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Ein fast leichtsinniger Optimismus

Von Walter Klier

Der englische Religionshistoriker Edwin Johnson veröffentlichte im Jahre 1900 unter dem Pseudonym John Soane einen so genannten Ideenroman, "The Quest fo Mr. East". Darin schickt er sein Alter Ego durch das London seiner Zeit und beschert ihm Begegnungen mit allen nur denkbaren religiösen Richtungen, von protestantischen Sekten über den Islam bis zum Judentum. Geradezu rührend ist der Optimismus, den Johnson bezüglich einer Verständigung zwischen den Religionen an den Tag legt. Für ihn sind sie am Ende nichts anderes als verschiedene Ausdrucksweisen einer einzigen Religion, und die historisch gewachsenen Unterschiede bloß sekundär zum Faktum des Religiösen, das allen Menschen gemeinsam sei. "Ist das Zeitalter der Wiederversöhnung endlich gekommen?", fragt er an einer Stelle - und bejaht die Frage gleich selbst.

Johnson starb 1904; es blieb ihm erspart, mitanzusehen, wie sich das 20. Jahrhundert der religiösen Fragestellung entledigte, nur um unter anderen Vorzeichen (man ist versucht zu sagen: Vorwänden) zu weit schauerlicheren Vernichtungsleistungen zu gelangen als alle früheren Zeiten. Und am Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wir als multikulturell sozialisierte Europäer ziemlich belämmert vor dem Schauspiel eines sich rapide radikalisierenden Islam, der unsere Botschaft der Toleranz für nichts als ein Zeichen von Schwäche hält, die zusammen mit dem wachsenden demographischen Übergewicht in absehbarer Zeit zur erfolgreichen Islamisierung Europas führen wird. Das Argument, der Islam habe im Gegensatz zum Christentum keine Reformation erfahren, die zur Säkularisierung und Domestizierung der Religion hätte führen können, unterstellt eine zwangsläufig gleichartige Entwicklung aller Zivilisationen und verkennt - was fataler ist - das Wesen des Islamismus. Der dürfte nämlich genau das sein, was am Islam vermisst wird: eine Reformationsbewegung.

Bisher waren stets die Juden die Verlierer im jahrhundertelangen Ringen zwischen Christentum und Islam gewesen. Um sie zu drangsalieren, war jeder Vorwand recht. "Die Geschichte der europäischen Juden im Mittelalter ist wenig mehr als eine Serie von Experimenten, die ihre Feinde ins Werk setzten, um sie zu vernichten." Dieser eine Satz in "John Soane" wird in einem anderen, nun nach 60 Jahren erstmals veröffentlichten historischen Roman im deprimierenden Detail auf hunderten Seiten ausgemalt. Es handelt sich um Stefan Pollatscheks "Doktor Ascher und seine Väter". Stefan Pollatschek, im Wien der Zwischenkriegszeit ein leidlich erfolgreicher Romanschriftsteller, schrieb das Buch zwischen 1939 und 1941 im englischen Exil, wohin er es mit seiner Familie und viel Glück nach dem Anschluss noch geschafft hatte. Jedoch verschlimmerte sich Pollatscheks Herzleiden in dieser Zeit so sehr, dass er ihm schließlich 1942 im Alter von nur 52 Jahren erlag. Das Originalmanuskript, mit über 1.000 Seiten von einschüchterndem Umfang, lag jahrzehntelang im Archiv, bis es 2004, von Konstantin Kaiser und Ulrike Oedl auf knapp 500 Druckseiten gekürzt und bearbeitet, im Wiener Mandelbaum Verlag erscheinen konnte.

Es ist keine leichte und keine angenehme Lektüre, es ist vielmehr eine geradezu schauerliche Lektüre, und das liegt nicht am Stil, gehalten im konventionellen Plauderton eines sympathisch altmodisch erzählten Buches. Es liegt an den geschilderten Umständen dieser über 500 Jahre ausgebreiteten Familiengeschichte. Sie nimmt 1492 in Spanien ihren Anfang, und ihr vorläufiges Ende spielt, als übergreifende Rahmenhandlung, im Wien von 1938. "Mir ist unverständlich, warum meine Eltern im März 1938 Österreich nicht verließen, um das Resultat der von Schuschnigg angeordneten Volksabstimmung in Bratislava oder Prag abzuwarten. War das ihr fast leichtsinniger Optimismus?"

Das schreibt Pollatscheks Tochter Gerda Hoffer im Nachwort. Mir scheint, es ist dieser "fast leichtsinnige Optimismus", der gegen alle Erfahrung und Wahrscheinlichkeit bei den handelnden Figuren des Romans immer wieder durchbricht, der die Lektüre noch erträglich macht. Sonst möchte man schier verzweifeln.

Freitag, 04. März 2005

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