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Zeit für Ruhe und Feier

Der Sonntag – Porträt eines seit jeher besonderen Wochentages
Der Sonntag ist auch der Tag des Nichtstuns und der Geselligkeit.

Der Sonntag ist auch der Tag des Nichtstuns und der Geselligkeit.

Der Sonntag wird noch immer als

Der Sonntag wird noch immer als "Tag des Herrn" verstanden, doch ist die Bedeutung dieses Tages damit nicht erschöpft.

Von Ingeborg Waldinger (Text) und Robert Bressani (Fotos)

H aben Sie schon mal den Mann im Mond geseh’n? Nostalgiker des deutschen Wirtschaftswunder-Schlagers erinnert diese Frage vielleicht an Gus Backus’ Gassenhauer "Der Mann im Mond" aus dem Jahre 1961. Fiktive Mondmänner geistern jedoch schon seit Jahrhunderten durch die europäische Literatur. Einer von ihnen ist schicksalhaft mit dem Sonntag verbunden: Ludwig Bechsteins Volksmärchen "Der Mann im Mond" erzählt die Geschichte eines einfachen Mannes, der sich an einem Sonntagmorgen in den Wald begab, um Holz zu machen. Auf dem Heimweg begegnete er einem Kirchgänger im Sonntagsstaat. Der gemahnte den Holzsammler an das dritte Gebot, wonach der Tag des Herrn zu heiligen sei. "Sonntag auf Erden oder Mondtag im Himmel, was geht mich das an, was geht es dich an?" Das falsche Wort am falschen Ort, denn der Holzhauer stand niemand Geringerem gegenüber als dem Allmächtigen. Die Strafe folgte auf den Fuß. Der Holzträger sollte fortan ewig Mondtag haben, sein Holzbündel tragen und dabei "im Monde stehen " – als Warnbild für all jene, die den Sonntag mit Arbeit schänden.

Nach christlicher Zeitordnung zählt der Sonntag zu den großen Feiertagen. Seine ursprüngliche Botschaft lautet: das menschliche Leben ist nicht allein den Kriterien Leistung und ökonomische Notwendigkeit unterzuordnen. Der Sonntag bildet eine klare Zäsur in der Arbeitswoche, schafft Zeit für Ruhe und Feier im geschäftigen Karussell des Daseins. Er wurde als erster, nicht als letzter Tag der Woche gezählt. Darin folgte das Christentum der jüdischen Tradition, in der die Woche mit dem Schabbat endet – dem Tag am Ende der Schöpfungsgeschichte: "Am siebten Tage vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tage, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig." (Genesis, 2,2)

Tag der Auferstehung

Die Juden gedenken in der wöchentlichen, ritualisierten Schabbatfeier der göttlichen Schöpfung, zudem auch der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Knechtschaft. Die Christenheit übernahm den jüdischen Brauch, feierte den Gottesdienst am geheiligten Ruhetag jedoch im Gedenken an die Auferstehung Christi. Aus der jährlichen Osterfeier entwickelte sich der Ritus, den ersten Tag der Woche als Tag der Auferstehung zu feiern. Diese Bedeutung blieb im russischen Wort für Sonntag erhalten: "Woskressenjia" heißt Auferstehung. Der Sonntag feiert im christlichen Sinne das Neue, einen kraftvollen Anfang.

Die Frühchristen wurden verfolgt und hielten ihre sonntäglichen Versammlungen oft heimlich ab. Man feierte den Gottesdienst nächtens oder in Privaträumen. Mit der Bezeichnung "Dies Dominica" – Tag des Herrn – grenzte man sich gegenüber der jüdischen Tradition ab. Viele romanische Sprachen leiten davon ihre Bezeichnung für den Sonntag ab: d omenica sagt man in Italien, dimanche in Frankreich. Beträchtlichen Einfluss auf die Namensgebung des geheiligten Ruhetags übten jedoch auch heidnische Kulturen aus. Griechen und Römer benannten die Wochentage nach den Planeten. Der zweite Tag der Planetenwoche war der Sonne gewidmet. Sie wurde von vielen frühen Hochkulturen als Gott verehrt. Sie verkörperte das Licht, die höchste Intelligenz. Ihr täglicher Aufgang enthielt gleichsam das Versprechen der Auferstehung. Der unbesiegte spätrömische Sonnengott, Sol invictus, wurde zu einem "Vor-Bild" Christi. Zahlreiche christliche Missionare übernahmen die antike Tradition und benannten ihren Tag des Herrn ebenfalls nach der Sonne. Das theologische Argument schöpften sie aus dem Neuen Testament, worin Jesus selbst sich als das "Licht der Welt" bezeichnet (Joh 8,12). Fast im ganzen germanischen Sprachraum setzte sich der Begriff des "Sonnentags" als Bezeichnung für den ersten Tag der christlichen Woche durch.

