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Neuer Geist in Sankt Marienthal

Ein altes Kloster in der Oberlausitz wird zur Begegnungsstätte
Von Thomas Veser

Auf ihrem Weg zur Oder windet sich die Neiße durch die Oberlausitzer Hügellandschaft auch an den Mauern des Zisterzienserinnenklosters Sankt Marienthal vorbei. Bei normalem Wasserstand wirkt sie wie ein romantisches Flüsschen, im Sommer des vergangenen Jahres jedoch ließen Regenfälle den Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen in kürzester Zeit anschwellen und über die Ufer treten. Damals waren die 14 Schwestern und rund 100 Angestellten der Klosteranlage in der Gemeinde Ostritz mit dem Schrecken davon gekommen: Die befürchtete Hochwasserkatastrophe blieb ihnen erspart. Anschließend ließ der Freistaat Sachsen entlang der Uferzonen vorsorglich Betonmauern zum Schutz des Frauenstifts hochziehen. Sie wurden mit Natursteinen verkleidet, um den scharfen Kontrast zwischen dieser lebenswichtigen Vorrichtung und den hochbarock gestalteten Fassaden des Klosters Marienthal optisch aufzufangen.

Nun hat das Stift in den über sieben Jahrhunderten seit seiner Gründung schon einiges erlebt, darunter Feuersbrünste und Plünderungen. Seit dem ausgehenden Mittelalter gehörte die gesamte Lausitz zum Herrschaftsbereich der böhmischen Könige, die eher symbolisch durch einen Landvogt vertreten wurden. Die eigentliche Macht kam den einflussreichen Städtebünden zu und auch die Kirche hatte ein gewichtiges Wort mitzureden. Zeitweise unterstand das Land dem König von Polen, dann dem ungarischen Monarchen, 1526 fiel es an die Habsburger, die Reformation konnte dort nicht Fuß fassen.

Zwischen den Völkern

Knapp ein Jahrhundert darauf wurde die Lausitz im Prager Frieden Kursachsen zugesprochen, nach dem Wiener Kongress wurden Niederlausitz und die Hälfte der Oberlausitz preußisch. Die östlich der Neisse liegenden Gebiete, darunter auch Klosterbesitz, ist seit 1945 polnisches Staatsgebiet. Die deutschen Bewohner wurden vertrieben oder ausgewiesen, an ihrer Stelle ließen sich überwiegend Polen aus den an die Sowjetunion verlorenen Ostgebieten nieder. Nur wenige Meter Wasserfläche trennen den Westen vom Osten, wo ein Grenzpfahl mit dem polnischen Hoheitsemblem den Verlauf der Staatsgrenze anzeigt. Von nennenswerten Kontakten zwischen den Bewohnern auf beiden Seiten kann kaum die Rede sein.

Auch die DDR-Zeit überstand die Gemeinschaft, die heute 14 Zisterzienserinnen zählt, weitgehend unbeschadet. Mit Spendenmitteln konnte in den 1980er Jahren die Fassadenbemalung der Schauseite in den Farben weiß und weinrot erneuert werden. "Leider hat es damals nur zu billigen Silikatfarbstoff gereicht", berichtet Priorin Hildegard, der allerdings ein viel schwerer wiegendes Problem Sorgen bereitet. Da die Klostergebäude in Flussnähe erbaut wurden, ist ein Teil des Mauerwerks feucht geworden. Um weiteren Schäden vorzubeugen, müssen die angegriffenen Fundamente gründlich saniert werden.

Nach der Wende hatten Experten im Auftrag des Klosters den Renovierungsbedarf erstmals genau ermittelt: Er war so gewaltig, dass sie ihn nicht auf Quadratmeter, sondern gleich auf Hektar Gebäudefläche bezogen. Denn außerhalb des Klausurbezirks, der ausschließlich den Schwestern vorbehalten bleibt, gehören zahlreiche historische Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude, darunter Klosterschänke, Souvenirladen, Bäckerei, Wäscherei, ein Gärtnereibetrieb, ein Behindertenwohnheim und sogar ein eigenes Kleinkraftwerk zum Kloster Marienthal. Früher symbolisierten diese Besitztümer den Reichtum des Stifts, das über 300 Hektar Ackerland und einen fast 900 Hektar großen Waldbesitz verfügte. Da kein Geld für die Rettung vorhanden war, wurde der Besitz, auf den man einst so stolz war, immer mehr als Klotz am Bein empfunden.

