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"Die Kirche mischt sich in alles ein"

Ein Gespräch mit dem Theologen und Philosophen Hans Küng
Von Eugen-Maria Schulak

Ausgebildet am römischen Elite-Institut "Collegium Germanicum" und in Rom zum Priester geweiht, erregte Hans Küng, der älteste Sohn einer wohlhabenden Schweizer Handelsfamilie, schon früh wissenschaftliches Aufsehen. Wie erst später bekannt wurde, führte bereits seine Dissertation, eine katholische Reflexion der protestantischen Lehren Karl Barths, zur Anlage eines Inquisitionsdossiers, was Küngs weitere kirchliche Karriere jedoch keineswegs behinderte. Nach Jahren praktischer Seelsorge an der Hofkirche in Luzern wurde Küng im Alter von

32 Jahren zum ordentlichen Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Tübingen und zwei Jahre später von Papst Johannes XXIII. zum offiziellen theologischen Konzilsberater ernannt. Seine Tätigkeit im Rahmen des Konzils machte ihn auch mit dem österreichischen Kardinal König bekannt, der einer seiner ersten Förderer wurde.

Entzug der Lehrbefugnis

Mehrmals erregten Küngs Publikationen den Widerwillen der päpstlichen Kurie. Im Dezember 1979 schließlich bot Küngs Text "Kirche" dem römischen Lehramt den Anlass, ihm die "Missio Canonica", die kirchliche Lehrbefähigung, zu entziehen. Küng schied aus der Fakultät der Universität Tübingen aus, blieb aber Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Institutes für ökumenische Forschung. Damit gab es in Deutschland den ersten Lehrstuhl für christliche Theologie, der rechtlich keiner Kirche zugeordnet war. Weltberühmt wurde Küng mit seiner 1990 erschienenen Programmschrift "Projekt Weltethos", in der er für den Dialog der Religionen und für eine Rückbesinnung auf die allen Religionen gemeinsame ethische Grundstruktur eintrat. Das folgende Interview fand im Rahmen einer Veranstaltung der "Siemens Academy of Life" statt.

Wiener Zeitung: Herr Professor Küng, Ihr Weg in die Theologie begann damit, dass Sie sich zuerst für den Dialog mit den Protestanten eingesetzt haben. Wie und wann kamen die anderen großen Weltreligionen in Ihr persönliches Blickfeld?

Hans Küng: Schon als Student in Rom - im Jahre 1954 - reiste ich aus Interesse an anderen Kulturen nach Nordafrika. Später dann, als man mir die Lehrbefugnis entzog, habe ich damit angefangen, systematische Dialoge mit dem Islam, dem Hinduismus und dem Buddhismus zu führen. Mit der Zeit habe ich dabei erkannt, dass dies nicht bloß eine akademische, sondern eine hoch politische Angelegenheit ist. Die Dringlichkeit eines fruchtbaren Dialogs zwischen den Weltreligionen ist heute offenkundiger denn je.

Sie vertreten in manchen Fragen Positionen, die nicht dem Willen Roms entsprechen. So plädieren Sie etwa beim Zölibat für die Freiwilligkeit und nicht für den Zwang. Auch bei der Frage der Empfängnisverhütung sind Sie liberaler als der "harte Kern" der katholischen Kirche. Wie weit sind Sie in Ihren Meinungen von katholischen Bischöfen, wie etwa Kardinal König, unterstützt worden?

Zunächst einmal ging es mir um die Frage der Unfehlbarkeit. Im Zuge des Konzils schrieb ich mehrere Reden zu diesem Thema. Kardinal König hat damals eine dieser Reden von mir gehalten, und zwar jene über die Unfehlbarkeit der Schrift. Diese Rede ist gut aufgenommen worden. Es gibt ja auch viele fundamentalistische Protestanten, die der Ansicht sind, dass es in der Bibel keine Irrtümer gibt. Für sie ist die Bibel der "papierene Papst".

Am Ende des Konzils bekam ich dann eine Privataudienz bei Papst Paul VI., den ich sehr schätzte. Ich war daher einigermaßen entsetzt, dass er tatsächlich glaubte, das Problem der Pille, also die Bewertung der Empfängnisverhütung als Unsittlichkeit, sei eine Frage der Unfehlbarkeit. Daraufhin habe ich zu diesem Thema ein Buch mit dem Titel "Wahrhaftigkeit" geschrieben. Es kam 1970 heraus, hat aber letztlich nichts bewirkt.

Zu Beginn der Amtszeit von Papst Johannes Paul II. griff ich das Thema neuerlich auf und fragte, ob wir tatsächlich auf dem richtigen Kurs seien. Ich plädierte damals für die Geburtenregelung, für die Freiwilligkeit des Zölibats und für Frauen in der Kirche - eine Haltung, die neuesten Umfragen zufolge heute von etwa 90 Prozent der Schweizer Katholiken vertreten wird. Was ich vertrete, ist also im Grunde das, was der übergroßen Mehrheit der Katholiken - von den Protestanten gar nicht zu reden - entspricht. Der Bischof müsste sich also eigentlich rechtfertigen, warum er eine andere Position vertritt. Ich glaube außerdem - und das ist mein eigentliches Kriterium -, selbst Jesus würde heute wie der Großteil der Bevölkerung denken. Oder können Sie sich vorstellen, dass Jesus von Nazareth heute für ein Verbot der Pille eintreten würde? Ist vorstellbar, dass er, der von seinen eigenen Jüngern nicht erwartet hat, dass sie unverheiratet sind, Priestern die Ehe verweigern würde? Es gibt in der Heiligen Schrift dazu nur ein Wort: "Wer es fassen kann, der fasse es." Dagegen gilt heute: Wer es nicht fassen kann, muss es auch fassen. Den Zölibat aber haben uns die Päpste aus dem 11. Jahrhundert, die Päpste der gregorianischen Reform, beschert. Da wird man ja fragen dürfen, ob das für das dritte Jahrtausend auch noch gelten soll.

Ich kämpfe bis heute für alle bereits genannten Anliegen, und zwar deshalb, weil ich die Kirche nach wie vor als meine Kirche betrachte, die ich nicht irgendeinem Apparat überlassen möchte.

Worauf ist Ihrer Ansicht nach das schlechte Image der heutigen Kirche zurückzuführen?

Sie ist das einzige absolutistische System in der westlichen Welt, das sich nach der Französischen Revolution gehalten hat. Die Kirche gibt vor, alles zu wissen: Sie schreibt Frauen vor, ob sie die Pille nehmen dürfen oder nicht; sie schreibt dem Pfarrer vor, ob er mit dem evangelischen Pfarrer zusammen das Abendmahl feiern darf oder nicht; sie mischt sich in ökumenische Trauungen ein. Im Grunde mischt sich die katholische Kirche in alles ein, aber so funktioniert unsere Gesellschaft nicht mehr. Eine solche Kommandostruktur von oben nach unten hat zur Folge, dass unten Frustration herrscht. Der katholischen Kirche ist es, im Gegensatz zur Politik, nicht gelungen, den Parlamentarismus langsam einzuführen. Der Papst ist nach wie vor der Gesetzgeber, die Exekutive und die Judikative in einem. Wenn die Kirche eine Französische Revolution vermeiden will - und auch das Köpferollen -, dann muss sie sich verändern.

Christen und Muslime

In Europa leben heute 25 Millionen Muslime. Sehen Sie Ansätze, die ein friedliches Zusammenleben von Christen und Muslimen auf Dauer ermöglichen?

Lassen Sie mich mit einem Beispiel antworten: Wir haben in Baden-Württemberg eine Lehrerin, eine Deutsche, die in Afghanistan geboren wurde und sich in Saudi-Arabien dem islamischen Gauben zugewandt hat. Sie meint, dass sie das Kopftuch tragen muss, und hat ihren Fall bis zum Bundesverfassungsgericht durchgekämpft. Meiner Ansicht nach sollte man versuchen, derartige Fälle außergerichtlich zu lösen. Wenn diese Lehrerin von der Kultusbehörde oder vom zuständigen Schulamt gefragt wird: "Sind Sie bereit, den christlichen Charakter der christlichen Gemeinschaftsschule grundsätzlich anzuerkennen? Achten Sie die Religionsfreiheit der anderen? Sind Sie bereit, das Kopftuch abzulegen oder das Lehramt aufzugeben, wenn es in der Klasse ernsthafte Schwierigkeiten gibt und der Schulfriede dadurch gestört wird?" Und wenn die Lehrerin all diese Fragen bejahen kann, dann kann sie meines Erachtens das Kopftuch tragen.

Lassen Sie uns noch über jenes große Projekt sprechen, mit dem man Sie vor allem verbindet: das "Projekt Weltethos".

Was wir heute brauchen, ist ein Minimum an elementaren Standards, die jedermann, ob Christ oder Nichtchrist, ob gläubig oder nicht gläubig, ob alt oder jung, einhalten muss. Damit meine ich nicht eine allen gemeinsame Ethik im Sinne eines ethischen Systems. Sehr wohl aber kann man sagen, dass sich seit Beginn der Menschwerdung gemeinsame ethische Normen langsam herausgebildet haben, zum Beispiel jene, unschuldige Menschen nicht umzubringen, anderen ihr Eigentum nicht wegzunehmen oder nicht unwahrhaftig zu sein. Das sind Regeln, die Sie auch bei den Aborigines in Australien finden, eigentlich in allen Kulturen, und diese Regeln sind nicht kompliziert.

Man hat natürlich immer gelogen und gestohlen, aber man möge sich doch einmal vorstellen, was wäre, wenn wir die Zehn Gebote nicht hätten, die in anderer Form ja auch im Koran stehen. Was, wenn diese Grundsätze völlig in Vergessenheit gerieten? Wir sind fast schon an die Situation gewohnt, dass es Jugendliche gibt, die offenkundig keine Ehrfurcht mehr vor dem Leben gelernt haben, die nie gehört haben: "Du sollst nicht morden". Es war früher undenkbar, dass Kinder andere Kinder oder Lehrer ermorden. Aber entsprechende Grundsätze müssen nicht neu erfunden werden. Es genügt ein Rückgriff auf jene uralten Regeln, die nur wieder bewusst gemacht werden müssen. Und genau das macht unsere Stiftung, das "Projekt Weltethos". Tue dem anderen nichts an, von dem du nicht willst, dass man es dir antut. Wenn das nur wieder allen klar wäre!

Wenn Sie einen Konzern haben, in dem diese goldene Regel eingehalten wird, haben Sie mit Sicherheit ein gutes Betriebsklima. Wenn diese Regel nicht eingehalten wird, wird die Arbeit zur Hölle. Auch das möchten wir mit dem Begriff "Weltethos" deutlich machen. Aber selbst von den Mächtigen und Politikern darf man erwarten, dass sie einen nicht anlügen, dass sie nicht einen Krieg herbeilügen. Ich habe den Irak-Krieg von Anfang an als Orwell'sches Manöver angesehen. Jetzt muss sich die "New York Times" entschuldigen, weil sie nicht immer richtig berichtet hat, weil sie einseitig war und nur Regierungspropaganda gebracht hat. Daran merkt man, dass einfache Maßstäbe abhanden gekommen sind.

Blair hielt Weltethos-Rede!

Ich sehne mich immer wieder nach der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Die großen Leute, die damals Europa aufgebaut haben, haben nicht ständig nur taktiert. Männer wie De Gaulle, Adenauer oder De Gasperi waren auf ihre Weise auch Füchse. Aber sie hatten eine Linie, ein Programm, ein Konzept. All das hängt wesentlich vom Charakter ab, und der Charakter hängt an gewissen ethischen Normen. So läuft schließlich alles zusammen.

Natürlich kann man behaupten, die Moral komme weder gegen die Wirtschaft noch gegen die Politik an. Langfristig wird es aber auch einem Mann wie George W. Bush noch teuer zu stehen kommen, dass er ständig taktiert, genauso wie meinem Freund Tony Blair, der in Tübingen auf meine Einladung hin einst die erste Weltethos-Rede gehalten hat. Niemand hätte damals gedacht, dass er überhaupt kommen würde. Er hat die Rede aber gehalten, wurde bejubelt und war eine Identifikationsfigur für die Studenten. Nach seiner Rolle im Irak-Krieg könnte ich ihn heute nicht mehr einladen. Es ist wirklich erschütternd, was alles kaputt geht, wenn sich ein Politiker nicht an ethische Normen hält.

Im Laufe Ihres Lebens haben Sie mehr als 40 Bücher geschrieben und viele Sprachen erlernt, darunter Griechisch und Latein.

Das Erlernen der Sprachen war eine harte Arbeit. Aber bereits im "Germanicum" in Rom herrschte die Regel, dass man den ganzen Tag über studiert, daher arbeite ich heute immer noch den ganzen Tag. Das macht mir Spaß. Oft sitze ich beim Schreiben im Freien auf einer Terrasse und höre dabei klassische Musik; manchmal bleibe ich bis Mitternacht draußen und betrachte den Sternenhimmel. Ich lebe in engem Kontakt mit der Natur, wohne auch direkt am Wasser. Das tägliche Hinausschwimmen auf den See ist für mich beinahe ein mystisches Erlebnis: wenn man sich selbst vergessen kann im See und nicht mehr weiß, wo man ist, und plötzlich erschrickt, wenn ein Schwan über einem fliegt und laut mit seinen Flügeln schlägt. All das gehört zu meinem Leben, das interessant und anstrengend ist. Aber ich bin sehr zufrieden damit.

Freitag, 24. Dezember 2004

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