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Schattenreich am Sternenzelt

Wie das antike Totenreich in den Himmel kam
Von Christian Pinter

Hesiod, Homer, Ovid oder Vergil führten ihre Leser hinab in den Hades, den Aufenthaltsort der Verstorbenen. Manche Gestalten des antiken Schattenreichs aber besaßen schon damals einen Zweitwohnsitz: als Sternbilder am Firmament. In den letzten zwei Jahrhunderten galt es zudem, Kleinplaneten oder "Asteroide" zu taufen. Sie ziehen großteils zwischen Mars und Jupiter um die Sonne. 11.500 von ihnen tragen heute Eigennamen. Dazu kommen noch 6.700 Bezeichnungen, die man bisher für Oberflächendetails auf anderen Planeten, Monden und sogar einigen Asteroiden benötigt hat. Auch in diesen Fällen griffen Astronomen immer wieder auf Motive und Figuren der klassischen Unterwelt zurück.

Die Zwillinge

Zeus (römisch: Jupiter) verführte Leda in Gestalt eines Schwans und zeugte dabei Polydeukes (Pollux). Am selben Tag empfing sie von ihrem königlichen Gemahl einen Sohn: Castor. Leda gebar Zwillinge. Als Castor im Kampf fiel, wollte Polydeukes auf seine Unsterblichkeit verzichten und dem Bruder in die Unterwelt folgen. Zeus war von dieser Treue gerührt. Er erlaubte den beiden, jeweils einen Tag gemeinsam im Schattenreich, den nächsten aber im Olymp zu verbringen. Das Sternbild der Zwillinge erinnert an die Legende.

Später taufte man auch noch die Einschlagsnarben auf zwei Saturntrabanten nach den Geschwistern. Castor ist heute ein Krater auf Janus, Pollux einer auf Epimetheus. Auch dort sind die Brüder fast "unzertrennlich". Janus und Epime-theus sind nämlich Nachbarmonde. Sie tauschen sogar regelmäßig ihre Orbits aus.

Drei göttliche Brüder teilten sich einst mittels Los die Regentschaft über die Welt. Zeus fielen Himmel und Erde zu, Poseidon (Neptun) erhielt das Meer. Hades blieb nur das Totenreich, das seither seinen Namen trägt. Dafür bestimmte er länger als jeder andere Gott über die Menschen.

Weit weg von seinem Herrschaftsgebiet, in einem Feld auf Kreta, liebten einander Iasion und Demeter. Sie war die Göttin des Ackerbaus und hatte den Menschen einst das Getreide geschenkt. Jetzt erblickte ihr Sohn Plutos das Licht der Welt. Anfangs Gott des Reichtums, verschmolz er im Lauf der Zeit mit dem finsteren Unterweltgott Hades. Als Hades-Plutos wachte er nun nicht nur über die Toten, sondern auch über den Reichtum im Erdinneren - die begehrten Bodenschätze.

Das Klagelied des Sängers

Bei seinem legendären Abstieg in die Unterwelt wollte Orpheus den gnadenlosen Hades-Plutos zur Herausgabe seiner jung verstorben Braut Eurydike bewegen. Das Klagelied des Sängers rührte selbst die Toten zu Tränen. Seine berühmte Lyra, eigentlich eine Erfindung des schlauen Gottes Hermes, schaut als Sternbild Leier auf uns herab.

1862 schenkten Astronomen der armen Eurydike eine kleine Welt. Orpheus schaffte seinen Aufstieg ins Kleinplanetenreich erst 1982. Seit kurzem trifft man das Paar auch auf dem Asteroiden Eros an: Seine Einschlagskrater sind berühmten Liebespaaren gewidmet.

Die Römer setzten die griechische Demeter mit ihrer Fruchtgöttin Ceres gleich, die nebenbei als Schutzgöttin Siziliens fungierte. In Palermo stöberte Giuseppe Piazzi 1801 den allerersten Kleinplaneten auf. Er taufte ihn deshalb "Ceres".

Die Göttin besitzt den eindrucksvollsten Himmelskörper im ganzen Asteroidengürtel. Durchmesser: 900 km. Die Demeter musste sich 1929 mit einem bloß 27 km kleinen Objekt zufrieden geben.

Einst war die griechische Liebesgöttin Aphrodite empört, weil sie keine Macht im Hades besaß. So wies sie Eros (Amor) an, den schärfsten seiner Pfeile auf den Unterweltgott zu richten. Der Getroffene verliebte sich umgehend in Demeters Tochter. Mit seinen schwarzen Rossen jagte Hades zur Erdoberfläche hoch und entführte Persephone (Proserpina). Sie musste seine Gattin werden.

