Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum ouml;esterreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Campus-Kreuzzug für Christus

Über versuchte Annäherungen zwischen Wissenschaft

und Religion
Von Peter Markl

Es war nicht das erste Mal, dass die Fundamentalisten punkteten, aber diesmal war ihr Rundumschlag besonders eindrucksvoll: vor vier Jahren, als sie im
Schulbuchbeirat von Alabama eine Mehrheit bildeten, hatten sie sich noch darauf beschränkt, zu fordern, dass in den Biologiebüchern die Evolutionstheorie als eine „nicht bewiesene Theorie" bezeichnet
würde. In Kansas waren sie jetzt gründlicher: dort kann in den Lehrbüchern jetzt zwar noch von Mikroevolution gesprochen werden · schließlich ist es schwierig zu leugnen, dass nicht alle Hunde gleich
aussehen, so dass man um eine Erwähnung genetischer Veränderungen innerhalb einer Art nicht herumkommt, aber bei der Makroevolution hatte die Duldsamkeit ein Ende: Makroevolution kommt von nun an in
den Lehrplänen nicht mehr vor und damit niemand in Versuchung kommt, auch der Big Bang nicht und radioaktive Altersbestimmungen · kurz alles, was auf das geologische Alter der Erde hinweisen könnte
und damit in eklatantem Widerspruch zu wörtlich interpretierten Bibelstellen steht.

Haupttriebkraft hinter dem jüngsten Erfolg der Fundamentalisten ist Steve Abrams, ein gottesfürchtiger Tierarzt aus Arkansas City, politisch ein Republikaner, der einige Geistesverwandte dazu
gebracht hatte, einen Lehrplanentwurf zu schreiben, den man dem von der Nationalen Akademie der Wissenschaften vorgeschlagenen Lehrplan entgegensetzen wollte · und das ist schließlich auch mit einer
Mehrheit von 6:4 Stimmen gelungen. Jetzt ist die Empörung groß: Bill Graves, der republikanische Governor von Kansas, nannte den Beschluss sehr treffend „eine schreckliche, tragische,
empörende Lösung für ein nicht existentes Problem".

Sicherlich kann auch dieser neue Erfolg der Fundamentalisten Wissenschaft nicht aus den Lehrplänen entfernen, aber es ist schon erstaunlich, wie erfolgreich sie in der letzten Zeit waren · und das
nicht nur in Kansas oder Alabama. Letztes Jahr trug sogar ein „Newsweek"-Titelblatt die Überschrift: „Die Wissenschaft findet Gott", und Magazin um Magazin berichtete über die neuen
Kontakte zwischen diesen „beiden Formen von Wissen". In den sechziger Jahren hätte man in den US-Colleges und Universitäten lange nach einem Kurs über „Wissenschaft und Glauben" suchen müssen · heute
gibt es, einer jüngsten Zählung zufolge, an die 1.000 solcher Kurse, getragen meist von älteren und fest angestellten Wissenschaftlern, welche aus nicht ausgesprochenen Gründen jetzt die Zeit für
gekommen halten, von ihrem bisher verborgenen oder jetzt erst neu gefundenen Glauben Zeugnis abzulegen.

Ganz zufällig kommt das allerdings nicht: sehr oft steckt dahinter die Templeton Foundation, deren Gründer Sir John Templeton sich die Versöhnung zwischen Religion und moderner Wissenschaft zum
Ziel gemacht hat und auch reich genug ist, dem notwendigen Dialog auf sehr irdische Weise auf die Beine zu helfen. Protestantische Organisationen wollen da nicht nachstehen, vor allem in einem
finanziell sehr solid abgestützten „Campus-Kreuzzug für Christus" haben auch sie sich auf den Weg gemacht.

Anderswo haben diejenigen, welche einen solchen Aufbruch mit Sympathie verfolgen, es nicht versäumt, darüber sehr eindrucksvoll zu berichten, so dass unkritische Leser den Eindruck gewinnen könnten,
dass sich in der Einstellung der Wissenschaftler etwas geradezu dramatisch geändert hätte, so dass das Klima unter Naturwissenschaftlern nun wesentlich religiöser und „christlicher" sei als noch vor
wenigen Jahren. Das ist jedoch nicht der Fall.