Nach der Wende sah sich die Gemeinschaft gezwungen, die Jahrhunderte lang praktizierte Landwirtschaft, die unrentabel geworden war, aufzugeben und damit standen Ställe und Speicher leer. "Da wir nicht mit ansehen konnten, wie unser Kulturerbe zerfiel, mussten wir handeln", erinnert sich Priorin Hildegard. Und so beschlossen die Schwestern 1992 den Aufbau einer öffentlichen Stiftung, die den Auftrag erhielt, Kloster Sankt Marienthal vor dem Zerfall zu bewahren. Man gab ihr den Namen "Internationales Begegnungszentrum Sankt Marienthal" (IBZ), versah sie mit einem Stiftungskapital in Höhe von 160.000 Euro und verpachtete die erneuerungsbedürftigen Baudenkmäler an die neue Institution. An ihrer Spitze steht seit sieben Jahren der aus Dietz an der Lahn stammende Theologe und Politikwissenschaftler Michael Schlitt.

Nähe zu den Besuchern

Nach und nach sollten die renovierten Gebäude als Tagungsorte und Unterkünfte für Teilnehmer am stiftungseigenen Bildungs- und Begegnungsprogramm genutzt werden. Besuchernah gestaltete Ausstellungen zum Thema "Erneuerbare Energien" sind in einigen Gebäuden mittlerweile ebenfalls eingerichtet worden. Damit schuf die Stiftung eine Verbindung zur Gemeinde Ostritz, die ihren Energiebedarf aus einem Biomasse-Kraftwerk, Windkraft, solartechnischen Anlagen und Fotovoltaik bezieht und sich in der Oberlausitz als "energie-ökologische Modellstadt" versteht.

Das ist mehr als nur ein symbolischer Titel. Denn bis zur Wende wurde in der Randregion an der Grenze zu Polen in großem Maßstab Braunkohle abgebaut und in Kraftwerken zur Energiegewinnung verfeuert. Das hatte im "schwarzen Dreieck", wie die Landschaft wegen der hohen Umweltbelastung genannt wurde, katastrophale Umweltschäden hervorgerufen. Davon besonders betroffen sind die Wälder in allen drei Ländern.

Schon bald nach der Wende wurde die Kohleförderung eingestellt, nur wenige Stahlwerke blieben übrig und auch die Textilindustrie bietet nun wesentlich weniger Arbeitsplätze als zu DDR-Zeiten. In diesem Teil der früheren DDR erfolgte die wirtschaftliche Umwandlung nicht in Form eines allmählichen Strukturwandels, sondern als radikaler Bruch, bei dem Zehntausende von Arbeitsplätzen verschwanden. Inzwischen wurden zahlreiche Kohleabbaubecken renaturiert und zu Badeseen umgewandelt.

Die Gemeinde Ostritz, zu der Sankt Marienthal gehört, beanspruchte von Anfang an eine Pionierrolle beim neuen Umweltkurs. Am Rand der Stadt, deren Einwohnerzahl durch Abwanderung seit den frühen 1990er Jahren von 4.000 auf 3.100 gesunken ist, eröffnete man auf einer Industriebrache das Biomasse-Kraftwerk und verlegte eine 15 Kilometer lange Fernwärmestraße, über die rund 80 Prozent des Heizbedarfs im Versorgungsgebiet sichergestellt wird. In einer Pflanzenkläranlage werden die Abwässer der Haushalte eines ganzen Stadtteils gereinigt.

Umweltbewusster Glaube

Diesen umweltbewussten Ansatz konnten die Nonnen gut mit ihren religiösen Vorstellungen vereinbaren: Kloster Sankt Marienthal wurde in die energie-ökologische Bewegung integriert und damit ließ sich auch die Sanierung begründen, wies sie doch dem Kloster einen Weg in die Zukunft.

