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Privat sterben

Gedanken zum frühen Tod des Wiener Publizisten Andreas Rasp
Von Martin Luksan

Der treffende und unpathetische Nachruf auf einen Verstorbenen ist eine Kunst. Schon aus diesem Grund sind berufsmäßige Begräbnisredner, die eine sprachliche Routine
auf die Einzigartigkeit des Verstorbenen anwenden, kaum erträglich. Leichter ist es, Bruchstücke eines Nachrufes mit einem Kommentar über Sterben und Tod in unserer Gesellschaft zu verbinden.

Der Journalist und Volksbildner Andreas Franz Rasp, Jahrgang 1946, auch Lesern der „Wiener Zeitung" durch gelegentliche Beiträge bekannt, verstarb am 12. Juni 1999 in seiner Döblinger Wohnung
durch einen Herzinfarkt. Der Zeitpunkt des Todes liegt in einer Grauzone von 24 Stunden, weil der Tote erst Tage später in der Wohnung aufgefunden wurde und die Behörde den Tag der Auffindung mit dem
Tag des Todes gleichsetzte. Erst jene Ärztin, die den Leichnam obduziert hatte, bestimmte zögernd und unamtlich die Todesstunde.

Die Stunde des Todes scheint dem Sterbenden allein zu gehören wie eine peinliche Intimität. Er scheint gezwungen, das Herannahen des Todes zu verschweigen und sogar zu vertuschen. Zwei Monate vor
seinem Tod hat Andreas Rasp jene starke Koronargefäßverkalkung in Abrede gestellt, die nun im Totenschein steht. Und genau das ist die Frage dieses Kommentars, ob der Tod als das Ende eines Menschen
zur Gänze etwas Individuelles und Privates sein kann.

Unsere Gesellschaft trennt das Leben vom Tod in einer falschen und ideologischen Art. Bei der Geburt eines Kindes drückt der unverheiratete Vater die Hand der gebärenden Mutter, und beim Sich-
Einbohren der Samenzellen in die Eizelle gratulieren einander Wissenschafter im Labor. Doch beim Herannahen des Todes und vor dem letzten Atemzug verlassen die Besucher das Zimmer oder schiebt der
Pfleger das Bett mit dem Sterbenden in einen leeren Raum.

Noch im vorigen Jahrhundert war eine Art letzter Kommunion mit anderen Menschen ein Vorrecht des Sterbenden. Das hielt zwar den Tod in keiner Weise auf, ließ ihn aber doch im Leben der Menschen
irgendwie bestehen. Diese Kommunion war die Pflicht einer letzten Innigkeit der Überlebenden mit dem Sterbenden, durch das kirchliche Brimborium hindurch. Diese Pflicht oder Disziplin beruhte nicht
auf Freiwilligkeit oder gutem Willen, sondern auf den Geboten einer Kultur.

Das 19. Jahrhundert hatte das ideologische Interesse, dem überall und stets gegenwärtigen Tod das Lähmende und Furchteinflößende zu nehmen. Wo beim geringsten Anlaß und völlig hilflos gestorben
wurde, konnte das Leben unmöglich den höchsten Wert darstellen, ohne das öffentliche Bewußtsein zu verunsichern. So war der Tod das „Notwendige" und das „Großartige" und oft mit „Werk" und „Opfer"
eng verknüpft.

Die Ideologie des Todes vernichtete sich im Nationalsozialismus. Dieser trieb mit dem Sachverhalt des Todes ein knabenhaftes Sprachspiel, während bei ihm die Menschen vor der Zeit starben. Dann kam
die Wende, aber nicht für den Sachverhalt des Todes an sich. Das Ende des Geschwätzes vom Tod und der Versuch, ein jedes Leben bis an sein Ende kommen zu lassen, haben den Tod nicht als „pervers"
entlarvt. Der Tod des anderen, der eigene Tod und der Tod aller wurden durch die historische Tatsache des Nationalsozialismus keine „Tendenz wider die Natur". So wie das Leben primär „natürlich" ist
und nicht „notwendig" oder „großartig", genauso ist es mit dem Tod.

Andreas Rasp hat seinen tatsächlichen Krankheitszustand vertuscht und ist in diesem Sinn auf eine heutige Art gestorben. Er hat den Tod, den er schon in sich verspürte, als einen Makel angesehen, den
er nur sich selber zumuten wollte. Doch gibt es Indizien dafür, daß er seinen Tod nur auf der sozialen Ebene gefürchtet hat. Mit sich allein fürchtete er nichts und wandte auch den Blick vor seinem
näher kommenden Tod nicht ab. Andernfalls hätte er unmöglich alle Anfragen nach seinem Befinden auf eine so gelassene und heitere Art leicht abwehren können, wie er es tat. Das heißt, er hatte neben
dieser speziellen Scham eine stoische Haltung ohne Zorn und Klagen.

Unserer Gesellschaft gilt heute das, in jeder Form schutzwürdige Leben als höchster Wert. Zugleich vertritt sie die Epikursche „Nichtexistenz des Todes": Wenn der Tod existiert, sind wir nicht mehr
am Leben, und ergo hat er keine Bedeutung für uns. In dieser Sichtweise, die für hochentwickelte Tiere gut paßt, werden weite Bereiche des sozialen Lebens stumm. Zum Beispiel die Erfahrung des Todes
des anderen, wo man angesichts eines toten Freundes entdeckt, daß etwas über das eigene Leben hinausgeht, das einen am Ende selbst verschlingen wird.

Der Tod des anderen hält einen das Lebensende als Aspekt des eigenen Schicksals sonnenklar vor Augen. Er bringt einen aber auch dem eigenen Tod unmerklich näher. Denn dieses „Wir", das man mit dem
Verstorbenen in der Art eines Bundes schloß und das nun aufgekündigt ist, bleibt, ehe es gelöscht wird, irreal und irritierend da.

Andreas Rasp, der schnell denken und brillant sprechen konnte, hatte Pläne. Eine Vortragsreihe über das Ende des Marxismus. Ein Buch über Europa. Das alles ist jetzt hinfällig geworden, und jeder,
der damit verbunden war, muß es vergessen. Nicht vergessen wird in naher und fernerer Zukunft die Persönlichkeit des Verstorbenen sein. Andreas Rasp war ein liebenswürdiger und an seiner Einsamkeit
nicht leidender Mensch von einer großen und rein defensiven Schlagfertigkeit. Sein Tod hat bei einigen Freunden eine starke Abwesenheit verursacht. Dazu kommt, daß die, die ihn näher kannten, von der
Verstecktheit seines Sterbens irritiert sind. Diese Verstecktheit war weniger der Ausdruck seines Charakters als die sehr heutige Scham des Sterbenden, den Lebenden ein Bild des Ekels zu bieten.

Freitag, 02. Juli 1999

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