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Gemeinschaft der Stille(n)

Die Quäker, eine „religiöse Gesellschaft der Freunde"

Von Reinhold Aumaier

F ox/Woolman/Barclay/Penn. Nein, das ist nicht die neuformierte Mittelfeldachse des FC Liverpool. Zum einen steckte der Fußball zu Lebzeiten dieser Männer noch in den Kinderschuhen (wenn überhaupt!); zum anderen hätten alle vier das Zeug zur absoluten Sturmspitze
gehabt · zum echten Striker britischer Art. Denn herumschlagen müssen hat sich jeder dieser „Fab Four" mit allen möglichen vor ihm auftauchenden Gegnern.

England um die Mitte des 17. Jahrhunderts: Eine Zeit, in der Autorität in Frage gestellt wird und die Meinungen innerhalb der Christenschaft auseinandergehen. Das äußert sich in gewalttätigen Reden,
Schriften und körperlichen Auseinandersetzungen. Ein Mann namens Fox · George Fox, geboren 1624 · ist schockiert darüber, daß die „bekennenden" Christen so wenig in ihrem Glauben zu leben vermögen.
Er hat mit 19 das Elternhaus verlassen, ist vier Jahre auf Suche und Wanderschaft gewesen, als ihn ein entscheidendes Erlebnis überkommt: Er spürt, durch das Hören auf die innere Stimme (Jesu), die
Antwort(en) in sich selber finden zu können. Fox ist religiöser Dissident. Er wandert dafür mehrmals ins Gefängnis; wird dort geschlagen und gefoltert. Einmal vorm Richter stehend, mahnt Fox
selbigen, der Mensch müsse beim Wort Gottes zittern und beben. Der (Spott-)Name Quakers (= Zitterer) ist gefunden, und die so Bezeichneten nehmen ihn gelassen hin.

Sonderweg zum Heil

George Fox will keine neue Religion gründen, läßt sich aber auch nicht abbringen von seiner inneren Erleuchtung und der darin enthaltenen Konsequenz. Es geht ihm und Gleichgesinnten „nur" um die
Wiederbelebung des einfachen Christentums. Fox' schmerzvolle Suche nach Wahrheit wird durch die Überzeugung belohnt, daß Gott für jeden allezeit zugänglich ist. Und es geht darum, daß man auf das
Leben, das Jesus gelebt hat, Vertrauen setzt und eigene Antworten findet. Martin Buber hat es in unserem Jahrhundert so formuliert: „Alle Menschen haben Zugang zu Gott, aber jeder einen anderen."

Fox war bald nicht mehr alleine auf seinem Sonderweg zum ursprünglichen Heil. Trotz permanenter Verfolgung sowie Geld- und Gefängnisstrafen hatten sich Gruppen gebildet; und somit war die Saat für
die Quäkerei in Mittel- und Nordengland gelegt. Er vereinte die verstreuten Grüppchen und formte sie zu dem, was heute der eigentliche Name der Quäker ist: Religiöse Gesellschaft der Freunde. Ihr
erst(best)er Kampf war notwendigerweise der um Toleranz. Dabei lernten sie quasi am eigenen Schicksal, wie man sich selber helfen kann, die Strenge der Unterdrückung zu verringern. Einer der
Mitstreiter von George Fox war Robert Barclay. Er faßte die Lehren und Erkenntnisse der Quäker in theologische Sprache. In seiner „Apologia", der Rechtfertigung, legte er dar, wie diese mit den
Aussagen der Heiligen Schrift übereinstimme.

Von der geistigen Warte aus betrachtet hat(te) das Quäkertum klare Blickwinkel und Brennpunkte. Das Hauptaugenmerk gilt der Erkenntnis, „das (gewisse Etwas) von Gott" sei in jedem Menschen. Daraus
folgt, daß alle menschlichen Wesen gleich sind und alles Leben miteinander in Zusammenhang steht. Dazu ein einleuchtendes Zitat aus einem aktuellen Kapitel über die Gemeinschaft: „Wir müssen immer
wieder lernen, so miteinander umzugehen, daß wir das Beste, das wir gegenseitig in uns finden, verstärken und zum Wachsen bringen oder · in der Sprache von George Fox · indem wir auf das von Gott in
jedem Menschen antworten."

