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Mehr heiter als heilig

Zum 75. Geburtstag des rebellischen Theologen und Autors Adolf Holl
Adolf Holl, geboren am 13. Mai 1930 in Wien.  Foto: Barbara Gindl/APA

Adolf Holl, geboren am 13. Mai 1930 in Wien. Foto: Barbara Gindl/APA

Von Gabriele Sorgo

Lange vor den Zeiten der Ich-AGs hatte der Wiener Theologe Adolf Holl es geschafft, seinen Namen zu einer Marke werden zu lassen, die bis heute in Österreich jede weitere Erklärung zu seiner Person überflüssig macht. Der Holl ist eben der Holl, unverkennbar. Dabei lag seiner Karriere wohl niemals Berechnung zugrunde, schon gar nicht, wenn es um die Medien ging, die ihn für seine Nonchalance sogar besonders lieben.

Adolf Holl wird heute, am 13. Mai, 75 Jahre alt und kann auf ein so erfahrungs- wie erfolgreiches Leben zurückblicken. Strategisch ist er dabei selten vorgegangen. Nach eigenen Aussagen habe ihn so manches Mal eher der Teufel geritten. Deshalb weist seine Biographie auch einen scharfen Knick auf – einen Bruch, der ihn mittlerweile besonders auszeichnet: den mit der Kirche. Aber nicht mit der Religion.

Als der zukünftige Schriftsteller 1930 in einer Geburtsklinik im 9. Wiener Gemeindebezirk das Licht der Welt erblickte, sah seine Zukunft gar nicht rosig aus. Die Mutter, eine Sekretärin, wohnhaft in einem Gemeindebau auf der Schmelz, hatte viel Geld für eine Scheinehe bezahlen müssen, damit der Bub nicht unehelich zur Welt käme. Adolfs Vater blieb unbekannt und namenlos. Aber die Mutter hatte genug Milch und Liebe für ihn, sodass er in einer reinen Frauenwelt sehr gut gedieh. Eine großmütterliche Beamtenswitwe, Frau Walch, passte tagsüber auf den Kleinen auf. Mit der Kirche hatte weder sie noch die Mutter viel zu schaffen. Frau Walch mochte die Pfaffen gar nicht, sie war sogar Atheistin und wählte die Sozialisten.

Liebe zur Kirche

Dennoch zeigte sich das Kind schon bald vom katholischen Ritual fasziniert. Aus dem Schoß der Frauen folgte Holl dem Ruf in den Schoß der Kirche. Denn sie hütete im Tabernakel ein Geheimnis, das der junge Holl erforschen wollte. Die Kirche liebte auch ihn, schätzte ihn, förderte ihn. Der junge Theologe zeigte eine besondere Eignung für öffentliche Auftritte, überzeugte mit seiner Sprachbegabung und schlug eine Karriere als Wissenschaftler ein. Heute lacht der gereifte Holl über die "illusio" seiner Jugend. Im Kämmerchen zu sitzen und die Schriften des heiligen Augustinus zu studieren, während draußen die Sonne schien und andere junge Menschen spazieren gingen und sich verliebten, das hatte damals für ihn einen besonderen Reiz. Einerseits war er ehrgeizig und strebte nach wissenschaftlichen Lorbeeren, andererseits gefiel er sich in der Vorstellung des entsagenden Intellektuellen mit einem Totenschädel auf dem Schreibtisch. Wurden nicht alle namhaften Philosophen und ernsthaften Theologen so abgebildet? Bedenke Mensch, dass du Staub bist. Aber der Staub hat eine eigene Kraft, nämlich die Anziehungskraft des Fleisches. Auch das hat seine Rechte und stellt die Voraussetzung für alles andere dar.

Zeit seines Lebens beschäftigt sich Holl mit dem, was er das "ägyptische Ritual" nennt, mit dem Körper als Ort religiöser Erfahrung. Seit unvordenklichen Zeiten arbeiten Priester mit Ritualen und sinnlichem Beiwerk, sie setzen ihre Körper ein, um jene der Gläubigen zu erreichen. Trotzdem bezeichnet Holl jenen amerikanischen Universitätsprofessor, der behauptet, es gäbe keine Geister, keine Götter, keine Engel und Heiligen, sondern "just us people down here" , schlicht als Idioten. Der antireligiöse Affekt der Gelehrtenwelt erscheint ihm ärmlich. Insofern betätigt er sich wirklich seiner Berufung gemäß als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Populärkultur, zwischen dem, was man wissen kann, und dem, was man glauben will oder muss. Holl hat eine volkstümliche Ader. Er spricht gern im Dialekt, setzt sich nicht mit gelehrtem Jargon über die Gefühle der Zuhörenden hinweg. Die orale Kultur ist älter und situationsbezogen. "Habn S‘ an Waffenschein?" , fragt Holl im Club 2 den Bühnenautor Wolfgang Bauer, als der plötzlich mit einer Pistole herumfuchtelt. Alle entspannen sich und lachen. Es ist eine Spielzeugpistole.

Diese Spontanität lernt man nicht aus dem Katechismus. Die Mauern des theologischen Lehrgebäudes mussten Holl daher zu eng werden. Wie der neuzeitliche Kosmos überhaupt, so schien auch die Kirche im 20. Jahrhundert keine Fenster nach draußen mehr zu haben. Alles war in Schrift und Lehre eingesperrt. Spontan durfte bei den Pfarrern gar nichts sein, höchstens der nächtliche Samenerguss, damit er nicht als Sünde gälte, wie Holl sich in seiner Autobiographie erinnert.

Anfang der 70er Jahre sah die Geschichte für den engagierten Priester freilich anders aus als heute und es war keineswegs absehbar, dass sie gut ausgehen würde. Das Erbe der Frau Walch machte sich bemerkbar. "Im Keller des Heiligtums", wie später einer seiner Buchtitel lauten sollte, liegen Dinge begraben, worüber geweihte Männer tunlichst zu schweigen haben. Aber Holl schwieg nicht. Schließlich hatte schon ein Volksschullehrer in sein Zeugnis geschrieben: "Begabter, ehrgeiziger, aber vorlauter Schüler."

1954 wird Holl zum Priester geweiht. Der Vollzug der Transsubstantiation, die lateinisch gemurmelten Gebete, die intime Beziehung zu Gott am Altar beglücken ihn überaus. Vorerst genügt das. Seine Bedenken bahnen sich langsam an. Holl liebt den Priesterberuf, aber nicht die Einsamkeit, in die ihn sein Talar verbannt. Sein Seelenführer bescheinigt ihm, dass er das Zeug dazu habe, ein Heiliger zu werden. Der gute Mann hatte nicht bedacht, dass ein Heiliger anno 1970 nicht mehr so ausschaut wie im Mittelalter. Zwar sind die Heiligen damals wie heute Außenseiter, die mit der Tradition und ihren Verwaltern Probleme haben. Aber es gibt nun auch ein Leben außerhalb der Kirche. Die Kritiker werden nicht mehr verbrannt.

Dogma oder Begeisterung?

Nach dem Lehrverbot von 1973 schreibt Holl eine Biographie über Franz von Assisi, in der er zeigt, wie sich die Kirche das Charisma des Heiligen einverleibte, während sie sein Vermächtnis zerstörte. "Wie man sieht, gleichen sie einander gar sehr, die Kardinäle, Bonzen und Mandarine aller Zeiten, und man fragt sich, warum wir ihrem eintönigen Reden noch immer lauschen müssen." Es gibt auch andere Stimmen. Religiöse Erfahrungen, zu Dogmen erstarrt, schließen immer das Lebendige aus: den Körper, die Frauen, die Sexualität. Die Begeisterung ist in den Schriften verloschen, Holl sucht ihre Asche. Vielleicht glimmt sie noch.

Er erkennt, dass die christlichen Schriftgelehrten die Gläubigen am Wesentlichen vorbeiführen. Aber was ist das Wesentliche? Wird es tatsächlich nur in jenen Buchstaben verwahrt, die einsame und vom Weibe unbefleckte Männer sich in Askese abgerungen haben? Hat die Kirche keinen Körper? Jahre bevor Michel Foucault die Dominanz sexueller Diskurse und die Dressur zum Geständnistier beschreibt, passiert Folgendes: In der Fernsehsendung "Das Gespräch" gibt der geweihte Priester Adolf Holl 1975 vor laufender Kamera zu, dass er eine Geliebte hat, wie viele andere Priester auch. Kein Herumreden mehr. Die Großmutter Walch, die ihn innig liebte, hatte ihn unerbittlich zur Wahrheit erzogen. Aber Holl legt noch ein Schäuferl nach und platziert sein Bekenntnis in die ORF-Prime- Time. Der vorlaute Priester, der dem Charme nackter Frauenbeine schon lange nicht mehr widerstehen kann und will, dem die Enzyklika gegen die Pille schwer im Magen liegt, outet sich als normaler Mann. Wie soll etwas Spirituelles wachsen, wo sich nichts Sinnliches regen darf?

