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Eremiten in der Großstadt

Ein Besuch im Kloster der "unbeschuhten Karmeliten" in Wien-Döbling
 Das

Das "Mannersdorfer Jesulein" aus dem Kloster "St. Anna in der Wüste".

Meditationsraum im Karmelitenkloster. Fotos: Eva Wrazdil

Meditationsraum im Karmelitenkloster. Fotos: Eva Wrazdil

Prior Pater Antonio im Gästezimmer, einer ehemaligen Mönchszelle.

Prior Pater Antonio im Gästezimmer, einer ehemaligen Mönchszelle.

Bruder Stefan im Altarraum der Karmeliten-Kirche in Wien.

Bruder Stefan im Altarraum der Karmeliten-Kirche in Wien.

Von Johannes Gans

In Einsiedeleien auf dem Berg Karmel in Palästina hatten sich Pilger und Männer aus dem Gefolge der Kreuzritter zurückgezogen. Sie waren nicht die ersten, die dort die Einsamkeit suchten. Die Hügelkette in der Nähe von Haifa war seit der Antike eine Kultstätte. Jahrhunderte vor den "lateinischen" Ankömmlingen hatten byzantinische Eremiten die Gegend bevölkert.

Die lateinischen Eremiten beriefen sich auf den Propheten Elias als ihren Ordensgründer und auf eine Stelle im Alten Testament, im "Hohelied", wo der Bräutigam seine Geliebte mit der Schönheit des Karmel vergleicht. Schönheit und Heiligkeit wurden später auf Maria bezogen. Zur Spiritualität der "Brüder Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel" kam mit der Zeit eine sehr einfache Regel hinzu, die den lokalen Verhältnissen angepasst war. Man traf sich nur zur Messe und zum Essen. Den Rest der Zeit verbrachten die Einsiedler in felsigen Höhlen oder in einer abgesonderten Zelle, in der sie, wie es in der Regel so schön heißt, "Tag und Nacht die Gesetze des Herrn betrachten und im Gebete wachen" sollten.

Die kriegerischen Unternehmungen der Kreuzzüge waren schließlich gescheitert. In der nunmehr feindseligen Umgebung war die Zeit für der Eremiten abgelaufen. Sie mussten aus dem Heiligen Land verschwinden. Im Europa des ausgehenden Mittelalters waren die herabgekommenen Flüchtlinge jedoch keineswegs gern gesehen. Neuen Ordensgemeinschaften gegenüber war man mehr als skeptisch. Konzile versuchten den herrschenden Wildwuchs zu bremsen, indem man neue Gemeinschaften nicht als Orden anerkannte, beziehungsweise bestehende einfach aufhob. Die jungen Bettelorden wie Dominikaner und Franziskaner waren im Begriff, in den rapide wachsenden Städten ihre Reviere abzustecken.

Die großen Stifte auf dem Land hatten ihre Blütezeit bereits hinter sich, waren in Reformen verstrickt und rangen mit mächtigen Bischöfen um politischen und geistlichen Einfluss. Mit Einsiedlern wusste man sich nichts anzufangen. Sie wurden kurzerhand zu einem "Mendikantenorden" erklärt, dessen Angehörige ihren Teil bettelnd und mit Predigen und Seelsorge zum Wohle der Gesellschaft beitragen sollten.

Der Spanier P. Antonio Sagardoy, Prior im Wiener Konvent der "unbeschuhten Karmeliten", über das Grundproblem seines Ordens: "Auf der einen Seite die eremitische, auf der anderen Seite die apostolische Betonung – diese Kombination ist uns geblieben, und diese Mischung aus Kontemplation und Aktion prägt auch die jetzige Struktur der Ordensgemeinschaft." Die Beifügung "unbeschuht" deutet lediglich auf eine strengere Richtung innerhalb des Ordens hin: "Eine Bewegung im Mittelalter, der die meisten spanischen Ordensgemeinschaften angehörten. Die Karmeliten erhielten diesen neuen Schwung durch Teresa von Avila, die zuerst ein Männerkloster gründete. Wir könnten deswegen auch Teresianische Karmeliten heißen, haben aber den Namen ‚unbeschuhte Karmeliten‘ beibehalten."

