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Die Gruppen 47

Drei spätherbstliche Metamorphosen des Verbleichens
Von Manfred A. Schmid

Die Gruppe 47 literarisch

Ein Lokalaugenschein am Bannwaldsee bei Schwangau im Allgäu (Bayern), der Geburtsstätte der "Gruppe 47", fällt ernüchternd aus. Besonders jetzt, in der kalten Jahreszeit, kann man sich der Trostlosigkeit des Ortes nicht entziehen. Man erkennt zwar noch, dass sich hier bis vor kurzem viele Menschen befunden haben müssen, denn sie haben überall ihre Spuren hinterlassen. Ansonsten aber ist der Platz, von vereinzelt abgestellten Wohnwägen abgesehen, öd und leer: Die Geburtsstätte der "Gruppe 47" ist heute ein riesiger Campingplatz. Im Sommer tummeln sich hier Menschen in Badekleidung, umgeben von Zelten, Wohnwägen und Grilldüften. Und in dem einsamen Fischerhaus am See, in dem sich vor 53 Jahren, am 6. September 1947, die ehemaligen Mitarbeiter der Zeitschrift "Der Ruf" eingefunden hatten, um die Zeitschrift "Der Skorpion" zu gründen, lebt heute die Kioskbesitzerin Heidrun Weidinger mit ihrem Schäferhund. Von der Vorgeschichte ihres Hauses hat die Mieterin übrigens erst nach ihrem Einzug erfahren. Das Literaturzeitschriftenprojekt wurde nie realisiert, weil das Konzept der amerikanischen Besatzungsbehörde zu liberal schien. Dafür aber ging aus jenem Treffen die "Gruppe 47" hervor, die sich bis 1967 genau 29-mal zu Lesungen und Diskussionen traf, um der deutschen Literatur eine "neue, realistische Perspektive" zu geben. Der Reiz der Gruppe bestand in deren losen, zwanglosen Gefüge.

Bis in die 60-er Jahre hinein prägte sie das literarische Leben in Deutschland. Fast alle Autoren, die in der deutschen Nachkriegsliteratur Rang und Namen hatten, zählten zu ihren Mitgliedern. Dem Kreis gehörten unter anderem zeitweise Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Martin Walser, Wolfgang Hildesheimer, Uwe Johnson und Walter Jens an.

Zwei Jahrzehnte hindurch dominierte die "Gruppe 47" den deutschsprachigen Literaturmarkt. Zu ihrer Bedeutung trug auch ihre enorme Präsenz in den Feuilletons bei, dessen Kritiker ebenso regelmäßig an den Treffen teilnahmen wie die Vertreter der Literaturverlage, nicht zu vergessen die engen Verflechtungen mit Hörfunk und Fernsehen.

Offiziell war es 1977 mit der "Gruppe 47" zu Ende. Die letzte Tagung hatte aber bereits zehn Jahre zuvor stattgefunden. Der Höhepunkt war wohl wiederum fast zehn Jahre früher zu verzeichnen, als 1958 im Gasthof "Adler" in Großholzleute im Allgäu ein verwegen aussehender junger Schriftsteller das Anfangskapitel eines Roman-Manuskripts vorlas und die Zuhörer mit seinem vitalen, saftig-bildhaften Erzählstil in seinen Bann schlug:Günter Grass, der Kostproben aus der "Blechtrommel" vortrug.

1968 bedeutete dann auch für das literarische Leben in Deutschland eine Zäsur. Die "Gruppe 47" löste sich auf, woran in erster Linie die fehlende Integration des Nachwuchses, die literarische Stagnation sowie die zunehmende Vielfalt des Buchmarktes schuld war.

Und so konnte es nicht ausbleiben, dass man alsbald am Mythos der "Gruppe 47" zu kratzen begann. Im Jahr 1997, anlässlich des 50. Jahrestages ihrer Gründung und 20 Jahre, nachdem sie ihr leises und unspektakuläres Ende genommen hatte, war es Marcel Reich-Ranicki, der ihr pauschal jegliche literarische Bedeutung absprach. In einem Interview im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wandte er sich, selbst seit 1958 bei der "Gruppe 47" dabei, harsch gegen eine Überschätzung dieser alljährlichen "Modeschau": Man sollte, warnte der gestrenge Großkritiker, "endlich darauf verzichten, die ,Gruppe 47´ als ein Phänomen der Literatur zu betrachten". Seiner Meinung nach war sie nicht mehr und nicht weniger als eine damals dringend benötigte Probebühne. Die Literaturgeschichte wäre ohne sie daher nicht anders verlaufen, nur hätten manche Autoren dann um ihre Anererkennung länger kämpfen müssen. Was aber könne von einer literarischen "Modeschau" bleiben, wurde er abschließend gefragt, und Reich-

Ranicki gab eine seiner pointiert-apodiktischen Antworten: "Höchstens die dort vorgeführten Kleider."

Insofern also mag es gar nicht so absonderlich sein, dass der Gründungsort der "Gruppe 47" jetzt ein verlassener Campingplatz ist und keine literarische Weihestätte. In wenigen Monaten aber werden sie wiederkommen, die Campinggäste mit ihren Wohnwägen, und sie werden in ihrem Gepäck gewiss auch so manches Buch dabei haben. Nicht unbedingt jene Literatur, um die sich die "Gruppe 47", die hier ihren Anfang genommen hat, einst bemüht hat. Aber auch Konsalik, Rosamunde Pilcher oder Uta Danella sorgen für entspannende Urlaubslektüre . . .

Die Gruppe 47 nekrologisch

Im Frühling, so halten es die Wiener, sollte man unbedingt den St. Marxer Friedhof besuchen, eine parkähnliche Anlage aus der Biedermeierzeit, die wegen ihrer blühenden Fliederbüsche berühmt ist und wegen des Mozart-Denkmals, das dort errichtet wurde, weil man einst den Komponisten hier in einem unbekannten Massengrab bestattet hatte. Im nebelig-trüben Herbst hingegen empfiehlt sich eine Wanderung durch den Zentralfriedhof. Hier dominieren die mächtigen, in dieser Jahreszeit rasant kahl werdenden Laubbäume und die zuweilen äußerst prunkvoll gestalteten Grabmäler mehr oder weniger bedeutender Leute.

"Die Zuerkennung eines Ehrengrabes", liest man in der Einleitung zu einem von der Gemeinde Wien herausgegebenen Friedhofsführer, "stellt die höchste Auszeichnung dar, welche die Stadt Wien über den Tod hinaus zu vergeben hat." Zu diesem Zweck wurde bereits 1883 mit der Errichtung einer eigenen Ehrengräberanlage begonnen.

Neben den Ehrengräbern in besonders elitärer Umgebung gibt es auch die Institution der "ehrenhalber gewidmeten Gräber", die über das ganze Areal - immerhin ein Gelände von 2,5 Mill. Quadratmetern - verstreut sind. Und so kann es schon vorkommen, dass sich das eine oder andere Ehrengrab an einer Stelle befindet, in deren Nachbarschaft auch die Überreste von sogenannten Normalsterblichen bestattet sind - was bei insgesamt rund 330.000 Grabstellen mit drei Millionen Verstorbenen nicht verwunderlich ist.

Eine dieser "gemischten" Gruppen ist die "Gruppe 47". Sie bietet einen bunten Querschnitt durch die Wiener Gesellschaft. Die "Nummer 1" beispielsweise ist die Grabstätte des als "Philanthrop" bezeichneten Spenglermeisters Karl Wenzl (1841 bis 1907), der auch Bezirksvorsteher-Stellvertreter des 3. Wiener Gemeindebezirks war und sich als großzügiger Spender für die Armen und Bedürftigen einen Namen gemacht hat. Aus seinem Vermögen wurde das "Karl und Franziska Wenzl'sche Stiftungshaus" seines Heimatbezirks errichtet, weshalb er auch eines Ehrengrabes für würdig befunden wurde.

Während die Erinnerung an das Wirken dieses Kommunalpolitikers weitgehend verblasst ist, liegt in der Nähe die Grabstätte des als "komponierender Hofrat" in die Operettengeschichte eingegangenen Carl Zeller (1842 bis 1898). Nach seinem Jusstudium war er zunächst Beamter im Unterrichtsministerium, bevor er von seinen Kompositionen leben konnte. Zeller schuf eine Oper und mehrere Operetten, von denen sich aber nur "Der Vogelhändler" durchsetzen konnte.

Erwähnenswert sind auch vier in der "Gruppe 47" in Ehrengräbern beigesetzte Feuerwehrmänner. Drei davon starben bei der Bekämpfung eines Brandes in einer Brigittenauer Glühlampenfabrik 1915 an den freigesetzten giftigen Dämpfen. Ihr Kollege, der Feuerwehrmann Mathias Mayrhuber, wurde am 18. April 1916 von einem geistesgestörten Soldaten in Erfüllung seiner Pflicht erschossen.

Ehrengräber in der "Gruppe 47" haben weiters der Chorleiter Hans Gillesberger (1909 bis 1986), der christlich-soziale Kommunalpolitiker Heinrich Karl Ohrfandl (1860 bis 1932) sowie der hochdekorierte Offizier Heinrich Josef Johann Graf von Bellegarde (1757 bis 1845). Letzterer trat 1771 aus dem sächsischen in den österreichischen Dienst und nahm von den Türkenkriegen bis zu den Napoleonischen Kriegen an allen Schlachten teil. Von 1809 bis 13 und 1820 bis 25 war Graf Bellegarde auch Präsident des Hofkriegsrates.

Die Gruppe 47 botanisch

Der Botanische Garten der Universität Wien im 3. Bezirk hat mit vielen Attraktionen aufzuwarten, darunter Gingko-Bäumen, einem kleinen, schon über 100 Jahre alten Bambuswäldchen sowie mehreren Exemplaren des nordamerikanischen Mammutbaums, der hier allerdings noch nicht die enormen Ausmaße erreicht hat, denen er seinen Namen verdankt. Die "Gruppe 47" hingegen gehört nicht zu den Glanzlichtern der 1754 auf Betreiben des Leibarztes Maria Theresias, Gerard Freiherr von Swieten, begonnenen und ab 1806 von Nikolaus Jacquin ausgestalteten Anlage.

Sie liegt recht bescheiden in einer Ecke und misst nur wenige Quadratmeter. Wenn man auf einem Rundgang dort anlangt, wird man ihr gewöhnlich wohl kaum Beachtung schenken. Entweder man kehrt schon wieder um oder man verlässt das Gelände in Richtung Alpengarten oder Oberes Belvedere. Was hier blüht und gedeiht, wächst im Verborgenen heran.

Die "Gruppe 47" gehört zur Abteilung "Österreichische Pflanzengesellschaften". Zu sehen sind Farne, ein krautiges Gewächs mit dem lateinischen Namen "Aruncus", weiters Immergrün, Grauerlen-, Föhren- und Kieferngehölze sowie der in freier Natur schon recht selten gewordene Speierling: Allesamt robuste Pflanzen, denen sogar der nahende Winter kaum was ausmacht. Während es um die literarische "Gruppe 47" still geworden ist und die Ehrengräber der "Gruppe 47" auf dem Zentralfriedhof von der Vergänglichkeit des zu Lebzeiten angehäuften Ruhms zeugen, ist die "Gruppe 47" im Botanischen Garten ein Beispiel für die beharrliche Überlebenskraft der Natur.

Freitag, 03. November 2000

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