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Geschäft in sieben Tagen

Die biblische Schöpfungsgeschichte einmal anders erzählt

Von Franz Severin Berger

Die Stadt Babylon am Strom Euphrat in Mesopotamien. 592 vor Christus oder im Jahr 4176 nach jüdischer Zeitrechnung, 261 Jahre nach der Gründung Roms und im
13.Regierungsjahr des babylonischen Großkönigs Nebukadrezzar II. (auch Nebukadnezar II.).

Die Stadt Babylon ist die Mitte der Welt. Die Metropole platzt vor Leben, Getriebe, Pracht und monumentalen Bauwerken aus den Nähten. Im ruhig fließenden Wasser des Stroms spiegelt sich die gewaltige
siebenstufige Tempelpyramide E-temen-an-ki, die dem Schutzgott der Stadt, Marduk, geweiht ist. Diese Ziggurat mißt 90 m im Geviert und ragt ebenso hoch in den Himmel. Die Stadt wird von einer
gewaltigen Doppelmauer umschlossen, auf deren Krone ein Viergespann fahren kann. Acht Doppeltore führen in die City. Die Innenstadt, die von prächtigen, breiten Avenuen durchschnitten wird, die
einander im rechten Winkel kreuzen, ist mit drei- und vierstöckigen Häusern gefüllt. Tempelanlagen und der gewaltige Königspalast stechen durch ihre Pracht und Größe noch über die Silhouette der City
hinaus. Und überall wird emsig gebaut. Viele Tausende Sklaven und Lohnarbeiter mauern mit Lehmziegeln, auf denen das Siegel des Königs eingebrannt ist. Babylon ist ein Wunder für alle, die es kennen
und sehen.

Am Karum, dem Kai, bei den Handelskammern vor den Doppelmauern sitzt die Nervenzentrale, die Börse des Groß- und internationalen Fernhandels. Hier werden die Preise fixiert, die Tauschwerte der
Schiffsladungen notiert, hier werden die ungeheuren Gewinne erzielt, die die Macht des Königs und die Pracht der Monumentalbauten ermöglichen. Die großen Bankhäuser dieser Zeit · die Tempel ·
florieren. In Babylon stehen 53 Tempel der großen Götter, 55 Kapellen des Marduk, 300 Kapellen für die Erdgottheiten, 600 für die Himmelsgottheiten, 180 Altäre für die Göttin Ishtar, 180 für die
Götter Nergal und Adad und 12 andere Altäre für weitere Götter. Allein die vielen Kult- und Verehrungsrituale, die täglich abgehalten werden, auch die Tempelprostitution, geben der Stadt ein
ständiges pulsierendes Leben, so daß sie wie ein gewaltiger Jahrmarkt wirkt. Und wenn sie später einmal aus böser Erinnerung heraus von jüdischen Propheten verflucht wird, so wird sie deshalb
Babylon, die Hure, heißen.

Am frühen Abend, der die Milde der Nacht vorausahnen läßt, ist der Großhandelskaufmann Iddin-marduk · sein Name bedeutet „Marduk hat es, das Kind, gegeben" · nach erledigten Geschäftstransaktionen
vom Kai aus mit seiner Begleitung zur Baustelle des Ishtartores gewandelt. Sieben Leibwächter, erfahrene, altgediente Soldaten, haben ihn sicher durch das nicht ungefährliche Gewoge von Menschen
geführt. Die bärtigen Männer zeigen allein schon durch ihre kunstvoll gehaltenen Schlagstöcke ihre Entschlossenheit, dem Herrn und seinem Enkel jederzeit Platz und Achtung zu schaffen. Der alte
Kaufmann, der trotz oder gerade wegen seines Reichtums recht schlicht gekleidet ist, führt seinen Lieblingsenkel Marduk-nasir-apli (das heißt „Marduk ist der Beschützer des Erbsohnes"), einen
lebhaften Zehnjährigen, an der rechten Hand. Im Abstand von zwei Schritten hinter den beiden halten zwei junge Schreibsklaven ständig Tontäfelchen und Schreibgriffel bereit. Denn jederzeit kann es
dem Alten nötig sein, einen Vermerk, einen Bericht oder eine Aktennotiz festhalten zu lassen.

