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Von Steinen und Menschen

Über Denkmäler, Gräber und andere Erinnerungszeichen
Von Beatrix Neiss (Text und Fotos)

Erst wenn die Tage kürzer werden und die Sonne sich verabschiedet, beginnt so mancher Mensch - hier in Mitteleuropa - Pausen einzulegen zwischen dem ständigen Hin- und Herrennen, dem unentwegten Sich-informieren-Müssen, dem Streben nach einem nebelverhangenen Bild, das sich am Horizont der Gegenwart zeigen mag. Der so genannte Aktivitätskult bekommt Risse, wird durchlässig und manchmal auch zugänglich für Wege, die der Frage nach Vergänglichkeit und Ewigkeit nachspüren.

Und so gelangt man fast unweigerlich zur Bedeutung des Schreibens in seinem ursprünglichen Sinn: das lateinische Wort "scribere" (ritzen) und das griechische "graphein" (graben), werden in der Etymologie als Handlung gedeutet, die in einen Gegenstand etwas hineingrub und sich dabei eines keilförmigen Werkzeuges, des "stilus" bediente.

Dadurch entstanden die bedächtig und behutsam gemeißelten Inschriften in Stein- oder Lehmtafeln.

Wird der Ursprung des Wortes Information als "in etwas eingraben" gesehen, so könnte - laut Vilém Flusser - das Informieren auch dazu dienen, der "zum Wärmetod tendierenden Materie den Geist entgegenzusetzen". Damit ist jedoch das Problem verbunden, dass alles, was in Gegenstände geritzt wird, vergänglich ist. Es wird mit der Zeit vergessen. Wer, mit den Worten Flussers, "grabend schreibt, kann nur wollen, dass der von ihm gegrabene Gegenstand nicht zu schnell verwittert". Somit sind die Trägermaterialien für die Information auch die Gedächtnisse der Zeit. Je besser ein in dieser Weise verstandenes Gedächtnis ist, desto mühsamer ist es, etwas hinein zugraben.

Bronze oder Marmor sind ideale Beispiele für das kräfteraubende Unterfangen, Informationen dauerhaft zu erhalten. Mit der Wahl des Materials entscheidet sich, wie lange das Vergessen verzögert werden kann.

Gegen die Verwitterung

Wir wollen nicht vergessen werden. Zu diesem Zweck setzen wir Denkmäler, formen Skulpturen und drucken unsere Gedanken in Bücher. Dabei spiegeln Denkmäler, Gräber und Skulpturen wohl am stärksten unseren verzweifelten Kampf gegen die Verwitterung wider. Der weit verbreitete Glaube, dass das Vergessenwerden durch die richtige Materialwahl wirkungsvoll bekämpft werden könnte - in Kombination mit Prestige- und Statusdenken - führen zu den diversesten Grabsteinüberlegungen. Etwas differenzierter ist der Wunsch des Künstlers James Lee Byars zu verstehen, der eine vergoldete Tuffsteinkugel als idealen Grabstein sah. Auf die Frage, wieso es gerade eine Steinkugel sein müsse, soll Byars geantwortet haben: "Damit ich auch nach meinem Tod meine Freunde besuchen kann - ich rolle als Kugel zu ihnen." Die etwas makaber erscheinende Antwort ist allerdings verständlich, sieht man die Kugel als abstrakte und perfekte Form, die weder Anfang noch Ende besitzt. Die Ewigkeit ist in eine Goldkugel aus Stein gebannt, die in der Gedankenwelt des Künstlers Byars das gesamte Licht von Sonne und Mond beherbergt.

Dadurch entsteht ein poetisches Bild vom Weiterleben - und es drängt sich hier der zaghafte Versuch auf, die Kunst als Vermittlerin des so genannten "Raumes dazwischen" zu begreifen.

Vielleicht war ein ähnlicher Gedanke Ausgangspunkt für die Pläne des Architekten Christof Riccabona zum "Park der Ruhe und Kraft" am Wiener Zentralfriedhof. Es wurden hier sowohl bearbeitete als auch unbearbeitete Steine zu Gruppen und Plätzen angeordnet, um ein kraftspendendes Gesamtbild für Augen und Seele zu kreieren. Abschiednehmende Menschen können so Kraft und Stärke für das eigene Weiterleben als Geschenk mitnehmen.

An jenem Ort ist auch Leopold Grausam, der technische Leiter der Städtischen Steinmetzbetriebe, der für die Ausführung des Parks verantwortlich zeichnet, anzutreffen. Er ist einer der letzten Steinmetzen, die kraft ihrer Persönlichkeit die Wege des Steines nachzeichnen können.