Natürlich hängt alles davon ab, was man als eine typisch religiöse Einstellung oder sogar christliche Einstellung zu verrechnen gewillt ist. Mit dieser Frage hat sich schon James H. Leuba im Jahr
1914 herumgeschlagen, wobei er sich schließlich dafür entschied, alle als religiös und christlich anzusehen, welche durch die Beantwortung zweier Fragen zwei „fundamentalen Dogmen" zustimmen. Die
erste Frage war die Frage nach einem persönlichen Gott: „Gibt es einen Gott, der in einer intellektuellen und emotionalen Kommunikation mit den Menschen steht · ein Gott, zu dem man in der
Hoffnung auf eine Antwort beten kann?". Die zweite Frage betraf den Glauben an eine persönliche Unsterblichkeit · beides Vorstellungen, die allen christlichen Religionen gemeinsam sind.

Die Frage, wen man unter die Wissenschaftler zählen sollte, entschied James Leuba 1914 ganz pragmatisch: er nahm sein Exemplar der „American Men of Science" aus dem Bücherregal und entnahm
daraus eine zufällige Stichprobe von Wissenschaftlern, denen er einen Fragebogen zusandte, auf dem sie sich zwischen „Ja", „Nein", „weiß ich nicht" oder einer prinzipiell agnostischen Haltung
entscheiden konnten.

Die zurückgesandten Fragebögen wurden streng anonym ausgewertet.

James Leuba gab sich jedoch nicht damit zufrieden, den Tatbestand 1914 erhoben zu haben. Da schon damals immer wieder behauptet worden war, dass sich die Ansichten darüber gewandelt hätten,
wiederholte er seine Erhebung 1933.

Dadurch angeregt, haben zwei amerikanische Autoren 1996 und 1998 in möglichst originalgetreuer Form die Umfrage wiederholt. Ganz originalgetreu war das nicht möglich: an der Stelle des Bücherregals,
an der 1914 der Band über „American Men of Science" stand, fand sich natürlich jetzt der Band „American Men und Women of Science". Sonst aber hat sich in den 80 Jahren verblüffend wenig
geändert: 40 Prozent der befragten und antwortenden Wissenschaftler glaubten an den persönlichen Gott, nach dem in der Stichprobe gefragt wurde · ein Prozentsatz, der seither im Wesentlichen gleich
geblieben ist. Nicht ganz so konstant war der Prozentsatz derjenigen, die an persönliche Unsterblichkeit glaubten: während es 1914 noch 50 Prozent waren, sind es heute nur mehr 40 Prozent.

James Leuba hatte sich jedoch bereits 1914 nicht auf diesen Panorama-Blick beschränkt. Er vermutete schon damals, dass der wissenschaftliche Rang der Befragten eine Rolle spielen könnte. Er
definierte daher eine Gruppe von „großen" Wissenschaftlern und erhob, dass unter ihnen nur mehr Einer unter Dreien an Gott glaubte, auch wenn es geringfügig mehr waren, die der persönlichen
Unsterblichkeit etwas abgewinnen konnten. Im Jahr 1933 lehnten dann 80 Prozent der erstrangigen Wissenschaftler beide für irgendeine Form von Christentum so zentralen Thesen ab. Und im Jahr 1998, als
man eine Stichprobe aus den Mitgliedern der Amerikanischen Wissenschaftsakademie als Beispiele für erstrangige Wissenschaftler untersuchte, waren es bereist 90 Prozent, die mit beiden Fragestellungen
nichts mehr anzufangen wussten.

Agnostische Oberschicht

Wie Edward J. Larson und Larry Witham im September-Heft des „Scientific American" berichten, scheint die Gemeinde der Wissenschaftler im Hinblick auf ihren Glauben heute aus drei Schichten
zu bestehen, die zusammen eine Art Pyramide bilden: die Angehörigen der schmalen obersten Schicht von Wissenschaftlern des höchsten Ranges haben mit Religion, wie sie in dem Fragebogen definiert
wurde, nichts im Sinn, und auch in der darunter liegenden breiten Schicht guter Wissenschaftler glauben etwa nur halb so viele an einen persönlichen Gott und an persönliche Unsterblichkeit wie im
Durchschnitt der Amerikaner. Erst in der breiten untersten Schicht findet man ebenso viele Gläubige wie im Durchschnitt der Bevölkerung.

