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Ein Bau des Glaubens

Der Spanier Justo Gallego baut seit 44 Jahren an einer Kathedrale
Gallego im Inneren seines Baus.

Gallego im Inneren seines Baus.

"Mein Glaube ist so groß, dass ich eine Kathedrale bauen kann", sagt Justo Gallego – doch ob er sein Werk vollenden kann, weiß nur der Himmel.

Von Martin Arnold (Text und Fotos)

Im Jahr 1961 wurde Präsident John F. Kennedy ermordet. In Spanien regierte Diktator Franco seit 25 Jahren mit eiserner Hand. Mejorar del Campo war damals noch ein Bauernnest, und die 20 Kilometer nach Madrid waren ein weiter Weg auf Esels Rücken.

1961 war auch das Jahr, in dem Justo Gallego begann, mit der Schaufel Erde auszuheben, um den Boden zu ebnen für eine Kathedrale zu Ehren der Jungfrau Pilar. Tiempo pasado. Mejorar del Campo ist mittlerweile zu einem Vorort der 3,5-Millionen-Metropole Madrid geworden. Mietskasernen überragen den alten Dorfkern. Autos rollen heute nach Madrid, und über die unvollendete Kathedrale zu Ehren der Jungfrau Pilar dröhnen im Minutentakt die Jets im Landeanflug zum nahe gelegenen internationalen Flughafen von Madrid.

Nur etwas ist in Mejorar del Campo unverändert geblieben. Die Kathedrale ist noch immer nicht fertig – auch wenn man jetzt im Gegensatz zu 1961 sieht, dass auf dem Gelände ein Gotteshaus entsteht. Die Kinder, die damals gesehen haben, wie der 35-jährige Justo Gallego die ersten Ziegelsteine mauerte, haben schon Enkelkinder. Sie denken aber noch immer, was für die Dorfbewohner von Anfang an feststand: Justo ist verrückt.

Ein Glaubensbeweis

Der Bauernsohn Justo Gallego hat neun Jahre lang in einem Orden gelebt, bevor ihn eine Tuberkulose zwang, auszutreten. Nach der Heilung stand für ihn fest, dass er etwas Bleibendes schaffen wolle. Etwas, das seinen Glauben manifestieren sollte. Nichts Kleines, das man vielleicht als kleinlich ansehen könnte. Keine Kapelle. Ein großer Glaube verlangt nach einem großen Bau. Auf den Einwand, viele Menschen seien religiös, bauten aber trotzdem keine Kathedrale, entgegnet der beinahe 80-Jährige: "Dann ist ihr Glaube eben nicht groß genug. Mein Glaube ist so groß, dass ich diese Kathedrale bauen kann."

Die Größe seines Glaubens lässt sich in Zahlen fassen. Das Gotteshaus ist 50 Meter lang und 20 Meter breit. Die Türme sollen 60 Meter, die Kuppel 35 Meter hoch werden. Während des Baus hat Justo Gallego seine Pläne ständig kühner gefasst. Eine Taufkapelle und ein Kreuzgang sind hinzugekommen. Noch fehlt ein festes Dach, das Provisorium hält nur den ärgsten Regen ab. Die Kuppel ist noch nicht fertig, der unterhöhlte Boden nicht überall geschlossen. Von der Galerie an fehlt die weitere Ausarbeitung des Kirchenraums.

Ein halb eingestürztes Modell zeigt die Kathedrale, wie sie dereinst aussehen soll. Ein Schuss Gotik, viel Romanik, das Ganze an ein kastilisches Kastell erinnernd. An jeder Seite sollen nach der Vorstellung Gallegos zu den beiden Kirchtürmen noch weitere vier Türmchen hinzukommen. Der Eifer, mit dem er Säulen aller Art im Kircheninnern angebracht hat, lässt maurische Einflüsse vermuten. Licht dringt durch verschiedene Ritzen in den Innenraum. Sonnenstrahlen lassen einige Punkte hell aufleuchten. Die Atmosphäre ist durchaus mystisch. Der Gedanke, dass hier praktisch alles mit zwei Händen geschaffen wurde, weckt Respekt vor dem kleinen, drahtigen Mann, der in seinem Scheitern durchaus Größe zeigt. Denn die Chance, dass er das Ende des Baus noch erleben wird, ist klein. Und es ist anzunehmen, dass nach seinem Tod keiner die Energie aufbringen wird, weiterzubauen. Der Bischof wird sagen, in Mejorar del Campo gebe es schon zwei Kirchen und es sei kein Geld vorhanden, eine dritte fertig zu stellen und zu unterhalten. Aber natürlich sagt das Justo Gallego niemand, und so träumt er weiter davon, für die Jungfrau del Pilar ein Gotteshaus zu errichten.

Der Lehrling Gottes

Justo Gallego hat die Pläne selber gezeichnet und ein Modell entworfen. Er sagt, Gott habe ihm das Mauern beigebracht. Deshalb traut er sich selbst den Kuppelbau zu. "Ein Architekt hat alles kontrolliert. Der Bau ist in Ordnung", sagt Gallego. Doch man sieht an den Außenwänden schief liegende Ziegelsteine. Manche Mauern hören irgendwo auf und bröckeln an ihren Enden. Verschiedene Stellen wirken brüchig. Doch eine Sisyphusarbeit verlangt eben viel Geduld. Justo Gallego beteuert, dass in all den 35 Jahren nie eine Mauer eingestürzt sei. Als ehemaliger Bauer sei man einfach ein geübter Handwerker und so gewaltig sei der Unterschied zwischen einem Bauernhaus und einer Kathedrale auch wieder nicht. Wenigstens, was die Maurerarbeiten betreffe.

"Wie viel zahlen Sie mir für ein Gespräch?" , fragt Justo Gallego gleich zu Anfang. Seine Unverfrorenheit entspringt wachsender Verzweiflung. Den Bau hat er mit dem Verkauf seines Landes finanziert. Nun gibt es nichts mehr zu verkaufen und er lebt von 500 Euro Pension bei seiner Schwester. Davon kann er seinen Unterhalt bestreiten, aber nicht den Kathedralenbau finanzieren. Spenden fließen nur spärlich, auch wenn sogar schon in Japan über ihn berichtet wurde. "Viele Neugierige schauen herein. Sie betrachten mit Aaahs und Ooohs die Baustelle, doch wenn sie am Opferstock vorbeikommen, wo ich um eine Spende bitte, schauen sie zur Kuppel hoch." Es gibt außerdem besondere Schlaumeier. "Eine TV-Station von Silvio Berlusconi war hier. Sie drehten drei Tage und versprachen eine Spende. Doch sie haben sich ohne eine Peseta zu geben, davongeschlichen." Der alte Baumeister und seine Kirche sind inzwischen zu einem Tourismusobjekt geworden. Täglich kommen Autobusse von Madrid hierher, und der Bürgermeister ist voll des Lobes über ihn. "Wir wollen alles tun, um den Bau zu erhalten, wenn Justo einmal nicht mehr unter uns weilt", sagt der Bürgermeister, Fernando Peñaranda. Die Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft erleichtern es den Dorfbwohnern und Behörden, Justo Gallego zu verzeihen, wenn er Anordnungen für einen Baustopp genauso ignoriert wie Steuerbescheide für sein Grundstück.

Die Meinungen gehen auseinander, ob Gallego nun verrückt ist oder ein "perfekter Christ" , wie Pfarrer Don Carlos Hernandez von der benachbarten Kirche meint. Obwohl der Kathedralenbauer seine Kirche schon lange testamentarisch an die Diözese überschrieben hat, gibt sich der Bischof reserviert. Justo Gallegos Eifer passt eben nicht in das geregelte Leben des durchschnittlichen Christen. Seine Entsagung ist unheimlich, sein unbändiger Willen, das scheinbar Unmögliche alleine zu schaffen, gleicht dem Kampf gegen die Windmühlen und macht ihn zu einem Don Quichote des 21. Jahrhunderts. "La Mancha ist nicht weit und die Menschen dort sind zäh. Ich besitze auch diese Mentalität."

Unermüdlichkeit hat Justo Gallego auch dringend nötig. Viel ist ihm schon versprochen worden. Ein japanischer Industrieller wollte Glocken stiften, und ein Schweizer Arzt versprach, sein Video über Gallego dem Baron von Thyssen zu zeigen. Dann werde Geld fließen.

Nicht viel ist geschehen, noch immer strahlt durch die Ritzen der angedeuteten Kuppel das Sonnenlicht, fallen bei Regen die Tropfen und wirbeln bei Kälte die Schneeflocken herein. In der Mitte der Kathedrale sind drei Sessel drapiert. Auf den mittleren Sessel ist ein zweiter getürmt.

Auf diesem schäbigen, abgewetzten Thron sitzt Justo Gallego. Seine Hüfte schmerzt. Mit den Fingern fährt er immer wieder über die Augenlider. Seine Augen tun ihm weh. Der Autodidakt hat beim Schweißen die Netzhaut beschädigt. In manchen Momenten wirkt Justo Gallego gebrochen. Man hat den Eindruck, als glaube er selber nicht mehr daran, die Einweihung seiner Kathedrale zu erleben. Dann blickt er zur Decke, steht trotzig auf und beschreibt, was als Nächstes zu tun sei. Einige Jugendliche helfen ihm manchmal für ein Taschengeld. Und an den Wochenenden legt auch ein Freund die Arbeitskleider an, um dem "Maurer Gottes" zur Hand zu gehen. Kühn vorausgreifend ist vor der Kathedrale der Aufgang fertig gestellt worden. Zwischen den Steinen wächst Gras. Die Beleuchtung ist installiert und eine Gedenktafel in die Mauer eingefasst. "Tempel, gewidmet der Mutter Gottes, unserer lieben Señora Pilar", steht geschrieben.

Keine Zeit für eine Frau

Die liebe Maria, die Señora Pilar, das ist auch Justo Gallegos Frau. "Ich habe nie geheiratet", erzählt er stolz. "Ich hätte gar keine Zeit für eine Frau. Meine Frau ist die Jungfrau Maria" , sagt er pathetisch. Sie gibt ihm auch die Kraft, täglich von acht bis sechs Uhr auf der Baustelle zu sein – all die Jahre hindurch ohne Ferien. Wenn ihm keiner hilft und er erschöpft ist, sitzt Justo auf seinem Sessel und sinniert.

Den Gedanken, dass er letzlich scheitern könnte, niemand sein Erbe antreten und der Bischof das halbfertige Geschenk nicht fertig stellen könnte, weist er mit einer ausladenden Handbewegung von sich. "Ich baue die Kathedrale selbst fertig. Unmöglich, dass ich vorher sterbe." Dennoch verrinnt die Zeit und das Geld fehlt. "Dann werde ich eben 200 Jahre alt", sagt er. "Maria wird schon dafür sorgen. Schließlich ist Methusalem 500 Jahre alt geworden. Da sind 200 nicht zu viel verlangt." Und er fügt verschmitzt hinzu. "Es gäbe schon einen Weg, mein Leben zu verkürzen. Mit Geldspenden. Je früher ich die Kathedrale fertig habe, desto früher kann ich sterben."

Martin Arnold , geboren 1961, lebt als Journalist in St. Gallen.

Freitag, 07. Oktober 2005

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