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"Ich musste es einfach tun!"

Schwester Theresia lebt seit 50 Jahren sehr glücklich als Nonne
Von Elisabeth Hewson

Den Schleier zu nehmen wird in manchen Ländern und Glaubensgemeinschaften erzwungen, um dem erwünschten Frauenbild zu entsprechen. Bei uns geschieht es freiwillig, schafft aber statt Integration Distanz: Nonnen sind erklärte Außenseiter der Gesellschaft. Sie leben völlig anders als jeder von uns, haben andere Wünsche, andere Ziele, andere Sorgen. Sie werden, je nach Glauben oder Aberglauben, als Glücks- oder Unglücksbringer empfunden. Stets als ein wenig geheimnisvoll, unbegreiflich. Und doch verbindet sie mit der Gesellschaft ein sonst fast verloren gegangenes Gefühl: Vertrauen.

Im Mittelalter waren Nonnenklöster neben Orten der Kontemplation und des Gebetes auch gerne eine Zuflucht für adelige Fräulein oder Damen, die entweder keinen Mann fanden, verwitwet waren oder einfach von ihren Familien abgeschoben wurden. Dass diese eher ins Kloster gezwungenen Frauen nicht immer die Frömmigkeit mitbrachten, die dort herrschen sollte, ist verständlich. Und damit ebenfalls die oft recht weltlichen Freuden, die man sich dort gönnte. Schon in Boccaccios Klassiker "Decamerone" tauchen immer wieder junge Nonnen auf, die sich skandalös benehmen.

Ein Bild von Nonnen macht man sich heute aus Erfahrungen in Klosterschulen (wie die Autorin) oder Spitälern. Oder auch von Plakaten, die in einem Fall einen Skandal auslösten (Benetton zeigte Nonne und Priester bei einem recht unheiligen Kuss) und auf lauten Protest aus dem Straßenbild verschwanden. In einem anderen Fall lösen sie eher Unverständnis aus: Soll das Plakat "Wechseln Sie wenigstens den Strom" denjenigen Nonnen, die den Strom nicht wechseln, als Alternative den Glaubenswechsel empfehlen?

Und natürlich aus Filmen, wie "Die Geschichte einer Nonne", in der Audrey Hepburn mit dem absoluten Gehorsam kämpft. Sonst kämpfen Nonnen meist gegen ihre Liebe zu einem Priester. Aber die wahren Schwierigkeiten liegen ganz woanders. Wie man in einem Gespräch mit Schwester Theresia vom Karmelitinnen-Orden erfährt.

Gebet und Stille

Der Karmelitinnen-Orden ist eine kontemplative Gemeinschaft. Das bedeutet vor allem Gebet, gemeinsam und alleine, und - bis auf wenige Ausnahmen im Tagesablauf - Stille. "Bei uns hört man eigentlich nur die Glocken, die zum Gebet rufen. Und den Kompressor der Oblatenbackmaschine", erzählt Schwester Theresia bei unserem Treffen fröhlich. Keine Spur übrigens von vergeistigter Abgehobenheit. Einfach eine herzliche, ungeheuer jung wirkende 69-jährige Frau, zu der man gerne "Schwester" sagt.

Diese Vorstellung ist in einer Zeit ständigen Lärms aus Radio, TV, Walkman oder Handy fast unmöglich. Es muss ein Gefühl sein, wie den ganzen Tag allein auf einem Berggipfel zu sitzen. Könnte man sich vorstellen. Eine Zeit lang ungeheuer schön und erhebend, seelenerweiternd, erleichternd. Und dann ungeheuer langweilig.

Doch auf die Frage, ob ihr der Tag schnell oder langsam vorkommt, antwortet sie: "Ein Tag ist gar nichts". Dabei wird um 5.30 Uhr aufgestanden und von da ab abwechselnd gemeinsam oder alleine gebetet (meditiert, wie man das bereits nennt) und gearbeitet (Oblaten gebacken und versandt, Karmelitergeist abgefüllt, Kerzen geschmückt, manche Schwestern übersetzen geistliche Bücher) und gelesen. In der "Freizeit" nach 21 Uhr liest man oder schreibt Briefe an Verwandte und Freunde.

