751, nicht über genügend Mittel, um die Kirche nach dem Geschmack der Zeit zu barockisieren. Er musste sich damit begnügen, ein paar Stukkaturen anzubringen, die heute kaum noch sichtbar sind.

Nach der Französischen Revolution wurde Le Thoronet 1791 als Staatsbesitz zum Verkauf ausgeschrieben. Immerhin, die Kommissare der Republik bestimmten, dass Friedhof, Springbrunnen und Kirche als "wertvolle historische Zeugnisse . . . Eigentum der Nation" bleiben sollten, weshalb von den neuen Besitzern nur die Steine von Nebengebäuden für ihre eigenen Bauvorhaben verwendet werden durften. Bereits 1840 wurde Le Thoronet als eines der ersten Bauwerke unter Denkmalschutz gestellt. Ein kunstsinniger Überwacher der nachfolgenden Restaurierung war Prosper Mérimée, Autor von "Colomba" und "Carmen", der zu jener Zeit als Leiter des staatlichen Denkmalschutzamtes arbeitete.

Am Rückweg, auf der "Autoroute du soleil", möchte man - obwohl noch immer nicht beraubt - angesichts der Appartementhochhäuser in Cannes und Nizza fast ein bisschen kulturpessimistisch werden. Aber wer weiß, vielleicht werden auch diese Monumente in

1.000 Jahren von den

Reisenden bestaunt. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie nicht so lange halten.

Freitag, 17. Mai 2002

Aktuell

Blicke aufs Häusermeer
Erhöhte Aussichtspunkte haben schon immer Schaulustige angelockt
Wer übernimmt die Führung?
Die kommenden Probleme und Entwicklungen der Weltwirtschaft – Ein Panorama
In Millionendimensionen
Grundlegende Befunde über den allseits sichtbaren Wandel Chinas

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum