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Chwostiks Garderobe

Von Hermann Schlösser

Romanleser sind eigenartige Wesen. Da geschehen die aufregendsten Dinge - in Deutschland will ein sozialdemokratischer Ministerpräsident Kanzler werden, in Österreich eine Geistliche, aber auch ein Baumeister Präsident - aber dem Leser fällt zu diesen Nachrichten aus dem Berufsleben unserer Führungskräfte eigentlich nichts Rechtes ein.

Über den beruflichen Werdegang des Herrn Chwostik dagegen könnte er sich seitenlang verbreiten, obwohl (oder weil?) der nur in einem Roman stattgefunden hat. Heimito von Doderer, der Archivar wienerischer Gemütszustände, erzählte davon in seinem Roman "Die Wasserfälle von Slunj": Chwostik, ein tüchtiger Mann aus sogenannten "kleinen Verhältnissen", ist kurz vor der Jahrhundertwende im Begriff, Kanzleichef in der Maschinenfabrik Clayton zu werden. Zu seinem sozialen Aufstieg paßt sein Äußeres jedoch überhaupt nicht, als ob der junge Mann sich nicht recht an die Realität seiner neuen Position gewöhnen könnte. Wenig schmeichelhaft schildert Doderer seinen Helden: "Chwostik also zeigte keine Besonderheiten in der Kleidung. Der immer gleiche himbeer-rote Maschinschlips war abgegriffen und von trüber Farbe. Dasselbe kann man vom Rand des schwarzen steifen Hutes sagen. Der Gummi an den Zugstiefletten war längst erschlafft, sie standen daher um`s Fußgelenk herum wie Töpfe oder Häferln."

Seine Chefs stört das kümmerliche Aussehen ihres obersten Buchhalters wenig. Sie sind modern eingestellte Ingenieure, noch dazu Engländer, also genügt ihnen, daß der Mann seine Arbeit gut macht. Ihm selbst geht es genau so, denn als Kleinbügersohn aus dem dritten Bezirk sieht er einfach nicht, wie sehr es im Leben auf Äußerlichkeiten ankommt. In allen Anforderungen seines Berufs erweist sich Chwostik als geschickt und lernfähig. Nur seine Garderobe und seine ärmliche Wohnung vermag er nicht hinter sich zu lassen, obwohl seine finanziellen Mittel das längst erlauben und sein sozialer Status es geradezu erzwingt.

Das Problem löst sich endlich durch einen Wink von oben. Der Rechtsanwalt der Firma lädt den jungen Mann einmal zu sich nach Hause ein. Und dort, im großbürgerlichen Ambiente, spürt Chwostik schlagartig, daß sein Anzug tatsächlich nicht mehr geht. Er schämt sich vor seinem eleganten Gegenüber und beginnt, sich neu einzukleiden. Doch verschließt er das neue Gewand zunächst einmal in einem Kasten. Erst als alles beisammen ist, macht er davon Gebrauch, als dürfe es zwischen dem alten und dem neuen Äußeren keine Verwechslungen geben. Ein kleines Fest im Hause des Chefs wird schließlich der Anlaß für Chwostik, erstmals im eleganten Abendanzug aufzutreten. Er bewegt sich darin, als hätte er nie etwas anderes getragen. Und wenig später bezieht er auch eine neue Wohnung in einer besseren Straße.

Diese Geschichte gehörte schon einer vergangenen Zeit an, als "Die Wasserfälle von Slunj" 1963 erstmals erschienen. Und heute, in der Zeit der Quereinsteiger und der medienunterstützten Karrieresprünge, ist der solide Aufstieg des redlichen Büroangestellten erst recht ein Märchen aus uralten Zeiten.

Und trotzdem (oder gerade deshalb?) kann die Geschichte vom Herrn Chwostik einen Romanleser nachhaltiger beschäftigen als aktuelle Zeitungsberichte über Ministerpräsidenten, Bischöfinnen oder Bauunternehmer. Warum das so ist - das wäre schon wieder eine andere Geschichte.

Dienstag, 19. Mai 1998

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