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Christen brauchen einander

Ein Gespräch mit Susan und Michael Thomas, den Pastoren der Vienna Community Church
Von Lisa Grotz

„Wiener Zeitung": Wie habt ihr euch kennengelernt?

Susan: In einem lutherischen College in Minnesota. Wir heirateten in unserem letzten College-Jahr, bevor Michael nach Yale in Connecticut ging. 1976 fing ich mit der Ausbildung zur Pastorin an.
Ich hatte schon als Kind über eine missionarische Tätigkeit nachgedacht bzw. daran, als Frau eines Priesters in einem kirchlichen Umfeld tätig zu sein. Es war damals noch relativ unüblich, als Frau
in den Priesterberuf zu gehen.

„W. Z.": Dann ist Michael in deine Fußstapfen getreten?

Michael: In meinen frühen Dreißigern hatte ich mich noch nicht festgelegt. Ich war an einem Theologiestudium interessiert, aber nicht unbedingt daran, ein Priester zu werden. Ich war mir nicht
sicher, ob ich dazu berufen sei. Das mag eine klassische lutherische Vorstellung sein, die Frage nach der Berufung. Mit meinen Begabungen tendierte ich eher hin zur Philosophie oder zur Architektur.
Auch versuchte ich, einer der Voraussetzungen zum Priesterberuf zu entgehen, der Forderung, einen Predigerkurs zu absolvieren. Mit der Begründung, ich wisse um die Art und Weise einer christlichen
Kommunikation, schrieb ich ein langes Gesuch. Aber es wurde abgelehnt, und so kam es, daß ich gemeinsam mit Susan einen solchen Kurs absolvierte. Ich bin mir nicht sicher, ob er mir dienlich war.
Einige Jahre später stand ich dann allerdings als Priester im Dienst der Kirche. Ironischerweise entschloß ich mich dazu nach einem Trip in die ehemalige DDR, in die Heimat Luthers. Nur in diesem
Zusammenhang habe ich ernsthaft daran gedacht, Pastor zu werden. Das war im Sommer 1983, anläßlich des 500. Geburtstages Luthers.

Susan: Zu diesem Zeitpunkt war ich schon zwei Jahre als Pastorin im Amt. Damals befanden wir uns in einem Übergangsstadium.

Michael: Ich wurde allerdings weiter verunsichert, als man mich 1983 im kirchlichen Auftrag einer Friedensmission in die frühere UdSSR schickte. Da ich etwas Russisch sprach, fungierte ich als
Übersetzer. Ich wäre damals gerne in der UdSSR oder in Estland geblieben, um dort als Priester tätig zu sein. Um meine Gedanken zu ordnen, bin ich nach Taizé gefahren. Aus der Ruhe heraus, die dort
gegeben war, konnte ich besser darüber nachdenken, was meine Berufung sei. Zu diesem Zeitpunkt durchlebte Susan eine sehr schwierige berufliche Periode als Studentenpastorin an der Harvard-
Universität und am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Ich stand vor der Frage, mein Architekturstudium fortzusetzen oder endgültig Pastor zu werden. Schließlich bekam Susan unseren ersten
Sohn Nathaniel, und ich beendete gleichzeitig mein erstes Praktikum als Krankenhausseelsorger und als lutherischer Geistlicher in Boston.

Multikulturelles Christentum

Dann wurde Susan zum zweiten Mal schwanger, und wir dachten an eine Erholungspause. Damals waren wir in Westberlin. Wir haben viel Zeit mit Tagestouren in die DDR verbracht und wären sehr gerne
dort als Pastoren tätig gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir in den USA so intensiv gelebt, sicher auch dem dortigen Lebenstempo entsprechend, wo man nachts um zwei Uhr eben nochmal kurz in
einem Supermarkt einkaufen geht. Wir realisierten, daß unser Leben bis dahin zu verrückt gewesen war und gingen zurück in die Staaten, wo ich eine Stelle als Studentenpfarrer an der Boston-
Universität fand. Da Susan nach Harvard und ans MIT zurückging, waren wir wieder extremen Anforderungen unterworfen. Nun beschlossen wir ernsthaft, unser Lebenstempo zu drosseln.

„W. Z.": Hatte die Entscheidung, nach Wien zu gehen, damit zu tun?

