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Der Fürst der Ketzer

Vor 400 Jahren wurde der Philosoph und Astronom

Giordano Bruno hingerichtet /
Von Christian Pinter

Erst die Hinrichtung am Campo de' Fiori in Rom machte Giordano Bruno unsterblich, ließ ihn zum Gewissensmärtyrer werden. Obwohl seine Methodik wenig mit moderner
Wissenschaft zu tun hat, führte sie ihn teilweise zu Erkenntnissen, die wir heute als gesichert oder wahrscheinlich erachten. Doch was war an diesem frühen Kosmologen so gefährlich, dass man seinem
Leben vor 400 Jahren gewaltsam ein Ende setzte?

1548 in Nola bei Neapel geboren, tritt Filippo Bruno nach Studium der humanistischen Fächer, Logik und Dialektik mit 17 Jahren in den Dominikanerorden ein. Er nennt sich nun „Giordano". 1572 wird er
zum Priester geweiht, hält seine erste Messe. Drei Jahre später beendet er das Studium der Theologie. Als er Heiligenbilder aus seiner Zelle entfernt, beschuldigt man ihn der Ketzerei. Er begibt sich
zum Hauptsitz der Dominikaner nach Rom. Doch über hundert Anklagepunkte, darunter der „Besitz verbotener Schriften", folgen ihm. So bricht er mit dem Orden und beginnt ein rastloses Leben, das ihn
durch halb Europa führt. Sein Ruf als „Ketzer" eilt ihm voraus. Nirgendwo, so prophezeit ihm ein italienischer Pater, dürfe er mit Wohlwollen rechnen. Im calvinistischen Genf weist Bruno einem
angesehenen Philosophieprofessor 26 Irrtümer nach. Erst im Kerker widerruft er. In Toulouse lehrt er an der Universität Astronomie, in Paris spricht er über die göttlichen Attribute. Eine ordentliche
Professur lehnt er ab, weil er nicht wie die anderen Gelehrten regelmäßig zur Messe gehen möchte.

Manchen Zuhörern gilt der Nolaner als Magier, denn sein Gedächtnis ist phänomenal. Bruno arbeitet mit einem besonderen Merksystem. Heinrich III. ist davon fasziniert. Bruno widmet ihm sein Buch „Von
den Schatten der Ideen" und wird dafür zum außerordentlichen Professor ernannt. Mit königlichem Empfehlungsschreiben reist er 1583 nach England und bezieht Quartier im Haus des französischen
Botschafters. Offene Fremdenfeindlichkeit schlägt dem Italiener an der Themse entgegen, er wird in den Londoner Straßen attackiert. Aber auch die Professoren in Oxford, Anhänger des Aristoteles,
enttäuschen ihn. Diese schmückten sich zwar mit samtenem Doktorgewand, goldenen Halsketten und Ringen, fänden aber mehr Geschmack am Bier als am Griechischen, spottet Bruno 1584. Sein
Aschermittwochsmahl, eine Mischung aus „Dialog, Komödie, Tragödie, Poesie, Rhetorik, Lob, Tadel, Beweis und Lehre", erzählt von der philosophischen Disputation eines Nolaners mit englischen
Gelehrten. Es ist eine bissige Abrechnung mit dem Gastland; Bruno breitet darin aber auch seine Kosmologie vor dem Leser aus.

Schon vier Jahrzehnte ist es her, da Nikolaus Kopernikus die heliozentrische Lehre veröffentlicht hat. Manche verwenden sie als Rechenhilfe, um die Bahnen der Planeten rascher und präziser
kalkulieren zu können. Doch kaum jemand glaubt, dass sich die Erde tatsächlich dreht und gleichzeitig um die Sonne kreist. Die meisten Zeitgenossen halten es mit dem Augenschein: Sterne gehen im
Lauf der Nacht auf und unter · also dreht sich der Himmel, nicht die Erde. Ja das ganze Universum rotiert offenbar täglich um den Menschen herum. Um dieses Kunststück zu vollbringen, muss es eher
klein sein. Ein beliebtes Lehrbuch gibt den Radius mit 131 Mill. Meilen an.

