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Aufklärung und Frömmigkeit

Der deutsche Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann wird 65 Jahre alt
Eugen Drewermann

Eugen Drewermann (© Foto: dpa)

Von Christian Teissl

Ich stehe in der Kirche gegen die Kirche , bekannte er in den letzten Jahren immer wieder von sich; in seinem Denken und in seinem Glauben hat sich Eugen Drewermann jedoch bereits zu jener Zeit, als er noch sein Priesteramt ausüben durfte, von allem institutionell Festgeschriebenen und somit auch von den Dogmen der katholischen Kirche befreit. Ihm ging es von Anfang an darum, das Individuelle gegen das Normierte zu verteidigen, wie er es 1994 in einem Vortrag über den von ihm verehrten Hermann Hesse formuliert hat und was für sein gesamtes Schaffen bis heute maßgebend geblieben ist.

Im Fokus seines Denkens und Forschens steht der einzelne Mensch, der in einer vollständig verzweckten Welt auf der Suche nach zweckfreien Räumen ist, der jenseits aller genormten Bewertungen sein Selbstwertgefühl (wieder) zu finden und der jenseits aller verordneten Sinnhaftigkeiten den Sinn seiner Existenz zu entdecken sucht. Was Drewermann in diesem Zusammenhang von der Religion einzufordern nicht müde wird, ist die Fähigkeit, therapeutisch auf die Gläubigen einzuwirken und es ihnen zu erleichtern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Religion als Integrationsort

Die Skizze einer aus seiner Sicht idealen Religiosität entwarf er in jenen Gesprächen, die der Rundfunkjournalist Jürgen Hoeren mit ihm geführt hat und die 2001 unter dem Titel "Wozu Religion?" in Buchform vom Herder Verlag publiziert worden sind. Religion habe ein Ort der Integration zu sein, postulierte er, der Integration des Menschen mit sich selber, der Menschen untereinander und schließlich des Menschen mit der Natur.

Diese drei Integrationsvorgänge zu leisten – den psychischen, den interkulturellen und den ökologischen –, sei die Hauptaufgabe jeder Religion, die bereit ist, statt sich abzukapseln, auf die Probleme der Gegenwart einzulassen. Eine Religiosität unter solchen Vorzeichen und mit solchen Schwerpunkten müsse von Grund auf undogmatisch sein und sich gegenüber jeder Form gesellschaftlichen Zwanges subversiv verhalten.

Der Kern aller christlichen Religiosität ist bekanntermaßen die Überwindung des Todes in der Liebe. Diesem Zentralmotiv hat Drewermann ein eigenes Buch gewidmet, die Studie "Ich steige hinab in die Barke der Sonne" (Walter Verlag, 1989), in der er Todes- und Auferstehungsvisionen von den alten Ägyptern bis hin zu Dostojewski untersucht. Um dieses Zentralmotiv kreist er seit vielen Jahren und in vielen Texten. An einer Stelle seines Buches "Was uns Zukunft gibt" (Patmos, 1991), einer Sammlung von kleineren Essays über einzelne Evangelientexte, hat er es in so poetischer wie bündiger Form zusammengefasst: "Die einzige Antwort, die wir besitzen, besteht darin, dass wir uns inmitten der grenzenlosen Einsamkeit der Natur als Menschen zusammenschließen und, so intensiv wir können, versuchen, gegen den Tod anzulieben."

Drewermanns überaus weit gesteckter Begriff des Christentums brachte ihn in einen unüberbrückbaren Gegensatz zur Kirchenobrigkeit, und so kam es vor 14 Jahren zum Bruch: Der Erzbischof von Paderborn, sein unmittelbarer Vorgesetzter, entzog ihm 1991 die kirchliche Lehrbefugnis und wenig später auch das Priesteramt. Er durfte fortan nicht mehr als Theologe unterrichten und nicht mehr in katholischen Kirchen predigen. Deshalb musste sich Drewermann andere Foren suchen, die er auch alsbald in großer Zahl fand.

Durch seinen öffentlich ausgetragenen Konflikt mit der Amtskirche ist Drewermann, der vorher allenfalls in Theologen- und Psychologenkreisen mit seinen umfangreichen Schriften wie "Strukturen des Bösen" oder "Tiefenpsychologie und Exegese" als ein höchst eigenwilliger Denker aufgefallen war, im ganzen deutschen Sprachraum bekannt geworden. Die Medien haben ihm sogleich das Etikett eines "Kirchenrebellen" verpasst, das er allerdings nur ungern trägt und das sein eigentliches Anliegen keineswegs zu erfassen vermag.