Susan: Ja.

Michael: Wir fühlten uns so zersplittert. Wir hatten mittlerweile drei Kinder und wollten Zeit mit den Jungens verbringen. Wir wollten es ihnen auch erleichtern, Deutsch zu lernen, was für uns
ziemlich schwierig gewesen war. Auch reizte uns die andere Kultur.

Susan: Es war natürlich auch der Tatbestand, daß englischsprachige Glaubensgemeinschaften aus aller Welt von einer Stadt wie Wien angezogen werden.

Michael: Multikulturelle Aktivitäten · das war für uns in den USA, während unserer Studentenzeit, wie ein Slogan gewesen. Wir hofften, etwas davon in Wien umsetzen zu können. Wir wollten uns
auch als Kirche in diesem multikulturellen Sinn ökumenisch definieren. Wir haben hier in der Vienna Community Church Menschen aus 38 Nationen mit unterschiedlichsten christlichen Traditionen.

„W. Z.": An einem Sonntag, während des Gottesdienstes, habt ihr das katholische Glaubensbekenntnis gesprochen.

Susan: Wir haben natürlich Katholiken unter unseren regelmäßigen Besuchern und Mitgliedern. Auch geschiedene Paare, denen die Sakramente vorenthalten werden. Viele, die einfach unterwegs sind,
scheinen in keine andere Gemeinde zu passen. Das macht die Amtsführung sehr spannend, aber auch sehr schwierig. Wir müssen uns ja finanziell selbst tragen als Kirche, genießen aber die volle
Sympathie der protestantischen Nachbargemeinde.

„W. Z.": Seit wann seid ihr hier als Priester tätig?

Michael: Seit 1995. Unser Vertrag reicht bis zum Jahr 2000. Wir leben sehr gerne hier in Wien. Wir lieben das Land und die Menschen.

„W. Z.": Gibt es eurer Meinung nach viele Menschen, die zu euch finden, nachdem sie vorher in anderen Kirchen, vor allem in der katholischen Kirche, Kränkungen erfahren haben?

Susan: Wir durchleiden alle Verletzungsphasen. Als protestantische Christin muß ich mich dagegen wehren, zu denken, daß der Mangel an Glaubwürdigkeit in der katholischen Kirche den Protestanten
zugute kommt. Ich hoffe von unserer Kirche, daß sie für alle offen ist, die einer spirituellen Begleitung bedürfen. Wir erwarten nicht, daß die Menschen bleiben. Das Evangelium ist eine frohe
Botschaft, und wenn sie etwas davon mitbekommen, macht uns das froh. Wichtig ist, daß die Menschen · und sei es nur vorübergehend · einen Platz finden, wo die Sprache des Evangeliums sie erreicht.
Ein solcher Ort wollen wir sein.

Michael: Wir könnten hier nicht bleiben, wenn wir nicht Menschen um uns hätten, auf die wir uns wirklich verlassen können. Wir leben ja von den Menschen, die am Sonntagvormittag zu uns in die
Kirche kommen. Aber diese Besucher oder Mitglieder bringen nicht im wesentlichen Geld. Sie machen den Geist unserer Gemeinde aus, ihre Vielfalt. Und es gibt Gaben, die eine größere Herausforderung an
uns darstellen als 1.000-Schilling-Noten.

Susan: Kritik zum Beispiel.

„W. Z.": Bekommt ihr Geld von der UNO?

Michael: Oh nein. Schön, wenn dem so wäre. Aber wir sind auf indirekte Weise mit der UNO verbunden, weil Menschen zu uns kommen, deren Muttersprache oder erste Fremdsprache Englisch ist, und
die bei der UNO arbeiten. Unsere finanzielle Absicherung besteht aus einem Versprechen, daß die Gemeinde den Priestern ein Gehalt auszahlen wird. Das inkludiert unseren Lebensstandard und die Miete,
aber auch Gelder für die Kirche und für missionarische Zwecke. Wichtig ist, daß eine Mitgliedschaft in unserer Kirche nicht einhergeht mit der Notwendigkeit, aus einer anderen Kirche auszutreten.

„W. Z.": Macht euch die finanzielle Unsicherheit als Familie mit drei Kindern nicht zu schaffen?