Bruno ist einer der allerersten Anhänger des Kopernikus. Für den Italiener rotiert daher die Erde, nicht das All. So kann sein Kosmos wachsen, beliebig weit hinausgreifen. Für Bruno ist er „auf
unendliche Weise unendlich". Selbst Johannes Kepler schreckt vor dieser verwegenen Idee zurück, spricht in einem Brief an Galileo Galilei von „grundloser Unendlichkeitsschwärmerei". Warum,
so fragen Philosophen, sollte Gott auch so viel Raum für etwas verschwenden, das für den Menschen keinen Nutzen hat? Der unendliche Gott, so hält der Nolaner entgegen, könne nur Unendliches schaffen.
Bruno stattet die Natur mit einer Eigenschaft aus, die bislang Gott vorbehalten war. Wo aber bliebe in diesem grenzenlosen Universum, sticheln seine Gegner, noch Platz für Gott, für den Himmel, für
die Hölle?

Kein Rand, kein Mittelpunkt

Hatte Kopernikus wenigstens die Sonne im Zentrum des Universums belassen, macht Bruno auch mit dieser Fiktion Schluss. Im unendlichen All gibt es keinen Rand und keinen Mittelpunkt. Überall hätte
der Beobachter den Eindruck, dass sich alles um ihn dreht. Seine Position im All wäre damit „immer nur in Bezug auf andere Körper oder beliebig festgesetzte Punkte" bestimmbar. Sie ist relativ.
Brunos Kosmos war schon immer da und wird ewig existieren. Nur die Formen darin, etwa die Gestirne, werden und vergehen: „Nichts kann von Natur aus ewig sein, außer der Substanz, das heißt der
Materie, die nichtsdestoweniger fortwährender Veränderung unterliegt." Dies lehrt Bruno zu einer Zeit, da man das Alter der Welt auf ein paar tausend Jahre schätzt. Er leugnet damit auch den
göttlichen Schöpfungsakt, wie ihn die Bibel beschreibt.

Noch glauben die Menschen an den platonischen Dualismus von Himmel und Erde. Oben herrscht Göttlichkeit, Heiligkeit, Erhabenheit. Unten findet sich Menschliches, Sündhaftes, Vergängliches. Der Mensch
ist in diesem Konzept zwar am weitesten vom Vollkommenen entfernt, doch gleichzeitig auch im Zentrum von Gottes Schöpfung. Des Menschen unvollkommene Heimat ist nach Aristoteles aus Feuer, Luft,
Wasser und Erde geformt. Den vollkommenen Himmelskörpern wird hingegen ein „fünftes Wesen", die Quinta essentia, zugeschrieben · daher unser Begriff Quintessenz. Bruno löst diesen
Gegensatz auf: andere Körper unterscheiden sich von der Erde „überhaupt nicht in der Art, sondern lediglich in der Größe".

Denken sich Brunos Mitmenschen die Fixsterne noch an einer gewaltigen, kristallinen Sphäre fixiert, die von immateriellen Bewegern, etwa Engeln, in Schwung gehalten wird, so leuchten die Sterne des
Nolaners ohne „Feste" und in völlig unterschiedlichen Erddistanzen. Er zerschlägt die Sphäre. Die Bewegung der Körper erfolge außerdem aus einem ihnen innewohnenden Prinzip heraus; sonst könne man ja
auch glauben, „Ameisen und Spinnen handelten nicht aus eigener Einsicht und Geschicklichkeit, sondern würden von unfehlbaren göttlichen Intelligenzen gelenkt".