Wenn es ihm heute noch immer wieder mühelos gelingt, mit seinen Kommentaren und Stellungnahmen zu polarisieren und Widerspruch zu erregen – so etwa zuletzt mit seiner Aussage, die Trauerfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II. erinnerten ihn an jene des Ayatollah Khomeini –, wenn er seit seinem Bruch mit der Amtskirche unermüdlich, in zahlreichen Vorträgen und Büchern, an seiner Version des Christentums weitergearbeitet und einen "Glauben in Freiheit" postuliert hat, so ist er damit doch weitgehend ein Einzelgänger geblieben und hat keineswegs schulbildend gewirkt.

Intellektueller Mystiker

Was Drewermann vor allem anstrebt, ist eine echte Verbindung von Aufklärung und Frömmigkeit, die uns immer noch fehlt – und deren Fehlen wohl eine der vielen Ursachen für die kulturelle Misere unserer Zeit ist. Er selbst sucht diese Synthese zu verkörpern, indem er das Leben eines intellektuellen Mystikers führt. Seine Schriften, die kaum mehr überschaubar sind, bewegen sich zwischen den Polen der wissenschaftlichen Reflexion (er ist auch ein profunder Kenner der modernen Naturwissenschaften) und der religiösen Poesie.

Drewermann vereint in sich die Qualitäten eines Predigers und eines Seelsorgers – seine Tätigkeit als Psychotherapeut versteht er als Fortsetzung des Priesteramtes unter anderen Vorzeichen – mit jenen eines Dichters und eines Intellektuellen, der Einspruch erhebt gegen bestimmte gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Zu Gebote stehen ihm dabei ein immenses und breit gefächertes Wissen sowie ein hohes Maß an rhetorischer Virtuosität.

Ausgehend von der Theologie kam Drewermann bereits früh zur Psychoanalyse. Das Werk Sigmund Freuds ist für ihn ebenso wegweisend geworden wie jenes von Dostojewski; beide haben in vielen seiner Arbeiten tiefe Spuren hinterlassen. In weiterer Folge gelangte er einerseits zu einem neuen Jesus-Bild (der Nazarener als Inbegriff des Heilenden, der die Menschen in ihrer Schuld nicht verurteilt, sondern versteht), andererseits zu dem bis heute umstrittenen Ansatz, die Bibel tiefenpsychologisch zu deuten.

Die Aussagen und Inhalte der Heiligen Schrift sind für Drewermann nicht im historischen Sinne wahr, sondern konstituieren vielmehr eine Wahrheit per se, die ihrerseits in der menschlichen Existenz verankert ist. In den Geschichten und Gleichnissen der Bibel artikulieren sich menschliche Urängste ebenso wie elementare Hoffnungen: die großen Signaturen des Lebens und Sterbens sind ihnen eingeschrieben.

Darin sind sie den Mythen und Märchen aller Zeiten und Völker verwandt, in denen ebenfalls archetypische Muster und elementare Situationen menschlichen Lebens gespeichert sind und in immer neuen Variationen zur Darstellung gelangen. In seinem Zugang zu den Mythen wie zu den Erzählungen der Bibel weiß sich Drewermann der Schule C. G. Jungs verpflichtet, und er hat diese Linie konsequent fortgeschrieben, indem er in den letzten 15 Jahren seine tiefenpsychologische Methode der Exegese auch auf etliche der Grimm’schen Volksmärchen angewendet hat.

Die Poesie der Liebe

Drewermanns Wahrheitsbegriff ist ein völlig anderer als jener der Amtskirche, weshalb sie ihn immer noch als einen Verfechter von Irrlehren und als einen haltlosen Polemiker betrachtet. Gegen jede fundamentalistische Ausdeutung und Instrumentalisierung der Bibel stellt er die Poesie der Liebe, wie er sie vor allem in den Worten der vier Evangelien vernimmt (von denen er in den letzten Jahren eine eigene Übersetzung angefertigt hat) und in der Gestalt Jesu Christi verkörpert sieht.

Der Nazarener ist für Drewermann – über alle Brüche und Krisen hinweg – stets bestimmend geblieben, eine fortwährende Herausforderung, die nicht geringer wird, in der Unbedingtheit ser Existenz Jesu wie in der radikalen Freiheit von allen traditionellen Bindungen seiner Zeit.

In dem Band "Wenn der Himmel die Erde berührt" (Patmos, 1992/2004), einer Sammlung von Predigten und Meditationen zu den Gleichnissen Jesu, findet sich der bezeichnende Satz: "Gott ist die Freiheit schlechthin" , und an anderer Stelle heißt es: "Jesus will uns nicht die Hölle lehren, aber er will uns mit allen Mitteln die Angst austreiben."

