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Keine Angst vor dem Islam

In Straßburg arbeiten Muslime und Christen eng zusammen
Von Martin Arnold

Ein Gebet an Allah im stolzen Münster von Straßburg? Das ist keine bloße Vision, sondern das Ergebnis interreligiöser Zusammenarbeit in der elsässischen Metropole. Doch bald werden die Moslems an Feiertagen nicht mehr auf christliche Gotteshäuser angewiesen sein. Die Stadt stellt den Boden für den Bau gleich zweier großer Moscheen zur Verfügung. Dies, weil unter den Moslems eine Auseinandersetzung zwischen fortschrittlichen und konservativen Kräften besteht. Es geht um die Integration dieser Religion in Europa.

Dogan Cengiz sitzt im ausladenden Treffpunkt des türkischen Vereins von Straßburg und wiederholt sich noch einmal.

Denn was er sagt, ist ihm wichtig: "Die Menschheit hat auf der technischen und materiellen Ebene unglaubliche Fortschritte gemacht. Aber die Römer und Osmanen waren toleranter. Sie haben Minderheiten integriert, ein Ziel, das wir erst noch erreichen müssen. Aber wir sind auf gutem Weg. Besonders in Straßburg." Was Cengiz anspricht, ist der intensive interreligiöse Kontakt zwischen Christen und Moslems in der oberrheinischen Stadt. Er kommt in zahlreichen gemeinsamen Veranstaltungen zum Ausdruck. Sowohl die katholische als auch evangelische Kirche haben Islam-Verantwortliche. Ove Ullestad ist für die lutherische und protestantische Kirche im Elsass und in Lothringen zuständig für die Beziehungen zu den islamischen Mitbewohnern: "Die Initiative kam früher immer von der christlichen Seite. Inzwischen suchen auch die Moslems interkulturellen und interreligiösen Kontakt." Es gibt in Straßburg die islamisch-christliche Vereinigung, in der sich rund 20 Paare aus gemischten Ehen engagieren. Gleichzeitig treffen sich je acht Imame und Pfarrer sechsmal jährlich, um Probleme zu besprechen, die in den gemischten Ehen entstehen. Dabei geht es um praktische Probleme wie die Trauung oder die religiöse Erziehung der Kinder. Eine Gruppe junger Türken und Christen reflektiert gemeinsam Fragen der Gewalt in ihrem Quartier. Nun wollen sie darüber ein Video produzieren. Und in einer weiteren Vereinigung treffen sich türkische und maghrebinische Muslims sowie protestantische und katholische Christen zum regelmäßigen Meinungsaustausch. Der gebürtige Norweger Ullestad unterstützt jede Form des Austausches unter den Religionen.

Interkulturelle Programme

Nachdem er sein Amt 1985 angetreten hatte, überzeugte er sozusagen als erste Amtshandlung die eigene christliche Gemeinschaft von der Notwendigkeit seiner Arbeit. "Es gibt heute noch Leute, die Angst haben vor einem orthodoxen Islam. Sie empfinden es als Provokation, wenn wir den moslemischen Mitbewohnern während des Ramadans unsere Gotteshäuser zur Verfügung stellen." Ullestad hat in seiner 15-jährigen Tätigkeit nach eigenen Angaben aber nie ein Beispiel des offensiven, aggressiven Islams erlebt, vor dem sich viele so sehr fürchten.

Doch auch in Straßburg ist dieses Vorurteil zählebig und nur die unermüdliche Gemeinschaftsarbeit ersetzt es durch Wissen. "Zu interkulturellen Veranstaltungen kommen meist dieselben Leute. Mein Ziel ist es, breite Bevölkerungskreise von unserer Arbeit zu überzeugen."