Wenn das All so weit ist und die Sterne so fern · was gibt ihnen dann die Kraft, mit ihrem Schein bis zur Erde vorzudringen? Kaum jemand hat sich bislang Gedanken über die Natur der Fixsterne
gemacht. Bruno aber behauptet richtigerweise, dass Sterne „ebenso groß und leuchtend sind wie die Sonne, wenn nicht gar noch größer und leuchtender". Nur die Entfernung lässt sie schwach und
unbeweglich scheinen. Um diese Sterne kreisen, genauso wie die Planeten um unsere Sonne, „viele, ja unzählige Erden . . . die der unseren gleichen". Und Bruno postuliert, „dass auf ihnen
ebenso viele, ja unzählige einfache und zusammengesetzte Einzelwesen leben". Der Mensch ist demnach nicht allein im Kosmos. Schon Kopernikus hatte · ohne Absicht · die zentrale Rolle des Menschen
in Frage gestellt, als er die Erde zu einem von sechs Planeten degradierte. In Brunos mittelpunktlosem Universum wird der Mensch nun aber an irgendeine beliebige Stelle gerückt, ist nur noch eines
von unzähligen Lebewesen im All. Das ist eine radikale Relativierung.

Nicht alles, was Bruno über den Kosmos lehrt, entspricht heutigen Vorstellungen. Auch ist nicht alles neu. Schon in der Antike tauchte die Idee auf, andere Planeten könnten bewohnt sein. Nikolaus von
Kues, Bischof von Brixen, zeichnete ebenfalls ein All ohne Mitte und Grenze. Und der Engländer Thomas Digges, Kopernikaner der ersten Stunde, sprach 1576 von einem unendlichen Universum, von dem wir
nur die allernächsten Sterne sehen könnten. Bruno verwebt solche Gedanken zu einem weiträumigen, naturphilosophischen Gebäude. Im Gegensatz zu Galilei oder Kepler benötigt er dazu weder Experiment
noch Mathematik. Sein spekulativer Mystizismus ist für die Naturwissenschaft alles andere als richtungsweisend. Im leidenschaftlichen Streben nach Weisheit genügen Bruno die Sinne nicht. Sie gaukeln
den täglich um uns herumkreisenden Kosmos vor · und betrügen auch in anderen Dingen. Wahre Erkenntnis geschehe vielmehr in erleuchtenden Augenblicken der Intuition, im Blick nach innen: „So sind
wir dazu befähigt, die unendliche Wirkung der unendlichen Ursache zu entdecken, die wahre und lebendige Spur der unendlichen Kraft. Wir brauchen die Gottheit nicht in der Ferne zu suchen; denn sie
ist uns nahe und sogar tiefer in uns als wir selbst."

Gott existiert für Bruno nicht außerhalb der Welt, sondern in ihr. Der Nolaner hängt einem metaphysischen Pantheismus an, auch wenn dieser Begriff erst ein gutes Jahrhundert später entstehen
wird. Pantheismus leugnet nicht die Existenz Gottes, wohl aber seine Personenhaftigkeit und Transzendenz; Gott, die Natur und die Welt sind eins.

Fremder und Flüchtling

1585 kehrt Bruno mit dem französischen Botschafter nach Paris zurück. Dort führen seine 120 Thesen gegen die aristotelische Naturlehre zum Eklat, verärgern Professoren und Studenten. Als Fremder,
Flüchtling und Ausgestoßener, so erinnert er sich später, kommt er nach Wittenberg. Hier preist er Luther, doch der Konflikt zwischen Protestanten und Calvinisten lässt ihn weiterziehen. In Prag gibt
es für Bruno keinen Lehrauftrag. In Helmstedt exkommuniziert ihn ein Geistlicher nach privatem Streit. Bruno ist offen und unverblümt, weiß nicht zu schweigen, wenn es opportun wäre. Er ist kein
widerspruchsfreier Mensch. Der Nolaner kann Zuhörer fesseln, sie mit radikalen Ideen und beleidigenden Worten aber auch zu Feinden machen. Er betrachtet sich selbst als einen, der „den
menschlichen Geist und die Erkenntnis befreit", lässt sich jedoch auch auf triviale Streitereien ein. Er gewinnt Gönner und verliert sie; er preist die englische Königin Elisabeth I. und Martin
Luther, kommt mit Autoritäten aber offenbar schlecht zurecht.

