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Der Poeten letzte Ruhestätten

Was tun wir mit den sterblichen Resten unsterblicher Dichter?
Von Gudrun Schury

Schriftsteller muss man hegen, ehren und im Lande halten, dann revanchieren sie sich mit Ruhm und Essays. Kritisch wird es danach: "Wenn große Dichter tot sind, geben sie zu tun." Peter von Matt meint damit unseren Umgang mit den sterblichen Resten unsterblicher Poeten. Was tun mit Dichterleichen? Mit Pomp auf den Friedhof überführen und dann einen Findling drüber? Oder lieber verbrennen und die Asche in den handgeschöpften Umschlag einarbeiten, der das postume Werk zieren wird?

Die Literatengeschichte kennt fast jede Variante. Da gibt es die, die einsam starben, in einem Massengrab begraben, später transloziert und mit allem Prunk in Mausoleen beigesetzt wurden. Andererseits nahm man missliebig gewordenen Poeten die schöne letzte Ruhestätte wieder weg. Exildichter kehrten oft erst als Leichen ins Vaterland zurück, wie schon Terenz und Vergil, die beide auf einer GriechenlandReise starben.

Ehrengräber und Monumente

Selbstverständlich existieren viele noble, schöne Dichter-Gräber: Der Wiener Zentralfriedhof beherbergt von Peter Altenberg und Ludwig Anzengruber über Egon Friedell, Karl Kraus, Johann Nestroy, Arthur Schnitzler und Friedrich Torberg bis Franz Werfel und Anton Wildgans einige, die uns lieb und teuer sind; Konrad Celtis liegt im Stephansdom und Pietro Metastasio unter der Michaelerkirche, der Hietzinger Friedhof nahm Franz Grillparzer auf, der Grinzinger Heimito von Doderer, der Kalksburger Hugo von Hofmannsthal.

Auf dem Gottesacker zu Kloster auf Hiddensee liegt unter einem Findling, das Skelett mit einer Mönchskutte bedeckt, in romantischer Umgebung Gerhart Hauptmann. Die Urne mit Christian Morgensterns Asche ist im anthroposophischen Goetheanum von Dornach aufgestellt. Goethe selbst ruht, säuberlich mazeriert, in der Weimarer Fürstengruft, ausgesprochen repräsentativ neben Schiller. Um die Schiller'sche Originalität ist es allerdings prekär bestellt, war man sich doch bei der Überführung aus dem mehrfach belegten Kassengewölbe in die Fürstengruft nicht sicher, ob man wirklich alle Dichter-Gebeine gefunden hatte.

Das Grab mit der schönsten Aussicht besitzt Gabriele d'Annunzio. Der Marmorsarkophag steht seit 1938 auf einer tempelartig ausgebauten Anhöhe mit Blick über den Gardasee. Die "Vittoriale" genannte Dichterstätte ist Ziel zahlreicher Touristen, die in den Andenkenbuden gerne auch ein Mussolini-Figürchen kaufen.

Eines der größten deutschen Einzelmonumente dürfte Detlev von Liliencron gehören, der sich 1909 bei der Wiederbesichtigung französischer Schlachtfelder den Tod geholt hatte. Auf dem Friedhof Hamburg Alt-Rahlstedt ragt für ihn, bekrönt von der Verkörperung der Jugend, eine Marmorstele auf, in ihrem Sockel ist folgende Szene eingemeißelt: Mitten im Kampf beugt sich der Offizier Liliencron über einen gefallenen Soldaten und legt ihm eine Rose auf die Brust.

Höchst unsicher ist dagegen, wo genau man die Gebeine Walthers von der Vogelweide oder Wolframs von Eschenbach lokalisieren soll; an die beiden Dichter wird in den Münstern von Würzburg und Wolframs-Eschenbach erinnert. Obwohl man fast jedem Dichter irgendwo eine Gedenktafel widmete, ist von vielen kein Stäubchen Originalsubstanz mehr erhalten, etwa von Hans Sachs, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Quirinus Kuhlmann (1689 in Moskau als Ketzer verbrannt), Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Jakob Michael Reinhold Lenz, Jakob van Hoddis (1942 von den Nationalsozialisten ermordet) oder Klabund. Das heißt: Klabund hatte einst ein Ehrengrab auf dem Bergfriedhof von Crossen - es wurde aber aufgelöst.

Mit dem Ehre-Erweisen ist es auch bei Walter Benjamin schwierig, an den ohnehin nirgends eine Tafel erinnert. Als er in Port-Bou Selbstmord begangen hatte, kam er am 28. September 1940 in eine gemauerte Grabnische mit der Nummer 563, gekauft für fünf Jahre. Am 20. Dezember 1945 vergab man dieses Grab weiter, legte es später mit dem darunter liegenden zu einem Doppelgrab zusammen. Benjamins Knochen wanderten zu den übrigen in das Beinhaus des Friedhofs. Eine Ruhestätte Benjamins gibt es also nicht mehr. Ähnlich liegt der Fall bei Else Lasker-Schüler, die auf dem Ölberg in Jerusalem beerdigt wurde. Als dieser dann in jordanische Verwaltung überging, wurde an der Stelle der Gräber eine Straße gebaut, der Grabstein der Dichterin von einem Bagger beiseite geschoben. Nach dem Sechs-Tage-Krieg und der israelischen Repatriierung des Ölbergs blieb den Resten Lasker-Schülers nur ein Sammelgrab und der alte Stein an neuem Ort.