G roßvater und Enkel betrachten

mit leuchtenden Augen die

künstlerische Vollendung des großen Tores der Göttin Ishtar. Zu diesem Stadttor führt die Straße vom Norden eingeengt zwischen Stadtmauer und Palastwänden. Auf einer Länge von 180 m ist die Straße
mit einem Fries aus Glasurziegeln ausgestattet, 120 schreitende Löwen sieht der Besucher der Stadt, bevor er das Ishtartor erreicht, 60 auf jeder Seite. Das monumentale Stadttor selbst ist mit
farbigen Reliefs versehen aus tiefblau glasierten Ziegeln mit prachtvollen Drachen- und Stierdarstellungen als Symbole der Götter Marduk und Adad. Von hier führt die Prozessionsstraße bis zum
Marduktempel am Strom, über die jährlich beim Neujahrsfest die hunderten Götterstatuen aus allen umliegenden Dörfern und Städten des babylonischen Reichs feierlich getragen werden.

„Großvater, ich finde, dies ist das schönste Bauwerk unserer Stadt."

„Nun, Enkelsohn, es zeigt unseren Reichtum, den wir den Göttern, die uns beschützen, zu erstatten haben. Denn in ihren Händen liegt unser Schicksal und unser Wohlstand."

„Du bist einer der Reichsten im Staat. Sag mir, wie wird man reich?"

Iddin-marduk lächelt. „Durch Geschäfte. Geschäfte, die du eines Tages weiterführen sollst."

„Hast du, Großvater, diese Geschäfte begonnen?" „Nein, mein Enkel Marduk-nasir-apli, dies war mein Großvater, von dem mir nur erzählt wurde. Denn ich habe ihn nie kennengelernt, er ging zu den
Göttern, bevor ich geboren wurde."

„Und wie hat er es getan? Wie beginnt man Geschäfte, die reich und glücklich machen und uns in die Lage versetzen, den Göttern solchen Dank abzustatten?"

Iddin-marduk, der Großhandelskaufmann, dessen Handelsgüter mit Karawanen und auf Schiffen vom Osten nach Westen, vom Süden nach Norden transportiert werden, grübelt kurz. Dann wendet er sich dem
Enkel direkt zu. „Vielleicht kann dir dies eine Geschichte erklären, die ich vor einigen Tagen von einem Fremden gehört habe. Du weißt doch, daß im Palast unseres Königs Hebräer leben. Ja'-u-
kinu, der ehemalige König des kleinen Reiches Juda weit im Westen, ist mit seinen fünf Söhnen, seinen Frauen und vielen Dienern hier im Exil."

„Das sind doch Gefangene!" wirft der Zehnjährige ein.

„Nun, wenn ich gefangen wäre, wollte ich auch gerne so behandelt werden. Nebukadrezzar hat die hebräischen Adeligen in einem Flügel seines Palastes einquartiert. Sie werden mit allem
Lebensnotwendigen versorgt, sie dürfen sich im Palast frei bewegen, und sie können auch ihren Glauben üben. Groß ist die Güte unseres mächtigen Königs."

„Haben sie auch ihre Götter mitgebracht?"

„Es sind seltsame Leute. Sie haben nur einen Gott, dessen Name geheim ist, und den sie nicht aussprechen dürfen. Es ist ihnen auch verboten, ein Gottesbild zu haben. Aber sie haben einen
Vertrag mit ihm. Und sie behaupten, daß er immer bei ihnen sei. Und, daß er, der Elohim, wie sie sagen, auch diese Welt geschaffen hat."

„Hat dir der hebräische König diese Geschichte erzählt?"

