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Faschingsbeginn mit Henker

Am 11. 11. 1933 wurde die Todesstrafe in Österreich eingeführt
Von Thomas Karny

Im November 1933 war die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß seit eineinhalb Jahren an der Macht. Seit acht Monaten regierte sie autoritär, nachdem der Kanzler den Rücktritt des Nationalratspräsidenten Karl Renner und seiner beiden Stellvertreter dazu genutzt hatte, das Parlament aufzulösen. Dies brachte sechs Millionen Menschen die Knechtschaft des "Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes" und eine Reihe von Notverordnungen. Die Presse stand unter der Oberaufsicht eines Zensors, der "Republikanische Schutzbund" wurde im März 1933 ebenso in die Illegalität gedrängt wie zwei Monate später die Kommunistische Partei. Den Arbeitern wurde der 1. Mai genommen und der kommunistischen "Roten Fahne" verboten, ihre Unterstützungstätigkeit für in Not geratene Genossen fortzusetzen. Als den Angehörigen oppositioneller Selbstschutzverbände das Tragen von Uniformen verboten und der Gebrauch von roten Flaggen, Fahnen und Wimpeln unter Strafe gestellt wurde, legten dagegen sowohl die Landesregierung des roten Wien als auch jene der braunen Steiermark verfassungsrechtliche Beschwerde ein. Das Ergebnis war die Beschlussunfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs, die durch erpresste Rücktritte herbeigeführt worden war.

Not, Elend, Selbstmorde

Auf der Straße herrschte die blanke Not. Eine katastrophale Wirtschaftslage hatte eine halbe Million Menschen in die Arbeitslosigkeit geführt, von denen Zehntausende bar jeder öffentlichen Zuwendung als so genannte Ausgesteuerte im Bettel vegetierten. Massenentlassungen in obersteirischen und niederösterreichischen Industriezentren warfen nahezu jeden Dritten auf das harte Pflaster der Erwerbslosigkeit. Wer kein Licht im langen Tunnel der Not erkennen konnte, wählte als letzten Ausweg den Strick, sprang vom Hochhaus, öffnete den Gashahn - und nahm oft noch Weib und Kinder mit. Jährlich mehr als tausend Selbstmorde allein in Wien füllten die Statistiken.

Die Sozialdemokratische Partei hatte als Anwältin der Arbeitenden versagt. Zur hilflosen Samariterin der Arbeitslosen gewandelt, hatte sie insgeheim längst kapituliert. Wohl geißelten ihre Führer die Not, in die die christlich-soziale Regierung das Land geführt hatte. Doch den Worten folgten keine Taten. Und die Konzilianz, mit der den Christlich-Sozialen in falscher Hoffnung auf Verhandlungen begegnet wurde, bewirkte, dass bereits die ersten Genossen der Partei enttäuscht den Rücken kehrten.

Anders die Nationalsozialisten. Gestärkt durch die Tatsache, dass Adolf Hitler seit Anfang 1933 deutscher Reichskanzler war, zielten sie ohne Wenn und Aber auf den Umsturz. Am 19. Juni 1933 warfen zwei Nationalsozialisten in der Nähe von Krems Handgranaten in eine Gruppe von rund sechzig christlich-deutschen Turnern, töten zwei und verletzten dreizehn schwer. Am selben Tag wurde die Nationalsozialistische Partei verboten, ihren Abgeordneten in Gemeinderäten und Landtagen die Mandate aberkannt. In Bayern bildete sich die österreichische Legion geflüchteter Nationalsozialisten. Deutsche Flugzeuge flogenRichtung Österreich, verletzten in Salzburg und Oberösterreich wiederholt den österreichischen Luftraum und ließen Hakenkreuz-Fähnchen und Flugblätter aus ihren metallenen Bäuchen flattern: "Zahlt keine Steuern!" - "Hebt Eure Spareinlagen ab!" - "Grüße aus Deutschland, wenn schon keine Besucher mehr kommen!"

Seit diesem Sommer mussten deutsche Touristen 1.000 Reichsmark bezahlen, wenn sie in Österreich urlauben wollten. Die Alpenrepublik stand am Beginn ihrer Auslöschung, vorerst nur symbolisch. Im Telefonverkehr der Deutschen Reichspost wurde das Wort "Österreich" als Buchstabenbezeichnung für den Umlaut "Ö" gestrichen und durch "Öse" ersetzt.

In hoher Not eilte der Klerus dem österreichischen Bundeskanzler zur Hilfe. Vier Kardinäle und dreißig Bischöfe gaben sich im September 1933 die Ehre, ein hungerndes und darbendes Volk in seinem Glauben an Gott und Staat zu stärken. Der Allgemeine Deutsche Katholikentag gab Dollfuß den passenden Rahmen, nicht nur "den sozialen, christlichen und deutschen Staat auf ständischer Grundlage und starker autoritärer Führung" zu propagieren, sondern auch in aller Demut den Naziterror als Ergebnis von Missverständnissen auf deutscher Seite zu werten. - Drei Wochen später verübte ein ehemaliger Gefreiter des Bundesheeres ein Schussattentat auf den Bundeskanzler und verletzte ihn am Oberarm.