Vermutlich leidet der Nolaner unter Heimweh, doch Italien ist für ihn gefährlicher Boden. Nach den Erfolgen der Reformation will die katholische Kirche die Vorherrschaft wieder erlangen. Das Konzil
von Trient schrieb fest, dass es dieser alleine zustünde, über Sinn und Auslegung der Bibel zu urteilen. Seit 1564 existiert das Verzeichnis verbotener Bücher. Und in Rom ist längst die
Inquisition zentralisiert worden. Trotz Gegenreformation herrscht in der Republik Venedig noch vergleichsweise liberale Stimmung. So folgt Bruno 1591 der Einladung des venezianischen Adeligen
Giovanni Mocenigo, der in die Gedächtniskunst eingeführt werden will.

Bald streiten Bruno und Mocenigo. Der Adelige droht mit Denunziation. Bruno erwägt, Italien wieder zu verlassen, doch die Inquisition kommt dem Plan am 22. Mai 1592 zuvor. Ihr gegenüber gibt Mocenigo
an, Bruno hätte Jesus als „Betrüger" und die Verwandlung von Brot in Fleisch als „Blödsinn" bezeichnet. Außerdem hätte er behauptet, es gäbe unzählige Welten und Gott erschaffe unaufhörlich neue.
Tatsächlich leugnet Bruno die göttliche Dreifaltigkeit. Gott in mehrere Personen zu teilen, erscheint ihm irrational, nicht vereinbar mit Vollkommenheit. Desgleichen lehnt er Marien- und
Heiligenverehrung ab. Nach sieben Verhören widerruft ein erschöpfter Bruno im venezianischen Kerker. Er hofft damit wohl, der Auslieferung nach Rom zu entgehen.

Sieben Jahre Haft

Doch für Venedig ist Bruno uninteressant, er ist nicht einmal Venezianer. Im Feber 1593 übergibt man ihn dem Heiligen Offizium. Die Haft in der römischen Engelsburg dauert sieben Jahre. In dieser
Zeit finden zehn weitere Verhöre statt. Die Prozessakten werden später vom Vorsteher der vatikanischen Archive vernichtet, weil er sie für „wertlos" hält. So existiert nur eine zeitweilig geheim
gehaltene Zusammenfassung der Aktenlage aus dem Jahr 1597. Ihr zufolge stand Brunos Eintreten für die kopernikanische Lehre nicht im Zentrum der Anklage. Kopernikus wird erst 1616 auf den Index
verbotener Bücher kommen, Bruno schon 1603. Wichtiger scheint die Behauptung von der Unendlichkeit des Kosmos in Raum und Zeit sowie der Vielzahl der Welten zu sein · und die Ablehnung der
Dreifaltigkeit. Wenn Bruno Christus als Sohn Gottes leugnet, rüttelt er am Kern des Christentums. Man nennt ihn schon den „Fürsten der Ketzer".

Im kirchlichen Jubiläumsjahr 1600 ist der Prozess auch Signal. Während Kepler und Tycho de Brahe einander gerade zum ersten Mal bei Prag begegnen, fällt man in Rom das Urteil über den abtrünnigen
Dominikaner. „Nicht nur der Sieger wird gepriesen, sondern auch derjenige, der nicht als Feigling und Zauderer stirbt", hatte Bruno im „Aschermittwochsmahl" geschrieben. In dieser Gesinnung
hört er jetzt den Spruch. Dort, wo Galilei 33 Jahre später abschwören wird, antwortet Bruno trotzig: „Mit größerer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegen
nehme."

Zur Ausführung übergibt man Bruno dem Gouverneur von Rom. Dominikaner und Jesuiten versuchen bis zuletzt, den „verstockten Ketzer", der in „verdammter Widerspenstigkeit" verharrt, zu
belehren. Entkleidet und geknebelt, von schwerer Folter blutlos und schwach, die Arme aus den Schultern gerissen, das Fleisch bis auf die Knochen abgeschabt, bindet man den 52-Jährigen am Blumenmarkt
an den Brandpfahl. Er stirbt am 17. Feber 1600 frühmorgens in den Flammen.

Freitag, 25. Februar 2000

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