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Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Bischof Bossuet, der Trauerredner

Kompositionen zu traurigen Anlässen
Von Andrea Traxler

Paris IV. Place Saint-Sulpice. Fontaine des Quatre-Evèques. Betrachtet man diesen dort 1847 hingestellten, ewig Wassermassen umwälzenden Brunnen, "mit den Vielecken, mit seinen kesselartigen Vasen, seinen Löwen, die auf Feuerböcke passen, mit seinen Prälaten in Nischen", diesen Brunnen, der wie Joris-Karl Huysmans weiters meint, "wirklich kein Meisterwerk" ist, "nicht mehr als jene Bürgermeisterei, deren administrativer Stil einem Asche über die Augen streut", so beeindruckt er dennoch, vornehmlich der Prälaten wegen.

Sind doch hier in einer Atmosphäre "aus wohltätigem Schweigen und sanfter Feuchtigkeit, die nach vergessenem Schrank und ein wenig nach Weihrauch riecht" vier Männer vereint, die zu Zeiten Louis XIV. nicht gerade einig aber bedeutend waren: Valentin-Esprit Fléchier, Jean-Baptiste Massilon, Franceois de Salignac de la Mothe-Fénélon und Jacques-Bénigne Bossuet. Letzterer, privilegiert durch ein auffallend sprachliches Gespür, verstand es, die Kanzelberedsamkeit mittels rhetorischer Figuren einer Virtuosität zu nähern, die frappierend gewesen sein muss. Seine Trauerreden sind Kompositionen.

Die Suche nach weiteren Gedenkstätten ist wenig ergiebig in der Metropole. In der Rue Sainte-Anne Nr. 46, Paris II, könnte eine Tafel interessieren. Die geringe Breite der Gasse und die etwas überhöhte Positionierung der Erinnerung aber verhindern das Lesen der Inschrift und das fotografische Festhalten selbiger, es sei denn, man borgte sich das Fenster der gegenüberliegenden Wohnung. Bossuet starb in diesem Haus am 12. April 1704.

In der streng rhythmischen Anlage des Place de Vosges, Paris IV, wo im Laufe der Jahrhunderte bestaunenswert viele Persönlichkeiten Quartier genommen haben und wo gegenwärtig auf Nr. 6 das Victor-Hugo-Museum eingerichtet ist, bezog Bossuet 1678 für die Dauer von vier Jahren das Haus Nr. 17, damals noch Place Royal.

Und in der Rue Saint-Honoré, Paris I, in der Barockkirche Saint-Roch, die im Verlauf der Fassadenreihe eingebunden, durch ihren breiten Stiegenaufgang zu überraschen vermag, in deren Innenraum Diderot, d'Holbach, Corneille und der legendäre Gartenbaumeister Le Nôtre ihre letzte Ruhestätte haben, wurde eine Marmortafel installiert. Schwerlich identifizierbar mittlerweile, haben doch die Jahrhunderte dem Prägegold der Inschrift erheblich zugesetzt. Ist einem aber das Glück beschieden, die dort kundige alte Dame anzutreffen, wird man gewiss die Tafel zu sehen bekommen. Mit freudvollem Blick, ob eines Interessenten wahrscheinlich, beleuchtet die Dame mit Zuhilfenahme einer Kerze jede Zeile und liest einem die Inschrift mit einer dem heiligen Rahmen entsprechenden Stimme vor. 1704 fanden in Saint-Roch die Trauerfeierlichkeiten zu Bossuets Tod statt.

Der Denkmäler mehr finden sich in literarischen Texten. Gern wird über Bossuet die rhetorische Qualität einer Figur definiert. Bossuet wird sozusagen als Richtmaß höchster sprachlicher Ausdrucksmöglichkeit herangezogen. Beispielsweise in dem von Anatole France gezeichneten Abbé Patouille im "Aufruhr der Engel", der Wendungen, Ausdrücke und ganze Sätze von Bossuet entlehnte und auswendig gelernt hatte, um sie in seine Predigten einzuflechten und um seine Gedanken über erhabene Dinge besser formulieren zu können. Nicht ganz so eindeutig in Balzacs Buch "Verlorene Illusionen", darin der Chefredakteur Finot nach der Lektüre eines gelungenen Artikels von Dauriat bemerkt: "Wenn Bossuet in unserem Jahrhundert lebte, hätte er nicht anders geschrieben, [. . .] Bossuet wäre heutzutage Journalist."