Eine der Schwestern liest die tägliche Zeitung und hört sich die Nachrichten an, gibt dann Wichtiges an ihre Mitschwestern weiter. Bei Ereignissen wie dem Terroranschlag auf das World Trade Center sieht man auch einmal gemeinsam fern. Und natürlich bei Papstbesuchen oder wichtigen kirchlichen Ereignissen.

Aber sonst wird, abgesehen von den notwendigen Bemerkungen bei Arbeit oder Essen, geschwiegen. Es herrscht gemeinsame Stille. Auch "optische Stille". Bis auf die wenigen Anlässe, bei denen man fernsieht oder doch einmal in eine Zeitung schaut, gibt es keine ständig sich erneuernden optischen Reize: Die Kleidung, die Menschen, denen man begegnet, das eigene Zimmer, die Kapelle, die Gänge, der Speisesaal bleiben gleich. Nur der Klostergarten verändert sich mit der Jahreszeit.

Warum?

In dieser Umgebung ist Schwester Theresia seit nun 35 Jahren glücklich. Zuvor war sie 15 Jahre Schwester im mehr auf den praktischen Dienst an Mitmenschen orientierten Orden der Salvatorianerinnen, arbeitete dort in einem Spital in der Aufnahmekanzlei. Dann brach sie schlagartig den Kontakt mit Menschen, das hektische Leben mit Telefon und Ärzten, Patienten und Besuchern ab und trat ihrer ersehnten Schwesternschaft der Karmelitinnen bei.

"In der Anfangszeit bei den Karmelitinnen habe ich schon immer wieder darauf gewartet, dass das Telefon läutet. Die Stille war nur schwer anzunehmen. Aber das geht vorbei."

Was bringt einen Menschen dazu, sich so völlig von der Welt zu isolieren, nur noch zu beten, zu meditieren? Völlig ohne Besitz zu leben, ohne Unterhaltung, ohne Familie, ohne Urlaubsfahrten oder Einkaufsbummel?

Weder Verbitterung, noch Angst vor Menschen oder dem Leben. Behauptet Schwester Theresia, der man das gerne glaubt, mit ihrem freundlichen Wesen und ihren lustigen Augen. Auch nicht Trotz oder Flucht vor den Eltern, die sie allerdings nie verstanden haben.

"Die spätere Trennung von den Salvatorianerinnen war für mich schwieriger als die Trennung von Vater und Mutter." Was vielleicht auch am Alter lag. "Mit 19 ist man viel unbekümmerter als mit 33." Warum dann? "Ich musste es einfach tun. Das habe ich schon mit 14 gewusst."

"Hände weg!"

Diese "Geschichte einer Nonne" beginnt mit dem Besuch in Mariazell. Die Eltern waren nicht besonders fromm, doch schickten sie ihre einzige Tochter zur Jungschar, weil sie da mit anderen Kindern beisammen sein und Ausflüge machen konnte. Wie den 1946 nach Mariazell, der ihr ganzes Leben bestimmen sollte.

"Ich war damals schon früher draußen aus der Wallfahrtskirche als die anderen, die haben mir viel zu lange dort herumgebrodelt. Und da habe ich mir die Andenkenstandeln angeschaut. Das war's. Meine Berufung. Nicht beim Beten oder frommer Andacht, wie man denken würde. Ich hab' einfach ein - noch dazu recht schäbiges und kleines - Schwarzweißbild von der kleinen Theresia, von der heiligen Thérèse von Lisieux, wie ich später erfahren habe, gesehen. Und die hat mich angeschaut."

Ihrer späteren Firmpatin erzählte sie gleich von diesem Bild. "Ich weiß, dass ich so eine Schwester werden möchte." Und die riet ihr sofort ab: "Hände weg!"

