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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Leichtigkeit und Leere

Religiös, ethisch, nihilistisch · Viele Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens
Von Francesco Campagner

Der Sinn des Lebens ist nicht so leicht zu ergründen · und darüber zu schreiben eigentlich eine recht komplizierte Sache. Wie Fruttero & Lucentini in ihrem in den
Siebzigern erschienenen Buch „Der rätselhafte Sinn des Lebens" (deutsche Ausgabe 1995 bei Piper erschienen) im „nullten Kapitel" so folgerichtig festhielten, handelt es sich dabei um „ein
,schwerwiegendes' Thema, das traditionsgemäß den Spezialisten vorbehalten ist, den Philosophen, Priestern, Wissenschaftstheoretikern, Alpinisten, entlassenen Zuchthäuslern, Öltankerkapitänen,
Schauspielerinnen, die den Versuch überlebt haben, sich die Pulsadern aufzuschneiden, usw."

Seit den Siebzigern hat sich daran nicht viel geändert. Die Beschäftigung mit dieser Problematik, die letztendlich menschliche Urängste besänftigen soll, füllt knapp vor der Jahrtausendwende einmal
mehr unzählige Bücher der genannten Spezialisten. Ob Papst Johannes 

Paul II. (Enzyklika „Fides et Ratio"), Umberto Eco und der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini („Woran glaubt, wer nicht glaubt?") oder Adolf Holl („Falls ich Papst werden sollte"), um nur einige
Beispiele zu nennen, für alle bietet die Suche nach dem „Sinn des Lebens" einen willkommenen Anlaß, ihre eigenen Gedankenwelten einmal mehr deutlich werden zu lassen.

„Die Philosophie und die Wissenschaften schweifen im Bereich der natürlichen Vernunft umher, während der vom Geist erleuchtete und geleitete Glaube in der Heilsbotschaft die ,Fülle von Gnade und
Wahrheit' erkennt, die Gott in der Geschichte endgültig durch seinen Sohn Jesus Christus offenbart hat", hält der Papst unmißverständlich in „Fides et Ratio" fest.

Seine fundamentalistische Sicht der Dinge enthält er den Lesern keineswegs vor: „Die legitime Pluralität von Denkpositionen ist einem indifferenten Pluralismus gewichen, der auf der Annahme fußt,
alle Denkpositionen seien gleichwertig: Das ist eines der verbreitetsten Symptome für das Mißtrauen gegenüber der Wahrheit, das man in der heutigen Welt feststellen kann". Der „moderne
Mensch", wie Johannes 

Paul II. auszudrücken beliebt, gibt sich „mit provisorischen Teilwahrheiten zufrieden, ohne überhaupt noch zu versuchen, radikale Fragen nach dem Sinn und letzten Grund des menschlichen,
persönlichen und gesellschaftlichen Lebens zu stellen".

Ecos „natürliche Ethik"

Was der Papst so radikal formuliert, stellt Kardinal Martini in einer nun in Buchform erschienenen Artikelserie der Zeitschrift „liberal" mit einer subtilen Frage in den Raum. Martini will
vom Universitätsprofessor, Journalisten und Schriftsteller Umberto Eco wissen „welche letzte Begründung für die Ethik ein Nichtgläubiger in der Situation der ,Postmoderne' vorbringt". Martini
geht dabei davon aus, daß es für den Katholiken aufgrund seines Glaubens ein festverankertes moralisches Fundament gibt, demzufolge die ethische Verhaltensweise „göttlicherseits" vorgegeben ist.

Der Kardinal wirft also nun · nachdem ihn Eco schon in Briefen davor mit unangenehmen Themen wie etwa jenem des Frauenpriestertums gequält hatte · dem Schriftsteller genüßlich einen „heißen" Erdäpfel
zu. Dessen Antwort ist ebenso eloquent, wie jene Martinis zu Ecos Fragen davor waren. Der Universitätsprofessor entwirft das Bild einer „natürlichen Ethik", die in keinster Weise in Konflikt mit der
katholischen Version gerät.