Wie es zu dieser Schichtung kommen konnte, ist schwer zu klären. Wahrscheinlich aber ist die nahe liegendste Erklärung, auf die schon James Leuba zurückgegriffen hatte · „überlegenes Wissen,
Verständnis und Erfahrung" leiten vom Glauben weg · zu einfach. Vielleicht spielt dabei auch ein Selektionsprozess eine Rolle: die atheistische oder agnostische Oberschicht vertraut Menschen mehr,
die ihnen nicht zu leichtgläubig erscheint und das gäbe wiederum auch Opportunisten eine Chance. Den Verdacht, dass selbst die Amerikanische Akademie der Wissenschaften als Institution bis zu einem
bestimmten Grad einem Opportunismus unterliegt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn die Akademie laviert ständig zwischen zwei Haltungen: auf der einen Seite der Betonung ihrer Ansicht, dass
Wissenschaft und Religion getrennte und einander ausschließende Bereiche menschlichen Denkens seien · eine These, welche die Frage nach der Wahrheit von Behauptungen in beiden Bereichen mit dem Ziel
umschifft, einige einflussreiche Geldgeber bei Laune zu halten ·, und auf der anderen Seite der scharfen Kritik an den Vorstellungen etwa der Kreationisten.

Goulds NOMA-Theorie

Steven Jay Gould, glänzender Essayist und etwas umstrittener Paläontologe und Evolutionsbiologe, hat in seinem jüngsten Buch eine der Akademie sehr ähnliche Sicht vorgelegt · keine sehr neuen
Ideen, aber alte Ideen in neuer Einkleidung: seine Theorie von NOMA · die Abkürzung von „non-overlapping magisteria", wobei ein Magisterium „ein Bereich ist, in dem eine bestimmte Art der Lehre
ein Instrument zur sinnvollen Diskussion und Bewältigung von Problemen bereithält". Wissenschaft und Religion bilden getrennte Magisteria. NOMA findet Gould „intellektuell solide, eminent
praktisch und begrüßenswert": „NOMA ist ein einfaches, humanes und insgesamt reichlich konventionelles Rezept für gegenseitigen Respekt, gegründet auf nicht-überschneidende Gegenstandsbereiche · eine
Brücke zwischen zwei Komponenten der Weisheit, geboren aus der Fülle des menschlichen Lebens: NOMA verbindet unseren Drang nach einem Verständnis dessen, was Sache ist (das Magisterium der
Naturwissenschaften), mit der notwendigen Suche nach einem Sinn in unserem Leben und einer moralischen Basis für unsere Handlungen."

Dieses Ruhe versprechende Klima eines gegenseitigen Respekts hält natürlich nur auf der Basis eines Nichteinmischungspaktes · und den einzuhalten fällt immer wieder schwer: „Das erste Gebot für
alle Versionen von NOMA", schreibt Gould, „könnte man so zusammenfassen: Du darfst die beiden Magisteria nicht vermischen, indem du behauptest, Gott bewirke Ereignisse in der Geschichte des
Lebens durch spezielle Eingriffe, von denen man nur durch Offenbarung, aber nicht durch Wissenschaft Kenntnis gelangen kann."

Das mag ja vernünftig sein, aber alle christlichen · und auch andere Religionen · verstoßen dagegen. Gould hat sich daher seine eigene Definition einer religiösen Haltung zusammengebastelt, die nur
leider, im Vergleich zu James Leubas Fragen nach einem persönlichen Gott und persönlicher Unsterblichkeit, etwas anämisch wirken: „Ich schlage vor, alle ethischen Diskussionen über Prinzipien, die
dazu geeignet sind, das Ideal einer allgemeinen Gemeinschaft der Menschen zu aktivieren, als im Grunde religiös anzusehen."

Diese Art von Religiosität wünschte man sich natürlich im Vormarsch, aber es gibt · selbst innerhalb von Religionen · heute nicht zu viele Indizien dafür, dass sie sich jenseits von verbalen
Bekundungen auch wirklich ausbreitet.

Literatur:

Edward J. Larson, Larry Witham: Scientists and Religion in America. „Scientific American", September 1999.

Steven Jay Gould: Rocks of Ages: Science and Religion in the Fullness of Life. Ballantine, 1999.

Freitag, 17. September 1999

Aktuell

Rätselhafter Genius
Der Komponist Mozart ist nicht zu beschreiben – trotzdem wird es hier versucht
Musik für Körper und Geist
Ein Gespräch mit dem Geiger Hiro Kurosaki über die Kunst, Mozart zu spielen
Produktive Dekadenz
Was Mozart und der Romancier Marcel Proust gemeinsam haben

1 2 3

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum