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Der Vater des Weihnachtsmanns

Der politische Karikaturist Thomas Nast erfand 1890 den weltbekannten „Santa Claus"
Von Oliver Bentz

W enn die beiden großen amerikanischen Parteien im Wahl
kampf unter anderem mit ihren Symbolen um die Wähler werben · die Demokraten mit dem Esel, die Republikaner mit dem Elefanten · wissen wohl die wenigsten Amerikaner, wer der ursprüngliche Schöpfer
dieser „Wappentiere" ist. Auch den „Erfinder" des „Santa Claus", heute millionenfach als postalischer Weihnachtsgruß verschickt, kennt dort fast niemand mehr. Der deutsch-amerikanische Cartoonist
Thomas Nast, dessen Feder diese zeitüberdauernden Figuren entsprungen sind, ist heute in Amerika weitgehend vergessen, noch weniger weiß man in den deutschsprachigen Ländern von diesem Künstler.

Mit seinen mehr als 2.500 Zeichnungen hat Thomas Nast die amerikanische Geschichte in den Jahren von 1862 bis zu seinem Tode 1902 zeichnerisch kommentiert und zeitweise maßgeblich beeinflußt. Während
des amerikanischen Bürgerkrieges hielt er mit seinen „Bildberichten" von der Front die „Kampfmoral" des Nordens aufrecht. Sechs Präsidenten hat er, „der Vater der amerikanischen Karikatur",
durch die Macht seiner Bilder · teilweise entscheidend, wie Zeitgenossen berichten · unterstützt und deren Gegner mit seinen Karikaturen am Boden zerschmettert.

Es verwundert nicht, daß sein Verleger J. Henry Harper ihn als „einen der größten Staatsmänner seiner Zeit" bezeichnete und Mark Twain in ihm jenen Mann sah, „der als einzelner den
Vereinigten Staaten die größten Dienste geleistet hat". Bis heute gilt er als Amerikas größter politischer Karikaturist.

Ein Pfälzer von Geburt

Thomas Nast wurde 1840 in Landau in der Pfalz geboren. Der Sohn eines Militärmusikers in bayerischen Diensten in der dortigen „Roten Kaserne" erlebte seine frühen Kindertage in bitterer Armut und
der Enge einer Mannschaftsstube, sein Alltag war geprägt durch das soldatische Leben seiner Umgebung. Um der wirtschaftlichen Not zu entgehen, wanderte die Familie nach der Entlassung des Vaters aus
dem Militärdienst 1847 in die „Neue Welt" aus. In New York, wo sie sich 1850 niederließ, verdiente der Vater als Musiker den Lebensunterhalt für sich und die Seinen.

Die außergewöhnliche Karriere von Thomas Nast begann schon in frühen Jahren. Schon als Kind ein fleißiger Zeichner · der Siebenjährige kompensierte damit seine mangelnden englischen Sprachkenntnisse
·, erregten seine Karikaturen die Aufmerksamkeit und Anerkennung seiner Umgebung. Dies veranlaßte schließlich auch den Vater, dem Drängen des Jungen nachzugeben und ihn in die Lehre beim deutschen
Historienmaler Theodor Kaufmann zu schicken. In den New Yorker städtischen Museen, in denen sich Nast als Aufsicht ein paar Cents verdiente, kopierte er die alten Meister und studierte am Abend an
der Kunstakademie.

Sein erstes überliefertes „Werk" ist eine Porträtzeichnung des ungarischen Revolutionärs Ludwig Kossuth, der 1851 von der New Yorker Bevölkerung begeistert empfangen worden war. Mit 15 Jahren spricht
Nast 1855 im Büro des Verlegers Frank Leslie vor, der von den Talentproben des jungen Künstlers so begeistert ist, daß er ihn für 4 Dollar die Woche in die Redaktion des Wochenblattes „Leslie's
Illustrated Weekly Newspaper" holt, das eines der ersten erfolgreichen Bildmagazine der Vereinigten Staaten ist. Damit nahm eine hoffnungsvolle Karriere ihren Lauf.