Das Sternbild der Jungfrau

Aus Trauer und Wut zerbrach Demeter die Pflüge und befahl den Äckern, alle Saat zu unterschlagen. Siziliens Bauern verhungerten. Schließlich entschied Zeus: Persephone sollte ein Drittel des Jahres als Königin der Unterwelt über die Toten regieren. Die übrige Zeit durfte sie mit ihrer Mutter im Olymp weilen. War Persephone mit Demeter vereint, trugen die Felder schwere Ähren. Kehrte sie jedoch zu ihrem finsteren Gemahl zurück, fegten eisige Winde über das Land. Seither verändert sich die Vegetation im Wandel der Jahreszeiten.

Am abendlichen Frühlingshimmel können wir das Sternbild der Jungfrau erkennen. Manche Autoren verwoben es mit Persephone, andere mit Demeter. Im alten Mesopotamien hatte man an dieser Himmelsstelle noch eine Ackerfurche gesehen - oder eine Getreideähre. Auch diese Vorstellung hinterließ Spuren: Bis heute heißt der hellste Stern der Jungfrau "Spica" (lat. Ähre).

Vielleicht stellt das Sternbild aber vielmehr Astraea dar, die Göttin der Gerechtigkeit: Sie flog davon, als Plutos Schätze - damals vor allem Eisen und Gold - zur Ursache von Krieg, Raub und Misstrauen zwischen den Menschen wurden. Es scheint, als wollte Postmeister Karl Hencke die Astraea zurück holen: Er weihte ihr 1845 den ersten seiner beiden Kleinplanetenfunde.

1930 stieß man hinter dem Neptun auf einen neuen Planeten. Als fernster der damals beobachtbaren Himmelskörper zog er durch die denkbar dunkelste und frostigste Region des Sonnensystems. Eine elfjährige Engländerin schlug den passenden Namen vor: "Pluto".

Noch nie ist eine Raumsonde zu ihm vorgedrungen. Wir wissen kaum etwas über sein Antlitz. Dennoch ist beschlossen: Plutos Krater werden, einmal kartiert, die Totengötter verschiedener Völker in Erinnerung rufen. Die astronomische Namensgebung, traditionell von der griechisch-römischen Mythologie geprägt, bekommt zunehmend multikulturellen Charakter. So treffen wir auf den großen Jupitermonden bereits männliche Totengeister und -götter der Kelten, der Hopi oder der Inuit. Auch der ägyptische Anubis hält dort Wache. Die weiblichen Kolleginnen aus der semitischen, slawischen, indonesischen oder polynesischen Totenwelt versammeln sich hingegen auf der Venus - unter anderem die babylonische Ereshkigal.

Pluto ist mit 2.300 km Durchmesser zu schmächtig für einen richtigen Planeten. Sein ganzer Reichtum heißt "Charon" - ein vergleichsweise eindrucksvoller Mond, immerhin halb so groß wie Pluto selbst. Der mythologische Charon war Sohn des Erebos, der Finsternis. Er brachte die Begrabenen, die den Weg in den Hades angetreten hatten, mit seinem Boot über den Klagestrom Acheron. Vorausgesetzt, sie zahlten Fährgeld. Daher schob man den Toten eine Münze unter die Zunge.

Der mürrische, vor Schmutz starrende Charon taucht als "Haros" sogar noch in griechischen Rembetika des 20. Jahrhunderts auf. 1934 richtete ein Musiker an ihn die Frage, wie denn Trinker im Hades ohne Wein auskämen. Der schlammige Acheron war übrigens nur einer von insgesamt vier Unterweltflüssen. Ein anderer hieß "Styx". Nahe des Ufers erhob sich Plutos stygische Stadt, eine Burg mit tausend Toren. Nie spürte sie Enge, egal wie viele Seelen auch Eintritt fanden. Die blutleeren Bewohner fristeten ein Dasein ohne Freude, Trost oder Abwechslung. Als Odysseus am Rande des Hades Schafe opferte, kamen die Schatten hervor, begierig, Tierblut zu trinken.

Giovanni Schiaparelli studierte in Mailand ab 1877 den Mars. Zur Unterscheidung der hellen und dunklen Gebiete griff er unter anderem auf die klassische Mythologie zurück. Andere Beobachter folgten seinem Beispiel. Deshalb stehen mittlerweile auch Erebus, Charon sowie die Flüsse Acheron und Styx Pate für Landschaftsnamen auf dem roten Planeten.

Wesen der Finsterwelt

Der Name der christlichen "Hölle" leitet sich ab von der germanischen Totengöttin Hel. Hels Reich verbarg alle, die nicht in der Schlacht gefallen waren. Auf dem Weg in die Finsterwelt mussten die Toten über eine goldbedeckte Brücke, an der eine Riesin wachte. Den Ein- und Ausgang der griechischen Unterwelt hütete der mehrköpfige "Höllenhund" Kerberos (lat. Cerberus). Herakles (Hercules) stieg einst hinab, um das Untier ans Tageslicht zu zerren. Eine Statue im Schönbrunner Schlosspark hält den Kampf fest. Schließlich versetzte man den Helden als Sternbild Herkules ans Firmament. "Cerberus" fand auf dem Mars eine neue Heimat.