Zwischen Bossuets Tod und Finots Bemerkung liegt ein Zeitraum von 130 Jahren. Eindeutig vermochte Bossuet 70 Jahre später zu faszinieren: den Protagonisten in Huysmans Buch "Gegen den Strich". Des Esseintes las fast ausschließlich Bourdaloue und Bossuet, da "deren klang- und prunkvolle Perioden ihm Achtung abnötigten".

Anders in dem von Louis-Sebastian Mercier konstruierten Szenario, das 1772 mit dem Titel "Das Jahr 2440" erschien. Während eines Besuchs der königlichen Bibliothek staunt der nach 700 Jahren wieder erwachte Protagonist nicht schlecht, ob der geringen Anzahl der Bücher: "Wo ist denn der berühmte Bossuet, der zu meiner Zeit in 14 Quartbänden gedruckt worden ist?" Die Frage stellt er dem Bibliothekar. "Alle jene Autoren haben wir geopfert, die ihre Gedanken unter einem ungeheuren Haufen von Worten und Zitaten begruben." Die Antwort. "Wie, dieser Adler, der in die höchsten Höhen entschwebte, dieses Genie [. . .] Aber doch wenigstens seine Leichenreden . . ."

In Merciers Buch wurden auch die Leichenreden vernichtet, ist ihr Autor doch einer, der "die Toten mit Lobsprüchen erhebt, noch ehe ihre Asche ganz erkaltet ist", einer, der "den Königen eine gute Portion Weihrauch spendet, solange sie noch nicht abgeschieden sind". Darüber hinaus "ein hochmütiger, hartherziger Mensch, ein kriecherischer und ehrgeiziger Höfling".

Lebenslauf eines Klerikers

Jacques Bénigne Bossuet. Geboren 1627 in Dijon. Sein Umfeld war das der "bourgeoisie parlementaire". Der Vater, Advokat, wurde 1633 als Vorsitzender des von Kardinal Richelieu eingerichteten Parlaments nach Metz berufen, die Erziehung von Jacques Bénigne seinem Onkel Claude, Bürgermeister von Dijon, überantwortet, der die schon früh stark ausgeprägten Interessen des Kindes an den Wissenschaften unterstützte und förderte. 1635 begann Jacques Bénigne im Jesuitenkolleg von Dijon seine ersten Studien. 1640 bereits erhielt er die Zusicherung für ein Kanonikat in der Domkirche zu Metz. Seine Studien, Schwerpunkt Philosophie, setzte er 1642 in Paris fort, im Kollegium von Navarra. Kurze Zeit nach seinem Eintritt dort, musste er im Namen des Kollegiums einige philosophische Thesen verteidigen, öffentlich. Ob seiner damals schon beachtlichen Eloquenz erheblich Eindruck hinterlassend, soll Cospean, Bischof von Lisieux, Bossuet zu sich gerufen haben, um ihn eine Predigt über ein bestimmtes Thema improvisieren zu hören. Dies muss Bossuet so meisterlich gelungen sein, dass der Bischof sich im Rahmen der ihn umgebenden Prälaten zu der Bemerkung hinreißen ließ: "Ce jeune homme, que vous vende voir sortir, sera une des plus grandes lumières de l'Eglise."

Seines rhetorischen Potentials wegen hätte Bossuet aber auch in der Pariser Salonwelt glänzen können. Wurde er doch von seinem Onkel François, Sekretär des französischen Finanzrates und einer der reichsten Männer von Paris, in das von Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet, gegründete Hotel de Rambouillet, der Wiege der Salongeselligkeit, eingeführt, wo sich Geistes- und Geburtsaristokratie echauffierte. Sein finanzkräftiges Umfeld und die durchaus verlockende Aussicht, in ein nicht gerade unbequemes Leben einzutauchen, reizte Bossuet jedoch wenig. Wenngleich er dortselbst 1643 seine ersten oratorischen Essays vortrug - die in diesem Rahmen postulierte Verfeinerung der französischen Sprache, das der "Préciosité" verpflichtete "Jeux d'ésprit", entsprach nicht seiner Neigung. 1648 siedelte er nach Metz, um sein Amt als Diakon ernstzunehmen. 1652 erhielt er die Priesterweihe und promovierte zum Doktor der Theologie.