Doch der Disput entflammt erst mit Stellungnahmen verschiedener Philosophen, Politiker und Journalisten, die „liberal" zur Stellungnahme eingeladen hatte. Da werden sowohl Martini als auch Eco
und deren Harmoniebedürfnis kräftig ad absurdum geführt. Die sich vordergründig um Ethik drehende Diskussion handelt in Wahrheit vom „Sinn des Lebens". Nur diejenigen, die diesen eindeutig für sich
ausmachen können, somit eine „Wahrheit" vertreten, können ethische Grundwerte festlegen. Martini geht mit seiner Frage · genauso wie der Papst in „Fides et Ratio" · davon aus, diese „Wahrheit" durch
die Gnade Gottes zu besitzen. Durch diesen Umstand, wäre dann auch die christliche bzw. katholische Ethik jene, die in der Welt das Wohlergehen der Menschheit garantiere.

Dieser Umstand wird dem Kardinal vom ehemaligen Herausgeber der linksliberalen Tageszeitung „La Repubblica" Eugenio Scalfari vorgehalten. Scalfari führt dann die üblichen Beispiele der
„Wohltaten" der christlichen Ethik an (Hexenverbrennung und andere Grausamkeiten, die im Namen der Kirche im Laufe der Jahrhunderte begangen wurden), um schlußendlich ähnlich wie Eco einer
biologischen Ethik als Grundlage des menschlichen Handelns das Wort zu reden.

Scalfaris und Ecos Positionen sind gemäßigt, damit kann auch die katholische Kirche durchaus leben. Doch die Ansichten zweier Philosophen, die ihre Standpunkte in „liberal" glasklar deponieren,
lassen das sorgfältig gebildete Kartenhaus · wir sind alle von Güte beseelt, sei es durch göttlich oder natürlich-biologische Ordnung, die schlußendlich auch ein und dieselbe sein kann · in sich
zusammenstürzen.

Der aus Brescia stammende und in Venedig lehrende Emanuele Severino schießt sich auf Eco ein: „. . . er zeigt, daß er vom tiefgründigen Wesen des zeitgenössischen Denkens noch sehr weit entfernt
ist. Entsprechend ist sein Diskurs, ungeachtet seiner Intentionen, wie der von Martini auch, nur ein Glaube." Die zwei hochgepriesenen Diskutanten als Wissenschaftslaien, das sitzt.

Problematisches Fundament

Severino läßt keine Breitseite aus, stellt trocken fest, daß der Glaube ein „problematisches Fundament der Moral" sei und warnt vor der Entfaltung des „Glaubens an das Werden des Seins"
. Denn die Ethik, die sich in unserer Welt durchsetze, sei jene der Technik, die aus ihrem Wesen heraus die Wurzel der Gewalt selbst sei. Der Glaube an den Fortschritt als Untergang der Menschheit
· ein gespenstisches Szenario, das Severino zeichnet.

Ähnlich düster ist auch die Ansicht des sizilianischen Philosophen Manlio Sgalambro, der durch seine Zusammenarbeit mit dem italienischen E- und U-Musiker Franco Battiato in Italien größere
Popularität beschert wurde („L'ombrello e la macchina da cucire", EMI, 1995; „L'imboscata", PolyGram, 1996). Der Sizilianer läßt wenig Hoffnung: Gott ist gleichbedeutend mit Tod, das
Streben des Menschen nach dem Guten ist entgegengesetzt zum Göttlichen. Das Gute, so Sgalambro, ist der größte Versuch, „das Sein" zu annullieren, die Gottlosigkeit ein unauslöschlicher Durst nach
dem Guten. Denn „das Gute des anderen zu wollen heißt einfach zu wollen, daß er nicht stirbt . . ." Da bleibt kein Raum für Gnade und Frohbotschaft.

Sgalambros These ist radikal. Das Gute ist unpraktikabel, da ja jeder Mensch zum Sterben verdammt ist, und daher schlicht unmöglich. Was bleibt, ist: „Justiz und Polizei".

Johannes Pauls Vorwurf der mangelnden Radikalität, wird vom sizilianischen Philospophen gründlich widerlegt, und Martinis das Christentum bejahende Frage mit der Gegenfrage „Wie kann man die Idee
des Guten mit Gott verbinden, der doch der Tod selber ist?" als Anklage dem Absender zurückgeschleudert.