Susan: Schon, aber wir versuchen da nicht allzu schwarzzusehen.

Michael: Und es gehört zu unserem Selbstverständnis, daß wir als Gemeinschaft unter dem Segen Gottes stehen und nicht in erster Linie für uns selbst leben. Wir nehmen unseren missionarischen
Auftrag genauso ernst wie die Sorge um unsere Familie. Die Tatsache, daß wir von den Gaben anderer leben, verstärkt dieses Gefühl.

„W. Z.": Habt ihr nie eine der etablierten Kirchen gebeten, euch zu unterstützen?

Susan: Die Community Curch wurde 1957, nach dem Ende der Besatzung Österreichs durch die Alliierten, gegründet. Kann sein, daß es eine solche Anfrage in ihrer Geschichte gegeben hat. Seit wir
die Kirche leiten, haben wir niemals Geld bekommen.

Michael: Offiziell fungieren Susan und ich als Gastpastoren in der reformierten Kirche Österreichs. Es kam uns zugute, daß uns die protestantische Kirche ihre Art von Zustimmung gegeben hat.
Wir fühlen uns auch vom ökonomischen Rat der Kirche vertreten. Um auf die finanziellen Schwierigkeiten zurückzukommen: Natürlich zahlen viele, die zu uns kommen, woanders ihre Kirchensteuer. Dennoch
waren wir an unserem ersten Weihnachtsabend hier in Wien überrascht, wie wenig Geld zusammenkam, Geld für Wohltätigkeitszwecke. Das wäre in Amerika anders gewesen.

Susan: Aber dort bekommt die Kirche auch kein Geld vom Staat, und man zahlt keine Kirchensteuer.

„W. Z.": Ist die finanzielle Situation für eure Kinder nicht schwierig? Kinder gelten heutzutage als kostspielig und anspruchsvoll.

Michael: Unsere beiden Ältesten bekommen Taschengeld und stellen dafür den Wegweiser zur Vienna Community Church am Graben auf. Sie haben schon ein Bewußtsein dafür, daß die Dinge Geld kosten.
Wenn wir einmal in einem Restaurant essen und ein Sohn nimmt sich eine zweite Scheibe Brot, ermahnt ihn der ältere, mit den Worten, daß er dafür extra bezahlen muß.

Susan: Es ist anders als in den Staaten, als wir beide berufstätig waren und zwei Gehälter bezogen. Hier, in Wien, teilen wir uns ein Gehalt. Darüber haben wir natürlich mit den Kindern
gesprochen. Alles in allem geht es uns gut. Wir würden vielleicht gerne etwas öfter verreisen.

Michael: Allerdings dachten wir, daß wir Familienbeihilfe bekommen würden, aber das war nicht der Fall.

Kinder im Gottesdienst

„W. Z.": In eurer Gottesdienstgestaltung spielt die Aufmerksamkeit den Kindern gegenüber eine große Rolle. Ist das in Amerika generell der Fall in der lutherischen Kirche?

Susan: Es entspricht sicher nicht dem Standard. Aber ich empfand es als schönes Erlebnis, als eines sonntags ein österreichischer Besucher die Frage an uns richtete, ob er sich in einem
Kindergottesdienst befinde und wir ihm sagten: Nein, das ist unsere Art, die Kinder am Gottesdienst teilhaben zu lassen.

„W. Z.": Mich erinnert es jedesmal an meine eigene Kindheit oder besser an das Kind in mir. Und ich empfinde es dann um so bereichernder, euren doch sehr ernsthaften und anspruchsvollen Predigten
zuzuhören, aus denen auch eure Nähe zur Literatur hervorgeht. Diese Mischung auf Nachdenklichkeit, Intellektualität und Herzlichkeit habe ich in keiner anderen Kirche gefunden.

Michael: Für mich ist es wesentlich, wie wir Symbole einsetzen. Das Symbol sollte immer so stark wie möglich sein. Bei einer Taufe zum Beispiel sollten die Menschen das Wasser spüren und den
Vorgang nicht nur kraft ihrer Vorstellung geistig nachvollziehen.

Susan: Anhand der Zeit, die wir den Kindern widmen, verbinden wir die unterschiedlichsten kirchlichen Traditionen miteinander.