Die Sprache, die Drewermann spricht, ist eine Sprache der Angstlosigkeit. Von Gott zu reden bedeutet für ihn immer auch vom Menschen zu reden; das eine macht ohne das andere keinen Sinn, wird meist formelhaft und leer, erstarrt schließlich zu einem dogmatischen Gehäuse, in dem man nicht zu leben vermag. Der religiöse Diskurs muss nach seinem Verständnis in der Lage sein, ebenso das Hergebrachte zu überwinden wie die Angst vor dem Unbekannten.

Radikaler Pazifismus

In diesem Zusammenhang ist auch der radikale Pazifismus zu sehen, der spätestens mit Drewermanns Grundlagenschrift "Der Krieg und das Christentum" von 1982 (Herder) ein bestimmender Zug seiner publizistischen Arbeit geworden ist.

" Es gibt kein Zurück in den Alltag, solange es Krieg gibt" , heißt es in einer der "Reden gegen den Krieg", die er seit dem Golfkrieg 1991 immer wieder gehalten hat. "Ein Ja zum Krieg, mit welchen Gründen auch immer, ist ein Nein zu allem, was menschlich wertvoll und schützenswert ist. Es gibt keine Tage mehr, es gibt keine Nächte mehr, es gibt keine Sonne und es gibt keinen Mond – solange Krieg ist, gibt es nur Grauen und Gräber und das Grinsen der Fratze des Todes."

Eugen Drewermann, der Priester, Dichter und Therapeut, der unkonventionelle Theologe und politische Aktivist, ist eine Stimme, auf den ein zeitgenössischer Pazifismus, sei er nun religiösen Zuschnitts oder nicht, keineswegs verzichten kann.

Seine Art des christlichen Denkens ist eines, das die Welt nicht hierarchisiert, sondern in ihrer Offenheit annimmt, und in dem der Unterschied zwischen "Oben" und "Unten" wenn schon nicht aufgehoben, so doch erheblich relativiert wird: "Nichts gilt dem Christentum als zu gering" , schreibt Drewermann in dem Buch "Was uns Zukunft gibt", "als zu verächtlich oder trivial, dass es nicht als Träger Gottes oder Weg zu Gott in Frage käme. Im Gegenteil: gerade bevorzugt lehnt das Christentum sich an die Grundformen des Lebens an. Und es hat auch gar kein anderes Ziel, als diese Grundformen des Lebens zu verwandeln und zu heiligen, so dass beim Essen nicht mehr bloße Nahrung aufgenommen wird, sondern Gott selbst."

Christian Teissl , geboren 1979, Germanist, Lyriker und Essayist, lebt in Graz und in der Südsteiermark.

Zur Person Drewermann

Eugen Drewermann , geboren am 20. Juni 1940 in Bergkamen bei Dortmund, ist römisch-katholischer Theologe, Psychotherapeut, Schriftsteller und der wohl bekannteste Vertreter der tiefenpsychologischen Exegese.

Drewermann studierte Philosophie und Theologie, war ab 1972 zunächst Pfarrer der Paderborner Studentengemeinde und später Priester der Sankt-Georgs-Kirche. Nebenbei arbeitete er als Psychotherapeut und hielt seit 1979 Vorlesungen in Religionsgeschichte und Dogmatik an der Katholischen Theologischen Fakultät in Paderborn.

Beeinflusst von Carl Gustav Jung, legt Drewermann biblische Texte vornehmlich tiefenpsychologisch aus, wovon auch sein Buch "Tiefenpsychologie und Exegese" (1988) zeugt. In einem seiner Bücher behauptet er, der Zölibat schade der psychischen Gesundheit der katholischen Priester. In einem Interview mit dem "Spiegel" zweifelte er die Jungfrauengeburt Jesu an. Dadurch kam es zum Streit mit der katholischen Amtskirche. Am 8. Oktober 1991 entzog ihm der Erzbischof von Paderborn, Johannes Joachim Degenhardt, die kirchliche Lehrerlaubnis. Im Jänner 1992 erhielt Drewermann das Predigtverbot und ein kirchliches Strafverfahren wurde gegen ihn eingeleitet. Seitdem ist er als freiberuflicher Schriftsteller und Psychotherapeut tätig; als ein gern gesehener Gast wird er in Fernseh-Talkshows eingeladen – und zu Vorträgen im ganzen deutschsprachigen Raum.

Drewermann beschäftigt sich seit einigen Jahren auch mit Märchen (insbesondere jenen der Brüder Grimm), die er tiefenpsychologisch und religionsphilosophisch deutet.

Ein Großteil der über 70 bisherigen Bücher Drewermanns sind in den Verlagen Herder und Patmos erschienen.

Freitag, 17. Juni 2005

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