Aus einer Künstlerfamilie kommend, galt seine Leidenschaft seit Kinderzeiten dem Schauspiel und dem Marionettentheater. Und weil er etwas "Anständiges" lernen sollte, begann er die Steinmetzlehre. Nach seinen "Wanderjahren" in den Bundesländern fand er den Weg wieder zurück in die Städtischen Steinmetzbetriebe - wo er seit nunmehr fast 42 Jahren wirkt. Neben seinem umfassenden Wissen über Steine, Mythen und Religionen ist er Bildhauer und zeichnet als Berater für die Verwirklichung so mancher Denkmäler verantwortlich.

Für Leopold Grausam - ein Humanist durch und durch - ist der Stein kein totes Material, sondern eine lebendige Kraft, die wie Menschen und Orte eine unverwechselbare Ausstrahlung haben. Der Stein folgt seiner Meinung nach einem Kreislauf - wie alles Leben.

"Bei der Verwirklichung zum Park der Ruhe und Kraft war es notwendig, dass alle mit Herzblut dabei waren. Das Setzen der Steine, die Formgebung und der gesamte Eindruck, der damit verbunden ist, haben auch mit unserer persönlichen Ausstrahlung bei der Arbeit sehr viel zu tun", erklärt der Steinmetzmeister.

Wie wichtig ihm die Symbolik für ist, bewies er insbesondere beim Denkmal am Morzinplatz, für das die Städtischen Steinmetzbetriebe einen 310 Millionen Jahre alten Stein aus dem Steinbruch Mauthausen auswählten. Die Symbolik umreißt Leopold Grausam mit folgenden Worten: "Es war der Standort der Gestapo. Die Leute wurden dort inhaftiert und kamen ins KZ Mauthausen. Der Granitsteinbruch der Stadt ist eng mit diesem Ort verbunden." Womit speziell das Denkmal am Morzinplatz als "Gedächtnis" und "steinerner Zeitzeuge" verstanden werden kann.

Umfassende Kenntnisse aus den verschiedensten Wissensbereichen und Feinfühligkeit sind für die Steinmetzen auch bei klassischen Friedhofsaufträgen notwendig. Neben Lebensdaten und Sprüchen werden Glaubens- und Handwerkszeichen in das Material quasi "eingeschrieben". Seltene Zeichen und Buchstaben werden originalgetreu übertragen und neu gemeißelt.

Die Steinmetzzeichen

Jede Zeitepoche setzt ihre eigenen Zeichen. So ist auch die Wichtigkeit der so genannten Steinmetzzeichen zu verstehen, die genauso an den Steinen des Stephansdoms zu sehen sind. "Jede fertige Arbeit, jedes Denkmal, wird durch die Lehrlinge und den Meister signiert. Und so erhält der Stein erst durch die Insignien der Steinmetzzeichen seine Bedeutung", erklärt Grausam die Ähnlichkeiten zwischen den Steinmetzen aus früheren Tagen und heute.

Die Städtischen Steinmetzbetriebe bearbeiten nicht nur "neue" Steine, sondern auch bereits gebrauchte, die - laut Friedhofsverordnung - im Zuge einer Grabauflassung wiederverwendet werden können. Dabei handelt es sich um einen bereits behandelten Stein, der neu beschrieben oder umgearbeitet wird. In jedem Fall sind die Arbeitsschritte die gleichen: Die Oberfläche des Steines wird zuerst per Hand, am Ende mit Hilfe der Poliermaschine geglättet. Schriften werden neu gemeißelt, graviert und mit Farbe oder Blattgold bestrichen und geklebt. Durch die arbeitsintensive Bearbeitung sei ein neuer Stein, laut Auskunft der Steinwerkstätte, mitunter billiger als ein wieder aufbereiteter.

Monumente und Gräber, die nicht mehr gepflegt werden, müssen laut Friedhofsverordnung entfernt werden, d. h. der sichtbare obere Teil des Grabes wird auf Kosten der Städtischen Verwaltung abtransportiert - und die unbrauchbaren Steinreste landen auf einer eigenen Deponie.

Einer anderen Art der Wiederverwertung konnte ich zufällig am Wiener Stadtrand begegnen, wo ein Bachbett mit alten Grabsteinen eingefriedet wurde. Nichts Ungewöhnliches, wenn der Spaziergänger nicht gerade auf einen Stein tritt, der eine identifizierbare Inschrift trägt. Im Lesen der Inschrift, im Begreifen der gemeißelten Schriftzüge entsteht gleichsam ein Moment der Emotion. Und ich erinnere mich an die ursprüngliche etymologische Bedeutung von "Scribere": der Mensch ritzte Zeichen und Daten in den Stein, grub Informationen ein, und ein Entsetzen vor dem Gesehenen, Begriffenen entstand. Leben wurde, allein durch die eingemeißelten Zeichen und Buchstaben, aufgefunden an einem unerwarteten Ort.

Erst hier kann ich das Motiv jedes Steinmetzes begreifen, der seine Handschrift sichtbar machen will. Möglicherweise ist es auch die Angst vor der Kraft des Wassers, das den Stein befreit, formt und am Ende wieder zu sich holt.

Freitag, 01. November 2002

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