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Die allzu erhabene Religion

Warum kirchliche Festangebote immer schlechter ankommen
Von Veronika Doblhammer

Meine Freundin weilt momentan in Nepal. Voriges Jahr hat sie allein drei Wochen Bali lang bereist. In den fernen Ländern besucht sie die Tempel und taucht ein in das Gefühl der Unmittelbarkeit, das die Einheimischen verströmen. Eigentlich ist sie Spezialistin für gotische Kirchen: Aber ohne diese Reisen würde sie es nicht mehr in Österreich aushalten, gesteht sie.

Andere Suchende feiern "Imbolc", das keltische Fest des Winterendes (das christliche Maria Lichtmess) am Diexer "Keltenhof". Weniger Extreme basteln an ihrer Privatreligion und nehmen sich auch beim Feiern aus dem globalen Angebot, was gefällt.

Dass hier religiöses Bedürfnis befriedigt wird, ist einsichtig. Das Feiern in der Gemeinschaft bei Anlässen des Übergangs scheint zu den Grundbedürfnissen des Menschen zu gehören, denn es ist in allen Kulturen nachweisbar.

Wiederkehrende Feste erfordern Vorbereitungen, die sich jährlich gleichen. Die Wiederholung des Bekannten vermittelt Sicherheit und stimmt auf das Fest ein. Wird von allen gleichzeitig gefeiert, tritt währenddessen (Arbeits-)Ruhe ein, in der sich der Übergang vollzieht. Wie das Fest verbracht wird, hat Bedeutung für die danach kommende Zeit: Zu Silvester wünschen wir einander "einen guten Rutsch!". Das Rituelle am Fest beschleunigt den Übergang und gibt ihm die Richtung, es ist also von höchstem okönomischen Nutzen im umfassenden Sinn des Wortes. Rituelle Feste helfen funktionieren: die Übergänge finden in jedem Fall statt und sind besonders sensible Punkte der Entwicklung, bei denen der Mensch leicht entgleisen kann. Bei den Vorfahren galten deswegen Türen als gefährlich und an den jahreszeitlichen "Schwellen" wurden Feste gefeiert, die heute noch in Allerheiligen, Weihnachten, Maria Lichtmess, 1. Mai oder Johannis erhalten sind. Gemeinsam bewältigte man den Übergang in die nächste Phase der landwirtschaftlichen Produktion durch eine Ruhe- und Feierzeit. Auch die moderne Kirche trägt noch den religiösen Bedürfnissen der Agrarier zu solchen Terminen Rechnung: der geweihte Palmbuschen, ins Feld gesteckt, bringt Fruchtbarkeit. Zu Lichtmess werden die Geräte gesegnet, zu Ostern die Speisen geweiht.

Übergangsrituale

Immer wieder verformen wir uns zu einem Zwischenwesen, das Altes nicht verlassen und Neues nicht betreten hat: der Austritt aus dem Mutterleib in die Welt, das Baby an der Schwelle zum Kleinkind, der Übergang zum Schulkind, das Kind an der Schwelle zur Adoleszenz . . . Die Krisenhaftigkeit dieser Übergänge ist von der empirischen Entwicklungspsychologie belegt. Zu den biopsychischen Übergängen treten in der modernen Gesellschaft vermehrt solche, die aus der beschleunigten sozialen Entwicklung stammen (Immigrationsbewegung, Wirtschaftskrise, technologische Entwicklung.) Für letztere gibt es kaum rituelle Angebote, für die ersten finden sich traditionelle Formen:

Um den Übergang in die nächste Lebensphase zu erleichtern, agieren die Gesellschaften mit ritueller Gewalt. Beschneidungsrituale gehören ebenso hierher wie das Untertauchen des Täuflings in Wasser, der Backenstreich für den Firmling, das "Gautschen" der Drucker, die strenge Prüfung für den akademischen Kandidaten.

