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Strick in der Brieftasche

Bekenntnisse des letzten Scharfrichters der Monarchie
Von Rudi Palla

Der letzte k. k. Scharfrichter der Monarchie, Hauptmann der Freiwilligen Simmeringer Turner-Feuerwehr und Obmannstellvertreter des ersten Simmeringer Athletenklubs wurde am 11. März 1855 in dem Vorort Simmering geboren. Er erlernte das Tischlerhandwerk, rückte 1875 zum k. u. k. Genieregiment Nr. 2 ein, nahm an der Okkupation Bosniens Teil und verdingte sich nach dem Abrüsten neun Jahre als Heizer bei den Gaswerken. Er war fleißig und sparsam, kaufte ein Kaffeehaus und wurde ein kleinbürgerlicher Kaffeesieder. Der "fesche Hauptmann

Pepi", wie er von seinen Freunden genannt wurde, war ein "gemütlicher und trinkfester Wiener Spezi", der seine Gäste zu unterhalten verstand. In seinem Kaffeehaus in der Simmeringer Hauptstraße war der damalige Scharfrichter Selinger Stammgast. Der fand an der "herkulischen Gestalt" des Besitzers Gefallen und überredete ihn, sein Gehilfe zu werden. Nach Selingers Tod wurde Josef Lang mit Dekret vom 27. Februar 1900 zum Scharfrichter von Wien, aber auch von ganz Österreich mit Ausnahme des Königreiches Böhmen und der Okkupationsländer Bosnien und Herzegowina ernannt.

Nach Abschaffung der Todesstrafe 1918 konnte Lang hinter seine

Berufsbezeichnung a. D. setzen, musste sich mit einer kleinen Rente abfinden und war die letzten Lebensjahre Hausmeister im Hause Gottschalkgasse 1 in Simmering. Er starb am 21. Februar 1925, und Zehntausende Wiener gaben ihm das letzte Geleit. In einem Nachruf in der "Arbeiter-Zeitung" hieß es unter anderem: "39 Menschen hat er gehenkt, im Namen seines Kaisers und mit eigener Hand. Mit diesen robusten Händen, die jetzt friedlich ineinandergelegt, einen Rosenkranz umklammern. Ein lebender Henker ist grauenhaft. Dieser tote hier, ein ausrangiertes Gerät einer toten Zeit: ich hasse ihn nicht, ich fluche ihm nicht, mir graut nicht vor ihm."

Schwarzer Salonanzug

Am Allerseelentag des Jahres 1902 zog der k. k. Scharfrichter Josef Lang seinen schwarzen Salonanzug an, den er sonst nur bei Ausübung seines Amtes trug, und erwartete im ebenerdigen Wachhaus der Freiwilligen Simmeringer Turner-Feuerwehr, das ihm und seiner Gattin als Wohnhaus diente, den Besuch eines Deputierten aus Kentucky, der in Begleitung eines amerikanischen Journalisten nach Wien gekommen war, um Langs Ansichten über den Vollzug der Todesstrafe kennenzulernen. Lang war in Amerika kein Unbekannter. Diverse angesehene Tageszeitungen brachten Aufsätze über sein meisterhaftes Wirken, dem er nicht nur bei der Strangulierung des Raubmörders Theodor Bibierski in Lemberg gerecht wurde. Dem verzweifelten Aufschrei des Delinquenten "Nur recht geschwind!" folgte der Tod in 40 Sekunden. Langs bisherige Bestleistung. Selbst die Exekutionen seines Lehrmeisters Selinger dauerten öfters länger als eine Minute.

Die drei Herren hatten es sich in der Wohnstube, dem früheren Wachlokal der Feuerwehr, bequem gemacht, und Lang setzte seinen Besuchern auseinander, warum er die amerikanische Methode des Hängens, wo das Opfer durch eine Falltüre einige Meter tief fällt, bis sich der Strick strafft, für ungemein grausam hielt. "Sie werden mir Recht geben", sagte er, "dass der bezweckte Genickbruch nur in seltenen Fällen erfolgt. Der Delinquent erlangt, nachdem er sich im nächsten Augenblick von dem Fall erholt hat, trotz des furchtbaren Druckes um den Hals, sein Bewusstsein wieder und leidet acht bis zehn Minuten, mitunter auch noch länger, unsägliche Qualen." Und er fügte hinzu: "Eine Hinrichtung, die länger dauert als eine Minute, ist eine rohe Abschlachtung von Gesetzes wegen."