Besonderes Interesse an der Unterwelt bewies der Heidelberger Astronom Max Wolf. Er hob nicht nur Persephone und Hel in den Kleinplanetenhimmel - mit Erynia, Megaira, Alekto und Tisiphone verbeugte er sich zudem vor den Erinyen, den griechischen Rachegöttinnen. Die Römer setzten sie ihren Furien gleich. Die schauerlichen Schwestern hörten die Klagen der Toten. Sie verfolgten Schuldige und trieben diese in den Irrsinn. Dazu reichte ihr Anblick: Tisiphone hingen Nattern ins Gesicht, ihr Mantel war von Mordblut gerötet. An der südwestlichen Fassade des Wiener Naturhistorischen Museums gesellt sie sich zu Pluto und Proserpina. Dort kann man ihr recht gefahrlos ins Gesicht schauen.

Bleiben wir noch ein wenig in Wien. Kleinplanetenjäger Johann Palisa entdeckte hier 1888 die Atropos, eine der Schicksalsgöttinnen. Klotho spann die Lebensfäden der Menschen, Lachesis bestimmte deren Länge, und Atropos, die Unabwendbare, schnitt sie ab. Alle drei ziehen unermüdlich um die Sonne, mit Umlaufszeiten zwischen 3,7 und 5,5 Jahren.

Merkur eilt auf der engsten aller Planetenbahnen dahin. Deshalb entfernt er sich auch am irdischen Firmament nie weit von der Sonne. Man erspäht ihn bestenfalls in der Dämmerung, immer nur kurz und recht niedrig über dem Horizont. Den Alten musste er wie ein steter Wanderer zwischen Tag und Nacht, Göttern und Menschen, Himmel und Erde oder Ober- und Unterwelt erscheinen. Die Griechen verwoben das Gestirn mit Hermes, die Römer mit Merkur. Beide Götter schützten die Reisenden - und begleiteten Menschen auch auf ihrem letzten Weg, hinab ins Schattenreich.

Totenrichter und Lemuren

Dort amtierten drei weitere Söhne des Zeus (also Jupiters) als Totenrichter. Einst hatte Zeus die Königstochter Europa nach Kreta entführt. Sie empfing Rhadamanthys und

Minos, den ersten König der

Insel. Heute tragen Landschaften auf dem Jupitermond Europa die Namen der beiden Brüder. Der dritte Totenrichter, Aiakos, ging leer aus.

Die Römer nannten das Totenreich "Orcus". Sie wollten vor allem in der Erinnerung der Nachwelt weiter leben. Dazu dienten Grab und Grabinschrift. Hinterbliebene suchten die Begräbnisstätte zu Beginn der Lemuria auf. Das drei Tage währende Fest war den Totengeistern, den Lemuren, gewidmet. Als Europäer um 1500 auf Madagaskar landeten, glaubten sie sich wohl von solchen Gestalten umringt. Im Licht der Fackeln leuchteten große, glühende Augen auf: Bis heute heißen deren Besitzer, die Halbaffen Madagaskars, "Lemuren". Raumfahrer werden vielleicht einmal im Orcus oder in Lemuria landen. Das eine Gebiet liegt in der Nähe des Marsäquators, das andere unweit des Nordpols.

Ganz schlimme Frevler wurden von den Göttern in die tiefe Schlucht des Tartaros verbannt. Tantalos war hier zu ewigem

Durst verdammt, Sisyphos musste einen stets wieder zurück rollenden Stein den Berghang hinauf wälzen. Mittlerweile senkt sich der Tartarus in die Marsoberfläche; dort findet man auch den staubtrockenen Tantalus Fluctus und die

Sisyphi-Berge.

Den Mörder Ixion band Zeus an ein brennendes Rad, weil dieser seine Gattin Hera verführen wollte. Seit drei Jahren dreht es sich nicht mehr im Tartaros, sondern jenseits der Neptunbahn. Dort fand man 1992 einen fernen, zweiten Kleinplanetengürtel. Zu seinen mächtigsten Objekten zählt Ixion. Die 1.500 km große, eisbedeckte Welt benötigt - wie Pluto - 248 Jahre für einen Sonnenumlauf.

Vor Einführung des Christentums durften die meisten Menschen bloß auf ein freudloses Schattendasein nach dem Tode hoffen. Der helle Ort der Seligen, das Elysium, war Nachkommen und Lieblingen der Götter vorbehalten. Doch auch gut ausgerüstete Sternfreunde können, dank Schiaparelli, das Elysium erblicken - wenn sie ihr Fernrohr auf den Mars richten.

Freitag, 29. Oktober 2004

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