Daneben gibt es z. B. in der katholischen Kirche noch eine Vielzahl von heilsamen Ritualen: den Ringwechsel bei der Eheschließung, die Salbung des Sterbenden, das segnende und heilende Handauflegen, den Exorzismus für den Besessenen, die Freisprechung des Sünders, um nur einige zu nennen.

Was haben die Esoteriker, was die Kirche nicht hat? Betrachtet man die Vielzahl an rituellen Möglichkeiten, die die Kirche anbietet, nimmt es auf den ersten Blick wunder, warum inzwischen der Anteil derer, die in irgendeiner Form esoterische oder fernöstliche Religionsangebote bevorzugen, gleich stark ist wie derjenige der aktiven Kirchgeher.

Was unterscheidet die Imbolc-Feier am Keltenhof von der Lichtmess-Feier in der Kirche? Der Keltenhof bewirbt seine Veranstaltung so: "Brigit erscheint wieder auf der Oberwelt. Sie bringt den Zündfunken in den Plan, nun ist der Aufbruch, es geht wieder von neuem los. Das Feuer wird wieder größer (. . .) Bei der Brigit-Zeremonie werden die 'Dämonen' des Winters ausgetrieben. Ein Feuer wird entzündet, dann wird mit Fackeln und in einem Tanz mit Trommeln, Rasseln, einem besonderen Trancetanz, Gejohle und Gesang der Winter vertrieben. (. . .) Es gibt Glühwein, selbstverständlich auch Antialkoholisches, ein köstliches opulentes Festessen (. . .) wahrscheinlich die ganze Nacht durch." Die Verehrung der "Brigit" wird wahrscheinlich nicht wesentlich sein. Da werden ein zünftiges Scheiterhaufenfeuer, Tanz, Ausgelassenheit und Wein pur geboten. Das nimmt sich gegen die Lichtmessfeier der Kirche aus wie ein superverstärkter Hardrock-Hadern gegen einen gregorianischen Choral. Die nächste Kirche ist zwar zu Fuß zu erreichen und bietet die Lichtmessfeier erheblich billiger, aber das festliche Angebot ist weniger laut: Gold, Silber, Skulpturen, echte Ölbilder, Kristallluster, Brokatstoffe, viele Kerzen und Blumen, Orgelmusik und Lieder barocker Komponisten. Neben dem leider unzeitgemäßen Design haftet der katholischen Feier trotz aller barocken Putten auch etwas Asketisches, Disziplinierendes an.

Die gröberen, handfesten Sinnenfreuden wie Tanz, Trommeln, Feuer, "Saufen und Fressen" üben auf viele einen stärkeren Reiz aus als die sublimeren Formen der katholischen Kirche. Der Zugang zur Keltenfeier führt durch den Bauch, derjenige zur katholischen Lichtmess durch den Kopf.

Was macht das Kirchengehen so fad? Ein Grundproblem dürfte von Anfang an gewesen sein, dass die von der Kirche vorgegebenen Feieranlässe nicht unmittelbar einsichtig sind und nicht im Gefühl wurzeln. Das keltische Imbolc diente der Vorbereitung der Landarbeit: Die Arbeit im Haus wurde beendet, die Arbeit in Feld und Garten begann mit der Segnung des Saatguts und der landwirtschaftlichen Geräte. Dagegen die Kirche: An "Maria Lichtmess" wurde ursprünglich die "Darstellung des Herrn" gefeiert, also des Gottessohnes erste Präsentation im Tempel durch die nun wieder reine Mutter (als Jüdin durfte Maria erst 40 Tage nach der Geburt des Kindes wieder den Tempel betreten). Später wurde ein Marienfest daraus, die "Reinigung Mariens". Der Anlass ist für den einfachen arbeitenden Menschen schwer nachzuempfnden - so wurde wohl unter dem Schutzmantel der Gottesmutter gefeiert wie eh und je.