Es begannen Jahre der Predigten und Trauerreden. Bis 1658 in Metz. Als dogmatischer Verfechter der gallikanischen Kirchen- und Religionspolitik Louis XIV. auch so manche Kontroverse mit den in Metz in Vielzahl lebenden Protestanten, vornehmlich aber mit dem Prediger Paul Ferry, dessen Katechismus Bossuet zu widerlegen sich bemüßigt fand.

Seine Bemühungen blieben bei Hof nicht unbemerkt. Eine Einladung des begnadeten Redners und unermüdlichen Kämpfers gegen die "sinnverwirrenden Lehren des Protestantismus" nach Paris, durch Anne d'Autriche, der Mutter von Louis XIV., tat das ihrige, um auch Letztgenannten für Bossuets Sprachkunstwerke begeistern zu können. Sah doch "Louis le Grand - le plus Grand - le plus sage - le plus religieux de tous les rois", wie Bossuet ihn in seinen Predigten bei Hof titulierte, durch solcherart Lobgesang seinen Glorienschein aufs Schönste schillern, und war es doch rechtens, einmal mehr vermittelt zu bekommen, wie sehr die Überzeugung: "l'état c'est moi" seine Richtigkeit hatte.

Ein Wechselspiel in der Folge, das seitens Louis XIV. Auszeichnungen und seitens Bossuet rhetorische Erkenntlichkeiten zum Inhalt hatte, näherte dessen Predigten bei Hof zunehmend jener Färbung, die den dort herrschenden Bedürfnissen am ehesten entsprach: dem ästhetischem Genuss. Für höfische Ohren waren spirituelle Inhalte nicht wesentlich. Was ein Redner zu evozieren in der Lage sein musste war "plaisir". Und solange der Redner vermittels rhetorischer Figuren wie Ellipsen, Chiasmen, Paronomasien, Hyperbeln und Metaphern gleichsam einen sprachlich Tanz zu vollführen wusste, konnte er es sich durchaus erlauben, Kritik in seine Rede einzuweben.

Wohl gewogene Kritiken

Bossuet etwa wetterte wiederholt gegen die Verderbtheit, Sittenlosigkeit und Falschheit bei Hof. Doch waren die Worte wohl gewogen, denn Louis XIV. dürfte sich nach einem solchen Exkurs keineswegs kompromittiert gefühlt haben, da er Bossuet vermittelte: "Ah, mon père, c'est un plaisir à être ainsi maltraité par vous." Bossuets Sprachbegabung muss wahrhaftig außergewöhnlich gewesen sein, wenn für die Zuhörer selbst Kritik noch vergnüglich war.

Abbé Ledieu, sein Sekretär, der eines Tages bei einer der Besprechungen über Glaubenssätze und Messopfer anwesend war, die Bossuet regelmäßig mit den Karmeliterinnen abhielt, meinte, "er habe den heiligen Hieronymus zu hören geglaubt, wie er [Bossuet] den geistlichen Jungfrauen und Witwen die Schrift erklärte".

1659 übersiedelte Bossuet wieder nach Paris und setzte fort, was er in Metz begonnen. Ein neuer Lebensabschnitt voll der Predigten und Trauerreden lag vor ihm, erweitert durch die von Louis XIV. gewünschten Predigten zur Advents- und Fastenzeit. Die güldenen Fäden, die ihn mit dem höfischen Geschehen verbanden, verdichteten sich, hatte er doch 1667 für Anne d'Autriche und 1669 für die Königin von England Henriette-Marie de France Grabreden zu halten. Sieben Monate später bereits begleitete er die Grablegung von deren Tochter Henriette-Anne d'Angleterre (Gemahlin von Philippe d'Orleans, dem Bruder Louis XIV.) rhetorisch, was schwierig war, denn es hatte sich im Leben der 27-Jährigen wenig zugetragen, das im Besonderen erwähnenswert gewesen wäre.