Sie las die Geschichte des Mädchens, das bereits 1897 mit 24 gestorben war. Und wusste, was für sie für den Rest des Lebens wichtig sein würde: Diese Heilige und ihr Orden. Und so war es dann auch.

Außer einer einzigen Freundin wusste niemand etwas davon. Fast fünf Jahre lang. Die spätere Klosterschwester ging auf Bälle, traf sich mit Schulkollegen, half ihrer besten Freundin sogar dabei, den späteren Mann kennen zu lernen. Und besuchte in der Zwischenzeit immer wieder die Karmelitinnen. "Die haben mir Bücher geborgt, und ich habe immer wieder mit ihnen geplaudert. Bin dadurch immer sicherer geworden, dass ich Recht habe."

Als ihre Eltern merken, was ihre einzige Tochter vorhat, versuchen sie alles, drohen mit allem Möglichen, um sie davon abzubringen. "Es war eigentlich genauso, wie wenn ich einen Freund gehabt hätte, den meine Eltern nicht mögen. Aber ich war immer ein Querkopf, irgendwie habe ich durch meine Überzeugung einfach nicht in meine Familie hineingepasst."

Zunächst muss sie die kaufmännische Berufsschule fertig machen. Was sie auch tut. Kaum ist sie 19, tritt sie den Salvatorianerinnen bei.

Sie wird Kandidatin, nach einem Jahr Novizin, schließlich Schwester mit einfacher Profess - einer Bindung für drei Jahre. Nach zehn Jahren legt sie, noch bei den Salvatorianerinnen, die ewigen Gelübde ab. Was sie in 50 Jahren nie bereut hat.

Anfangs versuchen ihre Eltern immer wieder, sie zum Austritt zu überreden. Doch sie ist glücklich. Auch als sie später bei den Karmeliterinnen sogar über dem Gesicht einen Schleier tragen muss und bei Besuchen durch Verwandte ein Gitter mit Stacheln nach außen jeden Kontakt auf ein Minimum beschränkt.

Sie plaudert täglich viele Stunden mit einem Freund - mit Gott. Und glaubt, durch ihre Gebete anderen, der Welt draußen, Kraft geben zu können. "Ich muss aber immer für eine Person beten. So allgemein, das liegt mir nicht, für mich ist alles lebendig. So bete ich zum Beispiel für die Priester, die bei mir Hostien bestellen. Die können das heute bestimmt besonders brauchen, mit der vielen Verantwortung, die sie haben. Kaum einer hat heute noch eine Köchin, da kommt man dann nach Hause, beladen mit den Sorgen anderer, und alles, was man als Gesellschaft hat, ist ein leerer Kühlschrank. Ich glaube, die Einsamkeit der Priester ist heute sehr groß."

Innere Freiheit

Nach 49 Jahren ist sie nun zum ersten Mal ohne ihre Nonnentracht, im "Räuberzivil", wie sie das locker bezeichnet, unter Menschen gegangen. Anlass war eine Operation mit anschließendem Rehabilitationsaufenthalt in einem Kurheim.

"Den Schleier vor dem Gesicht tragen wir ja schon seit dem zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr." Auch ganz allgemein wurde schon vor 20 Jahren über Sinn und Unsinn der Nonnentracht, des Habit, diskutiert. "Praktisch ist ein Pullover und ein Rock schon", konnte sie beobachten. Aber in der Nonnentracht ist sie einfach ein anderer Mensch. Vor allem für andere. "Da wird man als Vertrauensperson gesehen und auch oft angesprochen."

Heute ist das Klosterleben völlig anders als früher. Gitter sind nicht mehr wichtig. Man diskutiert Probleme miteinander, bei den Karmeliterinnen wählt man die Oberin aus der Gruppe von höchsten 20 Schwestern. Sie ist dann eben auch nur eine Schwester unter Schwestern. Man hält zusammen wie eine Familie, feiert die kirchlichen Feste wie Familienfeiern. Aber natürlich gibt es auch Meinungsverschiedenheiten.