Fast scheint es so, als besänne man sich immer wieder zu spät darauf, neben den geistigen auch die materiellen Überbleibsel von Schriftstellern in Ehren zu halten. Zehn Jahre nach seinem Tod war die Urne mit Ernst Tollers Asche immer noch beim Beerdigungsunternehmer. Der Dichter hatte sich, völlig verarmt, am 22. Mai 1939 im New Yorker Hotel "Mayflower" erhängt. Ein Bekannter, der ihm einige Tage zuvor finanzielle Hilfe verweigert hatte, bezahlte seine Entsorgung. Die Urne ließ er stehen.

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele: Dichterleichen, die man mit allem Respekt aus dem Exil heimführte. Als 1933 ein französischer Bauer beim Pflügen auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Loivre den Stiefel eines deutschen Soldaten fand, grub man Skelett und Erkennungsmarke von Hermann Löns aus. Da ihn deutsche Erde decken sollte, ruht er seit 1935 mitten in der Lüneburger Heide.

Die Österreicher wollten Ödön von Horváth 50 Jahre nach seinem Tod auf den Champs-Elysées wiederhaben und transportierten ihn 1988 von Paris nach Wien, wo er auf dem Heiligenstädter Friedhof ein Ehrengrab erhielt.

Heinrich Mann starb 1950 in Santa Monica/Kalifornien, kurz bevor er auf Einladung von Wilhelm Pieck die Präsidentschaft der ostdeutschen Akademie der Künste übernehmen wollte. Die DDR ließ 1961 dann wenigstens seine sterblichen Überreste heimholen und bestattete sie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. In Santa Monica befindet sich ebenfalls ein Heinrich-Mann-Grab, es ist leer.

Nicht aus dem politischen Exil, aber aus dem Kirchenbann musste man Molières Leiche befreien. Weil zwei Geistliche der zuständigen Pfarrei sich weigerten, einem wie diesem - Schauspieler waren damals automatisch exkommuniziert - die Sterbesakramente zu spenden, konnte er nicht in geweihtem Boden begraben werden. Erst als die Bitten der Witwe den Pariser Erzbischof umgestimmt hatten, war der Weg frei für die Bestattung in Saint-Eustache, doch ausdrücklich "ohne Feierlichkeit und nicht bei Tage". Das Emblem der Tapeziererzunft, aus der Molière zum Theater übergelaufen war, zierte den Sarg. Die Legende sagt, er ruhe in vier Fuß Tiefe, weil geweihte Erde nur drei Fuß tief reiche.

119 Jahren später wurde das, was man für die Knochen Molières hielt, ausgegraben und in einer Kapelle verwahrt - man konnte sich nicht entschließen, wo sie ihre endgültige Ruhestätte finden sollten. Nach weiteren 25 Jahren bekam Molière endlich ein würdevolles Grab: auf dem Friedhof Père Lachaise, an der Seite von La Fontaine. Allerdings waren die Gebeine inzwischen durch Andenkenjäger erheblich dezimiert: einer trug einen Molière-Zahn in einen Ring gefasst, ein anderer besaß einen Dichter-Wirbel mit der lateinischen Aufschrift "Molières heiliger Überrest" und Baron de Denon, Generalinspektor der Museen in Paris, verwahrte in einem Privatreliquiar nicht nur Stückchen von Heinrich des Vierten Schnurrbart und von Napoleons blutigem Sterbehemd, sondern auch Knochenfragmente von La Fontaine und von Molière.

Eine ähnliche Geschichte widerfuhr dann dem toten Voltaire: Da ihm in Paris ein christliches Begräbnis versagt blieb, wurde er in Sellières, der Pfarrei eines Neffen, beigesetzt. Während der Französischen Revolution aber überführte man seine Gebeine ins Pantheon, konservierte sein Herz. Letzteres befindet sich bis heute in der Bibliothèque Nationale. Auch im Heroon von Mesolongion, der Begräbnisstätte der griechischen Freiheitskämpfer, liegt nur das Herz Lord Byrons.

Grab in den Lüften

Vielleicht ist es für Dichterleichen ja das Beste, wenn man mit ihnen so verfährt, wie der Verblichene selbst es gewünscht hatte oder hätte. Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Christoph Martin Wieland, Heinrich von Kleist, August Graf Platen, Richard Wagner, Josef Weinheber und Arno Schmidt haben gemeinsam, dass sie in lieblichen Gärten oder Parks ruhen. Und von der letzten Ehre für Max Frisch berichtet Peter von Matt in "Die tintenblauen Eidgenossen": "Es war am 22. Juni 1991, einige Monate nach dem Tod. In Berzona versammelte sich eine Schar mit Frisch befreundeter Frauen und Männer (. . .) Man saß in der einbrechenden Nacht auf langen Bänken, es wurde kräftig getrunken, mit der Zeit wurde es laut, während nebenan einige Leute an einem Feuer herumwerkelten. (. . .) Auf einmal loderte dieses Feuer mächtig auf, die Trinker verstummten (. . .) und irgendwann standen alle im Kreis um die riesigen Flammen (. . .) Aus der Finsternis tauchte der Bühnenbildner auf. Unter dem Arm trug er eine große Urne. Er trat nah ans Feuer heran, fuhr mit dem nackten Arm in den roten Krug und warf eine breite Aschenfahne in die Flammen, und noch eine, und noch eine. Andere rückten zu ihm hinüber, griffen ebenfalls in die Urne, und Wurf um Wurf, langsam, feierlich und fröhlich, wehte die Asche des Dichters erneut in das prasselnde Element (. . .) Wer das Grab von Max Frisch sucht, muß sich an die hohen Lüfte halten."

Übrigens könnte man diesen Spruch abwandeln, indem man vom Farn oder von den Fluten spricht, an die man sich halten müsse: Robert Musils Asche wurde 1945 in einem Wald bei Genf, Günther Eichs Asche 1972 auf dem Bieler See verstreut. Wie poetisch.

Freitag, 29. Oktober 2004

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