Der Tod wird immer weltlicher. Zumindest, wenn man die Musik hört, die bei manchen Beerdigungen gespielt wird. Da ist nichts mehr mit "Wenn ich einmal soll scheiden" oder "Ave Maria". Statt dessen wird das Schluchzen der Trauergäste von Stücken wie "Tears in Heaven" von Eric Clapton oder Elton Johns "Candle in the Wind" untermalt. Wobei beide ja noch vom Thema her angemessen sind: Clapton schrieb das traurige Lied, als sein vierjähriger Sohn Connor aus dem Fenster zu Tode gestürzt war, und Elton Johns
Rührstück von der Beerdigung
Lady Di's ist vielen noch in Erinnerung.
Aber auch Rock, Punk und Grunge stehen auf den Begräbnis-Hitlisten mittlerweile ganz oben - eben alles, was der oder die Verstorbene zu Lebzeiten mochte. Nirvana mischt sich oft in die morbiden Top of the Pops ein, aber auch spaßig Gemeintes wie die "Zehn kleinen Jägermeister" von den Toten (!) Hosen. Glaubt man den Aussagen junger Menschen -
also sozusagen den Toten der Zukunft -, wird sich dieser Trend weiter verstärken. Auf Websites wie http://www.lovetalk.de oder http://www.homeworxx.de wird eben nicht nur über Liebe, Sex und Hausaufgaben diskutiert, sondern auch darüber, welche Musik zur eigenen Beerdigung gespielt werden sollte. Die "Bitter Sweet Symphony" von Verve ist dabei oder "With and without you" von U2.
Die meisten finden, dass die Worte eines Priesters nicht so tief rühren können wie das Lieblingslied desjenigen, der im Sarg liegt. Das ist etwas, was auch die etablierten Kirchen erkannt haben. Bei "Kasualien" - also den kirchlichen
Feiern mit besonderem privaten Anlass, wie Beerdigungen und Hochzeiten - sind immer mehr Geistliche bereit, die Welt in Form von Popmusik in die Kirche zu
lassen. "Die Pfarrer sind da oft
sehr entgegenkommend," berichtet Professor Konrad Klek, der Leiter des Instituts für Kirchenmusik an der Universität Erlangen. Wenn
allerdings die Popmusik nicht
vom Band kommen, sondern live geboten werden soll, gibt es Schwierigkeiten: "Die Organisten bremsen oft, weil sie sich als Sachwalter der kulturellen Tradition
sehen."
Dabei hat das Mischen von weltlicher und geistlicher Musik eine lange Tradition. Die Musikwissenschaftler nennen das Kontrafaktur und meinen damit die Übernahme bekannter weltlicher Lieder in
das sakrale Umfeld. Das wurde schon im alten Rom praktiziert,
als die ersten Christen Zirkuslieder mit frommen Texten versahen und bei ihren geheimen Andachten in den Katakomben sangen. Im Mittelalter und in der Renaissance wurde diese Methode weiter gepflegt. Orlando di Lasso etwa arbeitete das Lied "Ich ess' kein Schweinfleisch" in eine Messe ein. Und wer weiß schon, dass Johann Sebastian Bach für den eingangs erwähnten Choral "Wenn ich einmal soll scheiden", der gerne für traditionelle Beerdigungen gewählt wird, ein Liebesliedchen seines Komponistenkollegen Hans Leo Haßler mit dem Titel "Mein Gemüt ist mir verwirret, das macht ein' Jungfrau zart" verwendet hat? Allerdings, so stellt Professor Klek fest, bildete die Kontrafaktur im Unterschied zu der im Gottesdienst importierten Popmusik eine musikalische Einheit.