"Wir haben da so eine Regel: Niemand soll schlafen gehen, wenn er noch auf jemanden böse ist." Wichtig ist für eine tolerante Gemeinschaft, dass man jedem die innere Freiheit lässt. Auch an Feiertagen wird oft debattiert. Dazu laden die Nonnen einen Kardinal, einen Weihbischof ein, etwa Kardinal Schönborn oder besonders gerne Kardinal König. "Und da wird dann diskutiert, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen."

Leider unhörbar für die Außenwelt. Aber auch politische Parteien, Firmen, Familien oder andere Gemeinschaften lassen sich ja nicht gerne "hinter die Kulissen" schauen.

Darum

Eine seltsame Entdeckung konnte Schwester Theresia dabei machen: Die jungen Novizinnen sind nicht etwa für stärkere Lockerungen. Im Gegenteil, sie fordern mehr Strenge. "Da sage ich ihnen, lebt das alles erst einmal ein bis zwei Jahre, dann werdet ihr sehen, wie weit ihr kommt."

Und so gibt es natürlich Hürden, über die man sich nie sonderlich Gedanken gemacht hat. Armut zum Beispiel. "Ich glaube, das fällt jungen Novizinnen besonders schwer." Es fällt auch schwer, sich das nur vorzustellen: Absolut nichts zu besitzen. Was immer man benützt, von den Sandalen bis zur Armbanduhr, gehört dem Kloster. Was natürlich nur theoretisch stimmt. So hieß es früher auch allzu präzise: "unsere" Armbanduhr ist kaputt. In Wahrheit ist die Armbanduhr aber sehr wohl die von Schwester X,

die sie alleine trägt und sonst niemand.

Aber einkaufen gehen zu können, seine Kleidung zu ändern, Geschenke behalten zu können - darauf ist offenbar besonders schwer zu verzichten. Zumal Verwandte oder Freunde immer wieder Geschenke bringen wollen. "Da besprechen wir mit der Schwester Oberin, was wir brauchen könnten. Nicht was wir wünschen, denn das sollen wir ja nicht. Ich habe dann doch etwas . . . vielleicht nicht gewünscht, aber gewollt: Ich benütze halt gerne Papiertaschentücher. Und da haben wir dann einen Riesensack mit Papiertaschentüchern für uns alle gekriegt." Unvorstellbar, dass sich jemand heute noch über einen Sack Papiertaschentücher freut.

Vorstellbar hingegen dieses Gefühl der Geborgenheit, das in einem Kloster herrschen muss: Nie ist man alleine, stets weiß man, was zu tun ist; man teilt seine Sorgen und Probleme nicht nur mit den Schwestern im eigenen Kloster, sondern auch mit vielen hunderttausenden Schwestern in aller Welt (was in einem jährlichen Föderationstreffen besprochen wird), hat seine Lebensaufgabe gefunden, spricht mit Gott und hört ihn - allerdings eine ganz seltene Erfahrung - auch manchmal antworten. Man isst gemeinsam (vegetarisch), arbeitet gemeinsam an einem gemeinsamen Ziel: nämlich das Kloster zu erhalten: "Abhängig zu sein wäre doch asozial." Und wie ich Schwester Theresia erlebt habe, lacht man sicher auch ganz gerne miteinander.

Doch man ist auch gehorsam. Selbst wenn es einem nicht passt. Wo Licht ist, muss auch hier Schatten sein. Den sicher jeder anders empfindet. Nach unserem Gespräch ist das Beten zur Vesper fällig. Schwester Theresia schüttelt mir die Hand und eilt in den Gebetsraum hinter der Kapelle, um mit den anderen Nonnen zu beten. Ich betrete die kleine Klosterkirche. Hinter einer Glasziegelwand sind verschwommene Schatten zu sehen, mit der Sonne dringt leises Gebetsgemurmel in den Raum. Der auch eine Moschee sein könnte. Oder ein buddhistischer Tempel. Und man wird still.

Freitag, 17. Mai 2002

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