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Über heilige Gedichte und die Literatur von Päpsten

Glaube an auferstehende Wolken

Von Reinhard Ebner

Dass geistliche Literatur im Aufwind ist, beweist der fulminante Erfolg eines einfachen Gebetsbuches, das kürzlich in Irland erschienen ist. Das "Glenstal Book of Prayer" mit einer Erstauflage von 9.000 Exemplaren war auf der Stelle ausverkauft und belegte damit Platz 1 in der irischen Bestsellerliste für Sachbücher. Der Verlag hat entsprechend rasch reagiert: Eine zweite Auflage von 20.000 Exemplaren befindet sich bereits in Druck, eine Ausgabe für den US-amerikanischen Markt ist in Vorbereitung, und auch andere europäische Länder haben ihr Interesse an dem Büchlein bekundet.

Der Erfolg des von den Benediktinermönchen der Glenstal Abbey nahe Limerick herausgegebenen Buches ist umso erstaunlicher, als die Sammlung nichts weiter beinhaltet als einige Standardgebete vom "Vater unser" über den Rosenkranz bis zum "Ave Maria" sowie anlassbezogene Gebete. Offenbar traf man mit dem im Prinzip einfachen Konzept ein Grundbedürfnis des gegenwärtigen Lesers.

Göttlicher Schein

Die Rückkehr zum Religiösen beschränkt sich allerdings nicht aufs katholische Irland. Die Nummer 9 (Herbst 2001 bis Sommer 2002) der Literaturzeitschrift "Das Gedicht", die unter dem Thema "Göttlicher Schein - Heilige Gedichte" steht, stieß auf rege Rezeption in Tageszeitungen, Magazinen und im Fernsehen und zeigte damit in eindrucksvoller Weise, dass die so oft totgesagte Lyrik noch immer zu kräftigen Lebenszeichen imstande ist. Die Reaktionen fielen dabei durchwegs positiv aus: "Spiegel", "FAZ", "Die Welt" und 3Sat nahmen sich der religiösen bis respektlosen Gedichte an, die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" druckte vier Gedichte aus dem Band in ihrem Literaturteil nach.

Anton Leitner, selbst Lyriker und seit 1993 Herausgeber der Zeitschrift, stellte damit einmal mehr sein feines Sensorium für die Bedürfnisse des Literaturmarkts unter Beweis. Ein vergleichbares Echo erreichte er nur mit dem als "Erotik-Special" angelegten Vorgänger-Band, der schon bald als "Pornografie-Skandal" ("Süddeutsche Zeitung") die Hitparaden künstlicher Aufregung stürmte.

Erboste Buchhändler schickten bereits bestellte Exemplare an den Verlag zurück, anonyme Anrufer terrorisierten den Herausgeber mit Beschimpfungen und schreckten auch vor Morddrohungen nicht zurück. "Ich will nicht verheimlichen, dass meine Nerven blank lagen, weil ich um die wirtschaftliche Existenz der Zeitschrift fürchtete", denkt Anton Leitner mit Schaudern an die Zeit zurück.

Der einzige Skandal lag dabei darin, dass es überhaupt zu einem solchen kommen konnte: Anstatt der obligatorischen Nackedei zierte eine nackte Hand in eindeutiger Geste, ein Foto des Künstlerpaares Vogt/Boerboom, das Cover des Bandes. Die harmlose Symbolik rief Moralapostel zuhauf auf den Plan - und sorgte damit für einen einzigartigen Verkaufsschlager.

Die Nr. 8 des "Gedichts" stellte den ökonomischen Erfolg der Zeitschrift nicht in Frage, wie Leitner ursprünglich befürchtet hatte, als "poetische Sexbombe" fand das Heftchen seinen Weg auf die "Liste der 100 besten Bücher" des "Focus"-Magazins und initiierte die tägliche Ausstrahlung "Geiler Gedichte" auf dem Sender WDR. Aufgrund anhaltender Nachfrage erschien im Frühjahr diesen Jahres die bislang dritte Auflage des explosiven Lyrikbandes.

Auch der aktuelle Band würde in seiner Vereinigung sämtlicher Tonlagen von Meditation bis Blasphemie theoretisch Angriffspunkte genug bieten. Dass diese entsprechend wahrgenommen werden, ist zu bezweifeln. Die dogmatische Religiosität ist heute längst nicht

so vorherrschend wie die (dogmatische) Prüderie, und auch die Buchhändler werden sich diesmal hüten, einen Garantie-Erfolg an den Verlag zurückzuschicken oder wie einen Ladenhüter verschämt

im hintersten Winkel zu verstecken.

"Die moderne Lyrik ist ein Echolot für Religion", meint Henning Ziebritzki in einem angeschlossenen Essay, ein Diktum, dem sich der Herausgeber anschließt, indem er moderne Autoren von Dorothee Sölle und Kurt Marti bis hin zur diesjährigen Büchner-Preisträgerin Friederike Mayröcker und zum PEN-Präsidenten Said zu Wort kommen lässt.

Die Illustrationen zum Band liefert der Satiriker Herbert Rosendorfer ("Briefe in die chinesische Vergangenheit"), der auch einige Gedichte beisteuert, die - gemäß der weiter oben gemachten Feststellung - eher der blasphemischen Fraktion zuzurechnen sind. Gleiches gilt für Franz Wurm ("Lobet den Herrn er weiss nicht was er tut / aber er tut es"); demgegenüber stehen rührende Verse wie jene des 1952 geborenen Historikers Lutz Rathenow ("Am Grab: Der Enkel sehr klein / und gar nicht richtig traurig, / er harkt die Erde über Opa / . . . / Und manchmal, mit dem kleinen Finger, / kitzelt Enkel seinen Opa. So wie immer.").