Zudem heiratete Thomas Nast 1861 in New York Sarah Edwards, eine belesene Frau aus gebildetem Hause, die ihm den literarischen Hintergrund für viele Zeichnungen lieferte, deren Ideen er sich aus dem
Fundus der Weltliteratur entlieh. Äsops und La Fontaines Fabeln, Cervantes' Romane sowie Shakespeares Dramen inspirierten Nast zu vielen Zeichnungen und Buchillustrationen.

Engagement im Krieg

Nachdem ihn im Laufe der Jahre verschiedene Zeitschriften verpflichtet hatten, wurde der 20jährige von den „New York Illustrated News" nach England geschickt, um über den Boxkampf
Heenan·Sayers zu berichten. Dort erreichte ihn die Nachricht von Garibaldis Freiheitskampf in Italien. Er reiste nach Sizilien, verbrachte einige Wochen mit dessen Legionen und sandte Bildberichte
nach Amerika. Dies war für Nast genau die richtige Vorbereitung für die kommenden Jahre, denn zum Zeitpunkt seiner Rückkehr nach New York brach der amerikanische Bürgerkrieg aus.

Die Kriegsereignisse riefen eine große Nachfrage nach Bildmaterial hervor. „Harper's Weekly", ein renommiertes Blatt, beauftragte Nast, die Leser vom Kriegsgeschehen zu informieren. Die
überwiegende Zahl der Leserschaft teilte mit Nast die Überzeugung, daß die Union erhalten werden müsse und zollte seinen darauf abzielenden Darstellungen Beifall. Als im Herbst 1864 in den Reihen der
Demokraten und anderer politischer Kräfte · Copperheads (Kupferköpfe) genannt · Tendenzen aufkamen, Präsident Lincoln nicht mehr zu folgen und einen sofortigen Friedensschluß mit dem Süden zu
erreichen, schlug Thomas Nasts große Stunde.

In seiner Karikatur „Kompromiß mit dem Süden" warb er für die Wiederwahl Lincolns zum Präsidenten und die Fortsetzung des Krieges bis zur Niederlage der Konföderierten. Zu Tausenden gedruckt
und verteilt, verhalf seine Zeichnung Lincoln zum Sieg. General Grant bescheinigte Nast, „daß er soviel geleistet hat, wie es einem einzelnen möglich war, um die Union zu erhalten und den Krieg zu
Ende zu bringen". Lincoln sah in ihm „den besten Werbetrommler" für die Union.

Nach diesem großen Erfolg wandelte er sich zum zeichnerischen Kommentator amerikanischer Politik. Seine Hauptthemen waren in diesen Jahren u. a. der Erhalt der Föderation, der Kampf gegen die
Inflation in den Vereinigten Staaten, das Eintreten gegen Rassismus sowie die Bekämpfung von Korruption in der Politik. Dabei gehörte Nasts Sympathie der Republikanischen Partei, deren
Präsidentschaftskandidaten er lebenslang zeichnerisch unterstützen sollte. Finanzielle Zuwendungen für dieses aus seiner persönlichen Überzeugung folgende Engagement lehnte er jedoch ab.

Kampf gegen die Korruption

Der größte zeichnerische Coup Thomas Nasts war jedoch seine jahrelange Kampagne gegen die durch und durch korrupte New Yorker Stadtverwaltung. Dort beherrschte zu Nasts Zeit William Marcy Tweed ·
genannt „Der Boß" · die Stadt und plünderte zusammen mit 

drei städtischen Beamten durch Schiebereien und Korruption 2.000.000.000 Dollar aus der Stadtkasse. Er beherrschte Politik und Presse derart, daß jeder Protest scheiterte, bis Nast 1869 eine
zeichnerische Kampagne gegen die Mißstände startete.

Mittels „genialer Karikatur verwandelte er Tweed", so Chal Vinson von der Universität Georgia in einem Aufsatz über Nast, „den ernsthaften, imposanten, vornehmen und wohltätigen Stadtvater,
in einen lächerlichen, fetten Mann mit einem Geldsack als Kopf". Wöchentlich thematisierte Nast Tweed und sein Gefolge zeichnerisch und mobilisierte damit die Massen, die, da es sich großenteils
um Analphabeten bzw. Einwanderer, die des Englischen nicht mächtig waren, handelte, mit geschriebenen Kommentaren nicht erreichbar waren.

