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Was bedeutet "zwiezach"?

Ein Salzburger Wachszieher erinnert sich
Von Reinhard Kriechbaum

Und wieder flackern in den Tagen um Allerheiligen und Allerseelen Millionen Lichter aus Wachs oder Stearin auf den Gräbern. "Wussten Sie, dass in Österreich und im süddeutschen Raum auch heute noch mehr Wachs für Grablichte gebraucht wird als für Kerzen?" Das ist eine Besonderheit im mitteleuropäischen Raum, erklärt Kurt Weinkamer, der die Wachszieherei nicht nur als Gewerbe betrieben hat, sondern sich mit dem Thema auch historisch beschäftigt.

Im Wachszieher-Gewerbe ist in den vergangenen 20, 30 Jahren kein Stein auf dem anderen geblieben. Aus dem alten, traditionsreichen Handwerk ist eine Industrie geworden. "Die Abnehmerseite hat sich stark gewandelt", sagt der pensionierte Salzburger Wachszieher Kurt Weinkamer bedauernd. In den fünfziger Jahren gab es noch 250 Großhändler in Österreich, "jetzt teilen sich sechs oder sieben Handelsketten das Geschäft." In Österreich gibt es derzeit nur mehr ein EU-relevantes Unternehmen, das Kerzen erzeugt (Hofer in Weyer/Oberösterreich). Einige wenige Familienunternehmen betreiben noch Lebzelterei und Wachszieherei in Personalunion. "Die Herstellung von künstlerischen Wachsobjekten ist vom Gewerbe in die Heimarbeit gewandert." Auch die Verwendung von Kerzen hat sich entscheidend gewandelt, von der kirchlichen Verwendung hin zum Profanen. "Mit Einführung des Volksaltars schrumpfte rapide der Bedarf an repräsentativen Altarkerzen", klagt der Wachszieher. Dafür sind Tischkerzen daheim und in Restaurants immer gefragter.

Die Wachskunst: Das war die Domäne von Kurt Weinkamer und seinem Traditionsunternehmen, das bis 1986 bestand. Der Name Weinkamer hat einen guten Klang bei Leuten, die sich mit Wachs-Antiquitäten beschäftigen. Vier Generationen dieser in Salzburg ansässigen Familie widmeten ihre Kunst der Wachszieherei. "Der Urgroßvater war noch ein gelernter Lebzelter", weiß Kurt Weinkamer. Die Söhne begnügten sich nicht mehr mit der Arbeit für die unmittelbare Umgebung. Die Firma wurde rasch größer, und schon um 1870 verschickte man gedruckte Preislisten. Wachsbossierte Köpfe für Krippenfiguren, Gloriaengel, Jesusfiguren, ein reiches Sortiment an Votivfiguren, Passionsszenen, Andachtsfiguren wie das "Prager Jesuskind" - und natürlich reich verzierte Kerzen und Wachsstöcke. Um die Jahrhundertwende erschienen reich bebilderte Musterkataloge. Weinkamer-Produkte waren noch im entferntesten Winkel der Donaumonarchie zu haben.

Eine solche Wachs-Manufaktur erforderte viele spezielle Tätigkeiten. Das Wachs musste gebleicht, gefärbt, vorbereitet werden. In der Zieherei brodelte ein Dampfkessel, mit Zugmaschinen wurden Hunderte Meter Docht durch Wannen mit flüssigem Wachs gezogen. Die Vorrichtung sah auch eine Lochschablone vor, die für die konstante Dicke der Kerzen sorgte. Solche maschinell erzeugten "Wachsfäden" konnten bis zu acht Zentimeter dick sein und wurden auf Kerzenlänge geschnitten. Dann kamen sie unter die flinken Finger der Verzierer. Es galt, immer genügend Vorrat an Ornamenten und Dekorelementen bereit zu haben, für Kerzen und Einzelheiten an den Figuren. Dafür waren die Ausstecher zuständig. Die Gewänder der Figuren wurden ebenfalls aus dünnen Wachsfolien geschnitten oder ausgestochen. Bis zu sechzig Menschen waren in dem Unternehmen angestellt.