Dieses Attentat auf Dollfuß lieferte der Regierung letztlich das Argument, in Österreich wieder einen Henker einzusetzen. Da die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren mit der Bundesverfassung 1920 abgeschafft worden war, war ihre Wiedereinführung nur über den Umweg der Standgerichtsbarkeit möglich. Diese konnte eingesetzt werden, wenn bestimmte Gewalttätigkeiten "in besonders Gefahr drohender Weise um sich greifen", wobei die Einschätzung im freien Ermessen der zuständigen Minister für Justiz, Kurt Schuschnigg, und Inneres, Engelbert Dollfuß, lag. In der Ministerratssitzung vom 10. November 1933 wurde die Verhängung des Standrechts beschlossen, am nächsten Tag trat es in Kraft. Es galt für die Delikte des Mordes, der Brandlegung sowie für das Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit und richtete sich gegen Personen, die auf frischer Tat ergriffen wurden oder deren Schuld ohne Verzug feststellbar war.

Das Verfahren wurde von einem aus vier Richtern und einem Staatsanwalt bestehenden "fliegenden Senat", der am Oberlandesgericht Wien seinen Sitz hatte und falls notwendig zum zuständigen Landesgericht anreiste, geführt und dauerte längstens drei Tage. Bei einstimmiger Bejahung der Schuldfrage endete es mit einem Todesurteil, das nach spätestens drei Stunden zu vollstrecken war. Gegen das Urteil war kein Rechtsmittel zulässig, einzig eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten war möglich.

Der Zeitpunkt der Verhängung des Standrechts war aus Sicht der Regierung günstig gewählt. Es lieferte die Gewähr, die zu erwartenden Ereignisse am 12. November unter Kontrolle halten zu können. Die Regierung fürchtete nicht so sehr die Demonstrationen der Sozialdemokraten anlässlich des 15. Jahrestages der Republiksausrufung, sondern vielmehr die Nationalsozialisten, die der Erfolg bei den just an diesem Tag in Deutschland stattfindenden Reichstagswahlen zu Aktionen verleiten könnte, die den überschaubaren Rahmen von Straßenschlachten bei weitem sprengen könnten. Auch würde man mit dem Standrecht die Feiern zum zehnjährigen Amtsjubiläum von Wiens Bürgermeister Karl Seitz, einen Tag später, fest im Griff haben. Mit einem Fackelzug über die Ringstraße und einer Feier vor dem Rathaus wollten die Wienerinnen und Wiener ihren Bürgermeister hochleben lassen. Beides war ihnen verboten worden.

Schließlich fiel nun auch jener Grund weg, der die Regierung davon abgehalten hatte, bereits im Juni das Standrecht zu verhängen, als es aufgrund der Intensität des Terrors viel eher gerechtfertigt gewesen wäre: die Rücksichtnahme auf die Interessen des Fremdenverkehrs. Zwar war die Todesstrafe in weiten Teilen Europas akzeptiert und in Kraft, die Verhängung des Standrechts zeugte jedoch von der Schwäche des Staates und von unsicheren Verhältnissen im Land. Sie hätten Touristen möglicherweise davon abgehalten, ihren Urlaub in Österreich zu verbringen, der wirtschaftliche Schaden wäre groß gewesen. Der Staatssekretär für das Fremdenverkehrswesen, Odo Neustädter-Stürmer, zeigte sich erleichtert: "Wenn also das Standrecht verhängt werden muss, ist es zweckmäßig, dies jetzt in der toten Saison zu tun, damit sich bis zum Einsetzen des Winterreiseverkehrs der Eindruck im Ausland schon wieder verwischt hat."

Und so begann 1933 in Österreich der Fasching mit der Wiedereinsetzung des Henkers. Ausgeführt wurde dieses Amt von Johann Lang, einem Neffen des berühmten k. u. k. Scharfrichters Josef Lang. Gemeinsam mit seinen Helfern, einem Fiakerfahrer und einem Markthändler, vollzog er die Justifizierungen am berüchtigten österreichischen Würgegalgen. Anders als beim englischen Galgen fiel der Delinquent nicht nach dem Öffnen einer Falltüre in die Schlinge und erlitt den Tod durch Genickbruch, sondern wurde von den Henkershelfern an den Schultern in die Schlinge gedrückt oder an den Beinen in dieselbe gezogen. Dabei wurde die Blutzufuhr unterbrochen, der Tod trat durch Hirn- oder Herzschlag ein.