Michael: Unsere Kirche ist ganz weiß und hell und ohne Dekor. Wenn wir zum Beispiel das Taizé-Bild der Kreuzigung den Kindern zeigen, kann es geschehen, daß Erwachsene ihren Widerstand
aufgeben, ihre Verteidigungsmechanismen fallen lassen.

Susan: Wir setzen auf die starke Wirkung von Symbolen, aber wir setzen sie nur begrenzt ein. Denn es kann eine verheerende Verletzung von ihnen ausgehen: Sie können ausgrenzend wirken. Wir
versuchen aus dem riesigen Repertoire christlicher Erfahrung zu schöpfen und den Menschen zu sagen: Auch wenn dies nicht eure Art der Glaubensbekundung ist · ist es nicht gerade deshalb faszinierend?
Dies ist eine der Visionen unserer Kirche: Von allzu fixierten Vorstellungen wegzukommen, wenn man zum Beispiel behauptet die verkörperte Darstellung des Gekreuzigten sei Idolatrie. Vor allem wollen
wir nicht blenden und prunkvoll erscheinen.

Vertrauensverluste

„W. Z.": Wollt ihr einen Kommentar zur Situation in der katholischen Kirche abgeben?

Michael: Der Papst hatte einen starken Einblick in die Natur des Kommunismus und in die Fragen der Säkularisierung. Aber, ich denke, er hat so gut wie keine Ahnung davon, was es heißt, eine
Frau zu sein, eine Frau, die bestens ausgestattet ist mit der Fähigkeit als Priester, eine Kirche zu leiten.

Susan: Als wir beide nach Wien kamen, stießen wir schon auf das Vorurteil, daß der männliche Partner die Hauptverantwortung in kirchlichen Belangen zu tragen habe. Partnerschaft als
Voraussetzung einer pastoralen Leitung, das ist keine Selbstverständlichkeit. Am geschädigten Image der Kirche leiden wir alle. Längerfristig gesehen bedeutet es für uns alle als Kirche einen großen
Vertrauensverlust.

Michael: Ein Teil der Bevölkerung, die sich mit den Skandalen in der katholischen Kirche auseinandergesetzt hat, identifiziert die Farben der klerikalen Gewänder mit der potentiellen Gefahr des
Mißbrauchs. Diesen Dingen muß man ins Auge sehen.

Susan: Ich erinnere mich daran, daß ich in Boston mit einer Kollegin an einem ökumenischen Gottesdienst teilnahm. Wir waren beide im achten Monat schwanger. Ich erinnere mich, daß ich mich in
Anwesenheit des katholischen Kardinals wie ein Schulmädchen fühlte, das etwas Unverschämtes getan hat. Dann kam plötzlich ein starkes Selbstbewußtsein über mich, indem ich mir sagte: Das ist das
Evangelium. Du trägst ein Kind in Dir. Du brauchst dich nicht zu verstecken.

Michael: In den etablierten Kirchen existiert eine klassische Unterscheidung zwischen Glauben und Lieben. Der Glaube ist an den Intellekt gebunden oder an das Dogma. Wesentlich sind die
Erfahrung im Glauben und das daraus resultierende Gottvertrauen. Was nicht heißt, daß wir den Glauben als eine Gewißheit weitergeben können. Wenn wir uns schwach fühlen im Glauben, weil wir in einer
Welt leben, in der Kriege, Hunger und Arbeitslosigkeit an der Tagesordnung sind, können wir uns unserm Nachbarn zuwenden und ihn bitten, die Flamme, die in uns zu erlöschen droht, wieder anzuzünden.
Wir brauchen einander, um als Christen nicht isoliert zu sein.

Susan: Auch um vielleicht einzugestehen, ich vermag dies oder jenes nicht zu glauben. Kannst du das nicht für mich übernehmen? Und vielleicht kann ich dir ein andermal in deinen
Glaubenszweifeln helfen. Gemeinsam das Glaubensbekenntnis zu sprechen, ist für mich Frieden an und für sich. Bete ich für mich allein, muß es das nicht unbedingt sein.

Susan und Michael Thomas, Vienna Community Church, 1040 Wien, Schelleingasse 2/6.

Freitag, 04. Dezember 1998

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