Noch ein Aspekt unterschied den christlichen Ruhetag bewusst vom jüdischen Schabbat. Während das Alte Testament ein klares Arbeitsverbot für den Schabbat enthält, war den Frühchristen keine zwingende Sonntagsruhe bekannt. Man definierte sich als "frei vom jüdischen Gesetz" . Erst Kaiser Konstantin erklärte den Sonntag 321 n. Chr. zum allgemeinen Ruhetag für das gesamte Imperium Romanum. Selbst die Sklaven waren an diesem Tag von allen "opera servilia" (wörtlich übersetzt: "knechtischen Werken") freigestellt. Damit sollte ihnen der Besuch des Gottesdienstes ermöglicht werden. Wenig später wurde das sonntägliche Arbeitsverbot auf die Zunft der Handwerker, schließlich auf alle Freien ausgedehnt.

Die "Langschläfermesse"

Das christliche Römische Reich und dessen Nachfolgestaaten schützten fortan die Sonntagsruhe. Der christliche Gottesdienst hatte den heidnischen Tempelkultus abgelöst, wobei sich mit der Zeit unterschiedliche Messtraditionen entwickelten. Aus dem Mittelalter ist eine Hamburger "Langschläfermesse" bezeugt, die kurz vor Mittag gehalten wurde. Das Hauspersonal hingegen besuchte frühmorgens die Messe, um dann rechtzeitig zum Küchendienst oder anderen Arbeiten zu erscheinen.

Den lutherischen Sonntagsgottesdienst wiederum zeichnete eine besonders lange Predigt aus. Kirchgänger nützten diese Zeit mitunter zu wenig frommen Zwecken. Wie Dokumente aus dem 17. Jahrhundert belegen, wurde in den Kirchenbänken manch Schläfchen gehalten, Karten gespielt oder Zeitung gelesen. Selbst Verträge wurden in diesem "gemeinschaftlichen" Rahmen geschlossen, bisweilen machte gar eine Schnapsflasche die Runde. Nach Martin Luther schloss der sonntägliche Gottesdienstbesuch nicht automatisch ein Arbeitsverbot mit ein. Die Feiertagsheiligung sei nicht so gemeint, " . . . dass man hinter dem Ofen sitzt und keine grobe Arbeit tut oder einen Kranz aufsetzt und seine besten Kleider anzieht".

Im Zeitalter der Industrialisierung wurde das über Jahrhunderte weithin beachtete Gebot zur Sonntagsruhe allmählich unterlaufen. Die Einführung der Gewerbefreiheit bereitete den alten Zunftordnungen ein Ende. Gewerbeordnungen enthielten kein dezidiertes Verbot der Sonntagsarbeit, sondern räumten lediglich ein, dass niemand zu dieser verpflichtet werden dürfe. Die Arbeiter sollten Gelegenheit zum Kirchgang bekommen, ihr anschließender Gang in die Fabrik aber war durchaus üblich. Kirchen, Sozialpolitiker und Gewerkschaften rangen hart um die Durchsetzung des Sonntagsruhegebotes. Noch 1885 stellt Kanzler Bismarck vor dem Deutschen Reichstag die Frage: " . . . ist dem Arbeiter überhaupt mit dieser zwangsweisen Sonntagsfeier gedient? . . . Die Leute arbeiten so viel, wie sie können und mögen, nach ihren Kräften. Wenn sie nun am Sonntag ausgeruht haben werden, so sind sie am Montag gewiss arbeitsfähiger. Wenn sie aber den Sonntag ihren Vergnügungen gewidmet haben, dann wird der Montag blau . . ."