Aus den Zeitungen war zu erfahren, dass damit "einem lang gehegten Wunsche der ganz überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung" entsprochen worden sei. Den Lesern der "Wiener Zeitung" gab sich Justizminister Schuschnigg "schon seit jeher als ein Anhänger der Todesstrafe" zu erkennen, der "die Todesstrafe für etwas vollkommen Erfreuliches" hielt. Von den Kirchenkanzeln wurde ein Hirtenbrief verlesen, in dem die österreichischen Bischöfe die Wiedereinführung der Todesstrafe befürworteten, "um Leben und Sicherheit der friedlichen Bevölkerung wirksam zu schützen".

Vorgeblich als Mittel zur Eindämmung des vor allem rechten Terrors eingeführt, wurde das Standrecht zunächst gegen Kriminelle ohne politische Motivation und später gegen Linke eingesetzt. Das erste Opfer war der körperlich wie geistig behinderte Taglöhner Peter Strauß, der angeblich einem Keuschler im südsteirischen Aflenz den Heustadel angezündet hatte. Verletzt wurde niemand, doch der Sachschaden war mit 2.500 Schilling hoch genug, um Strauß vor das Standgericht zu bringen. Die Gendarmerie ermittelte schlampig und zog nie einen anderen Täter in Betracht. Den Indizien, dass der Keuschler selbst das Feuer gelegt haben könnte, um seinen verschuldeten Hof mittels eines Versicherungsbetrugs zu retten, ging man nicht nach. Das Gericht war an der Wahrheitsfindung nicht wirklich interessiert und verurteilte Strauß am 11. Jänner 1934 - gemäß den Vorgaben der Standgerichtsbarkeit - zum Tode. Die Gnadengesuche waren zahlreich und wurden auch von den vier Richtern des Standgerichtshofes unterstützt. Angesichts der Tatsache, dass im ersten Standgerichtsprozess im Dezember 1933 ein oberösterreichischer Bauernsohn nach dem Mord an einer von ihm geschwängerten Magd zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, schien es nur folgerichtig, dass Strauß für eine ungleich geringere Tat vor dem Galgen bewahrt würde.

Empörung über Hinrichtung

Es kam anders. Der kriminelle Gehalt der Brandstiftung von Aflenz war zwar gering, ihre politische Verwertbarkeit jedoch, so meinten die Regierenden in ihrem menschenverachtenden Kalkül, dafür umso größer. Das Jahr 1934 hatte mit einer unvergleichlichen Terrorwelle begonnen, in der ersten Jännerwoche gab es 140 Sprengstoffattentate. Die Regierung forderte ein abschreckendes Exempel, statuiert sollte es an dem südsteirischen Taglöhner werden. Der entscheidende Antrag der Bundesregierung, kraft dessen es ausschließlich dem Bundespräsidenten möglich gewesen wäre, eine Gnadenverfügung zu treffen, blieb aus. Im Ministerrat vom 10. November 1933 hatte Schuschnigg noch gemeint, dass ein Gnadenantrag "in jedem Fall dann zu stellen ist, wenn das Verbrechen nicht tatsächlich ein Menschenleben gefordert oder besonders großen Sachschaden angerichtet hat". Beides traf auf Strauß zu. Beides wurde nicht berücksichtigt. Am Nachmittag des 11. Jänner 1934 wurde Strauß im Hof des Grazer Landesgerichts hingerichtet.

Die Vollstreckung des Urteils führte in der Bevölkerung zu größter Empörung. In Briefen an höchste politische Repräsentanten brachten einfache Bürger ihre Wut zum Ausdruck, entsprechende Flugblätter wurden in Umlauf gebracht, man sah eine "Galgenregierung" am Werk. Im Übrigen wirkte das Exempel keineswegs abschreckend, um die braune Gewalt und die Kulminierung des politischen (Straßen-)Kampfes aufhalten zu können. Auf die Erhebung der Schutzbündler im Februar 1934 antwortete die Regierung mit Artillerie und der Ausdehnung des Standrechts auf Aufruhr. Ein halbes Jahr später ermordeten Nationalsozialisten im Zuge eines Putschversuches Bundeskanzler Dollfuß, vier Jahre später stand Österreich am Abgrund.

Nach dem Krieg erfolgte die Abschaffung der Todesstrafe schrittweise: 1950 wurde sie im ordentlichen Verfahren und 1955 im Volksgerichtsverfahren, das gegen NS-Täter angewandt wurde, abgeschafft. Die Standgerichtsbarkeit wurde erst 1968 abgeschafft.

Thomas Karny ist Autor des Buches "Der Tod des Taglöhners" (Edition Geschichte der Heimat, 178 Seiten) über den Fall Peter Strauß.

Freitag, 31. Oktober 2003

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