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Ein ambulanter Seelsorger

Das wechselhafte Leben des Pfarrers von Duino, Don Giorgio
Von Günther Schatzdorfer

Duino ist eine kleine, scheinbar unbedeutende italienische Gemeinde an einem wesentlichen Schnittpunkt Europas. Das Dorf bei Triest liegt zwischen der mediterranen Welt und den Ausläufern der Alpen, zwischen der zerklüfteten Ostküste der Adria und dem touristischen Italien mit seinen endlosen Sandstränden. Duino liegt aber auch an einem historischen und geopolitischen Brennpunkt. Hier begegneten einander Kelten und Illyrer, Römer und die von ihnen so genannten Barbaren. Der Monte Hermada war der südlichste Punkt der Frontlinie im Ersten Weltkrieg. Hier wurde das erste slowenische Wörterbuch verfasst, und hier begann Mussolini mit der Italianisierung der slowenischen Bürger. Hier leben Veneter, Süditaliener, Friulaner, Slowenen und die Esuli - istrische Flüchtlinge aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg - nebeneinander, nicht aber miteinander. Hier lebt der Prinz von Thurn und Taxis in seinem Schloss, leben reiche Triestiner in schicken Villen neben Schichtarbeitern und Kleinbauern.

Als im Jahr 1989 der vormalige Universitäts-Professor Giorgio

Giannini auf Ersuchen des Bischofs von Görz in dieser 7.000-Seelen-Gemeinde seinen Dienst als Pfarrer antrat, war er bereits 50 Jahre alt und fühlte sich in eine andere Welt - um mindestens eine Generation - zurückversetzt. In eine Welt, in der die gegenseitigen Vorurteile der hier ansässigen Ethnien sich seit der Zeiten der Großväter und des Kalten Krieges nicht geändert hatten. Er wollte für alle da sein - und stand deshalb zwischen allen. Für einen Priester eine denkbar schwierige Voraussetzung. Mit anderen Worten: Der Hirte war damit konfrontiert, dass sich viele seiner Schafe heftig weigerten, miteinander eine Herde zu bilden.

Seine Biographie und seine Familiengeschichte befähigten Giorgio Giannini aber wie kaum einen anderen zu diesem komplizierten Amt. Väterlicherseits kam die Familie aus dem Veneto. Der Großvater war radikaler Sozialist und nahm 1902 am Generalstreik in Triest teil, welcher 14 Menschen das Leben kostete. Der Vater war einfacher Arbeiter und wurde im Ersten Weltkrieg zu den österreichischen Truppen eingezogen. Er kam als Koch zur Sanität, zunächst nach Lemberg. Den Fall der Stadt und das anschließende Gemetzel durch die Kosaken überlebte er, weil diese das Spital aus Angst vor der Cholera unversehrt ließen. Aber damit war der Krieg für ihn noch nicht zu Ende. Mit den Hilfstruppen für die Türkei kam er nach Palästina und geriet in englische Gefangenschaft. Als er endlich nach Triest zurückkehrte, herrschte bittere Not. Sein jüngster Bruder emigrierte nach Amerika. Er selbst fand mit viel Glück Arbeit und heiratete. Seine Frau stammte aus einer lutherisch-slowenischen Familie aus Ungarn, deren Name "Ive" von den Faschisten kurzerhand in "Giannini" italianisiert wurde. Sie hatten vier Kinder miteinander. Giorgio wurde am 1. April 1939 geboren.

Als Kind erlebte er den Zusammenbruch des mussolinischen Italiens, die Machtübernahme durch die Nazis, den Einmarsch der Tito-Partisanen (die in der Straße vor dem Haus der Gianninis ein pittoreskes Zeltlager aufschlugen) und schließlich die Parade der englischen und amerikanischen Sherman-Tanks. An die Misere der Kriegs- und Nachkriegsjahre erinnert er sich noch gut. Trotzdem, sagt er heute, habe er nie so gut gegessen wie in den Zeiten der Not. Der Vater war nicht nur Koch, sondern wusste sich auch zu verständigen, sprach neben Italienisch und Slowenisch etwas Deutsch und Englisch. Und er war hilfsbereit. So gingen im Haus der Familie die jeweiligen Besatzer friedlich ein und aus: ein Wehrmachtsangehöriger, der das Gespräch suchte und aus Sorge um seine Familie in Berlin in Tränen ausbrach, ebenso wie Partisanen, die um Wasser baten. Sie alle zeigten sich erkenntlich, und so litt die Familie zumindest keinen Hunger.