Auf der politischen Ebene scheint dies besser zu funktionieren. Die Stadtbehörden haben der moslemischen Gemeinschaft gleich zwei Flächen zur Verfügung gestellt, um neue Moscheen zu bauen. Ursprünglich war der Bau eines Gotteshauses geplant. Doch das Projekt des Marokkaners Abdullah Boussouf von der "Vereinigung der Muslims von Straßburg" stieß beim liberalen Professor für Islamistische Wissenschaften, Ali Bouamama, auf Widerstand. Nun plant er den Bau einer Moschee und eines islamischen Kulturzentrums. Ein ähnlich visionäres Projekt ist bisher erst im "Institut der arabischen Welt" in Paris verwirklicht. Im Kulturzentrum sollen sich Christen und Moslems offen begegnen können. Hier sollen dereinst Moslems erfahren, was Christen von ihnen unterscheidet und umgekehrt. Dort können aber auch gemeinsame Feste gefeiert, Musik genossen oder der Literatur gelauscht werden. Mit Hilfe der Europäischen Union könnte zumindest das Kulturzentrum Wirklichkeit werden. Der Moscheenbau stößt auf größere Schwierigkeiten. Denn Bouamama will keinen Geldgeber, der mehr als 10 Prozent der Baukosten übernimmt, um nicht in eine einseitige Abhängigkeit zu geraten. Denselben Betrag bezahlt die Stadt Straßburg an Baukosten, wie sie das auch bei christlichen Kirchen tut. In dem von Bouamama gegründeten "Institut der Muselmanen Europas", der zukünftigen Trägerin der Moschee und des Kulturzentrums engagieren sich viele Jugendliche. Ein Drittel sind Frauen, was für Bouamama eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges ist. "Wir wollen einen europäischen Islam begründen, der die moderne Gesellschaft wiederspiegelt." Der quirlige Bouamama macht die Unterschiede zum traditionellen Islam deutlich: "Er ist rückwärts gewandt, verharrt in der Vergangenheit und ist deshalb ein geschlossenes Weltbild. Je weiter sich die Gesellschaft fort bewegt, desto unpassender ist der konservative Islam, weil eine Entwicklung nicht möglich ist." Dabei - so Bouamama - sei der Islam tolerant genug und erlaube eine Anpassung an die moderne Zeit. Deshalb sei es nötig, an einem islamischen Kulturzentrum das Bildungsniveau der Glaubensbrüder und -schwestern zu heben, "damit diese wissen wovon sie reden". Im Dialog soll dann das entstehen, was Bouamama, einen neuen, europäischen Islam nennt, der offen ist und keine Volksgruppen und kein Geschlecht diskriminiert. Andererseits sollen die Menschen in einem modernen Glauben Antworten auf ihre Fragen finden. "Sonst" - so Bouramama - "geht es bei uns gleich weiter wie in christlichen Kirchen. Nur noch 10 Prozent der Bevölkerung nehmen aktiv am religiösen Leben teil." Für Bouamama ist es wichtig, dass die Moslems, die jahrelang hier leben und den Traum einer Rückkehr in ihre Heimat aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen begraben müssen, sich auch als Elsässer fühlen und nicht nur als Sudanesen, Marokkaner, Türken oder Algerier.

Unterstützung von Muslims

Der Beweis, dass die elsässische Hauptstadt ein fruchtbarer Ort für den Islam ist, wird seit Jahrhunderten geliefert. An der Universität wird schon lange Islam gelehrt und die Stadt verfügt über Tausende wertvoller islamischer Manuskripte.

Wie viele der 40.000 Straßburger und 110.000 elsässischer Moslems den Argumenten Bouamamas folgen, ist ungewiss. Die immerhin 10 Prozent der Stadtbevölkerung ausmachende Religionsgruppe ist keineswegs homogen. Und Ullestad bezweifelt Bouamamas optimistische Schätzung, dass 90 Prozent der islamischen Bevölkerungsgruppe hinter ihm stünden. Auf die Hälfte könnte dies zutreffen, nämlich auf jene Franzosen orientalischer Herkunft, die nach dem Algerien-Krieg nach Frankreich gekommen und sich inzwischen assimiliert haben.

Die Straßburger Moslems kämen auf jeden Fall schneller zu ihrer Moschee, wenn sie sich auf ein Projekt einigen würden, das leichter finanzierbar ist. Denn schließlich wollen sie auch für die kleinen, zahlreichen Quartiermoscheen in Privatwohnungen, Hinterhöfen und heruntergekommenen Gewerbeliegenschaften einen würdigeren Rahmen bieten.

In nur vier Jahren, hofft Bouamama, sei die von ihm geplante Moschee verwirklicht. Dafür will der gebürtige Algerier einen Anteil der Schächtsteuer, die das Landwirtschaftsministerium bei der Tierschlachtung einkassiert und unter der islamischen Gemeinde verteilt, verwenden. Die Gruppen, die seine Pläne unterstützen, sind zahlreich, aber finanzschwach. Etwa Mohamed Belkouaci und seine "Europäische Föderation französischer Muslims und Kriegsinvaliden". Rund 800 Mitglieder zählt die erst vor fünf Monaten gegründete Vereinigung. Der wegen einer Kriegsverletzung auf einem Auge blinde Algerier zahlte bereits seinen Preis für Nationalismus und Missgunst zwischen Völkern und Religionen.

"Die Probleme sind immer sozialer Natur. Die einen besitzen alles und geben nichts, und die anderen, die fast nichts haben, müssen auch das noch teilen." Der radikale Islam oder die rechtsextremen Gruppierungen in Europa sind für ihn vor allem eine Antwort auf die sozialen Gegensätze.

Darauf dürfe niemand eingehen, das hätten Kriege im Namen von Nationen und Religionen bewiesen. "Wir können in Straßburg zeigen, dass es auch anders geht."

Freitag, 19. Jänner 2001

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