Die Quäker, die zuerst „Children of the Light" und „Friends in the Truth" hießen, waren eine religiöse und soziale Protestbewegung, deren erste Anhänger aus der sozialen Unterschicht kamen. Das
Licht, die Wahrheit, die Stille: drei maßgebende Punkte ihrer zu Herzen gehen sollenden Religiosität. George Fox sagte, ihm sei offenbart worden, daß Gott, der die Welt geschaffen hat, nicht in
Tempeln wohnt, welche die Menschen aufgerichtet haben, sondern in den Herzen der Menschen. Weitere Eigenheiten im Kontrast zur damaligen Zeit: Frauen spielen von Beginn an eine bemerkenswerte Rolle
bei den Quäkern. Auch dies pure Konsequenz des Glaubens an das „Innere Licht in jedermann". Ebenso dieser neuen Art der Gleichbehandlung unterzogen: die Obrigkeit, vor der man es wagte, den Hut nicht
mehr abzunehmen; das Nichtanerkennen von Titeln sowie das „Du" für alle und jeden. Diese Kleinigkeiten und nicht zuletzt die Weigerung, gegenüber dem jeweiligen Regenten einen Eid zu schwören, trug
ihnen Verfolgung und Verurteilungen ein. Erst mit dem Toleranzgesetz von 1689 wurden die Verfolgungen eingestellt.

Von außen betrachtet lauter Formfragen also, die es aber in sich hatten. William Penn: „Je weniger Form in der Religion, um so näher der Natur Gottes, je schweigender, um so angepaßter der
Sprache Gottes." Penn war Sohn eines Admirals und als Student mit den Quäkern bekannt geworden. Sein Interesse galt der Politik. Unter anderem hatte er einen Plan für ein europäisches Parlament,
das Kriege verhindern könnte, verfaßt. Doch sein Schicksal lag auf der anderen Seite des großen Teiches. England schuldete seinem Vater ein ansehnliches Sümmchen. Dafür erbat der Sohn sich ein Stück
Land in den Kolonien. Er taufte es Pennsylvania, entwarf eine demokratische Verfassung mit einigen revolutionären Besonderheiten · Religionsfreiheit, stark eingeschränkte Todesstrafe, kein Militär
sowie Arbeits- und Erziehungsanstalten statt Gefängnissen · und schloß mit den Indianern einen vorbildlich fairen Vertrag.

So wie die Quäker eine Zeit brauchten, um Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit zu einem ihrer Markenzeichen zu machen, so verhielt es sich auch im Umgang mit der Sklaverei. Zu Beginn war sie in
Pennsylvania noch eine Selbstverständlichkeit. Es waren deutsche Einwanderer, die darauf aufmerksam machten, daß die Sklavenhaltung mit den christlichen Grundsätzen unvereinbar sei. Wie jeder
Gesinnungswandel brauchte auch dieser einige Zeit; vor allem aber einen tatkräftigen Pionier als Vorreiter des neuen Gedankengutes. Der Mann hieß John Woolman, lebte von 1720 bis 1772 und ritt
tatsächlich jahrelang von Farm zu Farm, um die Sklavenhalter in Gesprächen von der Unvereinbarkeit der Sklaverei mit den Geboten Christi und dem Geist des Quäkertums zu überzeugen. 1787 verbot die
amerikanische Verfassung die Einfuhr von Negersklaven.

Zehn Jahre später schrieb Johann Gottfried Herder im 115. Brief seiner „Briefe zur Beförderung der Humanität" u. a.: „Die Quäker bringen von Penn an eine Reihe verdienstvoller Männer in
Erinnerung, die zum Besten unseres Geschlechts mehr getan haben als 1.000 Helden und pomphafte Weltverbesserer. Die tätigsten Bemühungen zur Abschaffung des schändlichen Negerhandels und
Sklavendienstes sind ihr Werk."

Eine gewisse Sorte heutiger Philosophen würde derlei im ausklingenden 20. Jahrhundert als „Gutmenschentum" abqualifizieren. Doch die Quäker würden wohl auch in diesen Menschen „das von Gott"
anerkennen und sich denken: Wenn schon geringgeschätzt werden oder gar beleidigt · dann so.