Einige Sekunden herrschte Stille. Langs apodiktische Worte taten ihre Wirkung. Der Journalist notierte hastig einige Sätze in sein Notizbuch, und noch ehe der Deputierte seine Neugierde auf Langs Geheimnis ausdrücken konnte, fuhr der Meister selbstbewusst mit seinen Erläuterungen fort. "Bei meiner Methode, die sogar von dem sehr strengen Gerichtsarzt Hofrat Haberda als besonders human gerühmt wird, geht es um ganz was anderes: Im Augenblick, wo der Strick zugezogen wird und die Gehilfen an den Beinen ruckartig ziehen, werden die Halsschlagadern völlig unterbunden, und der Delinquent verfällt sofort in eine tiefe Bewusstlosigkeit, in der er absolut keinen Schmerz verspüren kann. Die kraftlosen Zuckungen, die in den nächsten Sekunden folgen, sind unbewusste Reflexe und in wenigen Augenblicken ist der Körper schon regungslos und ohne Leben. Ich kann dann auch immer gleich angeben, ob der Tod durch Herzschlag oder durch Gehirnschlag eingetreten ist. Das macht eben die Erfahrung. Voraussetzung für eine klaglose Arbeit ist, aber das wissen Sie ja, eine Schnur aus erstklassigem Hanf, sehr weich und eingeseift."

Die Herren nickten zustimmend. Der Deputierte stand auf, warf einen kurzen Blick auf ein Porträt Langs, das an der Wand hing und ihn in der Uniform eines Feuerwehrhauptmannes zeigte, und begann seine Rede mit einem einschmeichelnden "Mister Lang". Was er sagte, war ein Angebot des Staates Kentucky an den k. k. Scharfrichter Lang, fortan zu besten Bedingungen in diesem Staate als hangman zu wirken. Lang lächelte verlegen und dankte für die erwiesene Ehre, schlug das Angebot aber aus. Jahre später, als Kaiser Franz Joseph immer weniger Todesurteile unterschrieb, erwähnte er gegenüber seinen Tarockpartnern: "Vielleicht wäre man mir in Amerika in mancher Hinsicht besser entgegengekommen als hier - aber Wien bleibt Wien und Simmering Simmering."

Zwei Monate nach der Begegnung mit den Herren aus Kentucky wurde Josef Lang mit seinen beiden Gehilfen telegrafisch nach Triest gerufen. In der Hafenstadt war es zu Tumulten und zu Ausschreitungen gegen das Militär gekommen, was die Verhängung des Standrechtes zur Folge hatte und die Anwesenheit des Scharfrichters erforderlich machte. Lang und seine Begleiter wurden im Triester Gefangenenhaus in der Via Collegio in Kerkerzellen einquartiert, weil die Behörden Übergriffe der wütenden Aufständischen befürchteten. Einundfünfzig Tage lang konnte Josef Lang das wintergraue Meer nur durch das vergitterte Zellenfenster sehen, und die kalte Eintönigkeit trübte seine sonst so launige Seele bis zu jenem Tag, da ein Graphologe ihn zu sprechen wünschte. Er habe von seiner Anwesenheit erfahren und würde gerne die Gelegenheit wahrnehmen, die Persönlichkeit eines prominenten Scharfrichters graphologisch zu beurteilen. Lang willigte ein, sicher in der Hoffnung, etwas Zerstreuung zu finden.

Schon wenige Tage später legte der Graphologe namens Cosolo sein Gutachten vor: "Eine ruhige, zum Phlegma hinneigende Natur, ernst, nicht schroff, aber auch nicht leicht zugänglich und etwas misstrauisch. Von Gefühlsduselei sind Sie kein Freund. Sie überlegen sich alles genau und nehmen nicht gern etwas zurück. Sie sind mäßig, halten aber auf gute Speisen und Getränke. Das Selbstgefühl ist stark entwickelt, geht jedoch nicht bis zur Einbildung oder zum Stolz. Eine gewisse Gutmütigkeit fehlt Ihnen nicht; Sie tragen die selbe aber nicht offen zur Schau. Ohne viel Umschweife gehen Sie gerade auf Ihr Ziel los. Sie sprechen nicht gern viel, wenn aber, dann frisch von der Leber weg ohne Beschönigung und Verstellung. Sie bewahren leicht Ihre Ruhe; im Zorn sind Sie zu fürchten. Sie sind ordnungsliebend und pünktlich. Bei Ihnen regiert der Verstand, nicht das Herz."

Großer Kinderfreund

Lang war mit dieser Charakterisierung im Großen und Ganzen einverstanden, seine Person schien ihm richtig getroffen zu sein, nur eines wollte er noch hinzufügen: dass er auch ein großer Kinderfreund sei. "Gewiss, gewiss" , pflichtete ihm Cosolo bei und betonte, dass derart spezielle Eigenschaften aus der Handschrift nicht gelesen werden könnten, doch würde die Diagnose, "eine gewisse Gutmütigkeit fehlt Ihnen nicht", auf diese Eigenschaft klar hinweisen. Das war es, was Lang noch hören wollte, und sein anfängliches Misstrauen gegen den Graphologen schwand, je länger das Gespräch dauerte.