Das vom Mailänder Kardinal erwünschte gemeinsame Fundament, von Eco noch vertrauensvoll mitfabriziert, liegt nach diesen Diskussionsbeiträgen als Scherbenhaufen da. Und der Sinn des Lebens? Der Doyen
des italienischen Journalismus, Indro Montanelli, kann in seiner Stellungnahme „Mangel an Glaube ist eine Ungerechtigkeit" nur zu einer Bankrotterklärung seines Nichtglaubens finden: „Wenn es
darauf hinausläuft, die Augen zu schließen, ohne gewußt zu haben, woher ich komme, wohin ich gehe und was ich hier sollte, hätte ich sie gar nicht zu öffnen brauchen."

Anhand dieser Bekenntnisse erscheint die österreichische Kirchendiskussion geradezu in einer anderen, optimistisch gestimmten Welt stattzufinden, in der die Menschen nur an pragmatischen Fragen
Interesse zeigen. Und es ist nicht überraschend, daß auch Adolf Holl in seinem neuesten Buch „Falls ich Papst werden sollte" philosophisch-theologische Fragen nur indirekt anspricht. Stattdessen
setzt sich der Wiener, dessen „Jesus in schlechter Gesellschaft" kürzlich im neuen Libro-Verlag wiederaufgelegt wurde, auf geradezu humoristische Art und Weise mit fiktiven Ereignissen auseinander,
rüttelt so nebenbei an Glaubensfundamenten und setzt einige der auch vom „Dialog für Österreich" formulierten Forderungen in die Praxis um. Kirchenkritiker und Frauen werden zu Kardinälen, Jesu
Auferstehung zu einer jahrtausendlang gepflegten Mär.

Keine Kathedralen

Der Sinn des Lebens liegt für Holl ganz undogmatisch und einfach im freudigen Erleben des Alltags, als Papst erst recht. Und nach seiner Amtszeit wird die Reise in ein Land führen, wo es nur 15
Prozent Katholiken gibt und „keine Kathedralen aus dem Mittelalter, keine Erinnerung an Kreuzzüge und Renaissancepäpste". Die Last der 2.000jährigen Kirchengeschichte soll endlich abgeschüttelt
werden und · naiv-optimistisch im Geiste des Heiligen Franziskus · sollen die verkrusteten Strukturen aufgebrochen werden.

Diese Leichtigkeit des Seins ist bei Eugen Drewermann nicht zu finden. Eine schwere Last will dieser einmal mehr von den Schultern der Christen nehmen. Der deutsche Theologe, in Holls Papstfiktion
zum Kardinal befördert, läßt mit seinem Buch „Der sechste Tag" die biblischen Schöpfungsberichte und damit die Lehre der Erbsünde an der Evolutionsgeschichte zerbrechen.

Drewermann hat für den Menschen auch die passende mystische Formel, um die unwirtliche Natur zu überwinden und „menschlich" zu machen: Die Leere, die Liebe und der Augenblick ersetzen die göttliche
Dreifaltigkeit. Die Probleme mit der Güte Gottes sind damit obsolet, der Mensch benötigt die Religion um seiner selbst willen. Drewermann versucht Naturwissenschaft und Theologie in Einklang zu
bringen · ein nicht gerade einfaches Unternehmen, bei dem der nach einem Sinn Suchende letztendlich auf der Couch des Psychoanalytikers landet.

Aber wer den Sinn des Lebens sucht, muß schlußendlich auf alles gefaßt sein. Denn, wie bereits zuvor ausgeführt, das Meinungsspektrum ist breit gefächert und bietet von Hoffnung bis Resignation alle
Varianten. Und dabei sind die Erläuterungen der „Alpinisten, entlassenen Zuchthäusler usw." diesmal sogar noch ausgeklammert geblieben.

Literatur:

Johannes Paul II.: Enzyklika Fides et Ratio. Rom, 1998.

Carlo Maria Martini, Umberto Eco: Woran glaubt, wer nicht glaubt? Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber und Karl Pichler. Zsolnay, Wien, 1998.

Adolf Holl: Falls ich Papst werden sollte. List, München, 1998.

Eugen Drewermann: Der sechste Tag. Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott. Walter, Zürich, 1998.

Freitag, 04. Dezember 1998

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