Zum Umweltschutz, den Ostritz künftig gemeinsam mit den polnischen und tschechischen Grenzgemeinden vorantreiben will, gehört auch die grenzüberschreitende Bildung in jenen Klosterteilen, die nicht im (für die Öffentlichkeit gesperrten) Klausurbereich liegen. Erwachsenenbildung, Jugendarbeit und Erholung für Teilnehmer aus Deutschland, Polen und Tschechien steht seither an erster Stelle, und das aus naheliegenden Gründen: Polen beginnt auf der gegenüber liegenden Flussseite, zur tschechischen Grenzen sind es gerade 20 Kilometer.

Mit ihrem Internationalen Begegnungszentrum kämpft die Stiftung dafür, dass Grenzen überwunden und Bewohner der Beitrittsländer peu à peu an die Europäische Union herangeführt werden. Mit dem Beitritt Polens und der Tschechoslowakei am 1. Mai 2004 werden aus den bisherigen Trennlinien EU-Binnengrenzen. Weiterhin richtete man in einem Klostergebäude einen deutsch-polnischen Kindergarten ein. Werden schon die Jüngsten systematisch an Sprache und Kultur des weitgehend unbekannten Nachbarlandes herangeführt, lässt sich damit auch die gegenseitige Sprachlosigkeit besser überwinden.

Finanzierungsprobleme

Wer jedoch sollte die zunächst nötigen Restaurierungsarbeiten finanzieren? Mehr als ein Viertel der geschätzten Kosten, so viel stand fest, würden Bund, Freistaat Sachsen, Bistum Dresden-Meissen und EU nicht übernehmen. Den Löwenanteil musste man also über Spenden besorgen.

Da erfahrungsgemäß nicht mit sehr viel Privatspenden zu rechnen war, wandte sich das IBZ an andere Stiftungen: So prüften die gemeinnützige Hertiestiftung, die sich besonders um die europäische Integration verdient macht, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Allianz-Umweltstiftung und Robert-Bosch-Stiftung die eingereichten Anträge und sagten Hilfe zu. Sie wird jedoch nur zeitlich begrenzt gewährt, schließlich erwarten die Stiftungen, dass sich das Kloster nach der Startphase eines Tages finanziell selbst trägt.

Zunächst wurde das Sankt-Hedwigs-Haus, in dem schon früher Gäste übernachteten, vollständig restauriert, dann erneuerte man die ehemalige Mühle. Und das Sankt-Franziskus-Haus dient jetzt als Gästehaus. In neuem Glanz erstrahlte bald darauf der Fachwerkbau der Wagenremise, heute als "Haus der Familie" mit Gästezimmern in Leichtbauweise benützt. Im ehemaligen Kuhstall wird getafelt und auch die frühere Brauerei ist inzwischen gerettet: Dort befindet sich ein Empfangssaal für Gäste, außerdem ist dort die Geschäftsleitung untergebracht. Wo immer möglich, bewahrte man beim Umbau des Gebäudeinneren Elemente, die an die ursprüngliche Nutzung erinnern.

Gewaltige Kosten verursachten nach Angaben von Michael Schlitt vor allem Dachstühle, deren morsche Balken durch neues Material ersetzt werden mussten, "manchmal käme ein Abriss mit Neubau erheblich billiger als die Restaurierung", fügt er hinzu. Bisher hat die Sanierung 13 Millionen Euro verschlungen, bis alle Arbeiten abgeschlossen sind, werden weitere 20 Millionen Euro nötig sein. Seit Beginn der Bauarbeiten ist das Kloster zum größten Arbeitgeber der Stadt geworden. Inzwischen kann Sankt Marienthal 100 Betten anbieten; auch künftig wird die grenzübergreifende Bildung im Vordergrund stehen, wobei der bei rund 10 Prozent liegende Anteil polnischer und tschechischer Gäste künftig erhöht werden soll.

Neuerdings steht die Klosterherberge allen Besuchern offen. Mit den zusätzlichen Einnahmen aus dem erhofften Tourismus im ehemaligen "schwarzen Dreieck", so hofft Michael Schlitt, werde die Stiftung dann zumindest den laufenden Bildungsbetrieb finanzieren können.

Informationen:

http://www.ostritz-st-marienthal.de

http:// http://www.ibz-marienthal.de

Freitag, 06. Juni 2003

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