Was geschieht zu Pfingsten?

Ein besonders krasses Beispiel für die Abgehobenheit der katholischen Feiern ist Pfingsten. Weder Termin noch Anlass sind im natürlichen Empfinden des Wald- und Wiesenmenschen der nördlichen Länder verankert, das Fest wird auch nicht gut besucht. Der Termin kommt vom jüdischen Schawuot, dem Fruchtbarkeits- und Erntedankfest der Hebräer. Im fruchtbaren Palästina wurde um diese Zeit geerntet und man opferte die Erstlinge der Ernte.

Schawuot war aber auch das Fest der Verkündigung der zehn Gebote, die Moses an diesem Tag auf Sinai erhalten hatte. An Schawuot wurden auch die jüdischen Kinder eingeschult. Bei den Hebräern herrschte also Sinnhaftigkeit auf mehreren Ebenen: der jahreszeitlichen des Erntedanks, der sozialen der Einschulung und der spirituellen der Verkündigung der wesentlichen Lebensregeln.

In der katholischen Kirche ist Pfingsten das eigentliche Kirchengründungsfest: Die Apostel wurden zu Schawuot mit den Sprachen der Völker begabt, die sie zu missionieren hatten. Ansonsten liegt das Pfingstfest bei uns mitten im Frühling und keineswegs an einem jahreszeitlichen Übergang, findet also in der Befindlichkeit des Einzelnen keinen Anlass. (Versinnlichungsversuche kreativer Pfarrer, die zur Pfingstmesse eine weiße Taube aus der Kuppel über die Gläubigen fliegen ließen oder eine Holztaube an einer Schnur hinabließen, fanden die Missbilligung des hohen Klerus und bei den Gläubigen keine wirklich starke Resonanz.)

Integration und Abwehr

Das Christentum ist zweifellos gegenüber den älteren polytheistischen Kulten die erhabenere Religion - die Menschen-, Tier- und Sachopfer wurden umgelenkt auf Armenspenden, jeder Egoismus wurde verteufelt zugunsten der Nächstenliebe. Aber weil das Christentum keine genuin europäische Religion ist - wenn es auch viel von der griechischen Philosophie und römisch-antikem Brauchtum übernommen hat - und zum Teil gewaltsam über die hier Ansässigen kam, befindet sich die Kirche seit fast 2.000 Jahren in einem ständigen Kampf zwischen Integration und Abwehr.

Die etablierten Gemeinschaftsfeste nach dem Mond- oder Sonnenkalender wurden teils glücklich, teils ungeschickt mit christlichen Inhalten überdeckt, doch der alte Sinn, der alte Glaube schimmert durch, auf Gemälden, in Liedtexten und schließlich im Gefühl des Gläubigen. Es ist in nördlichen Ländern einleuchtender, dass Weihnachten gefeiert wird, weil sich der Winter wendet und endlich mehr Sonne zu erwarten ist, als "weil Christus am 25. Dezember geboren ist". Der älteren Deutung des Festes von der jährlichen Wiedergeburt des Lichtgottes kommt das Bild des Kindleins in der Krippe sehr entgegen.

Der christliche Inhalt ergibt sich jeweils nicht natürlich "aus dem Bauch", sondern wird aufgesetzt und muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, ideologische Arbeit wird geleistet, die von den rituellen Formen des Festes ständig widerrufen wird. Das war einfacher, als sich der kulturelle Besitz der meisten Haushalte in einer Bibel erschöpfte. Heute, in

einer Welt der Bilderflut und

eines riesigen Angebotes an komfortabler Unterhaltung, in dem Jesus-Filme, die Artussage und der "Herr der Ringe" gleichberechtigt auf uns eindringen, kommt die Botschaft des Erlösers immer schwerer durch.