Der Knabe Giorgio lernte, wie wichtig der Dialog für eine friedliche Koexistenz ist - erst recht, als er sich 1948 in der nahen Pfarre von San Vincenzo di Pauli einer katholischen Jugendgruppe anschloss. Deren Leiter war ein weltoffener, liberaler Mann, der mit den Kindern diskutierte, Sport betrieb und im Sommer Zeltlager und Wanderungen im Gebirge organisierte. Dieser Priester war mit dem Generalvikar von Venedig befreundet, und so kam es, dass die Jugendlichen anlässlich eines Besuches in der Lagunenstadt den Erzbischof und Patriarchen Angelo Giuseppe Roncalli trafen, der ein Jahr später Papst Johannes XXIII. werden sollte. Die Begegnung und die Gespräche mit diesem Mann waren beeindruckend. Vor allem für den jungen Giannini, der kurz vor der Matura im naturwissenschaftlichen Gymnasium stand. So reifte in ihm der Entschluss, Priester zu werden.

Jugendseelsorger in Triest

Der Vater war von dieser Entscheidung nicht sehr begeistert, legte dem Sohn aber keine Hindernisse in den Weg. Don Giorgio Giannini wurde 1962, im Jahr des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen Reformgeist ihn faszinierte und seine geistliche Arbeit bis heute prägt, zum Priester geweiht. Zunächst wurde er Jugendseelsorger in Triest, in San Giovanni, einem Bezirk mit extremen sozialen Spannungen, in welchem sich auch das legendäre, vom berühmten Psychiater Franco Basaglia geleitete und von diesem später aufgelöste "Ospedale Psichiatrico" befand.

Als der damalige Bischof von Triest, Antonio Santin, für das Priester-Seminar einen neuen, aufgeklärten Professor für Naturwissenschaft suchte, brauchte man Giannini nicht lange zu motivieren. Er begann wieder zu studieren, promovierte 1967 zum Doktor der Physiologie und begann zu unterrichten, zunächst am Seminar, wenig später auch an der Medizinischen Fakultät der Universität Triest, wo er bis 1985 Professor war. Aber der akademische Betrieb alleine genügte ihm nicht. So ging er 1975 als Dozent an die Universität von Mogadischu in Somalia, ein Jahr später nach Monrovia in Liberia, wo er bis 1979 lehrte. Diese Länder waren zum damaligen Zeitpunkt politisch relativ stabil, und Giannini nutzte diese Aufenthalte nicht nur für universitäre Belange.

Es seien die wichtigsten Jahre in seinem Leben gewesen, sagt er heute. Die Begegnungen mit Menschen und ihren Kulturen, die Erfahrungen mit dem Alltag der Missions-Tätigkeit, die Konfrontation mit der sozialen Wirklichkeit einer anderen Welt. Als er schließlich nach Triest zurückkehrte, habe er die Probleme seiner Heimatstadt relativieren können. Auch haben die Menschen in Afrika seinen Begriff von Seelsorge entscheidend verändert. Dort habe er gelernt, dass Predigen nicht das Wichtigste im Leben eines Priesters sei, sondern das Zuhören und das gemeinsame Suchen nach Lösungen der großen und kleinen Probleme.

Von 1979 bis 1985 unterrichtet er wieder an der Universität Triest. Dann zieht er sich aus persönlichen Gründen vom Lehr-Betrieb zurück, stellt sich wieder in den Dienst der Kirche, meditiert, hilft da und dort. Ein paar Jahre später wird das Amt des Dorfpfarrers von Duino vakant. Schlossherr Prinz Carlo von Thurn und Taxis und sein Sekretär Romano Marcuzzi, ein langjähriger Freund Gianninis, pilgerten zum Bischof von Görz und baten um einen würdigen Mann zur Betreuung der Gemeinde. So kam es dazu, dass der Bischof den Professor anrief.

Von der Uni ins Pfarramt

Giannini zögerte zuerst, sagte schließlich aber unter der Bedingung zu, dass er nur für ein paar Jahre für dieses Amt zur Verfügung stehe - weil er sich vielleicht doch eines Tages wieder seiner wissenschaftlichen Arbeit widmen wolle. Mittlerweile ist er seit 15 Jahre Pfarrer. Er hört Menschen zu, die wenig reden und sich oft nicht auszudrücken vermögen. Und er predigt vor Menschen, welche die Geschichte so hart gemacht hat wie die Steine des Karstes und denen das Wort "Amen" manchmal nur schwer über die Lippen kommt. Manchmal ist es wie in jenem Gleichnis im Lukas-Evangelium, dass eher die Steine antworten als die Menschen. Dennoch glaubt er an die Kraft des Wortes und an die Aufgabe des Priesters, die er als eine Mischung aus Erzieher und Individualpsychologe sieht.

Die Geschichte, sagt er, habe sich Gott sei Dank verändert. Nur falle es vielen Menschen schwer, dies zu akzeptieren. Das Gemeindegebiet von Duino war fast 60 Jahre Grenzland, der Eiserne Vorhang besteht in den Köpfen vieler fort. Die Vorurteile mancher Italiener, dass alle Slowenen anti-italienische Partisanen seien, oder die fixe Vorstellung vieler Slowenen, dass die Italiener nichts weiter als ethnische Säuberungen im Schilde führten, lassen sich nur schwer ausrotten. Daran werde, so ist Don Giorgio überzeugt, auch der EU-Beitritt Sloweniens und der Fall der Grenzbalken so schnell nichts ändern.