Sagardoy vermutet, dass König Philipp II. von Spanien Teresa von Avila deswegen gefördert hat, weil eine Bewegung von "Unbeschuhten" politisch weniger gefährlich erschien als andere mächtige Orden. "Interessanterweise wurden bald nach der Entdeckung Amerikas nur unbeschuhte Ordensgemeinschaften nach Südamerika geschickt."

Rückzug in die Stille

Heutzutage sind die strengen Regeln laut Pater Antonio ein Angebot an alle Menschen, die in der Stille, in der Zurückgezogenheit und im Gebet wieder ihr inneres Gleichgewicht finden wollen: "Mobilität hat viele Vorteile, bewirkt aber auch, dass wir langsam nicht mehr wissen, wo wir zu Hause sind. Der Mensch muss entdecken, dass er bei sich zu Hause ist, dann ist es auch leichter, andere Menschen zu entdecken. Sonst verliere man die Tiefe im Leben."

Zehn Zimmer stehen im Kloster im 19. Wiener Gemeindebezirk für suchende Menschen offen, um sich in die Stille zu vertiefen. "Der Tagesablauf ist klar strukturiert. Nach dem Frühstück gibt es den sogenannten Impuls, dabei wird von mir ein Gedanke zur Meditation angeboten. Das Mittagessen wird mit uns, gemeinsam mit dem Konvent, bei Musik eingenommen. Gesprochen wird nichts. Unser Haus ist eine Oase der Stille in der lauten Stadt. Wer das Bedürfnis zum gemeinsamen Reden hat, kann dies im Garten tun. Es steht ihm frei. Im Haus gibt es nur das persönliche, von mir begleitete Gespräch."

Die Botschaft ist im Grunde einfach, sagt Pater Antonio: "Der Mensch ist ein Tempel Gottes. Gott wohnt in jedem von uns. Ich versuche Menschen zu helfen, damit sie wissen, dass Gott bei ihnen ist. Das gibt sehr viel Sicherheit, Würde und Größe. Auf der anderen Seite bedeutet es Verantwortung. Man muss sein Tun im Angesicht Gottes verantworten. Ich hoffe, dass die Menschen das als eine befreiende – und nicht als eine einengende Botschaft verstehen."

Im Kloster sind Exerzitienräume eingerichtet, mit einem stimmungsvollen Meditationsraum als Zentrum. Dort hängt auch eine Zeichnung des Johannes vom Kreuz, den gekreuzigten Christus darstellend. Mit Teresa von Avila war Johannes der Begründer des strengen Zweiges der unbeschuhten Karmeliten. Er gilt als Kirchenlehrer, nicht als Künstler. Trotzdem könnte seine für das 16. Jahrhundert völlig ungewohnte Sicht des Kreuzes, von schräg oben betrachtet, Salvator Dali zu seiner berühmten Darstellung des Gekreuzigten inspiriert haben. Eine Äußerung dieses Heiligen ist für P. Antonio zum Maßstab seiner Arbeit geworden: "Gott ist wie ein Brunnen, aus dem jeder Mensch Wasser schöpft, entsprechend seinem Schöpfgefäß. Das Ziel ist ein Leben in Fülle. "

Auf die Frage, wo er für die geistliche Betreuung ausgebildet wurde, die von der Auswahl der Meditationsmusik über die Einrichtung der Räume bis zur Organisation des Tagesprogrammes reicht, verweist er auf das Prinzip "lerning by doing": "Ich habe keine Trainerkurse oder ähnliches besucht. Es ist die Erfahrung und die Bereitschaft, von Menschen zu lernen."

Heilung mit Karmelitengeist

In alter Ordenstradition erhält auch der Leib bei den Karmeliten Abhilfe bei allen möglichen Wehwechen, früher hauptsächlich mit dem bekannten Karmelitengeist, dessen Erzeugung mittlerweile aus produktionstechnischen Gründen eingestellt wurde.

Das Kloster ist, verglichen mit anderen Ordenshäusern, ein sehr junger Bau. Die unbeschuhten Karmeliten waren im Zuge der Gegenreformation nach Wien gekommen und in der Leopoldstadt, genauer: im Prater, angesiedelt worden. Unter Joseph II. wurde das Kloster aufgehoben. Aus Mitteln des staatlichen Religionsfonds wurde in den Jahren 1898 bis 1900 das jetzige Kloster in Wien-Döbling errichtet. Die Kirche ist ein kurioser, aber durchaus sehenswerter Stilmix: Bögen und Nischen erinnern an die byzantinische Bauweise, einige Malereien, wie etwa das Altarbild mit der Heiligen Familie, sind von den Nazarenern beeinflusst, und die Heiligen an den Seitenaltären tragen unübersehbare Merkmale des Jugendstils. Aus dunklen Säulenreihen tritt man in einen hellen, lichtdurchfluteten Kirchenraum, der vom Hochaltar mit seiner wuchtigen Figurengruppe aus weißem Marmor beherrscht wird.

Die Bevölkerung dürfte an der Wiederansiedlung der Karmeliten einigen Anteil genommen haben, anders ist es nicht zu erklären, dass die erwähnte Figurengruppe angeblich mit den Ersparnissen eines Dienstmädchens bezahlt wurde. Auch das Gnadenbild "Maria mit dem geneigten Haupt" hat eine illustre Geschichte: Es war 1610 vom Prior des Karmelitenklosters in Rom, Pater Dominicus a Jesu Maria, in einem Schutthaufen gefunden worden. Er behielt es bei sich in der Zelle. Nach seinem Tod gelangte es auf Umwegen zu Kaiser Ferdinand II. und wurde vermutlich in der Kammerkapelle der Wiener Hofburg von der kaiserlichen Familie verehrt. 1655 wurde es den Wiener Karmeliten geschenkt und zu einem Ziel von Wallfahrten.

Die Menschen folgten dem Gnadenbild nach Döbling. Im Ersten Weltkrieg setzte man von höchster kirchlicher Stelle auf seine Wunderkraft. 1915 wurde es in einem feierlichen Zug in den Stephansdom zu einem Friedensgebet mit Kardinal Friedrich Gustav Piffl gebracht. 1935 erteilte Papst Pius XI. den Auftrag, das Bild zu krönen, als "Akt der Dankbarkeit gegen unsere liebe himmlische Mutter Maria" .

Im vorderen seitlichen Teil der Kirche streckt das sogenannte Mannersdorfer Jesulein seinen rechten Arm in die Höhe. Der Name stammt vom ehemaligen Karmelitenkloster "St. Anna in der Wüste" in Mannersdorf an der Leitha. Heute gibt es dort einen Naturpark, wo noch Ruinen der Eremitagen zu sehen sind. Jeder der Mönche lebte dort für sich allein – im Sinne der ersten Einsiedler auf dem Berge Karmel. Die Möglichkeit, sich zumindest für ein paar Jahre als Eremit zurückzuziehen, gibt es in einigen Karmelitenklöstern in Spanien und in Italien noch heute. Pater Antonio: "Ich könnte mir vorstellen, dass manche Menschen in der Konfrontation mit dem Ordensleben entdecken, welche Werte im Leben wirklich wichtig sind."

Dass er täglich bis zu drei Stunden im Gebet verbringen und seine persönlichen Erfahrungen im Kloster einbringen darf, sieht er als Geschenk: "Viele Menschen wären dafür dankbar."

Wie kann ein Einsiedler, der sich der menschlichen Gesellschaft verschließt, eine Botschaft vermitteln?

"Wir Ordensleute müssen uns sozusagen als Zeichen sichtbar machen. Die Leute sollen sagen, dass sie unser Leben auf etwas aufmerksam macht. Der Eremit will mit seiner Existenz ein Zeichen dafür setzen, dass Gott Vorrang vor allem anderen hat." Pater Antonio ist überzeugt, dass jemand, der aus der Eremitage in sein gewohntes Leben zurückkehrt, dieses ganz anders, neu und tief empfindet.

Informationen:

Karmel-Döbling, Wallfahrtskirche Maria mit dem geneigten Haupt, 1190 Wien, Silbergasse 35, Tel.: 01/320 33 40, E-Mail: p.antonio@karmel.at.

Literatur:

Hannes Gans: Klostergeheimnisse. Leopold Stocker Verlag, Graz 2004.

Johannes Gans , Jahrgang 1955, lebt als Buchautor mit den Schwerpunkten Reisen, Volkskultur und Geschichte in Wien.

Freitag, 02. Dezember 2005

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