Bossuets logisches Schema aber, das seinen Trauerreden innewohnt und selbige trägt, ermöglichte es ihm, auch gering zur Verfügung stehenden historischen Stoff eindrucksvoll zu präsentieren, zumal im Allgemeinen Allgemeines auch im Einzelnen Zusammenhänge denkbar macht.

Bossuet legte von einem zum anderen Ufer seines Redeflusses ausgesuchte Girlanden, zog elegante Kreise, verwob innere und äußere Beweise, kehrte zum Motto, seinem Grundgedanken zurück und ließ erneut die Worte, deren mögliche Figuren, Parallelismen und Repetitionen walten. Es sind sprachliche Kunstwerke, die Bossuet produzierte. Der Trauerreden für Personen hohen Ranges gibt es sieben. Nebst den bereits erwähnten drei folgten: 1683 für Marie-Thérèse d'Autriche (Tochter des span. Königs Philipp IV., Gemahlin von Louis XIV.), 1685 für Anne de Gonzague ("Princesse Palatine" aus Mantua), 1686 für Michel Le Tellier (Kanzler und Kriegsminister) und 1687 für Louis de Bourbon, Prince de Condé.

Berühmt für seine "oraisons funèbres" wurde Bossuet 1669 mit jener Grabrede für Henriette-Marie de France. Im selben Jahr wurde er zum Bischof von Condom ernannt. 1672 gab er sein Amt als Bischof zurück und widmete sich einer ihm 1670 von Louis XIV. anvertrauten, größte Geduld erfordernden Aufgabe: der Erziehung des Dauphin, des zu diesem Zeitpunkt neunjährigen Thronfolgers Louis XV. Während sich Fléchier (einer der Prälaten in Nischen) und eine Gruppe weiterer Lehrer und Wissenschafter pädagogische Spezialaufgaben teilten, war Bossuet für die Alten Sprachen, Philosophie und Geschichte zuständig. Das bedeutete zehn Jahre Mühsal, die sich wenig lohnte, denn Monseigneur hatte keinerlei Animo, etwas zu lernen, vielmehr "habe er mit Fleiß die größten Anstrengungen unternommen, um das, was man ihm gerade beigebracht hatte, schnellstens zu vergessen", wie Liselotte von der Pfalz notierte.

Angesichts dieser Erschwerung und des zwar zur Verfügung stehenden, aber unbefriedigenden Unterrichtsmaterials, verfasste Bossuet für seinen Schützling drei Lehrbücher selbst: eine theologische Weltgeschichtsdeutung: "Discours sur l'histoire universelle", ein am Christentum ausgerichtetes politisches Handbuch: "Politique tirée des propres paroles de l'Écriture sainte" und ein Religionsbuch: "Traité de la connaissance de Dieu et de soi-même."

Dass diese Bücher nicht unbedingt durch Objektivität bestechen, hat eine innere Logik, war doch Bossuet mit seiner tendenziell dogmatischen Anlage versucht, seine Inhalte und Überzeugungen zu transportieren. Aber was auch immer Bossuet für seinen Schüler formuliert hätte, Louis XV. war nicht gewillt, daraus einen Gewinn zu ziehen. Ein Ende hatte diese Tortur 1680.

1681 wurde Bossuet zum Bischof von Meaux ernannt. Nebst einer Reihe weiterer Grabreden und Predigten verfasste er noch einige Schriften, darin er die katholischen Glaubenslehren zu vermitteln versuchte. Platzierte sich in dem legendären Literaturstreit, dem "Querelle des Anciens et des Modernes", auf der Seite der "Alten". Hielt den systemkritischen Erziehungsroman "Les aventures de Télémaque" von seinem Berufskollegen Fénelon "nicht nur eines Bischofs, sondern eines Priesters und Christen unwürdig" und verurteilte die Bühnenwerke Molières im selben Maße wie die Tragödien von Racine und Corneille als sittenbedrohend.

Freitag, 03. November 2000

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