Eine Sonderform der Kerze ist der so genannte "Wachsstock": ein Wachsfaden mit Docht, zum Knäuel gewickelt oder zu speziellen kunsthandwerklichen Objekten (etwa in Form eines Gebetbuchs) geformt. Es ist eine Art "unendliche Kerze", die in schmuckloser Zeit in früheren Jahrhunderten in keinem Haushalt fehlte.

Bis 1949 wurde in der Manufaktur in der Salzburger Steingasse auch Wachs gebleicht: ein aufwändiger Vorgang, der obendrein vom Wetter abhängig ist. Da hat der Salzburger Schnürlregen sich nicht immer positiv ausgewirkt. Überhaupt war die Wachszieherei von Wetter und Jahreszeit abhängig: "Im Sommer konnten wir nur dünne Dinge, etwa Christbaumkerzen, machen. Dickere Objekte wären nicht fertig - also: kühl - geworden." Bienenwachs schmilzt bei ungefähr 70 Grad, Paraffin gar schon bei 54 bis 56 Grad. "Zwiezach muss das Wachs sein", sagt der Meister - und er äugt misstrauisch, als ich das Wort notiere: "Zwiezach heißt: nicht zäh, aber auch nicht zu weich." Geschrieben habe er diesen Ausdruck nie.

Kurt Weinkamer holt ein Stück aus seiner persönlichen Sammlung hervor: Auf den ersten Blick könnte man die Früchte für echt halten, aber sie sind eben aus Wachs. Und deshalb ist auch nicht der Wurm drinnen, sondern eine kleine Heiligenfigur, gerade zwei Zentimeter groß, ebenfalls aus Wachs. Eine Seite der innen hohlen Äpfel und Birnen ist zum Aufklappen, und drinnen findet man die heilige Maria mit Kind und manch anderes fromme Motiv. "Wir hatten eine religiöse und eine profane Linie im Sortiment", erinnert sich Weinkamer. Also nicht nur erbauliche Schaustücke, sondern auch Äpfel und Birnen mit Märchenmotiven. "Schneewittchen und die sieben Zwerge - eine solche Filigranarbeit war schon nicht mehr zu überbieten."

Kurt Weinkamer ist auch leidenschaftlicher Historiker. Er hat die Dokumente seines Unternehmens fein säuberlich gesammelt und zeigt Mappen mit Katalogen in

polnischer und ungarischer Sprache, manche noch aus den

Monarchie-Jahren. Auch Preislisten in Französisch und Spanisch sind gedruckt worden. Die katholischen Länder Osteuropas waren vor

dem Zweiten Weltkrieg ganz

wichtige Abnehmer. "Da sind wir als Buben damit beschäftigt

gewesen, Jesuskinder für den

Transport nach Ungarn versandfertig zu machen. Die zarten Arme wurden mit Seidenpapier umwickelt, dann kamen die Figuren in Holzkistchen mit Holzwolle." Besonders heikel waren die Wachsfiguren unter Glasstürzen. Das Verpacken der ja nicht nur bei direkter Sonneneinstrahlung schmelzenden, sondern auch äußerst filigranen und daher zerbrechlichen Kunstwerke erforderte eine eigene

Logistik. Man exportierte sogar

in die USA und nach Kanada. Auch die Wachszieher mussten mit der Zeit gehen und sich immer wieder auf neue Nachfragen einstellen.

Lächelnd zieht Kurt Weinkamer

aus einer Mappe einen Werbezettel hervor: Da werden Sportler zitiert, die sich lobend über Skiwachs

aus seinem Hause äußern. So etwas überrascht, denn der Firmenname ist ja untrennbar mit kunsthandwerklichen Produkten verbunden.

Freitag, 01. November 2002

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