„Wir grüßen einander freundlich. Er weiß, daß ich die Nahrung für ihn und seinen Hofstaat in den Palast liefere. Sie haben nämlich strenge Gebote und dürfen nicht alles essen. Nebenbei gesagt, ist
das ein gutes Geschäft für mich. Aber Ja'-u-kinu spricht unsere Sprache noch nicht sehr gut. Einer seiner Diener, ein Gärtner, der sich Salam-ja-a-ma nennt, ein tüchtiger junger Mann, der auch als
Dolmetscher dient, hat mir aber von der Weltenschöpfung erzählt. Höre gut zu, und du wirst vieles verstehen. Sieben Tage hat dieser Gott der Hebräer gebraucht, um alles zu erschaffen, in dem wir
leben, arbeiten und glücklich werden können. Am ersten Tag schuf er durch seinen Willen über dem unendlichen Ozean das Licht. Denn er hatte die Kraft und den Willen, aus dem Chaos Tag und Nacht zu
machen."

„Großvater, ist dies nicht Marduk, der Gott des Lichtes, der Tiamat, die Göttin des Urmeeres, besiegte?"

„Mag sein. Das große Geheimnis, wie die Welt entstand, hat viele Geschichten und Namen, die einander ähnlich sind. Aber jedes Volk hat das Recht auf seine eigene Erzählung. Laß uns also weiter
sprechen. Der Elohim der Hebräer hat also am ersten Tag die Idee der Welt zum Werden gebracht, wie ein Kaufmann auch die Idee des Geschäfts haben muß, bevor er zu handeln beginnt. Am zweiten Tag
trennte er das Wasser durch ein großes Gewölbe, den Himmel. So bestimmte er den Raum seines weiteren Tuns, wie wir Kaufleute den Markt bestimmen, auf dem wir ein- und verkaufen, handeln und wandeln.
Am dritten Tag trennte er das Wasser unterhalb des Himmels vom festen Land. Und so machte er die Erde und das Meer. Auf der Erde ließ er vieles wachsen, damit sie keine Wüste blieb. Verstehst du,
Enkelsohn, den Elohim? Er schied Bewegliches vom Festen, Ruhendes vom Fließenden und sorgte dafür, daß der Boden, auf dem wir Menschen leben, von sich aus Früchte trug und Zinsen brachte. So wie der
Händler weiß, daß nur ein Teil seines Geldes fließen kann, das andere aber ruhen muß, um Früchte zu bringen. Am vierten Tag schuf der Gott der Hebräer Sonne und Mond und alle Gestirne, die nachts am
Himmel leuchten. Wozu wird dies wohl gedacht sein?"

„Um am Tag wie auch in der Nacht sehen zu können?"

„Mehr als das. Lesen wir nicht die Ordnung im ganzen, wie auch unser Schicksal im einzelnen, aus den Gestirnen? Deuten unsere Gelehrten nicht Wohl und Wehe aus den Himmelszeichen? Messen wir nicht
die Zeit aus den Phasen des Mondes, und kennen wir nicht unsere Götter aus den Bahnen der Planeten? Der hebräische Gott schuf für sich und seine Welt Ordnung und Regeln, nach denen jeder, der sie
sehen will und kann, mit Vernunft und Maß handelt. So ist es auch auf den großen Märkten. Es gibt Regeln, es gibt Sitten · und es gibt Zeiten und Zusammenhänge, die wir Kaufleute kennen müssen. Das
war der vierte Tag des Elohim. Am fünften Tag schuf dieser Gott die Tiere des Meeres und die Vögel der Lüfte. Sie sollten sich vermehren und Wasser und Himmel bevölkern."

„Warum nicht die Tiere des Landes zuerst? Wo es doch bereits grün und bewohnbar war?"