Diese „verdammten Bilder" brachten Tweeds Position ins Wanken. Er · der den Beginn von Nasts Angriffen mit den Worten „Was wollen Sie schon erreichen?" kommentiert hatte · bot Nast 500.000
Dollar Bestechungsgeld sowie die Finanzierung eines Kunststudiums in Europa. Doch Nast führte seine Kampagne fort, und Tweed wechselte schließlich · nachdem auch andere Zeitungen den Mut faßten,
gegen ihn anzuschreiben · vom Rathaus ins städtische Gefängnis.

Das führende Blatt „Nation" kommentierte: „Nast hat die politische Illustration zu einem in diesem Lande nie zuvor erreichten Niveau gebracht und ihr einen Einfluß auf die Meinungsbildung
gesichert, wie es noch in keinem Land auch nur annähernd geschehen ist." Die „Times" berichtete in England von Nasts Erfolg und stellte ihn auf eine Stufe mit Meistern wie William Hogarth
und John Lee Gleichen.

Der Wechsel zu fotochemischer Bildreproduktion und die zunehmende „Entpolitisierung" des öffentlichen Lebens drängten Nasts Zeichentechnik und -stil in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
allmählich aus den Blättern · er zog sich mehr und mehr aus dem politischen Geschehen zurück, die großen Erfolge waren Vergangenheit. Zudem wurde er durch Betrügereien seiner Finanzverwalter nahezu
um sein gesamtes Vermögen gebracht. Aufgrund seiner großen Verdienste ernannte man ihn 1902 zum Generalkonsul in Guayaquil (Ecuador), wo er noch im gleichen Jahr erkrankte und starb.

Bis heute ist Nasts „Bildsprache" im amerikanischen Alltag erhalten. Er schuf mit der Erfindung und dauernden Verwendung von Symbolen ein „wahres Alphabet der Kunst" (Vinson). Neben den schon
erwähnten Parteisymbolen findet sich bis heute beispielsweise die Figur des „Uncle Sam", die Darstellung der Inflation als formlose Stoffpuppe sowie die Figur des „Henkelmann" als Symbol des
amerikanischen Arbeiters.

Der beliebteste von allen

Und natürlich der „Santa Claus", den er über 30 Jahre hinweg, zur Freude Tausender amerikanischer Zeitungsleser, an Weihnachten in alljährlich wechselnden Milieus zeichnete · und damit seine
Kindheitserinnerungen wachhielt an den weihnachtlichen Besuch des für alle braven Kinder Geschenke bringenden, alten, dicken, bärtigen und pelzigen „Pelz-Nickels" in der pfälzischen Heimat.

Diese Zeichnungen, oft auch angereichert mit traditionellen Weihnachtssymbolen aus aller Welt, erschienen 1890 mit riesigem Erfolg unter dem Titel „Weihnachtszeichnungen für die ganze Menschheit"
in Buchform. Sie sind, so Karl Scherer in einem Sammelband über Thomas Nast, „ein großartiges Zeugnis für einen Akkulturationsprozeß in der amerikanischen Gesellschaft".

In seiner großen Zeit verlieh Nast seinem Medium · der Karikatur · eine Macht, die sie nie mehr erreichen sollte. Ein „Stiefkind" des Journalismus spielte für kurze Zeit eine Hauptrolle · und hielt
sich dann als beliebte Beigabe. Thomas Nast ist, so Henry Marx, „einer der ganz wenigen Künstler geblieben, die durch ihr Werk direkten Einfluß auf den Gang der amerikanischen Geschichte nahmen.
So wie einer der hohen Berge der Rockies im Bundesstaat Colorado seinen Namen führt (Mount Nast), steht auch er heute noch einsam an der Spitze aller amerikanischen Karikaturisten, toten wie
lebenden".

Freitag, 04. Dezember 1998

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