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Ein Anblick für Götter

Die geheimnisvollen Scharrbilder der peruanischen Nasca-Kultur
Der Archäologe Johny Isla zeigt Petroglyphen aus der Paracas-Zeit.

Der Archäologe Johny Isla zeigt Petroglyphen aus der Paracas-Zeit.

Die groß dimensionierten Zeichnungen in der Nähe der Städte Nasca und Palpa geben der Wissenschaft große Rätsel auf.

Die groß dimensionierten Zeichnungen in der Nähe der Städte Nasca und Palpa geben der Wissenschaft große Rätsel auf.

Von Martin Arnold (Text und Fotos)

Riesenhafte Linien in den Wüstenboden zu zeichnen, muss den Bewohnern von Nasca, rund 500 Kilometer südlich von Lima gelegen, genauso im Blut liegen, wie den Italienern das Pizzabacken. Noch heute scharren sie Linien auf den Hügeln in der Umgebung der Stadt, die sich zu politische Parolen für irgendwelche Parteien zusammenfügen. Damit ist ihr Geheimnis gelüftet

Anders ist das bei jenen Linien und Figuren, die seit Jahrhunderten Wind und Wetter trotzen und gleichsam als stumme mythologische Zeichen von gigantischen Ausmaßen die Wüste zieren. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1927 geben sie den Forschern Rätsel auf.

Der deutsche Archäologe Markus Reindel und sein peruanischer Kollege Johny Isla untersuchen nun mit Mitteln der "Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für archäologische Forschungen im Ausland" (SLSA) und der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich (ETH) fünf Jahre lang die Linien und Zeichnungen rund um die Stadt Palpa, einem Nachbarort von Nasca. Diese Bilder sowie noch ältere Petroglyphen und unzählige Siedlungsreste sind zwar nicht so berühmt wie die Funde von Nasca, aber ebenso wertvoll. Erstmals wird damit in der Umgebung von Nasca die gesamte gleichnamige Kultur auf einer Fläche von 1.500 Quadratkilometern erforscht. Eine Fläche von 450 Quadratkilometern wurde zusätzlich für Feinuntersuchungen ausgewählt.

Tempel und Weiheopfer

Zudem entdeckte die Forscherequipe um Markus Reindel erstmals kleine Tempel, die direkt an den Linien liegen. Darin wurden Kürbiskerne, Maiskolben und Textilreste, vor allem aber die von den vorspanischen Bewohnern des Andenraumes geschätzten Spondylus-Muscheln gefunden. Sie symbolisieren Regen und Fruchtbarkeit und wurden vermutlich als Weiheopfer verwendet.

"Schon viele Archäologen und Pseudowissenschaftler haben die Zeichnungen erforscht. Sie faszinieren, weil sie Rätsel aufgeben", erklärt Johny Isla. "Da ist viel Raum für Spekulationen." Den nutzte allen voran der Buchautor und Ufologe Erich von Däniken, der in Nasca Landeplätze für Außerirdische vermutete.

Sozusagen die Mutter aller Nasca-Forscher ist die gebürtige Dresdnerin Maria Reiche, die von den vierziger Jahren an bis kurz vor ihrem Tod 1998 hunderte von Linien vermaß, kartografierte und nach Erklärungen für die Figuren suchte. In einigen von ihnen fand sie Hinweise auf eine astronomische Bedeutung. Maria Reiche vertrat die These, dass sowohl die Figuren als auch die Linien, welche die Landschaft durchschneiden, aus der "Nasca-Kultur" stammen, die zwischen 200 vor und 600 nach Christus ihre Blütezeit hatte. Im Gegensatz zu Reiche vertraten viele andere Archäologen die Ansicht, dass Linien und Figuren nicht denselben Ursprung hätten. Doch das deutsch-schweizerisch-peruanische Forscherteam bestätigt nun Maria Reiches These. "Wir fanden in praktisch allen 800 Linien und Zeichnungen auf unserem Untersuchungsgebiet Hinweise auf die Nasca-Kultur."

Die Linien und Zeichnungen sind zuweilen nur wenige Zentimeter tief, wurden aber über mehrere Kilometer Länge in den Boden "geritzt". Es ist dem Andenwind zu verdanken, dass die Linien noch heute deutlich sichtbar sind. Er fegt tagsüber den Sand aus den Furchen, der nachts vom Meerwind hinein geblasen wird. Außerdem gibt es wegen der Trockenheit keinen Pflanzenwuchs.

Die Archäologen interessieren sich auch für die beiden Siedlungen La Muña und Los Molinos. "Wenn Räuber nicht schon in den dreißiger Jahren praktisch alle Gräber geplündert hätten, besäßen wir einen fast vollständigen Überblick", erklärt Johny Isla. Die gute Qualität der Fundstücke ist durch das Wüstenklima verursacht. Die Arbeiter fanden Mais, Bohnen, Yuca, Resten von Meerschweinchen, Lamaknochen Muscheln und Baumwolle.

Gräber und Gräberfunde

Wer durch die Siedlungsreste von La Muña schlendert, findet zahlreiche Bodensenken, welche alte Gräber markieren, Dutzende Tonscherben mit erstaunlich gut erhaltenen Farben liegen herum. Am Fuß von La Muña erstreckt sich das sattgrüne Tal des Rio Grande. Als einziger Fluss weit und breit führt er das ganze Jahr über Wasser. Wie viele Menschen hier lebten, kann Isla nicht sagen. Jedenfalls war La Muña eine große Siedlung, eine Art Verwaltungszentrum der Region.

"Wir fanden große Gräber von bedeutenden Persönlichkeiten und öffentliche Räume für Zeremonien. Die Nasca-Menschen organisierten sich hierarchisch und entwickelten einen Staat", erklärt Johny Isla. "Die jeweilige Grabgröße entsprach dem Umfang des früheren Wohnhauses."

Die Gebäude der damaligen Zeit bestanden aus Lehmziegeln und Schilfdach – eine Bauweise, die auch heute noch in Gebrauch ist. Die Untersuchung der Siedlungsstruktur ist für die Nasca-Forschung deshalb so wichtig, weil die Motive der so genannten Scharrbilder auf den Tongefäßen und Textilien der Frühzeit wieder zu finden sind. Die Bemalung der Keramik war uniform. "Wahrscheinlich wurden sie zentral hergestellt und verteilt, was auf einen hohen Organisationsgrad hindeutet", erklärt Isla.

Der peruanische Archäologe arbeitete fünf Jahre in Palpa. "Nur wer die Sisyphusarbeit auf sich nimmt und das ganze Puzzle zusammenfügt, wird das Rätsel der Linien und Figuren lösen" , erklärt er. "Wir spekulieren nicht, sondern machen archäologische Knochenarbeit." Ein Teil des Rätsel war lange die Herkunft der Kultur. Heute scheint die Antwort klar. In der Vor-Nasca-Periode, 600 vor bis 200 vor Christi Geburt, gehörten die Menschen hier zur Paracas-Kultur, die etwa 150 Kilometer nördlich, in Ica und Paracas ihr Zentrum hatte. Daraus entwickelte sich die Nasca-Kultur.

Vögel, Affen und Linien

Fest steht nun auch, dass die Gegend von 600 vor Christus bis zur Ankunft der Spanier durchgehend besiedelt war. Die Archäologen entdeckten 400 Siedlungen. Aus jeder Epoche wurden Spuren gefunden. Doch ab dem Jahr 1000 nach Christus hörte die Herstellung von Scharrbildern vollständig auf.

Die Menschen in der Umgebung von Nasca ritzten in der Paracas-Zeit, also vor mehr als 2.000 Jahren, stilgleiche Abbildungen von Menschen, Affen und Katzen in Steine. Diese "Petroglyphen" sind heute ebenfalls zu Hunderten auf der Ebene verstreut.

Später kamen Vögel hinzu und als Zeichenfläche wurde die Ebene entdeckt. Die überdimensionalen Figuren in der Hochebene von Nasca begeistern vor allem die Touristen, die Linien und geometrischen Figuren beschäftigen eher die Forscher und Spekulanten. Sie geben die meisten Rätsel auf. Besonders auffällig ist die Sonnenuhr von Palpa, ein seltsames Labyrinth konzentrischer Linien, ein Stern, ein Vogel, eine männliche und eine weibliche Figur sowie der "Reisende". Diese Figur ist halb Mensch, halb Vogel. Ein Arm zeigt nach oben, ein Flügel nach unten. Maria Reiche sah in dieser Figur einen in den Sternenhimmel reichenden Fingerzeig für die Menschen. Sie sollten deren Konstellation zum Nutzen der Landwirtschaft beachten. In Nasca wurde die "Spirale" für den Wasserkult genutzt. Die in die Wüste gescharrten Kolibri, Frösche, Affen, ein sehr schöner Walfisch oder eine Blume verweisen auf die Bedeutung von Wasser.

Während Linien und geometrische Formen wie z. B. das Trapez auch von der Erde aus gut gesehen werden können, muss man sich gottgleich in die Lüfte schwingen, um viele der Zeichnungen überblicken zu können.

Die Frage, warum die Nasca-Kultur dazu übergegangen ist, 80 Meter große Echsen und kilometerlange Linien und Trapeze in den Wüstenboden zu zeichnen, wird vielleicht nie völlig geklärt werden können. Eines scheint aber sicher: "Die Theorie, dass diese Linien und Formen planlos in die Wüste gezeichnet wurden, ist unhaltbar. Diese Mühen nimmt man nicht zum Spaß auf sich. Dahinter steckt ein Plan" , erklärt Isla. Der Aufwand, den Nasca-Menschen trieben, um Tausende von Linien und Figuren in die Hochebene zu ritzen, ist nicht geringer einzustufen als die Anstrengungen beim Bau einer Pyramide.

Besänftigung des Gottes Kon

Nur: Welchem Plan folgten die Bauarbeiter? Was wollte der Designer sagen? Sollte der Aufwand etwa, wie die peruanische Historikerin Maria Rostorowski glaubt, zur Besänftigung des Gottes Kon notwendig gewesen sein, der die Menschen mit dem Entzug von Wasser zu strafen schien? Kon war ein fliegender Gott, der die grüne Gegend in eine Wüste verwandelt haben soll, die nur in den Flusstälern Landwirtschaft erlaubt. Viele der gezeichneten Tiere – der Affe, aber auch die Fische – symbolisieren Fruchtbarkeit und Wasser. Es scheint, dass die Linien Kultstätten oder gar Bestandteil riesiger Rituallandschaften auf den Hochebenen gewesen sind.

Geomorphologische Studien, welche die Grabungskampagnen begleiten, deuten auf wechselhafte Klimaverhältnisse hin. Alle fünf bis sieben Jahre wird das eiserne Wettergesetz, das der Gegend nie genug Wasser gibt, auf den Kopf gestellt. Plötzlich branden Wassermassen ans Ufer und schwere Wolken schütten Unmengen Regen über einen Boden, der zur Wasseraufnahme kaum fähig ist. Sowohl in Los Molinos als auch in La Maña zerstörten die vom Fluss El Niño, dem Weihnachtskind, verursachten Wasserfluten mindestens einmal die Siedlungen bis auf die Grundmauern.

Neben den eigentlichen Grabungsarbeiten liegt der Fokus des Palpa-Projekt auf der fotogrammetrischen Auswertung der Zeichnungen und Linien an der ETH in Zürich. Dort befinden sich wohl die besten Fotos, die es von diesen überdimensionalen Zeichnungen gibt. Die Berechnungen der Figuren und Linien, ihre Korrespondenz miteinander, die Lage dieser Kunstwerke gegenüber den Himmelsrichtungen und Sternformationen wird in den nächsten Jahren ausgewertet.

Im Gegensatz zu den Nasca-Figuren wurden jene im 30 Kilometer entfernten Palpa nicht ins UNESCO-Inventar der Naturdenkmäler der Menschheit aufgenommen. Deshalb rückt die Zivilisation einigen Linien und Zeichnungen bedrohlich nahe. "Jugendliche fahren mit Motorrädern darüber, Kinder spielen dort und auch Hunde koten auf sie", klagt Isla. "Mit Dia-Aufnahmen wollen wir bei den Einheimischen Interesse für die Arbeit ihrer Vorfahren wecken. Denn sie haben die Zeichnungen und Linien bisher nur als wirres Labyrinth wahrgenommen."

Weitere Informationen sind auf der Website der "Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für archäologische Forschungen im Ausland" zu finden: http://www. slsa.ch.

Freitag, 13. Mai 2005

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