Im Zeichen der Humanitas

Eine Quäkerin, die es sich auch nicht gerade einfach machte, war Flisabeth Fry, Gattin eines wohlhabenden Kaufmannes. Sie setzte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für menschliche
Behandlung in Frauengefängnissen ein sowie für die Betreuung der in die Gefängniskolonien nach Australien deportierten Gefangenen. Sie galt · Gutmensch, der sie war · als Autorität in Sache
Gefängnisreform; bis hin zum Hof des russischen Zaren. Ihr Geheimrezept? Liebe und Achtung als Besserungsmittel. Neben all diesen kleinen und größeren Taten im Zeichen der Humanitas ist es vor allem
eine vom Geist des Quäkertums angehauchte Idee, die jetzt noch und gerade heute fasziniert: der „europäische Gedanke" anno 1710. Der auch von Karl Marx bewunderte Quäker John Belles legte 1710 anonym
eine Abhandlung namens „Some reasons for an European State" vor. Ein Auszug: „Die Muskoviten sind Christen und die Mohammedaner Menschen, sie haben dieselben Eigenschaften und dieselbe Gabe der
Vernunft wie andere Menschen und brauchen nur dieselben Gelegenheiten und Verhältnisse der Betätigung ihres Verstandes, um wie jene zu sein. Aber ihnen das Hirn auszuschlagen, um sie zu Verstand zu
bringen, ist ein sehr irriges Verfahren und würde Europa zum großen Teil im Kriegszustand belassen. Je mehr dagegen dieser staatsbürgerliche Bund ausgedehnt werden kann, um so größer wird der Friede
auf Erden sein und Wohlgefallen unter den Menschen."

Europa · angedacht und vorausgespürt vor 300 Jahren . . . Aber auch aus Kaisers Mund kam Prophetisches in Sache zukünftiges Heil. Friedrich der Große 1773 an Voltaire: „. . . Bis jetzt bin ich nur
ein halber Quäker; wenn ich dermaleinst wie William Penn sein werde, werde ich wie andere gegen die privilegierten Mörder, die die Erde verwüsten, Volksreden halten." Zuerst bzw. danach mußte
Europa jahrhundertelang blutigst durcheinandergewürfelt werden, bevor . . . Das ist eine andere Geschichte innerhalb der Geschichte.

Jedenfalls waren es zu keinem geringen Anteil die Quäker, die vor, während und nach den beiden Weltkriegen mit all ihren Kräften und ihrer Philosophie der Friedfertigkeit und Versöhnung halfen, wie
und wo sie nur konnten. Die älteren Österreicher werden sich noch erinnern · an die Quäker-Ausspeisung oder an die Selbstversorgersiedlungen. 1947 wurden die Quäker mit dem Friedensnobelpreis
ausgezeichnet. Zum 50er-Jubiläum hat das Österreichische Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum eine kleine Wanderausstellung gestaltet, die da und dort · Bezirksmuseen, U-Bahn-Passagen · zu sehen war
oder ist.

Offenheit und Vielfalt

Man kennt keine Präsidenten, Vorsitzende, Aufsichtsräte usw., sondern nur „Schreiberinnen" oder „Älteste". Man feiert stille Andachten · d. h. man setzt sich für eine gute Stunde kreisförmig
zusammen, um auf Gott zu hören, statt selber zu reden. Obwohl · hat jemand wirklich etwas mitzuteilen, zittert es sozusagen aus ihm heraus, so kann er ruhig den Mund auftun. Es muß nur ehrlich sein;
aus ganzem Herzen kommen. Der eigentliche „Gottesdienst" aber findet davor und danach statt · also rund um die Uhr . . .

Weltweit gibt es zur Zeit gut 300.000 Mitglieder. Die meisten davon in Afrika und Amerika. In Deutschland und Österreich etwa 340.

Niemand trommelt, schreit auf, wirbt. Man kennt keine besonderen Tage, Anlässe oder (Kirchen-)Feste. Was zählt, ist der Alltag; ein einfach geführtes Leben; die Gemeinschaft.

Eichler, Scherer, Spielhofer, Schwarcz. Nein, das sind keine anderen Menschen als du und ich. Aber Namen von Zeitgenossen, denen jeder, der sich für die Gesellschaft der Freunde hierorts näher
interessieren möchte, früher oder später auf angenehme Art begegnen wird.

Quäker, Religiöse Ges. d. Freunde, III, Reisnerstraße 16, Tel: 713 42 84.

Freitag, 04. Dezember 1998

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