Jeden Sonntag liest er zwei Messen, eine auf Slowenisch, eine auf Italienisch. Darüber hinaus ist er auch ein ambulanter Seelsorger, ständig unterwegs in den Dörfern des Triestiner Karstes, nimmt Beichten ab, spendet die Kommunion oder die letzte Ölung. Wenn seine seelsorgerische Tätigkeit es zulässt, zieht er sich zu Freunden nach Bruneck ins Pustertal zurück. Dort liest er die Messe auf Deutsch und geht Bergsteigen. Denn hier ist der Ort seiner Wiedergeburt. Im Jahr 1993 diagnostizierten die Ärzte einen Tumor bei ihm. Er wurde in Triest operiert, dann ein zweites Mal in Padua, und war dem Tod nahe. Erst eine dritte Notoperation rettete ihn. Geschwächt zog er sich in ein Dorf am Fuße der Riesenfernergruppe zurück, zu einem Bekannten, der neben einer kleinen Pension eine Brennerei für heilende ätherische Öle betreibt, erholte sich langsam und begann wieder mit Wanderungen in den geliebten Bergen. Ihn, den Sohn einer Arbeiterfamilie aus einer Hafenstadt, hat es immer wieder in die Berge gezogen. Das Kind des Meeres wurde zum Alpinisten. Mit schuld daran war sein Freund Rafko Dolhar, ein in Triest niedergelassener Arzt, der aus Tarvis stammt und sich als Publizist über das Leben in den italienischen und slowenischen Alpen einen Namen gemacht hat. Bei den gemeinsamen Touren diskutierten sie die Dinge des Lebens - und der italienische Priester lernte quasi nebenbei Slowenisch.

Gottesvertrauen und Humor

Was Don Giorgio Giannini zu einem Seelsorger im eigentlichen Sinn des Wortes macht, ist wohl seine Fähigkeit, im Gespräch immer wieder - wenigstens für einen Augenblick - die Möglichkeit einer Erlösung erahnen zu lassen, und sowohl Gottessuche als auch Glaubensfragen aus der Begegnung mit Menschen zu definieren, wie schon sein Vorbild Monsignore Roncalli. Seine Arbeit wird nicht von katechetischen Parametern bestimmt, sondern vom idealistischen, endlosen und oft zum Scheitern verurteilten Kampf um die Liebe zwischen den Menschen, um Toleranz und Verantwortung. Und noch ein Talent hat er: die scheinbar von Gott Verlassenen zum Lachen zu bringen. Ein typischer Triestiner eben, der keinen gottgewollten Sinn darin sieht, angesichts der Misere auch noch auf den Humor zu verzichten.

Einmal im Jahr fährt er nach Rom. Eine Pilgerreise, die er dazu nutzt, um seine Cousine und deren Kinder zu besuchen. Und manchmal fliegt er nach New York. Die Frau seines Onkels, beinahe ein Jahrhundert alt, und sein Cousin Bob leben in Brooklyn, in einer Gegend, wo italienische und jüdische Emigranten Tür an Tür wohnen. Dort geht er spazieren. Wenn er seinen schwarzen Hut trägt, halten ihn alle für einen Rabbiner, der erstaunlicherweise ganz gut italienisch spricht und ein merkwürdiges Kreuz am Revers trägt.

Der katholische Priester spricht hebräisch, hat Muslime und Juden zu Freunden und erlaubt protestantische Taufen in seiner Kirche, die dem Heiligen Geist geweiht ist. In dessen Sinne ist er wohl auch eine veritable Symbolfigur der Ökumene. Er sei, sagt er, gerne Pfarrer in diesem zerrissenen Dorf zwischen allen Welten. Hier sei er sein eigener Herr, allein mit seinem Gottvertrauen An seinem Gottvertrauen habe ich nie gezweifelt. Wenn man mit ihm Auto fährt, sollte man selbst auch ein solches Vertrauen haben. Nicht, dass er ein schlechter Autofahrer wäre, ganz im Gegenteil. Ich erinnere mich nur an eine Episode, als wir vor einigen Jahren von Duino nach Kärnten fuhren und auf einer langen Geraden zwischen Udine Nord und Gemona am Limit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit einen blumengeschmückten Leichenwagen überholten. Don Giorgios Hände ließen das Volant aus, kramten zielsicher in der Mittelkonsole, bis ein handgeschmiedetes, silbernes Kreuz zum Vorschein kam. Während des Überholvorganges segnete er den Leichnam, sprach ein Gebet und legte das Kreuz wieder zurück. Da habe ich begriffen, dass es nicht nur die Kraft des Wortes, sondern auch die des Glaubens gibt, die uns selbst auf der Autobahn auf den richtigen Weg führt.

Freitag, 28. Mai 2004

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