Die europäischen Staaten regelten den Sonntagsschutz unterschiedlich, zahlreiche Ausnahmeregelungen relativierten das Arbeitsverbot sogleich wieder. In Österreich wurde die Sonntagsruhe anno 1895 beschlossen. Sozialreformer Karl Ritter von Vogelsang hatte eine "Gesinnungs- und Zuständereform . . . im christlichen Geiste und Eingriffe des Staates gegen die schranken- und rücksichtslose Konkurrenz der liberalen Wirtschaft" gefordert. Deutschland nahm das Sonntagsruhegebot in die Weimarer Verfassung von 1919 auf.

Flexible Regelungen

Heute stehen die Zeichen abermals auf Liberalisierung des Sonntagsruhegebotes. Der Handel befürwortet eine flexiblere Regelung der Wochenarbeitszeit. Er argumentiert mit dem Konkurrenzdruck in der globalisierten Wirtschaft und mit den veränderten Freizeitgewohnheiten der Konsumenten. In Österreich ermöglichen mehrere Ausnahmeregelungen den Sonntagsverkauf, etwa in Bahn- oder Flughäfen, Tankstellen oder in Tourismuszonen.

Während die "Sonntagsallianz" der christlichen Kirchen Österreichs die Aufnahme des arbeitsfreien Sonntags in die neue österreichische Verfassung und die Respektierung der Sonntagsruhe in allen EU-Ländern fordert, konsumieren und kaufen Herr und Frau Österreicher sonntags in Tschechien oder Ungarn, wo es keinerlei Beschränkung der Ladenöffnungszeiten gibt.

Nach der Ära einer weitgehend ritualisierten Sonntagskultur in den 1950er und 1960er Jahren wurde dieser Ruhetag zunehmend von persönlichen Lebensstilen geprägt. Die Jugend protestierte bald gegen die Langeweile der verordneten bürgerlichen Idyllik protestiert und wandte sich zunächst der US-Massenkultur, später den Fragestellungen des Existentialismus zugewandt.

Sonntagsbraten und Sonntagsausflug haben dennoch überlebt. Auch "gute Sachen" wie das legendäre Goldrandgeschirr haben Nachfolger gefunden: das Service fürs trendige Ethno-Menü, das teure Designer-Porzellan. Der Sonntagsstaat aber bleibt in einer Gesellschaft, deren Berufsalltag vielfach perfektes Business-Outfit (Kostüm, Anzug) verlangt, immer öfter im Schrank.

Manch einer nützt die sonntägliche Freiheit zum Dolce far niente , der andere für kulturelle oder sportliche Aktivitäten, ein Dritter fürchtet Stille und Einsamkeit dieses Tages: "Der Montag war zwar der schwerste und lästigste Wochentag, aber der Sonntag war der leerste" , moniert der "Einzelgänger" in Eugène Ionescos gleichnamigem Roman. Ob ersehnter Freiraum oder gefürchtete Nachdenkpause: der Sonntag erweist sich als Brennspiegel der Gefühle und Reflexionen. Das Spektrum kultureller Auseinandersetzung mit dem Thema reicht von Johann Sebastian Bachs Kantaten bis zum Italohit "Buona domenica", vom karikaturistischen "Deix am Sonntag" bis zum vergangenheitsbewältigenden Roman "Was für ein schöner Sonntag" von Jorge Semprún. Stets scheint die "nostalgie du dimanche" (Adorno) auch von einem Schuss Wehmut ob der conditio humana getönt: "Am Sonntag stehe ich am Fenster. Die gegenüberliegende Wand meines Nachbarhauses hat alle ihre Fensterflügel ausgebreitet, gläserne Schmetterlingsflügel, als wollte sie auf und davon fliegen. Sie kann’s nicht: immer bleibt sie beschwert mit Möbeln, Menschen und Schicksalen." (Joseph Roth: Das journalistische Werk, 1915–23).

Freitag, 13. Mai 2005

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