Das spürte der feingliedrige Cosolo und begann behutsam Fragen zu stellen, die Langs privates Leben betrafen, wobei er geschickt auf sein ausschließlich professionelles Interesse hinwies. Lang wurde immer gesprächiger, und es schien, als würde er es genießen, das Heimliche, das Vertrauliche, ja sogar das Obszöne, das sich in seinen Anekdoten verbarg, Cosolo anzuvertrauen. "Auf Dienstreisen, im Eisenbahncoup' zum Beispiel", vertiet er, "stelle ich mich fast nie meinen Mitreisenden mit dem Namen und meiner Profession vor. Wie leicht könnte der eine oder andere einen Schrecken bekommen und die Reise dadurch getrübt werden. Nein, meistens gebrauche ich die Redewendung: Meinen Namen sollt ihr nie erfahren, ich bin der Kaiser Joseph, außer", es folgte eine kurze genüssliche Pause, "eine hübsche Dame ist anwesend. Ja, dann lüfte ich mein Inkognito und nehme mit innerer Aufregung das prickelnde Gruseln im Gesicht der Dame wahr." "Wenn sie sich beeindrucken lässt", warf Cosolo ein, und beide begannen laut zu lachen.

Lang fuhr aufgekratzt fort, dass er gleich nach seiner Ernennung zum Scharfrichter auf Schritt und Tritt von Frauen, gleichgültig ob Bankdirektorsgattin oder Hausfrau, ob Prostituierte oder Postfräulein, umschwärmt wurde. Die einen wollten ihm nur in die Augen schauen, andere wünschten schon seine Hand zu drücken, manche sprachen das Verlangen nach einem Kuss aus, und es gab auch welche, die ihm schamlos eine gemeinsame Nacht vorschlugen.

Lang gab sich Cosolo gegenüber als intimer Kenner des weiblichen Geschlechts aus, was diesem insgeheim leicht übertrieben vorkam, doch bohrte er geschickt weiter, forderte Langs Eitelkeit durch teilnahmsvollen Beifall heraus, und trieb ihn letztlich zur Preisgabe eines weiteren Geheimnisses. Aufgeregt erzählte Lang, im Besitz einer Sammlung von Schamhaaren seiner Verehrerinnen zu sein, die er in Zellophansäckchen, fein säuberlich geordnet, aufbewahre.

Es war spät geworden. Graphologe und Scharfrichter trennten sich zufrieden und vereinbarten, das anregende Gespräch bald fortzuführen. Zwischen diesem und dem nächsten Besuch Signor Cosolos fand sich ein anderer ein, streng inkognito. Der damalige Erzherzog und spätere Kaiser Karl inspizierte das aufständische Triest und das Gefängnis. Als Lang ihm vom Gerichtspräsidenten vorgestellt wurde, äußerte der Erzherzog lakonisch: "Ja, mein Herr, wenn es nach mir ginge, würden Sie mehr zu tun haben!"

Allerletzte Ekstase

Den nächsten Besuch Cosolos benützte Lang, um über sein Lieblingsthema, die humane Reise ins Jenseits, zu philosophieren, obwohl der Graphologe gerne beim letzten Thema, den Frauen, geblieben wäre. Lang war überzeugt, und vertrat diesen Standpunkt leidenschaftlich, dass die Strangulierung dem Todeskandidaten nicht die mindesten Schmerzen bereite, ja sie löse vielmehr wollüstige, angenehme Gefühle aus. Lang ging noch weiter und behauptete, er hätte wiederholt Delinquenten beobachtet, die mit dem Strick um den Hals in sexueller Ekstase der Wirklichkeit entrückt waren. Ein Beweis dafür sei der reichliche Samenerguss aller Justifizierten im Moment der Strangulierung.

Diese lustvolle Schilderung reizte Cosolo allerdings zu der Bemerkung, dass es geradezu ein Hochgenuss sein müsse, von ihm, Lang, gehenkt zu werden. Lang spürte den leisen Spott und versuchte, seine Meinung durch ein Beispiel zu festigen. Er hatte einmal an sich selbst durch einen Gehilfen einen Strangulierungsversuch mit einer für eine Hinrichtung bestimmten Schnur vornehmen lassen. "Nach Zuziehen des Strickes", meinte er, "entstanden zwar Atembeklemmungen, doch ließen dieselben fast gleich nach; ich hörte Orgelspiel und Engelsgesang und hatte sehr angenehme Illusionen."

Cosolo schüttelte verwundert seinen Kopf und fragte Lang, ob er abergläubisch sei. Lang überlegte, nahm seine Brieftasche aus dem Jackett, klappte sie mit beiden Händen halb auf und bekannte, darin mehrere Fasern von jedem Strick aufzubewahren, mir dem er seine Opfer aufgeknüpft habe. Aber nur als Erinnerung, betonte er, denn abergläubisch sei er wirklich nicht. Ein seltsamer Mensch, dachte Cosolo und war erleichtert, wenig später Langs ungemütliche Zelle verlassen zu können. Er kam nie wieder.

Freitag, 03. November 2000

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