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Abbauprozesse

Was geschieht mit dem Körper, wenn der Mensch stirbt?
Von Ingeborg Hirsch

Am Morgen des 9. Oktober schloß Herr B. seine Augen, um sie nicht mehr zu öffnen. Der herbeigerufene Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Die klassische Definition des Todes

ist der irreversible Stillstand von

Atmung und Kreislauf; eine modernere, und auf die Fortschritte der Transplantationstechnik Rücksicht nehmende, die des Hirntodes,

des Fehlens jeglicher hirnelektrischer Aktivität. So wird zwischen dem lebendem Menschen und dem Leichnam noch eine Zwischenstufe geschaffen, ein "hirntoter noch überlebender übriger Körper", die eine Organentnahme bei intaktem Kreislauf und Durchblutung gestattet.

Der Sterbeprozess selbst beschreibt einen stufenweisen biologischen Vorgang. Wenige Minuten nach dem Herzstillstand sind die Sauerstoff- und Energiereserven der einzelnen Zellen aufgebraucht und es beginnt ein langsames Absterben. Zuerst gehen die empfindlichen Zellen des Nervensystems zugrunde, dann folgen andere Organe wie Herz und Leber und schließlich stoffwechselarme Zellverbände wie z. B. die Hornhaut der Augen. Dieser Prozess ist temperaturabhängig und kann mehrere Stunden dauern.

Das Erleben des Todes wird von Menschen, die an seiner Schwelle standen und wieder zurückgeholt wurden, relativ gleichartig beschrieben. Sie erzählen von einer völlig schmerzfreien Trennung vom Körper, von sehr klaren Bewusstseinszuständen, einem Gefühl der Leichtigkeit und des Wohlbehagens, von dunkeln Tunneln mit einem hellen Licht am anderen Ende und vom Abspielen des eigenen Lebenspanoramas. Der zurückbleibende Körper wird als fremde Substanz und in keiner Weise mehr zum Selbst gehörig empfunden.

Die Neurophysiologie versucht diese Geschehen als eine Folge von wachtraumartigen Halluzinationen zu erklären, die durch funktionell veränderte Gehirnzustände in Folge des Sauerstoffmangels entstehen. Die Psychologie sieht sie als Umstrukturierungen des Bewusstseins, die den tiefverankerten Sinnbedürfnissen des Menschen entsprechen.

Auf körperlicher Ebene werden mit dem Tod eine Reihe von Abbauprozessen in Gang gesetzt. Frühestens eine Stunde nach dem Herzstillstand bilden sich blaurote bis blauviolette Leichenflecken, Livores, aus. Sie entstehen durch das Absinken des Blutes in tiefergelegene Körperregionen, bei Menschen in Rückenlage treten sie im rückwärtigen Bereich auf; nur Stellen, die einem direkten Druck auf die Blutgefäße, z. B. durch Kleidung oder Aufliegen, ausgesetzt sind, bleiben ausgespart. "Kirchhofrosen" nennt man Totenflecken, die schon beim Lebenden, bei altersschwachen Menschen mit nachlassender Herzkraft auftreten.

Nach ungefähr zwei Stunden setzt die Totenstarre (Rigor mortis) ein. In den meisten Fällen beginnt die Totenstarre an der Unterkiefer- und Nackenmuskulatur und wandert körperabwärts. Sie entsteht durch das Absinken des ATP-Spiegels - Adenosintriphosphat (ATP) ist der wichtigste Energielieferant des intermediären Stoffwechsels und spielt bei der Muskelkontraktion eine große Rolle - in den Muskelzellen und dem damit einhergehenden Verlust an Dehnbarkeit.

Die Totenstarre betrifft die gesamte Muskulatur, kann Gänsehaut und postmortalen Samenabgang am Leichnam bewirken. Ihre Dauer ist temperaturabhängig und kann von zwei Tagen bis zu mehreren Wochen betragen. Mit dem Stillstand des wärmeproduzierenden Stoffwechsels beginnt der menschliche Körper auszukühlen, als Faustregel dafür wird ein 1°C Temperaturverlust pro Stunde angenommen.

Körpereigene Enzyme bewirken den Zerfall von Zell- und Gewebsstrukturen. Diese Autolyse geht langsam in das Zerstörungswerk der Fäulnisbakterien über. Proteus, Colibakterien und Clostridien aus dem eigenen Darmtrakt sind dafür verantwortlich. Als erstes Zeichen der Fäulnis tritt eine grünschwärzliche Verfärbung der Haut des Unterbauches auf. Über die Blutgefäße breiten sich die Bakterien im gesamten Körper aus.

Durch den Abbau des Blutfarbstoffes wird der Verlauf der Venen sichtbar und zeigt sich als netzartiges braunrotes bis dunkelgrünes Muster auf der Haut, die sich mit zunehmender Fäulnis graugrün oder schwärzlich verfärbt. Die Fäulnisgase entstehen: Ammoniak, Methan, Schwefelwasserstoff, Kohlendioxid. Sie durchsetzen den Leichnam mit Gasbläschen, treiben den Körper auf, führen zur Bildung von Schaumorganen und zu Haarausfall.

Körpereigene organische Substanzen werden abgebaut; Bakterien wandeln Zucker in Alkohol um, Amino- und Fettsäuren werden aufgespalten. Temperatur, Feuchtigkeit, Integrität des Sarges, und Beschaffenheit des Bodens beeinflussen Fäulnis und Verwesung. Nach einigen Jahren sind die Weichteile des Körpers verschwunden, nach 10 bis 20 Jahren die Sehnen und Knorpel.

In einem kalten, feuchten Erdgrab können die weitgehend aneroben Bedingungen zur Bildung von Leichenwachs (Adipocire) führen, die fetthaltige Gewebe durch Aufspaltung des subcutanen Neutralfettes in Glyzerin und Fettsäuren in ein Mittelding aus Seife und Wachs umwandelt und über eine lange Zeit erhält. Trockene, sandige

Böden, aber auch Kirchengrüfte mit stetiger Luftzirkulation können zur Mumifikation des Leichnams führen; die Austrocknung unterbricht den Fäulnisprozess und konserviert Haare, Haut und Weichteile.

Saure und lehmige Böden bieten schlechte Erhaltungsbedingungen, nach einigen Jahrzehnten sind nur noch Leichenschatten des Körpers feststellbar. Lössböden sind zur Knochenkonservierung ideal. Fossilierung tritt dann auf, wenn aus dem Knochen abgebaute organische Substanzen durch im Boden in Überschuss vorhandene Mineralstoffe (Kalk, Eisen, Mangan) ersetzt werden. Unter diesen Bedingungen bleiben Zähne und Knochen viele Jahrtausende erhalten - fast so lange wie die unsterbliche Seele.

Freitag, 02. November 2001

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