Die kann heute auch erzielt werden - allerdings eher insgeheim, ohne offiziellen Konzils- oder Landeskirchensegen, und auf recht humorvolle Weise. Britische Tageszeitungen wie "Times" oder "Observer" berichteten in diesem Jahr
von Organisten, die in ihre Choralimprovisationen während der Gottesdienste das Titelthema aus "Krieg der Sterne" einflochten oder die Erkennungsmelodie der TVDauerserie "EastEnders". Für die englischen Kirchgänger, die ihre
Erfahrungen auf der Website http://www.shipoffools.com notierten, war das kein Anlass zur Bestürzung, sondern zu typisch britischen Spielen. Es wurden Wetten abgeschlossen, ob Organisten so mutig wären, Stücke, die ihnen in versiegelten Umschlägen überreicht wurden, in Choräle einzubauen. Simon Jenkins, der Macher der Website und selbst Sohn eines Organisten, findet nichts Schlimmes daran: "Organisten sind oft sehr talentierte Musiker und durchaus in der Lage, so zu improvisieren. Einige machen das, weil sie Spaß daran haben, anderen fallen zu klassischen Kirchenliedern schlicht und einfach keine Improvisationen mehr ein."
Die Angelsachsen gehen an die letzten Dinge also unbeschwerter heran als die Kontinentbewohner. Aus England wird vom Begräbnis eines stadtbekannten Säufers berichtet, dessen Sarg man zu den schmissigen Tönen von "Roll out the Barrel" (Rollt das Fass raus) das Geleit gab. Auch der Kirchenmusiker Klek ist der Meinung, dass weltliche Klänge nicht einfach aus der Kirche verbannt werden können: "Die Lebenswelt der Menschen hat mit dem kirchlichen Milieu wenig zu tun." Die Leute wollen gerade bei sehr intimen Anlässen wie Beerdigungen oder Hochzeiten Musik hören, die sie gewohnt seien: "Die Musik, die in der Kirche gespielt wird, kann nicht von einem anderen Stern kommen", sagt der Musikwissenschaftler Klek und steht deshalb Pop und Rock an Sarg und Altar durchaus offen gegenüber. "Allerdings machen es sich manche Leute zu einfach und wählen Stücke, die nicht in die Kirche passen." Etwas mehr Gespür für den sakralen Akt sei angebracht.
Um dieses Gespür zu entwickeln, bieten viele Pfarrämter Unterstützung bei der Wahl der Musik an. Der Bundesverband Deutscher Bestatter stellt derzeit sogar eine CD-Sammlung mit Titeln zum Thema Tod zusammen. Ob diese Kompilation allerdings Fans von Cobain oder Campino wirklich überzeugen wird, bleibt abzuwarten. Individueller wird da in Wien vorgegangen: Hier kooperieren seit über 80 Jahren Bestattungsunternehmer mit Sängern und Musikern der Wiener Staats- und Volksoper. Das Repertoire erstreckt sich von Gregorianischen und anderen Chorälen bis hin zu Wienerliedern, Schlagern und immer stärker auch Hits aus den Top Ten.
Vielleicht liegt die Lösung, die Puristen wie experimentierfreudiges Kirchenvolk zugleich befriedigt, weder auf der Orgelempore noch im CD-Spieler der Aussegnungshalle, sondern auf dem Kirchturm. Dort kann es ziemlich weltlich
tönen, wenn der Turm ein nichtautomatisches Glockenspiel hat. Michael Dierks, der Kantor der deutschen St.-Gertruds-Gemeinde in Stockholm, ließ auf dem Glockenspiel des Turms Marlene Dietrichs "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" und "Hey Pippi Langstrumpf" erklingen. 95 Prozent der Zuhörer, so Dierks, hätten das goutiert: "Nur drei oder vier regten sich auf."
Der Kirchenvorstand hat nichts gegen Pippi und Marlene auf dem Kirchturmglockenspiel. "Im Gottesdienst," sagt Dierks, "würde ich das als seriöser Kirchenmusiker nicht machen. Aber der Turm ist etwas anderes. Das schallt über die ganze Stadt und geht weit über die Kirche hinaus." Ein talentierter Glöckner würde es sicherlich schaffen, mit einem Stück von Nirvana oder U2 die letzte Stunde schlagen zu lassen . . .
Freitag, 29. Oktober 2004