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Gefühl oder Erkenntnis?

Über das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft in der Religion
Von Hans Förster

Glaube und wissenschaftliche Theologie stehen in einem gespannten Verhältnis. Einerseits waren viele Kirchenfürsten des Mittelalters und der Renaissance Förderer der Wissenschaften, andererseits blicken Kirchenleitung wie Gläubige oftmals skeptisch auf Ergebnisse wissenschaftlicher Theologie, wenn diese in scheinbarem oder tatsächlichem Widerspruch zur kirchlichen Lehre stehen. Die Geschichte des Osterfestes, das dieser Tage von den Christen gefeiert wird, zeigt dies sehr deutlich. Die Feiern vergegenwärtigen ein historisches Ereignis, über dessen Ablauf sich jedoch bereits die Evangelien widersprechen.

Überlieferungsprobleme

Die vier Evangelien, die im Neuen Testament gesammelt sind, werden in zwei Gruppen eingeteilt. Die drei so genannten synoptischen Evangelien, Matthäus, Markus und Lukas, weisen viele Gemeinsamkeiten auf - das dem Griechischen entlehnte Wort "synoptisch" bedeutet ja übersetzt "etwas gemeinsam sehen". Meist nimmt man an, dass Matthäus und Lukas bei der Abfassung ihrer Evangelien das Evangelium nach Markus benützt haben. Das Johannesevangelium hingegen verkörpert eine sehr eigenständige Überlieferung.

Nach den drei synoptischen Evangelien hat Jesus mit seinen Jüngern das jüdische Pessach-Mahl gegessen, bevor er am darauffolgenden Tag gekreuzigt wurde. Nach dieser Abfolge wäre der Kreuzigungstermin der 15. Tag des jüdischen Monats Nisan. Das Johannesevangelium hingegen berichtet davon, dass Jesus bereits an dem Tag, an dem das Pessach-Lamm geschlachtet wurde, gekreuzigt wurde. Hier handelt es sich also um den 14. Nisan. Historisch kann nur eine der beiden Überlieferungen richtig sein. Alle vier Berichte sind sich hingegen darin einig, dass die Kreuzigung an einem Freitag, dem Rüsttag zu einem Sabbat, stattgefunden hat.

Die ersten Anhänger Jesu waren von ihrer Erfahrung und ihrem Glauben geprägt, dass mit Jesu Tod nicht alles zu Ende war, dass mit seiner Auferstehung überhaupt erst seine Person und die damit verbundene Botschaft verständlich wurde. Es dauerte jedoch eine geraume Zeit, bis sie überhaupt daran gingen, die Ereignisse aufzuschreiben. Einer der Gründe hierfür ist, dass man ein nahes Ende der Welt erwartete. Das schien es überflüssig zu machen, die Geschichte des Jesus von Nazareth überhaupt noch aufzuschreiben. So nimmt man heute in der Wissenschaft an, dass die Evangelien etwa 40 bis 60 Jahre nach den Ereignissen niedergeschrieben wurden - als klar war, dass die Wiederkunft Jesu auf sich warten ließ. Hierbei haben Gemeindetraditionen die Erinnerung beeinflusst und die Berichte geprägt. Ein eigentlich sehr verständlicher Prozess, der jedoch in seinen Auswirkungen, den unterschiedlichen Überlieferungen der einzelnen Evangelien, zu großen Schwierigkeiten führt, wenn die ganze Heilige Schrift als wörtlich inspiriert und völlig irrtumsfrei gesehen wird, wie dies in der Geschichte der Kirche immer wieder geschehen ist. Skeptiker behaupten gerne, die Evangelien müssten allein aufgrund dieser Zeitdifferenz zwischen Ereignis und Niederschrift ungenau und falsch sein.