„Weil in Geschäften die Schnelligkeit und Beweglichkeit vor der Sicherheit kommt. Die Fische, von den kleinsten, die in Schwärmen ziehen, bis zu den großen Ungeheuern, ziehen schnell und in allen
Richtungen beweglich durch die großen Meere, sie schwimmen auch die Flüsse und Bäche hinauf, sie durchwandern Ebenen bis in die Gebirge. Die Vögel aber können überall hinfliegen, und sie sind
schneller als das schnellste Landtier. Sie kreisen über dem Wasser genauso wie über den unwegsamen Wüsten. Auch wir Kaufleute wissen, daß es oft auf die Beweglichkeit und die Freiheit unserer
Geschäfte ankommt, um in großen Linien die Märkte zu verbinden.

D ann aber kam der sechste Tag

für den Schöpfer, und jetzt schuf

er alles, was auf der Sicherheit des Bodens lebt, vom kriechenden Wurm bis zum pfeilschnellen Geparden, dem schnellsten Jäger der Steppe. Und als der Boden besiedelt war, konnte er noch am gleichen
Tag aus dem Boden der Erde die Menschen schaffen. Einen Mann, der A-dam hieß, wie die Hebräer Lehm bezeichnen, denn aus Lehm war er gemacht worden. Und seine Frau Eva, was Mutter heißt.
Und von ihr sollen wir alle abstammen, erzählen die Hebräer. Und er gab den Menschen die Herrschaft über alles Lebendige. Er übergab ihnen damit sein Werk und setzte so den letzten Schritt seiner
Taten. Denn jeder Geschäftsmann weiß, daß sein Unternehmen nur dann weiterwachsen kann, wenn er rechtzeitig Sachwalter einsetzt, die in seinem Auftrag die Geschäfte weiterführen."

„Du hast aber gesagt, er hätte sieben Tage gebraucht?"

„Ja, weil er, so wurde mir erzählt, den siebenten Tag zur Ruhe benötigte. Daher heiligen die Hebräer jeden siebenten Tag, an dem sie nicht arbeiten, kein Feuer entzünden und keine Reisen unternehmen
dürfen. Weil auch ihr Schöpfergott sein Werk an diesem Tag durch sein Ruhen vollendet hat. Auch dies ist eine Weisheit, daß wir uns rechtzeitig aus dem Getriebe des Handels, des Bauens und des
Handwerks zur Ruhe zurückziehen müssen. Denn wer nicht ruht, wird auch nicht zu neuen Taten fähig sein."

„Das alles hat der Gärtner dir erzählt? Und du sagst, es ist klug? Sind denn diese fremden Hebräer große Geschäftsleute, daß sie solche Weisheiten kennen?"

Der Großhändler Iddin-marduk nimmt seinen Enkelsohn wieder bei der Hand und schlägt den Weg in Richtung seiner Sommervilla ein. Es wird ein schöner Abend in der Kühle des Innenhofs werden. „Die
Hebräer, mein Enkelsohn, sind im Vergleich zu uns arme Leute. Sie sind Bauern und Hirten, Fischer und Handwerker. Und wenn sie kämpfen, dann mit aller Kraft ihres Glaubens und der Tapferkeit ihres
Herzens. Sie haben weise Männer, die sich Propheten nennen. Und sie haben auch Dichter und Musiker. Von erfolgreichen Kaufleuten weiß ich allerdings nichts. Nur von diesem klugen Gott. Ich denke,
Marduk-nasir-apli, du wirst alles noch besser verstehen, wenn du eines Tages mein Nachfolger bist. Denn die besten Kaufleute sind selbstverständlich wir, die Babylonier."

Die Nacht ist hereingebrochen, die Begleiter haben Fackeln angezündet, Großvater und Enkelsohn gehen schweigend heim. Eine Geschichte ist erzählt.

Der Text basiert auf einem Auszug aus dem Buch von Berger/Gleissner: „Management by Bible", Verlag NÖ-Pressehaus.

Freitag, 04. Dezember 1998

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