Die Gegensätze geraten allenthalben aneinander: der Berliner Underground-Poet Kiev Stingl stößt auf Johannes Paul II., der Benediktinerabt Odilo Lechner auf den karibischen Dichter Lasana Sekou, der Gott als den "makellosen Schwarzen" ("The perfect black") definiert.

Literatur ex cathedra

Besonderes Aufsehen erlangte die Ausgabe durch das im Band enthaltene Gedicht "O du Musik" Karol Wojtylas, das eine religiöse Grundstimmung mit nationalem Pathos verbindet. Das Gedicht wurde vom späteren Papst Johannes Paul II. 1939 im Alter von 19 Jahren verfasst und steht stark unter dem Eindruck des beginnenden Weltkrieges und der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht:

"Zusammen werden wir freier.

Es wird uns zusammen leichter sein.

Ich schlage mit dem Herzen in die Brust. Höre Polen!"

Mit der Publikation dieser Verse wird erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf die literarischen Anliegen des 1920 in Wadowice geborenen Polen, der neben Lyrik auch ein Bühnenstück ("Der Laden des Goldschmieds") unter einem Pseudonym verfasste, aufmerksam gemacht.

Die Rechte für den Nachdruck erwarb Leitner um eine geringe Summe vom Styria-Verlag, der im letzten Jahr eine weithin unbekannt gebliebene Sammlung der "Jugendgedichte des Papstes" veröffentlichte. Die Verse sind durch einfache Bildsprache und einen mitunter etwas sperrigen Ton (der vielleicht auch der Übersetzung zuzuschreiben ist) gekennzeichnet.

Formal ist der Dichter Karol Wojtyla der Gruppe "Das Junge Polen" verpflichtet, er füllt diese Formen mit religiöser Symbolik und Naturmystik. Dabei zeigt sich der spätere Papst völlig undogmatisch: "Ich glaube an die Auferstehung der Wolken!", verkündet er in einem seiner Gedichte. Ein Glaubenssatz, der wohl nicht in jedem Katechismus zu finden sein wird.

"Im Zeitalter von Genforschung und Internet erhält die Suche nach Orientierung neuen Aufschwung", versucht Anton Leitner die zeitgenössische Rückkehr zum Religiösen zu erklären. "Der aufgeklärte, moderne Mensch verliert seine Scheu vor ,Gott' und dem ,Heiligen'."

Johannes Paul II. ist keineswegs der erste Papst, der sich auch auf literarischem Gebiet hervortat.

Clemens IX., der mit bürgerlichem Namen Giulio Rospigliosi hieß, konnte zur Zeit seiner Papst-

wahl bereits auf eine künstlerisch recht nachhaltige Karriere zurückblicken.

Der studierte Theologe und Philosoph war vor seinem nur zweieinhalb Jahre währenden Pontifikat (1667 bis 1669) Dramatiker und Opernlibrettist gewesen. Durch seine im Dienste der Fürsten Barberini verfassten Opernlibretti schuf er den musikalisch-poetischen Prototypen der Gattung "Komische Oper".

So ist denn Clemens IX. der seltene Fall eines Papstes, der eher durch seine künstlerischen Verdienste denn durch sein politisches Geschick dem Gedächtnis der Nachwelt erhalten geblieben ist.

Noch weiter in weltliche Gefilde wagte sich Enea Silvio Piccolomini, später Papst Pius II. (1458 bis 1464), vor. Der umfassend gebildete Humanist schrieb 1444 in Wien eine mitunter recht schlüpfrige Liebesnovelle mit dem Titel "Historia de duobus amantibus" ("Geschichte zweier Liebender"), die schon bald zu einem "Bestseller" der Epoche avancierte und 1462 vom Schweizer Niklas von Wyle ins Deutsche übertragen wurde.

Die Novelle spielt in Siena im Jahre 1432, als Kaiser Sigismund sich mit seinem Gefolge in der Stadt aufhielt. Sein Gefolgsmann, der Franke Euryalus, verliebt sich in die schöne, aber verheiratete Lucretia und findet in weiterer Folge manchmal recht erheiternde Wege, dieser Liebe auch körperlich nachzugehen.

Die Geschichte endet tragisch mit der Trennung der Liebenden und dem Tod Lucretias. Etwas leichter hat es da schon der liebeskranke Euryalus, er lässt "sich nicht trösten, bis ihm der Kaiser aus herzoglichem Geblüt ein ebenso schönes wie wohlerzogenes und kluges Mädchen zur Frau gegeben" hat.

Das Manuskript dieser Novelle, die besser unter dem Titel "Euryalus und Lucretia" bekannt ist, wurde jüngst auf einer Auktion in Paris zur Rekordsumme von 32,5 Mill. Schilling und damit zum höchsten Kaufpreis, der je für ein Manuskript in Frankreich bezahlt wurde, ersteigert.

Der italienischen Zeitung "Il Secolo XIX" zufolge handelt es sich bei dem Käufer um Italiens Premier

Silvio Berlusconi, der sich mit seinem geschätzten Vermögen von 210 Mrd. Schilling den kleinen Shopping-Ausflug ins Nachbarland durchaus leisten kann.

Anton Leitner (Hrsg.): Das Gedicht. Zeitschrift für Lyrik, Essay und Kritik: Nr. 9. "Göttlicher Schein - Heilige Gedichte". AGL-Verlag, Weßling/München 2001, 151 Seiten.

Karol Wojtyla: Die Jugendgedichte des Papstes. Renaissance-Psalter. Styria-Verlag, Graz 2000, 126 Seiten.

Enea Silvio Piccolomini: Euryalus und Lucretia. Reclam, Stuttgart 1993, 127 Seiten.

Freitag, 12. Oktober 2001

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