Die Unterschiede in den Evangelien, die man schon bald bemerkte, führten sehr rasch zu Harmonisierungsversuchen. In der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts versuchte der aus Syrien stammende Theologe Tatian, die historischen Probleme durch sein Werk "Diatessaron" zu beheben. Der Name ist gleichzeitig Programm: "Durch Vier". Aus allen Evangelien bastelte er eine einzige Schrift und glättete die Widersprüche. Seine Evangelienharmonie erfreute sich gerade im Osten über mehrere Jahrhunderte hinweg großer Beliebtheit. Erst später wurde sie durch das "Vier-Evangelien-Buch" vollständig verdrängt.

Der Kalenderstreit

Aus etwas späterer Zeit sind Nachrichten über einen kirchlichen Streit bezüglich des Osterfestes überliefert, der auf den unterschiedlichen Traditionen der Evangelien aufruht. Bischof Viktor von Rom schrieb gegen Ende des zweiten Jahrhunderts an den Bischof der kleinasiatischen Gemeinde von Ephesus namens Polykrates. Es gab zwei unterschiedliche Feiertermine, die Christen in Kleinasien feierten am 14. Nisan, der chronologischen Abfolge des Johannesevangeliums folgend, ihr Gedenken des Todes Jesu. Rom und die meisten anderen Gemeinden hielten am Sonntag nach dem 14. Nisan die Feier des Osterfestes ab. Viktor von Rom versuchte, den Bischof der kleinasiatischen Stadt zu bewegen, die römische Tradition zu übernehmen. Polykrates von Ephesus tat das, was auch heute noch eines der wichtigsten kirchlichen Argumente ist: Er berief sich auf die alte Überlieferung und verteidigte die Praxis der kleinasiatischen Gemeinden. Diese Berufung auf die Tradition stellt jedoch ein zweischneidiges Schwert dar, einerseits ermöglicht sie, die christliche Lehre zu bewahren. Andererseits wird jedoch auch viel Zeitbedingtes als Teil der Tradition mitgeschleppt.

Die unterschiedliche Feier des einen Festes wurde letztlich durch staatlichen Eingriff in kirchliche Belange beendet. Im Jahr 325 fand auf Betreiben des Kaisers Konstantin in Nicäa eine Generalsynode statt - bezeichnenderweise in einem kaiserlichen Palast. Dabei wurde eine einheitliche Berechnung des Osterfestes vorgeschrieben. Als verbindlicher Kalender, der jeder Berechnung des Osterfestes zugrunde liegen muss, wurde von der Konzilsversammlung der julianische Kalender vorgeschrieben. Gaius Julius Caesar hatte bei der Erstellung seines Kalenders einen großen Wurf getan, eine kleine Ungenauigkeit blieb jedoch bestehen. Die Abweichungen zwischen dem astronomischen Jahr und diesem Kalender führten zur gregorianischen Kalenderreform unter Papst Gregor XIII. im Jahr 1582. Heute beträgt die Differenz zwischen den beiden Kalendern 13 Tage, das heißt der 14. Jänner des gregorianischen Kalenders ist der 1. Jänner des julianischen Kalenders. Einige orthodoxe Kirchen verwenden noch heute den veralteten julianischen Kalender.

Interessant ist - und hier taucht wieder die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft auf - dass selbst die orthodoxen Kirchen, die den gregorianischen Kalender übernommen haben, das Osterfest nach dem julianischen Kalender berechnen. Dies führt dazu, dass heute nur in Ausnahmefällen ein gemeinsames Osterfest gefeiert wird. Auch wenn der julianische Kalender astronomisch ungenau ist, fühlen sich die orthodoxen Kirchen an diese Konzilsentscheidung gebunden. Ein Lösungsvorschlag des derzeitigen Papstes war die Überlegung, für die Berechnung des Osterfestes auch im Westen wieder auf den veralteten julianischen Kalender zurückzugreifen, um ein gemeinsames Feiern zu ermöglichen.

Glaube und Vernunft

Glaube und Vernunft, Religion und Wissenschaft, das zeigen die Blicke in die Geschichte des Osterfestes, stehen in einem spannungsreichen Verhältnis. Die unterschiedlichen Überlieferungen und Praktiken hinsichtlich des Osterfestes wurden erst durch ein Konzil im vierten Jahrhundert beendet, das den damals modernsten Kalender festschrieb. Dieser stellt heute ein Problem dar, weil er durch ein Konzil für verbindlich erklärt wurde.