Geht einer dann doch zur Messe, fühlt er sich irgendwie antiquiert. Der Ablauf entspricht dem Bild einer Gesellschaft vor 50 Jahren und mehr. Damals wurde vor den Autoritäten nur nach Aufforderung gesprochen. Auch in der Messe wird der Mund nur geöffnet, wenn es erlaubt ist. Man sitzt - auch weil die alten Gebäude schon so eingerichtet sind - etwas hart, immer noch in Reihen auf den Altar ausgerichtet. Der ist zwar als "Volksaltar" nach vorne gerückt und in den Bänken wird man nicht mehr nach Geschlechtern getrennt. Dennoch: Die Messe ist ein frontales, oft ungemütliches Über-sich-ergehen-Lassen.

Chancen für Suchende

Was Anlass zu Streitereien und aufklärerischen Kampagnen war und strengen Geistern die Kirche verleidet - die soziokulturelle Vielfalt des Angebots und die kultische Toleranz -, könnte jedoch auch eine Chance für Suchende sein. In diesem riesigen, 2.000 Jahre alten Apparat Kirche ist eine Vielzahl von Kulturen und Kulten dialektisch aufgehoben: von der hebräischen Hochkultur über die griechische Philosophie und die antiken römischen Kultpraktiken bis zu germanischen und keltischen Glaubensinhalten. Der regionale Kult ist in der Weltkirche Realität. Während in Kenia der Gottesdienst tanzend und singend absolviert wird, stecken Österreicher und Süddeutsche die Palmbuschen ins Feld.

Wer authentischen Kult sucht, wird in der Kirche sicher eher fündig als bei Sekten. Sie hat die alte Magie (meist heimlich) bewahrt und nutzt sie auch - seit der Aufklärung aber nur mehr verschämt. So findet sich an den berühmten Wallfahrtsorten regelmäßig ein Naturheiligtum: Quelle (z. B. in Mariazell), Baum (z. B. Maria Dreieichen, Christkindl bei Steyr), Stein (z. B. Maria Taferl). Fragt man danach, haben die Souvenierhändler rund um die Kirche "unter der Budel" allerlei Bilder aus Wachs oder Silber, die auf Seiten- oder Filialaltären geopfert werden können. Es gibt zwar nur einen Gott, aber viele je nach Region mehr oder weniger verehrte Fürsprecher wie Antonius, Hubertus, Barbara. Einsame Kapellen im Wald halten den Platz alter Kultstätten, Marterl am Feld deuten nicht nur auf die Frömmigkeit der Bauern, sondern oft auch auf alte Friedhöfe, die durch spätere agrarische Tätigkeit entweiht wurden. Ein eigenes Kapitel wäre der von der Aufklärung so bekämpfte Reliquienkult . . .

Wer meditieren will, braucht keinen Yoga-Kurs zu machen: Jedes Kind hat gelernt, die Hände zu falten und sich auf ein Gespräch mit Gott zu konzentrieren. Um das Angebot der katholischen Kirche im Sinne einer "natürlichen" Religiosiät zu nutzen, wäre jedoch eines nötig: Selbst denken, selbst schauen, vor allem auf die Bilder - den Ausgang suchen aus der Unmündigkeit der/des kopflastig Unterrichteten!

Informationen unter:

http://www.religion.orf.at

http://www.keltenhof.org

http://www.payer.de/judentum

http://skepdic.com/German/wiccad.html

http://www.religioeses-brauchtum.de

http://www.unicom.unizh.ch/magazin/

archiv/1-98/religion.html

http://www.wicca.com/celtic/akasha/

imbolclore.htm

Anne Bancroft: Ursprünge des Heiligen. Die Faszination früher Kultstätten. Solothurn - Düsseldorf 1993.

Hermann Kirchhoff: Christliches Brauchtum, Feste und Bräuche im Jahreskreis. München 1995.

Hans Kloft: Mysterienkulte der Antike. Götter, Menschen, Rituale. München 1999.

Freitag, 17. Mai 2002

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