Holl entsagt der Heuchelei. Das ist keine Attitüde, keine eitle Inszenierung, es kocht in ihm – und was dann passiert, schmerzt, denn er darf die Messe nicht mehr lesen. Zwei Jahrzehnte vor dem Zeitalter der Talk-Shows fasst die katholische Öffentlichkeit diese Beichte nicht als Unterhaltung, sondern als Beleidigung auf. Was heute zum guten Ton gehört, nämlich sich über die Doppelmoral der kirchlichen Würdenträger zu empören, galt am Höhepunkt des Wirtschaftsaufschwunges und trotz Sozialdemokratie in Österreich als Blasphemie. So viel war nach dem Krieg verdrängt worden, da wollte man sich keinesfalls an die unaussprechlichen Regungen unter den Soutanen erinnern lassen. Dieses Thema blieb in der erzkatholischen Alpenrepublik noch bis in die 90er Jahre und bis zum Fall Hans Hermann Groer tabu. Der saubere "Staberl" verlangte in der "Krone" die Absetzung des schmutzigen Priesters, was auch prompt verfügt wurde.

So bleibt dem Kirchenrebellen am Ende seines vierten Lebensjahrzehnts Zeit zum Schreiben, und schreiben kann er gut. Bereits mit "Jesus in schlechter Gesellschaft" hatte der gefallene Priester 1971 seine profane Auferstehung als Schriftsteller vorbereitet. Unter Holls Feder geriet die alte Geschichte vom predigenden Zimmermannssohn zum religionssoziologischen Beispiel für Stigmatisierung und Außenseitertum. Natürlich hatte das Werk etwas mit dem Autor zu tun. Holl selber sah sich jedoch nicht zum Leiden geboren. "Wahrscheinlich war diese Suspendierung das Beste, was mir passieren konnte" , meint er heute rückblickend. Was das Messelesen betrifft, lebt er zwar seither "auf Entzug" , aber die Interna der Kirche kann er mit gelassener Heiterkeit betrachten. Die 2.000 Jahre alte Institution verzichtete auf eine ihrer hoffnungsvollsten Persönlichkeiten. Man muss vermuten, dass es ihr heute Leid tut.

Der treue Dissident

Holl jedenfalls entfaltete sein Charisma auf dem weiten Feld der verlorenen Schafe, die von Jahr zu Jahr aus dem vertrockneten Schoß der schrumpfenden Ekklesia purzelten und nach lebendiger Nahrung suchten: Fenster im naturwissenschaftlichen Kosmos. Obwohl er als Dissident und als linker Freidenker gilt, machte Holl nie ein Hehl daraus, dass er der katholischen Religion, wenn auch aus der Ferne, treu geblieben ist. Befreit von allen Rücksichten auf die Traditionen kann Holl bis heute sprechen und schreiben, worüber er will, und außerdem mit einer Frau zusammenleben.

In seinen zahlreichen Publikationen, darunter etliche Bestseller, sammelt er weiterhin sorgsam jene Themen auf, von denen sich die Priester in Amt und Würden so fern halten wie der Teufel vom Weihwasser. Er schreibt über den "Gegenspieler" unter der Soutane, über gottlose Frauen, Gerüche beim Gottesdienst, und er wagt in seinem neuesten Buch sogar die Vermutung, dass Christus lachen konnte.

Gerade von ihm, dem abtrünnigen Priester, der sich sowohl den alten religiösen Themen als auch den wissenschaftlichen Methoden verpflichtet fühlt, wollen die spirituell ausgehungerten, postchristlichen Sinnsucher etwas über Mystik und Mitleid hören. Holl schreibt nie mit erhobenem Zeigefinger, er macht Türen auf, nicht zu. Ungläubige Intellektuelle gehen lieber zu ihm beichten als zum Psychoanalytiker. So bleibt er für jene, die unter Religiosität weder Folklore noch Buchstabentreue verstehen, einer der wenigen glaubwürdigen Priester, die wir noch haben. Wenn ein Thema die Öffentlichkeit beschäftigt, für das man die profunde Einschätzung eines Theologen braucht, dann läutet bei ihm das Telefon. Denn wer sonst könnte die komplizierten Spitzfindigkeiten der Schriftgelehrten für den normalen Durchschnittsmenschen lebendig werden lassen? Der Holl kann das.

Freitag, 13. Mai 2005

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