Ein Teil dieser Spannung ergibt sich aus der nicht immer klaren Grenze zwischen Glaube und Wissen. Aus westeuropäischer Sicht ist die Konzilsentscheidung des vierten Jahrhunderts hinsichtlich der grundsätzlichen Berechnungsmethode sicher richtungweisend, der zugrundegelegte Kalender jedoch ungenau und deswegen verbesserungswürdig. Aus orthodoxer Sicht sieht dies anders aus.

In noch viel stärkerem Maß gilt dies für die Heilige Schrift. Wenn die Bibel in allen ihren Aussagen wörtlich verstanden wird, dann besteht ein krasser Gegensatz zwischen Glaube und Vernunft. Eine Schöpfung der Welt in sechs Tagen, die vor nicht ganz 8.000 Jahren geschah, ist historisch falsch, auch wenn sie so aus der Bibel abgeleitet werden kann. Aufgabe der Theologie ist es, zwischen den beiden Bereichen zu vermitteln und gegebenenfalls auch die Frage zu stellen, ob manche tradierte Überzeugung zeitbedingt ist. Dadurch werden Theologen jedoch oftmals der Wissenschaft und der kirchlichen Hierarchie suspekt.

Kann Theologie frei sein?

Schließlich scheint ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen Glaube und Wissenschaft zu herrschen: Wissenschaft ist frei, sie ist an keine Weisungen gebunden. Glaube hingegen muss angenommen werden - und wenn ein Theologe die Linie der Kirche verlässt, so droht ihm Lehrverbot. Kann also Theologie überhaupt wie andere Wissenschaften frei sein? Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass Thomas von Aquin, der zu einem der großen theologischen Lehrer der Kirche wurde, zu Lebzeiten mehrfach wegen seiner Lehren unter Verdacht gekommen war. Gerade weil aber so manche Aussage der Bibel naturwissenschaftlich missverstanden wurde, besteht in der europäischen Geistesgeschichte eine große Skepsis gegenüber religiösen Systemen. Der Gegensatz zwischen Glaube und Wissen war hier zu aufdringlich.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Glaubensaussagen und der Dialog mit den Wissenschaften kann die entsprechende Religionsgemeinschaft vor Fundamentalismus bewahren. Andererseits kann jedoch gerade diese Auseinandersetzung fundamentalistische Tendenzen verstärken. Dies ist im Wesen der Religionen verwurzelt. Ein heiliges Buch mit wissenschaftlichen Methoden zu analysieren, kann auf Gläubige wie ein Sakrileg wirken. Da jedoch der Glaube tiefe emotionale Schichten des Menschen berührt, können die Reaktionen heftig sein. Das dunkle Mittelalter des christlichen Europa kannte für Häresie die Todesstrafe.

Gerade weil Religion nicht nur an die Vernunft, sondern auch an tiefe Emotionen und Sehnsüchte des Menschen rührt, sollten jedoch auch vermeintliche oder tatsächliche wissenschaftliche Ergebnisse gerade bezüglich religiöser Vorstellungen nicht vorschnell und vereinfachend veröffentlicht werden. Glaube und Wissenschaft können sich durchaus auch gegenseitig befruchten, es sei nur auf die enormen ethischen Fragen verwiesen, vor denen die moderne Gesellschaft in Bereichen wie Gentechnik und vielen anderen Fragen steht. Hierfür ist seitens der Wissenschaft ein Respekt vor den religiösen Gefühlen nötig. Für die Wissenschaft gilt jedoch auch, dass sehr oft mit der Freiheit der Forschung die Orientierungslosigkeit zwischen erlaubter und ethisch fragwürdiger Forschung einhergeht. Insofern können eigentlich beide voneinander profitieren.

Freitag, 18. April 2003

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